Entscheidungsdatum: 19.10.2016
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. August 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im Streit steht der Ausgleich von Mietrückständen der beigeladenen Mieter des Klägers durch das beklagte Jobcenter.
Der Kläger ist Eigentümer einer Wohnung, die er den seit 2011 im Bezug von Alg II und bei Abschluss des Mietvertrags in Substitutionsbehandlung wegen Opiatabhängigkeit stehenden Beigeladenen zu einem monatlichen Mietzins von 380 Euro zuzüglich Vorauszahlungen von 150 Euro auf Heiz- und Nebenkosten ab dem 15.3.2012 vermietet hat. In dem Mietvertrag ist ua vereinbart, dass die Beigeladenen "gemäß § 28 WoGG oder einer Nachfolgebestimmung der unmittelbaren Auszahlung des Wohngeldes" an den Kläger zustimmen und "die Abtretung von Wohngeld und/oder Mietzuschüssen, den leistenden Behörden und Einrichtungen von sich aus offen zu legen" haben (§ 19 des Mietvertrags vom 19.2.2012).
Der Beklagte bewilligte den Beigeladenen für die Zeit ab 1.4.2012 bis 31.3.2014 jeweils halbjährlich Alg II, wobei als Bedarf für Unterkunft und Heizung zunächst monatlich 535,56 Euro (April 2012 bis März 2013: Bescheid vom 26.3.2012, geändert durch Bescheid vom 20.4.2012, sowie Bescheid vom 14.9.2012) und sodann - wegen nur noch in geringerer Höhe anerkannter Nebenkosten - monatlich 441,17 Euro berücksichtigt wurden (April 2013 bis März 2014: Bescheid vom 20.3.2013, geändert durch Bescheide vom 12.7.2013, 5.8.2013 und 6.9.2013, sowie Bescheid vom 28.8.2013, geändert durch Bescheide vom 11.10.2013, 18.11.2013, 3.12.2013, 13.12.2013 und vom 26.2.2014). Die für Unterkunft und Heizung bestimmten Leistungen zahlte er anfangs den Beigeladenen selbst (April bis Oktober 2012), sodann auf deren Antrag zwischenzeitlich dem Kläger (November 2012 bis Januar 2013; "Unterrichtung" nach § 22 Abs 7 Satz 4 SGB II vom 25.9.2012) und schließlich auf ihre Bitte wieder ihnen selbst aus (Februar bis November 2013; "Unterrichtung" nach § 22 Abs 7 Satz 4 SGB II vom 17.1.2013). Seit Dezember 2013 erhält der Kläger vom Beklagten monatliche Zahlungen von 530 Euro, nachdem die Beigeladenen trotz fristloser Kündigung des Mietverhältnisses wegen rückständiger Miete in der Wohnung verblieben sind.
Die zunächst zum Arbeitsgericht Gießen erhobene Klage hat das SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung abgewiesen (Urteil vom 18.3.2015). Das LSG hat die Berufung unter Zulassung der Revision durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen (Beschluss vom 5.8.2015) und zur Begründung ausgeführt: Es habe durch Beschluss entscheiden können, weil der Kläger als Rechtsanwalt rechtskundig und die zu beurteilenden Rechtsfragen nicht schwierig seien, zudem hätten Beklagter und Beigeladene eine weite Anreise zum Gericht gehabt. In der Sache habe der Kläger keinen eigenen Zahlungsanspruch wegen der Miete. Ein solcher folge nicht aus der Rechtsprechung zum Schuldbeitritt im Sozialhilferecht bei einem Heimvertrag und ebenso wenig aus § 22 Abs 7 SGB II über die Direktzahlung der Miete an den Vermieter sowie - schon mangels Antragstellung - aus § 22 Abs 8 SGB II über Mietschulden. Einem Anspruch aus abgetretenem Recht stehe entgegen, dass § 19 des Mietvertrags keine Abtretung beinhalte und die Klage insofern schon unzulässig sei, weil es an der Feststellung des wohlverstandenen Interesses nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I fehle.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs, soweit die Vorinstanzen Vortrag zur Verbuchung von Zahlungen auf Mietschulden nicht gewürdigt hätten. In der Sache sei ihm der Anspruch der Beigeladenen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung abgetreten worden. Mit der Auszahlung der hälftigen Miete für März 2012 und der Kaution unmittelbar an ihn habe der Beklagte iS von § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I festgestellt, dass dies im wohlverstandenen Interesse der Beigeladenen liege. Wegen deren Opiatabhängigkeit hätte der Beklagte die Miete auch gemäß § 22 Abs 7 Satz 3 Nr 3 SGB II ermessensfehlerfrei nur an ihn auszahlen dürfen. Schließlich sei der Beklagte nach der Rechtsprechung des BGH dem mit den Beigeladenen geschlossenen Mietvertrag beigetreten (Verweis auf BGH Urteil vom 7.5.2015 - III ZR 304/14 - BGHZ 205, 260 = ZFSH/SGB 2015, 450).
