Entscheidungsdatum: 29.04.2015
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 2012 - L 16 AS 199/12 - wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Umstritten ist nur noch die Rechtmäßigkeit von drei Bescheiden über Meldeversäumnisse und Minderungen von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld II (Alg II) für denselben Zeitraum.
Der im Jahr 1983 geborene Kläger, der mit seiner Ehefrau zusammenlebt, bezieht vom beklagten Jobcenter seit dem Jahr 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Zuletzt bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau Leistungen vom 1.9.2011 bis zum 29.2.2012 in nicht geminderter Höhe, aber unter zeitweiser Berücksichtigung eines Einkommens (Bescheid vom 21.7.2011, Änderungsbescheid vom 16.9.2011).
Zum 29.9.2011 lud der Beklagte den Kläger zu einer Besprechung seines Bewerberangebots bzw seiner beruflichen Situation in seine Dienststelle. Nachdem der Kläger dem nicht nachgekommen war, hörte der Beklagte ihn an und stellte ein Meldeversäumnis sowie eine Minderung seines Alg II-Anspruchs um 10 vH seines Regelbedarfs vom 1.1. bis zum 31.3.2012 fest (Bescheid vom 19.12.2011, Widerspruchsbescheid vom 7.2.2012 - W 16/12). Weitere solche Einladungen ergingen zum 10. und 25.11.2011, denen der Kläger nicht nachkam. Anschließend erfolgten jeweils eine Anhörung sowie ein Bescheid über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und eine Minderung des Alg II-Anspruchs für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.3.2012 (Bescheid vom 20.12.2011, Widerspruchsbescheid vom 7.2.2012 - W 17/12 - sowie Bescheid vom 21.12.2011, Widerspruchsbescheid vom 7.2.2012 - W 18/12). Gegen alle Widerspruchsbescheide wurden Klagen erhoben, die vom Sozialgericht (SG) zu einem Verfahren unter dem Aktenzeichen - S 11 AS 114/12 - verbunden wurden, in dem weitere Punkte umstritten waren und die Ehefrau des Klägers beteiligt war.
Das SG hat durch Urteil vom 27.2.2012 hinsichtlich des Klägers die Bescheide vom 20.12.2011 und 21.12.2011 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 aufgehoben, weil der Kläger vor dem jeweiligen Meldetermin nicht den erforderlichen ersten Bescheid über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung erhalten habe. Im Übrigen wurde seine Klage abgewiesen, weil er ordnungsgemäß eingeladen worden und ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Die Meldetermine hätten einem zulässigen Zweck gedient, und der Kläger habe keinen Anspruch auf einen speziellen Ansprechpartner gehabt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 24.10.2012 - L 16 AS 199/12 - die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG vom 27.2.2012 geändert und die Klagen insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die angeführten Bescheide über die Feststellung von Meldeversäumnissen und Minderungen seien rechtmäßig. Die Addition von Minderungen aufgrund von Meldeversäumnissen sehe § 32 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung ausdrücklich vor. Nach dieser Rechtslage müsse vor Eintritt eines zweiten Meldeversäumnisses kein erstes Meldeversäumnis durch Bescheid festgestellt worden sein.
In seiner vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §§ 31b, 32 SGB II. Nach wie vor setze eine zweite Sanktion innerhalb eines Sanktionszeitraums voraus, dass die erste Sanktion bereits vor dem zweiten Meldeversäumnis durch Bescheid festgestellt worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 2012 - L 16 AS 199/12 - zu ändern, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Februar 2012 - S 11 AS 114/12 - zurückzuweisen, dieses Urteil zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2012 - W 16/12 - aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
1. Die zulässige Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG zu Recht das Urteil des SG vom 27.2.2012 geändert und die Klagen gegen den Bescheid des Beklagten vom 20.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 - W 17/12 - wegen des Meldetermins vom 10.11.2011 und den Bescheid des Beklagten vom 21.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 - W 18/12 - wegen des Meldetermins am 25.11.2011 abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit er sich gegen die Klageabweisung hinsichtlich des Bescheides vom 19.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 - W 16/12 - wegen des Meldetermins am 29.9.2011 gewandt hat.
2. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG und SG nur noch hinsichtlich der genannten Bescheide in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides, soweit der Beklagte in ihnen jeweils ein Meldeversäumnis des Klägers und (allgemein) den Eintritt einer Minderung seines Alg II-Anspruchs um 10 vH des maßgebenden Regelbedarfs für drei Monate nach §§ 32, 31b Abs 1 Satz 1, 3 SGB II idF der ab 1.4.2011 geltenden Neubekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850) festgestellt hat, nicht aber mangels einer entsprechenden Regelung des Beklagten in den genannten Bescheiden (dazu sogleich unter 3.) die konkrete Höhe des Alg II-Anspruchs des Klägers für die strittige Zeit vom 1.1.2012 bis zum 31.3.2012.
3. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Berufungen der Beteiligten sind zulässig (§§ 143 f SGG), weil das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat. Richtige Klageart ist die vom Kläger erhobene reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG.
a) Regelungsgegenstand der streitbefangenen Bescheide ist allein die Feststellung von Meldeversäumnissen und der sich daraus ergebenden prozentualen Alg II-Minderungen, nicht aber die Höhe des Leistungsanspruchs für Zeiten, für die dem Kläger bereits existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II zuerkannt worden waren. Aufgegriffen mit der Formulierung "Sie sind trotz Kenntnis ... zu dem Meldetermin am … ohne wichtigen Grund nicht erschienen" und "für die Zeit vom … bis … wird eine Minderung ihres Arbeitslosengelds II monatlich um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs … festgestellt" ist allein der Wortlaut des § 31b Abs 1 Satz 1 SGB II, mit dem nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks 17/3404 S 112) "klargestellt" werden soll, "dass sich der Auszahlungsanspruch der Betroffenen bei pflichtwidrigem Verhalten kraft Gesetzes mindert". In der Sache beinhaltet das die Feststellungen, dass ein Meldeversäumnis vorliegt und dieses eine Minderung des Alg II-Anspruchs des Klägers in Höhe von 10 vH für eine bestimmte Zeit nach sich zieht.
Nicht bestimmt ist hierdurch indes die Höhe des vom Kläger im betroffenen Zeitraum konkret zu beanspruchenden Alg II. Schon im Ansatz ist das nicht möglich für die Zeit, die über den hier streitbefangenen Bewilligungsabschnitt vom 1.9.2011 bis 29.2.2012 hinausreicht, also den März 2012. Ändernde Wirkungen entfalten die Feststellungsbescheide aber auch nicht im Hinblick auf die mit Bescheid vom 21.7.2011 sowie Änderungsbescheid vom 16.9.2011 zuerkannten Leistungen für diesen Bewilligungsabschnitt selbst. Solche Wirkungen kamen entsprechenden Bescheiden schon zur alten Rechtslage nicht zu (vgl BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 14 zu § 31 Abs 6 Satz 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Hieran hat sich weiterhin nichts geändert. Soweit nunmehr gilt "Der Auszahlungsanspruch mindert sich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt" (§ 31b Abs 1 Satz 1 iVm § 32 Abs 2 Satz 2 SGB II in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung) berührt das die Geltung bereits erlassener Bewilligungen nicht unmittelbar. Wie bis dahin ist damit vielmehr nur zum Ausdruck gebracht, ab welchem Zeitpunkt und um welchen Minderungsbetrag der Anspruch auf Leistungen ua bei Meldeversäumnissen abgesenkt ist. Nicht bestimmt ist hierdurch aber, dass es zu ihrer Umsetzung abweichend von § 48 Abs 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) einer förmlichen Änderung bereits ergangener Bewilligungen nicht bedarf.
