Entscheidungsdatum: 16.12.2015
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011.
Die 1977 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 24.3.1998 geborenen Klägerin zu 2. Zusammen mit weiteren Familienangehörigen reisten sie am 9.2.2004 unter falschen Namen in Deutschland ein und gaben an, mazedonische Staatsangehörige zu sein. Sie erhielten bis zum 13.4.2010 Duldungen und bis zum Februar 2010 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Am 13.7.2010 wurde dem Ausländeramt ihre zutreffende Identität und ihre bulgarische Staatsangehörigkeit bekannt. Die Klägerinnen lebten mit den Eltern sowie dem Bruder der Klägerin zu 1 in einer gemeinsamen Wohnung in einem Übergangswohnheim und die Klägerin zu 2 war in der strittigen Zeit Schülerin.
Am 10.9.2010 stellten die Klägerinnen einen ersten und am 25.9.2010 einen zweiten Leistungsantrag bei der Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters (im Folgenden: Beklagter). Der zweite Antrag wurde vom Beklagten abgelehnt, weil die Klägerinnen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien (Bescheid vom 18.3.2011). Ein weiterer Antrag der Klägerinnen vom 5.8.2011 für die Zeit ab 15.7.2011 wurde ebenfalls vom Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 11.8.2011). Die Widersprüche der Klägerinnen wurden mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 zurückgewiesen. Kurz zuvor - Mitte September 2011 - wurden auf dem Konto der Klägerin zu 1 zunächst 1656 Euro und am 6.12.2011 weitere 7972 Euro Nachzahlungen an Kindergeld für die Klägerin zu 2 gut geschrieben.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, den Klägerinnen vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und die Klagen im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 27.11.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten, mit der dieser eine Abweisung der Klagen insgesamt angestrebt hat, zurückgewiesen (Urteil vom 5.5.2014). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 habe im strittigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Sie sei als bulgarische Staatsangehörige unabhängig von der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig iS des § 8 Abs 2 SGB II und zumindest damals auch gesundheitlich erwerbsfähig gewesen. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei trotz der Kindergeldnachzahlung in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 hilfebedürftig gewesen, weil dieser Betrag nach § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II auf sechs Monate zu verteilen sei. § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II stehe ihrem Leistungsanspruch nicht entgegen, weil die Klägerin zu 1 sich in der strittigen Zeit nicht auf ein solches Aufenthaltsrecht habe berufen können. Ein Aufenthaltsrecht ihrerseits nach § 2 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) scheide aus, weil die Dreimonatsfrist für ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht abgelaufen sei und ihre Arbeitsuche ohne jede begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Zudem habe sie als bulgarische Staatsangehörige eine "Arbeitserlaubnis EU" oder eine "Arbeitsberechtigung EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) benötigt. Auf ein anderes Aufenthaltsrecht habe die Klägerin zu 1 sich nicht berufen können. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II finde auf EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung. Die Klägerin zu 2 habe Anspruch auf Sozialgeld, weil sie mit der Klägerin zu 1 eine Bedarfsgemeinschaft bilde und nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfüge.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Der Aufenthalt von bulgarischen Staatsangehörigen habe während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs 5 bis 7 FreizügG/EU beendet werden können. Ohne dieses Verwaltungsverfahren bestände ein Aufenthaltsrecht. Solange bestehe eine Freizügigkeitsvermutung und ein rechtmäßiger Aufenthalt. Bei Personen wie der Klägerin zu 1, die von ihrem Freizügigkeitsrecht als arbeitsuchende Unionsbürger Gebrauch machten, seien die Erfolgsaussichten, eingestellt zu werden, nicht zu prüfen. Eine andere Auslegung - wie sie das LSG getroffen habe - führe zu dem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis, dass Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht integrierbar seien, nicht vom Leistungsausschluss betroffen seien.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufzuheben und die Klagen unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 27. November 2012 insgesamt abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und rügen hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.
Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 5.5.2014 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat, welches seinerseits den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 18.3. und 11.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 verurteilt hat, den Klägerinnen vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 "dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II" zu gewähren, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen insgesamt abzuweisen.
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der von den Klägerinnen hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.
3. Rechtsgrundlage der von den Klägerinnen begehrten und von SG und LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" in der strittigen Zeit ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.
Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen (dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz des Schulbesuchs der Klägerin zu 2 (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für die Klägerin zu 1 kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf ihre hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.). Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 11. und 12.).
4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1977 geborene Klägerin zu 1 in der strittigen Zeit vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 nach den Feststellungen des LSG.
Sie war damals trotz gewisser gesundheitlicher Probleme erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht (BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 14 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 SGB III kommt es in solchen Fällen nicht an.
Die Klägerin zu 1 war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht durchgehend über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die Kindergeldnachzahlung für die Tochter in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 verringerte allenfalls die Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1, ließ diese im strittigen Zeitraum vorübergehend, aber nicht völlig entfallen (vgl zur Berücksichtigung von Kindergeld § 11 Abs 1 Satz 4, 3 SGB II). Anhaltspunkte für ein Einkommen oder Vermögen ihrer Eltern oder ihres Bruders, mit denen sie in einer Wohnung lebte und das nach § 9 Abs 5 SGB II im Rahmen einer entsprechenden Vermutung zu berücksichtigen wäre, sind nicht zu erkennen.
Die seit dem Jahr 2004 in Deutschland lebende Klägerin zu 1 hatte hier einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -).
5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.
Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.
Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.
Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).
6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich die Klägerin zu 1 für die strittige Zeit nicht berufen.
a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU.
b) Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG ebenfalls nicht zu entnehmen.
Insbesondere sind auch die Voraussetzungen für eine aus einer Freizügigkeitsberechtigung der Tochter abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung als Elternteil nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 Abs 4 FreizügG/EU für die Klägerin zu 1 nicht gegeben.
Diese Freizügigkeitsberechtigung des Kindes eines freizügigkeitsberechtigten EU-Ausländers, der stirbt oder wegzieht, muss auch auf die Fälle angewandt werden, in denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) das Recht des Kindes auf Zugang zum Unterricht aus Art 12 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68, der mittlerweile durch Art 10 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 abgelöst wurde, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers begründet, wenn das Kind seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen möchte. Aus diesem Aufenthaltsrecht des Kindes folgt ein entsprechendes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt (vgl nur EuGH Urteil vom 13.6.2013 - C-45/12 - RdNr 46 mwN sowie BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 29 ff mwN).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die Klägerin zu 2 sich nicht auf die Rechtsstellung eines Kindes eines (Wander-)Arbeitnehmers nach den genannten Verordnungen berufen kann, da ihre Mutter - die Klägerin zu 1 - nach den Feststellungen des LSG nie berufstätig war und über den Vater der im Jahr 2004 eingereisten Klägerin zu 2 nichts bekannt ist, was auf einen Status als Wanderarbeitnehmer in diesem Sinne hindeutet.
c) Auch die Voraussetzungen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) sind mangels dahin gehender Feststellungen des LSG hinsichtlich der Klägerin zu 1 im strittigen Zeitraum nicht zu erkennen.
d) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.
7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen (vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn die Klägerin zu 1 ist bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.
Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.
8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).
9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für die Klägerin zu 1 Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.
Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).
Die Klägerin zu 1 war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).
Ob einem Anspruch der Klägerin zu 1 auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).
Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.
10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs der Klägerin zu 1 gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die die Klägerinnen hilfsweise gerügt haben, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.
Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen (zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.
11. Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Da sie 1998 geboren wurde, war sie in der strittigen Zeit vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 keine leistungsberechtigte Person nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II. Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnte sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist aber keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II aufgrund des zuvor Gesagten.
12. In Betracht kommen für die Klägerin zu 2 jedoch ebenfalls Leistungen nach dem SGB XII, was zunächst eine Beiladung des Sozialhilfeträgers voraussetzt.
Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.