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. August 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3304,44 Euro zu zahlen.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Verfahren vor dem LSG leidet an einem auch ohne entsprechende Rüge von Amts wegen zu beachtenden Mangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung, der zur Zurückverweisung zwingt. Im Hinblick auf die von ihm angenommene grundsätzliche Bedeutung der Sache hätte das LSG nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen.
1. Misst das LSG einer Rechtssache selbst grundsätzliche Bedeutung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu, liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG regelmäßig nicht vor.
a) Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGG werden die Senate des LSG, sofern sie durch Urteil entscheiden (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 SGG), grundsätzlich in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig, sofern nicht unter den Voraussetzungen von § 155 Abs 3 oder 4 SGG im Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende oder der Berichterstatter allein (hierzu letztens nur BSG Urteil vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - Juris RdNr 13 ff mwN) oder nach § 153 Abs 5 SGG der Berichterstatter mit zwei ehrenamtlichen Richtern judiziert. Hiervon abweichend gestattet es § 153 Abs 4 Satz 1 SGG dem LSG auch, die Berufung außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat, ausnahmsweise durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ob das LSG hiervon Gebrauch macht, erfordert im Rahmen des insoweit eröffneten Ermessens ("kann") eine pflichtgemäße Entscheidung darüber, ob es in der besonderen Verfahrensweise ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 SGG) und ohne mündliche Verhandlung auch ohne Einverständnis der Beteiligten (§ 124 Abs 2 SGG) entscheidet oder ob es bei einer Entscheidung in der regelhaft vorgesehenen Form verbleiben soll (ebenso zur vergleichbaren Entscheidung nach § 155 Abs 3 bzw 4 SGG BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 20 mwN).
b) Die Anwendung von § 153 Abs 4 SGG muss sich am Zweck der Regelung orientieren, zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung des LSG beizutragen, ohne den Rechtsschutzanspruch der Beteiligten zu vernachlässigen (vgl die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT-Drucks 12/1217 S 20 zu den Grundzügen der Entlastung des sozialgerichtlichen Verfahrens). In Anlehnung an Vorläuferbestimmungen ua in der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit ist die Vorschrift durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl I 50) eingeführt worden, um "eindeutig aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu bearbeiten", nachdem sich eine entsprechende Regelung in Art 2 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31.3.1978 (BGBl I 446) bewährt habe (vgl BT-Drucks 12/1217 S 53). Durch sie sollte das OVG von Arbeit für "aussichtslose Berufungen" entlastet werden, um die ersparte Kapazität "nutzbringend für die Entscheidung schwierigerer Streitsachen anwenden" zu können (vgl BT-Drucks 8/842 S 12; ähnlich BT-Drucks 11/7030 S 31 f zur Fortführung des zeitlich befristeten Art 2 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit als § 130a VwGO durch das Vierte Gesetz zur Änderung der VwGO vom 17.12.1990, BGBl I 2809). Nicht anders als die durch § 155 Abs 3 bzw 4 SGG eröffnete Verfahrensweise richtet sich das Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG hiernach auf die Beschleunigung rechtlich wie tatsächlich einfach gelagerter Verfahren, die - nach umfassender Sachverhaltsaufklärung und Erörterung in der 1. Instanz - zügig zu einer verfahrensbeendenden Entscheidung gebracht werden können sollen (ebenso zur Bedeutung der Schwierigkeit des Falles und von Tatsachenfragen für die Ermessensentscheidung nach § 153 Abs 4 SGG etwa BSG Beschluss vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG Beschluss vom 20.11.2003 - B 13 RJ 38/03 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 8; BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 10; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - Juris RdNr 8; zu § 130a VwGO ebenso BVerwG Urteil vom 30.6.2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211, 214 f = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 64).