Daran ändert nichts, dass durch die Regelung nach den Materialien "klargestellt" werden soll, "dass sich der Auszahlungsanspruch der Betroffenen bei pflichtwidrigem Verhalten kraft Gesetzes mindert" (BT-Drucks 17/3404 S 112). Soweit dadurch zum Ausdruck gebracht sein sollte, dass die Durchbrechung der Bindungswirkung bereits ergangener Bewilligungen (vgl § 77 SGG) ausnahmsweise nicht eine förmliche Änderungsentscheidung nach § 48 SGB X, erfordert, sondern unmittelbar durch Gesetz angeordnet ist, findet das in dem Gesetzeswortlaut (vgl zur bis dahin geltenden Rechtslage BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 14) keine Stütze. Mindert sich kraft Gesetzes der "Auszahlungsanspruch" einer zuerkannten Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, so bedeutet das nicht, dass die zugrunde liegende Bewilligung selbst abweichend von § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X ohne ausdrückliche (Teil-)Aufhebung partiell ihre Regelungswirkung verlieren könnte. Solche Wirkungen könnten nur einer Vorschrift beigemessen werden, die die Geltung von § 48 SGB X, ungeachtet des erheblichen Interesses insbesondere leistungsberechtigter Personen, "einfach" (vgl § 9 SGB X) erkennen zu können, in welcher Höhe (noch) Ansprüche nach dem SGB II zuerkannt sind, ausdrücklich ausschließt und die Absenkung zuerkannter Ansprüche nach dem SGB II einem abweichenden Sonderregime (vgl § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil
b) Hat der Beklagte in unzutreffender Einschätzung dieser Rechtslage oder aus anderem Grund von einer formellen Umsetzung der Feststellungsbescheide über die Minderung abgesehen, kann sich der Kläger ohne Verstoß gegen Rechtsprechung des BSG hiergegen mit der isolierten Anfechtungsklage wenden (zur prozessualen Lage bei jeweils am gleichen Tag erlassenem Feststellungs- und Änderungsbescheid vgl dagegen BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 68/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 4 RdNr 9).
Dies folgt aus dem Wortlaut und der darin deutlich werdenden Regelungskonzeption des SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung, nach dessen § 31b Abs 1 Satz 1 ausdrücklich von einem eigenständigen Verwaltungsakt ausgegangen wird, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung feststellt, sowie § 39 Nr 1 SGB II, der die sofortige Vollziehbarkeit dieses Verwaltungsaktes anordnet (in diesem Sinne auch die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks 17/3404 S 114 zu § 39). Entsprechend kommt den in den angefochtenen Bescheiden gebrauchten Wendungen "für die Zeit vom … bis … wird eine Minderung ihres Arbeitslosengelds II monatlich um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs … festgestellt" und "Sie sind trotz Kenntnis ... zu dem Meldetermin am … ohne wichtigen Grund nicht erschienen" durch gesonderte Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X die Feststellung zu, dass ein Meldeversäumnis vorliegt und dieses eine Minderung des Alg II-Anspruchs des Klägers in bestimmter Höhe für eine bestimmte Zeit nach sich zieht.
Jedenfalls solange es an der Umsetzung dieser Verwaltungsakte durch Änderung vorher ergangener Bewilligungen nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X im dargelegten Sinne oder durch Berücksichtigung bei der Bewilligung für einen neuen Bewilligungsabschnitt fehlt, steht ihrer isolierten Anfechtung die zur vorherigen Rechtslage ergangenen Aussage des Senats nicht entgegen, ein Sanktionsbescheid gemäß § 31 SGB II aF stelle keinen abtrennbaren Streitgegenstand dar, der isoliert von den übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II überprüft werden könne (BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - RdNr 13; ähnlich der 4. Senat des BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 14 f). Bereits zur Feststellung von Meldeversäumnissen mit dem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) hat das BSG es als gerechtfertigt angesehen, die Überprüfung auf die Minderung als solche zu beschränken, wenn eine solche Beschränkung vom Kläger ausdrücklich gewollt ist und keinerlei Zweifel an einer Klagebeschränkung oder Klagerücknahme bestehen (BSG Urteil vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 8; BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 11a/7a AL 44/06 R - RdNr 12). Umso mehr muss diese Möglichkeit offenstehen, wenn ein Jobcenter ausschließlich über das Meldeversäumnis und den Eintritt der Minderung entscheidet und nicht zugleich oder in engem zeitlichen Zusammenhang damit auch über die Änderung einer zuvor ergangenen Leistungsbewilligung (zur prozessualen Lage in einer solchen Konstellation vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 68/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 4 RdNr 9).
Ergeht der vom SGB II nun vorgesehene eigenständige Verwaltungsakt über die Feststellung einer Pflichtverletzung und Minderung sowie der Umsetzungsverwaltungsakt in getrennten Bescheiden - was nicht zwingend ist - und wird ggf nur der zeitlich spätere Umsetzungsverwaltungsakt angefochten, während der zeitlich frühere Verwaltungsakt über die Feststellung einer Pflichtverletzung und Minderung bestandskräftig wird, ist zu beachten, dass für einen möglichen Antrag nach § 44 SGB X hinsichtlich dieses Feststellungsverwaltungsakts mangels Streit um die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen die Rückwirkungsregelung in dessen Abs 4 unbeachtlich ist (vgl BSG Urteil vom 21.3.2002 - B 7 AL 44/01 R - SozR 3-4100 § 119 Nr 23 S 119). Wird umgekehrt nur die Feststellung einer Pflichtverletzung und Minderung angefochten und nicht ein nachfolgender Umsetzungsbescheid, so steht dessen nachträglicher Korrektur bei einem Erfolg der Anfechtungsklage gegen den Minderungsbescheid nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X die Zeitgrenze des § 48 Abs 4 Satz 1 iVm § 44 Abs 4 SGB X sowie § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Denn die Feststellung der Obliegenheitsverletzung und die Änderung der Leistungsbewilligung sind materiell so aufeinander bezogen, dass die rechtzeitige Anfechtung des Minderungsbescheides ein Aufhebungsbegehren im Hinblick auf den Umsetzungsverwaltungsakt einschließt, um einer effektiven Rechtsschutzgewährung im Lichte des Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) Rechnung zu tragen (vgl insoweit zur Rechtslage nach dem SGB III: BSG Urteil vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - BSGE 95, 8 = SozR 4-4300 § 140 Nr 1, RdNr 9; BSG Urteil vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 5 ff).
4. Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind § 32 SGB II über Meldeversäumnisse sowie § 31a Abs 3 und § 31b SGB II über Rechtsfolgen, Beginn und Dauer der Minderung, die gemäß § 32 Abs 2 Satz 2 SGB II entsprechend gelten.
Keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die angefochtenen Bescheide ist vorliegend § 48 SGB X iVm § 40 Abs 1 SGB II, auf die das LSG ua abgestellt hat, weil die angefochtenen Bescheide nur die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung enthalten, nicht hingegen Regelungen über Änderungen der erfolgten Bewilligungsbescheide hinsichtlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Kläger (zur Unterscheidung zwischen dem Verwaltungsakt über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung sowie dem Umsetzungsverwaltungsakt hinsichtlich ggf notwendiger Änderungen einer schon erfolgten Bewilligung und der Herabsetzung des Alg II-Anspruches siehe zuvor unter 3.).
Die Voraussetzungen für die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, insbesondere das Vorliegen einer Anhörung nach § 24 SGB X, sind erfüllt.
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Meldeversäumnisses sind gegeben (dazu 5.). Soweit der Beklagte rechtmäßigerweise ein Meldeversäumnis festgestellt hat, führt das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen gemäß der gesetzlichen Anordnung in § 32 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 2, § 31b Abs 1 Satz 1, 3 SGB II jeweils als Rechtsfolge zu einer Minderung des Alg II-Anspruchs des Klägers um 10 vH des maßgebenden Regelbedarfs für drei Monate kraft Gesetzes (so auch die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks 17/3404 S 112). Eine Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Rechtsfolge Minderung oder gar die "Verhängung einer Sanktion" ähnlich dem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht seitens des zuständigen Jobcenters sieht das Gesetz nicht vor. Einer Erörterung des im Wortlaut des § 31b SGB II verwandten Begriffs "Auszahlungsanspruch" bedarf es nicht, weil durch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Minderung der Anspruch selbst ua auf Alg II sich entsprechend verringert (vgl zum Begriff "Anspruch" nur § 194 Abs 1 BGB). Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Minderungen bestehen nicht (dazu 6.).
5. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Meldeversäumnisses nach § 32 Abs 1 SGB II sind: Eine leistungsberechtigte Person muss eine Aufforderung des zuständigen Jobcenters, sich bei ihm zu melden oder bei einem Untersuchungstermin zu erscheinen, erhalten haben (Meldeaufforderung), mit der ein zulässiger Meldezweck verfolgt wurde (§ 59 SGB II, § 309 Abs 2 SGB III); die Person muss eine schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen erhalten oder von diesen Kenntnis haben und ohne wichtigen Grund der Meldeaufforderung schuldhaft nicht nachgekommen sein.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG), hinsichtlich deren insbesondere der Kläger keine Rügen erhoben hat, sind für die Bescheide wegen der Meldetermine am 29.9.2011, 10.11.2011 und 25.11.2011 diese aufgeführten Voraussetzungen, einschließlich einer rechtmäßigen Meldeaufforderung (dazu a) und des Fehlens eines wichtigen Grundes (dazu b), erfüllt. Der Kläger war eine leistungsberechtigte Person nach § 7 SGB II, wie sich aus seinem Alter von 28 Jahren in der strittigen Zeit, seiner Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit sowie gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland und dem Fehlen von Ausschlusstatbeständen (vgl zB § 7 Abs 4 SGB II) ergibt. Der Kläger hat jeweils eine Meldeaufforderung mit Datum und Uhrzeit und Ort erhalten, die mit einer schriftlichen und ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen war und der er ohne wichtigen Grund schuldhaft nicht nachgekommen ist.