c) Hieran ändert nichts, dass § 153 Abs 4 Satz 1 SGG anders als für den Gerichtsbescheid die fehlenden Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art und den geklärten Sachverhalt (§ 105 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht ausdrücklich als Voraussetzung für die Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren anführt. Daraus kann nach dem Vorstehenden nicht abgeleitet werden, dass es hierauf für die nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zu treffende Ermessensentscheidung nicht ankommt. Von der Befugnis, ohne Einverständnis der Beteiligten außerhalb mündlicher Verhandlung und nur mit Berufsrichtern entscheiden zu dürfen, machen die Berufungsgerichte vielmehr auch ohne ausdrückliche Wiederholung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG nur dann ermessensfehlerfrei Gebrauch, wenn sie sich von den vom Gesetzgeber für die Einführung der Regelung als maßgebend angesehenen Zwecken leiten lassen (zu § 130a VwGO ebenso BVerwG Urteil vom 30.6.2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211, 216 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 64).
d) Dieser Maßstab wird regelhaft verfehlt, wenn das LSG im vereinfachten Beschlussverfahren über eine Rechtssache entscheidet, der es (jedenfalls) selbst grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG beimisst. Schon die rechtliche Komplexität entzieht sich in aller Regel einer vereinfachten Beantwortung. Im Hinblick auf die Bindungswirkungen seiner Feststellungen (§ 163 SGG) sind auch die Anforderungen an die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts unter Berücksichtigung der Bandbreite unterschiedlicher Rechtsauffassungen durch das LSG nicht gering, soll im nachfolgenden Revisionsverfahren ohne Zurückverweisung in der Sache entschieden werden können (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Hierfür ist zum einen die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter grundsätzlich unverzichtbar (zutreffend BSG Urteil vom 16.3.2006 - B 4 RA 59/04 R - SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 19). Zum anderen können sich auch aus den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung weitere Umstände ergeben, die für die Einordnung und Lösung des Streitfalles rechtlich erheblich sein und zu einer sachangemessenen Beurteilung im Revisionsverfahren beitragen können (iE ebenso Bienert, NZS 2012, 885, 889; ähnlich zu § 130a VwGO Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 130a RdNr 6, Stand: 10/2015; enger zu § 130a VwGO dagegen BVerwG Urteil vom 30.6.2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211, 217 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 64: keine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren, wenn die Rechtssache außergewöhnlich große Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist; dem folgend Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 15a).
2. Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise hier eine mündliche Verhandlung und die Zuziehung ehrenamtlicher Richter als entbehrlich erscheinen durften, bestehen nicht. Zu Recht hat das LSG der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen. Die damit verbundenen Fragen sind auch nicht einfach gelagert, wie das LSG angenommen hat. Insoweit weisen schon seine eigenen Darlegungen aus, dass die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis zwischen SGB II-Trägern, Leistungsbeziehern und Vermietern wie regelmäßig bei solchen Konstellationen im Leistungserbringungsrecht des SGB schwierig zu beantwortende Rechtsfragen aufwerfen können. Das gilt ebenfalls für die prozessuale Seite mit der Frage, ob die hier erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) nur auf die Auszahlung der den Beigeladenen bereits bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung gerichtet sein kann oder ob der Kläger insoweit auch - wie er geltend macht und das LSG geprüft hat - ohne ein darauf gerichtetes, vorher durchgeführtes Verwaltungsverfahren unmittelbar Zahlungsansprüche aus § 22 Abs 7 Satz 2 SGB II oder aus § 22 Abs 8 SGB II ableiten kann. Angesichts dessen sind weder die Rechtskunde des Klägers noch die weite Anfahrt der übrigen Verfahrensbeteiligten beachtliche Gründe, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Entscheidung unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter abzusehen.
3. Damit hat das LSG nicht in der für die vorliegende Sache von grundsätzlicher Bedeutung vorgeschriebenen Besetzung des Senats aus Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG) entschieden. Dieser grundlegende, den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) missachtende Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren als absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu berücksichtigen (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 13 f; BSG Urteil vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - Juris RdNr 18; vgl dagegen zur Lage im Fall konkreter personeller Falschbesetzung letztens BSG Urteil vom 17.8.2011 - B 6 KA 32/10 R - BSGE 109, 34 = SozR 4-2500 § 89 Nr 5, RdNr 12 mwN), was zur Zurückverweisung führt.