Zudem muss der Verwaltungsakt über die Feststellung des Meldeversäumnisses und der Minderung innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt des Meldeversäumnisses ergangen sein (§ 32 Abs 2 iVm § 31b Abs 1 Satz 5 SGB II). Die Wahrung dieser Fristen folgt aus den mitgeteilten Daten. Keine Voraussetzung aufgrund der neuen Rechtslage ist, dass ein Verwaltungsakt über die erste Feststellung eines Meldeversäumnisses und der eingetretenen Minderung ergangen ist, ehe ein zweites Meldeversäumnis eintreten konnte (dazu c).
a) Die Meldeaufforderungen zum 29.9.2011, 10.11.2011 und 25.11.2011 waren im Hinblick auf die mit ihnen verfolgten Meldezwecke (dazu aa) und die erforderliche Ermessensausübung (dazu bb) rechtmäßig.
Eine Meldeaufforderung ist nach weitgehend einhelliger Meinung ein Verwaltungsakt (vgl nur BSG Beschluss vom 19.12.2011 - B 14 AS 146/11 B - juris - mit zahlreichen weiteren Nachweisen) und die Verfügung einer solchen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten (vgl nur Siefert in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Stand: Januar 2015, § 309 RdNr 18; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, 2. Aufl, Stand: März 2015, K § 309 RdNr 27; Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Dezember 2014, § 309 SGB III RdNr 25), wie sich zudem aus der Entstehungsgeschichte und dem heutigen Zweck der Meldepflicht ergibt (BSG Urteil vom 14.5.2014 - B 11 AL 8/13 R - SozR 4-4300 § 309 Nr 2 RdNr 21 f; Winkler, aaO, RdNr 1, 4 ff). Die Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung ist als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident zu überprüfen, weil sich die Meldeaufforderung als solche durch Zeitablauf erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl zur Sperrzeit nach § 159 SGB III: Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, 2. Aufl, Stand: März 2015, K § 159 RdNr 372; zu § 31 SGB II aF: BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6 RdNr 25 f).
aa) Den Meldeaufforderungen lagen rechtmäßige Meldezwecke zugrunde, die auch in ihnen zutreffend benannt wurden.
Dass eine rechtmäßige Meldeaufforderung einen Meldezweck voraussetzt, folgt aus § 59 SGB II, der ua die Vorschrift über die allgemeine Meldepflicht in § 309 SGB III für entsprechend anwendbar erklärt. Nach dessen Absatz 2 kann die Aufforderung zur Meldung "zum Zwecke der 1. Berufsberatung, 2. Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, 3. Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, 4. Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und 5. Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfolgen". Diese Aufzählung der Meldezwecke ist abschließend und orientiert sich an den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zur aktiven Arbeitsförderung in §§ 29 ff SGB III. Mit jedem der Zwecke verbinden sich zahlreiche Beratungsgegenstände (vgl nur die Darstellung von Siefert in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Stand: Januar 2015, § 309 RdNr 24 ff; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, 2. Aufl, Stand: März 2015, K § 309 RdNr 28 ff; Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Dezember 2014, § 309 SGB III RdNr 14 ff). Wie konkret der Meldezweck benannt werden muss, kann nicht für alle Einzelfälle generell festgelegt werden, weil dafür die jeweilige Beratungssituation maßgebend ist; eine stichwortartige Konkretisierung ist aber im Regelfall ausreichend (vgl Siefert, aaO, RdNr 20; Winkler, aaO, RdNr 12). Dementsprechend ist die Angabe "Gespräch über das Bewerberangebot/die berufliche Situation" eine grundsätzlich zulässige und ausreichende Konkretisierung des Meldezwecks (ebenso BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6 RdNr 25).
Dem wird der vorliegend als Meldezweck seitens des Beklagten in den Meldeaufforderungen jeweils angegebene Grund "Ihr Bewerberangebot bzw Ihre berufliche Situation" bezogen auf die einzelnen Meldeaufforderungen gerecht, zumal es keine weiteren Feststellungen des LSG oder Rügen des Klägers gibt, die Zweifel an einer ausreichenden Konkretisierung wecken.
bb) Die als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Meldeaufforderungen notwendige Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Zu deren Überprüfung ist von Folgendem auszugehen: Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln nur rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG sowie § 39 Abs 1 Satz 1 SGB I zu Ermessensleistungen). Umgekehrt hat der Versicherte Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I), nicht hingegen einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag zB bei einem Leistungsbegehren, sofern nicht eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist. Abgesehen von einer solchen Ermessensreduzierung auf Null hat der Gesetzgeber dem Leistungsträger mit der Einräumung von Ermessen eine Auswahlbefugnis hinsichtlich mehrerer gleichermaßen rechtmäßiger Entscheidungsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite eröffnet. Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"). Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG; vgl auch zum Nachfolgenden jeweils mwN nur: BSG Urteil vom 18.3.2008 - B 2 U 1/07 R - BSGE 100, 124 = SozR 4-2700 § 101 Nr 1, RdNr 13 ff und BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 2 U 10/10 R - SozR 4-2700 § 76 Nr 2 RdNr 12 ff).
Ein Ermessensnichtgebrauch, bei dem überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, ist nicht festzustellen, weil der Beklagte nach den Feststellungen des LSG die Meldeaufforderung ausgesprochen hatte, um die berufliche Situation des Klägers mit ihm zu erörtern, was angesichts der Länge seines Leistungsbezugs naheliegend war. Eine Ermessensüberschreitung, bei der eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist, scheidet aus. Denn die vom Beklagten ausgesprochene Meldeaufforderung ist ein vom Gesetz vorgesehenes Ergebnis seiner Ermessensausübung.
Die Voraussetzungen für eine Ermessensunterschreitung oder einen Ermessensmangel, bei denen zwar Ermessenserwägungen angestellt werden, diese indes unzureichend sind, weil sie zB nur aus formelhaften Wendungen bestehen oder relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, oder für einen Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensmissbrauch, bei denen sachfremde Erwägungen angestellt werden, sind ebenfalls nicht erfüllt. Denn ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Beklagten über seine Bewerbungssituation bzw berufliche Situation war angesichts seiner Arbeitslosigkeit und der von ihm beabsichtigten Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit praktisch geboten, was sich nach den Feststellungen des LSG auch aus der in den Akten dokumentierten Korrespondenz ergibt. Ob es geboten war, im Hinblick darauf die Zwecke eingehender darzustellen, kann angesichts der genannten zulässigen Zwecke dahingestellt bleiben. Die in den Meldeaufforderungen genannten Zwecke dienten dem zentralen Ziel des SGB II, die arbeitsuchende, leistungsberechtigte Person bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen und im Zusammenwirken mit ihr Wege zu entwickeln und ihr aufzuzeigen, wie sie eine solche Erwerbstätigkeit, ggf durch eine selbstständige Tätigkeit, erlangen kann (vgl § 1 Abs 2 SGB II).
b) Umstände, die für einen wichtigen Grund bei nur einem der drei Meldeversäumnisse sprechen, so zB dass der Kläger krankheitsbedingt verhindert war, einen der Termine wahrzunehmen, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen.
c) Entgegen der Ansicht des SG musste der Kläger nicht vor einem weiteren Meldeversäumnis einen ersten Bescheid über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung als Warnung erhalten, damit der zweite Bescheid über dieses weitere Meldeversäumnis und die Minderung in rechtmäßiger Weise ergehen durfte.
Die dahingehende frühere Rechtsprechung (zB BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6 RdNr 22 f) ist durch die Neufassung der §§ 31 ff SGB II ab 1.4.2011, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, überholt. § 32 SGB II über Meldeversäumnisse verweist in seinem Absatz 2 lediglich auf die Vorschriften des § 31a Abs 3 und § 31b SGB II. Die Vorschrift des § 31a Abs 1 Satz 4 SGB II, nach der eine wiederholte Pflichtverletzung nur "vorliegt", wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde, ist ausdrücklich nicht in Bezug genommen. Stattdessen heißt es in § 32 Abs 1 Satz 1 SGB II, dass sich das Alg II jeweils um 10 vH des maßgebenden Regelbedarfs mindert. Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber einerseits entsprechend dem genannten Urteil vom 9.11.2010 das Erfordernis der vorherigen bescheidmäßigen Feststellung der vorangegangenen Pflichtverletzung vor dem Eintritt der nächsten Pflichtverletzung in das Gesetz übernommen. Andererseits hat er durch seine differenzierende Verweisungsvorschrift zum Ausdruck gebracht, dass dies nicht bei Meldeversäumnissen gelten soll. Er hat damit die Möglichkeit nebeneinander stehender Bescheide über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung für identische Zeiträume, die im Ergebnis zu einer Addition der Minderungsbeträge führen, geschaffen, ohne dass es eines ersten Bescheides über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung bedarf (vgl dazu Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drucks 17/3404 S 112 zu § 32; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 32 RdNr 11; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 32 RdNr 30; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 32 RdNr 46).
6. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Minderung des Alg II-Anspruchs des Klägers nach §§ 32, 31a Abs 3, § 31b SGB II bestehen nicht. Obwohl der Senat sich der mit einer Minderung des Alg II-Anspruchs einhergehenden Auswirkungen, bei einer Minderung um 10 vH waren es damals 33,70 Euro pro Monat, bewusst ist, kann er sich die notwendige Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Regelungen nicht bilden (vgl zu den Voraussetzungen einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nur zB Bundesverfassungsgericht
a) Das durch Art 1 Abs 1 GG begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verpflichtet den Staat dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung stehen, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 134). Das bedingt jedoch nicht, dass diese Mittel voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten (ebenso zur Berücksichtigung von Einkommen BVerfG Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 - SozR 4-4200 § 11 Nr 33 = BVerfGK 17, 375 RdNr 13; Berlit, Sanktionen im SGB II - nur problematisch oder verfassungswidrig?, info also 2013, 195, 200 ff; Lauterbach, Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen im Grundsicherungsrecht, ZFSH/SGB 2011, 584 ff). Bei der Konkretisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Gesetzgeber vielmehr ein Gestaltungsspielraum zugewiesen, innerhalb dessen er die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (BVerfG Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 138 ff).
Dass der Gesetzgeber dabei von Verfassungs wegen schlechterdings gehindert wäre, die Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II an (Mitwirkungs-)Obliegenheiten zu knüpfen und bei deren Verletzung leistungsrechtliche Minderungen vorzusehen, vermag der Senat nicht zu erkennen (so aber Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, SGb 2012, 134 ff; ähnlich Drohsel, Sanktionen nach dem SGB II und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, NZS 2014, 96 ff; wie hier dagegen etwa: Berlit, Sanktionen im SGB II - nur problematisch oder verfassungswidrig?, info also 2013, 195 ff; ders in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 31 RdNr 13 f; Burkiczak, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, SGb 2012, 324 ff; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 31 RdNr 7; Lauterbach, Verfassungsrechtliche Probleme der Sanktionen im Grundsicherungsrecht, ZFSH/SGB 2011, 584 ff; ders in Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Dezember 2014, § 31 SGB II RdNr 2; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, 2. Aufl, Stand: März 2015, K § 31 RdNr 39; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sanktionen im Arbeitsförderungsrecht: BVerfG Beschluss vom 10.2.1987 - 1 BvL 15/83 - BVerfGE 74, 203 = SozR 4100 § 120 Nr 2). Zudem ist zu bedenken, dass es sich bei den sog "Sanktionen" grundrechtsdogmatisch nicht um einen Eingriff, sondern um eine abgesenkte Form der Leistungsgewährung handelt (vgl Berlit, info also 2013, 195 ff; Burkiczak, SGb 2012, 324 ff).
Eine andere Auslegung würde mittels des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen weiterentwickeln (vgl dazu zB Eicker-Wolf, Money for nothing? - Das bedingungslose Grundeinkommen, SF 2013, 172 ff; Opielka, Grundeinkommensversicherung, SF 2004, 114 ff); eine solche Entscheidung muss jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.
Hat der Gesetzgeber von einer solchen Wertung abgesehen, darf er sich bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem SGB II vor diesem Hintergrund von der Erwartung leiten lassen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen (vgl § 2 Abs 2 Satz 1 SGB II) und demzufolge die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel womöglich ua durch zumutbare Erwerbsarbeit selbst erwirtschaften (ebenso Berlit, info also 2013, 195, 201 ff). Soweit der Gesetzgeber als Folge dessen negative Konsequenzen an die fehlende Bereitschaft knüpft, mit den für die Leistungsgewährung zuständigen Stellen (auch nur) in Gespräche über Möglichkeiten zur Überwindung von Erwerbslosigkeit einzutreten, ist ihm das verfassungsrechtlich jedenfalls solange nicht verwehrt, wie sichergestellt ist, dass den Betroffenen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (vgl Schmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II, Stand: Dezember 2014, § 31 RdNr 15).
b) Dass diese Grenze nicht eingehalten ist, vermag der Senat jedenfalls vorliegend nicht zu erkennen.
Überschreitet die Minderung infolge mehrerer Meldeversäumnisse den Wert von 30 vH, hat das Jobcenter gemäß § 32 Abs 2 Satz 2 iVm § 31a Abs 3 Satz 1 SGB II nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob und inwieweit in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen sind (vgl dazu Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31a RdNr 36 ff; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 31a RdNr 40 ff). Soweit auf dieser Grundlage Sachleistungen erbracht werden, genügt das den verfassungsrechtlichen Anforderungen jedenfalls grundsätzlich (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12), ohne dass über Voraussetzungen und etwaige Grenzen eines solchen Ausgleichs im Einzelnen hier abschließend zu entscheiden wäre.
Erreicht die Minderung diesen Wert nicht, ist ausgehend von den in die Ermittlung des Regelbedarfs gemäß § 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz eingeflossenen Abteilungen der Verbrauchsausgaben zu beachten, dass nicht dem physischen Existenzminimum, sondern der sozialen Teilhabe zuzuordnen sind etwa die Abteilungen 7 (Verkehr mit 22,78 Euro), 8 (Nachrichtenübermittlung mit 31,96 Euro), 9 (Freizeit usw mit 39,96 Euro) und 11 (Beherbergung ua 7,16 Euro). Zudem beziehen sich die Abteilungen 3 (Bekleidung, Schuhe mit 30,40 Euro) oder 5 (Innenausstattung usw mit 27,41 Euro) auf Bedarfe, die aktuell nicht jeden Monat anfallen, sondern von der sog Anschaffungsrücklage nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB II umfasst sind (vgl Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 12 RdNr 34; Mecke in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 12 RdNr 73). Die im Regelbedarf enthaltenen Beträge für soziokulturelle Bedarfe sind zwar - obwohl dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Grundrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, soweit es um Art und Umfang der Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 152; BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 67) - keine freiverfügbare Ausgleichsmasse (BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - NJW 2014, 3425, RdNr 117 f). Deshalb mag nicht auszuschließen sein, dass sich der Verweis auf Einsparungen in diesem Bereich in besonders gelagerten Fällen als verfassungsrechtlich bedenklich erweist. Eine solche Lage ist indes zumindest hier nicht erkennbar.
Dabei ist zunächst zu beachten, dass wegen Deckungslücken im Bereich einmaliger, nicht dauerhafter bzw laufender Bedarfe die Erbringung von Leistungen als Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II in Betracht kommt (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 23 zur Vorläuferbestimmung; BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 44/09 R - RdNr 17). Soweit darüber hinaus weitere, von Verfassungs wegen nicht hinnehmbare Deckungslücken bestünden, müsste das nicht notwendig die Minderungsbestimmung des § 32 Abs 1 Satz 1 SGB II selbst betreffen. Zu fragen wäre aufgrund der gesetzlichen Konzeption von Minderungsregel und Ausgleichsmechanismus nach § 31a Abs 3 Satz 1 SGB II vielmehr zuerst, ob der uneingeschränkte Ausschluss von Sachleistungen bei Minderungsbeträgen von bis zu 30 vH des Regelbedarfs ohne Ausnahme bei besonderen Härtefällen verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6 RdNr 34 f). Zu einer solchen Prüfung besteht indes hier kein Anlass, weil weder erkennbar noch von dem Kläger im Rahmen einer Rüge vorgetragen worden ist, dass er sich erfolglos um die Gewährung von Sachleistungen bemüht habe.