Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 12.09.2018


BSG 12.09.2018 - B 14 AS 18/17 R

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuchende - Fehlen eines materiellen Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrechts - Arbeitnehmerstatus - Verfassungsmäßigkeit - Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2 - Leistungsausschluss bei Fehlen eines materiellen Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrechts - Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12)


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsdatum:
12.09.2018
Aktenzeichen:
B 14 AS 18/17 R
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2018:120918UB14AS1817R0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG Neubrandenburg, 2. April 2014, Az: S 3 AS 183/12, Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 11. April 2017, Az: L 10 AS 194/14, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. April 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger in 2011 und 2012.

2

Der 1977 geborene Kläger ist der Vater der 2004 und 2006 geborenen Klägerinnen zu 2 und 3. Er war der Lebensgefährte ihrer 1979 geborenen Mutter, der früheren Klägerin zu 1, die im Laufe des Verfahrens in 2016 verstorben ist. Alle Kläger sind polnische Staatsangehörige. Die Familie ist in 2007/2008 nach Deutschland gezogen und lebte zunächst bei der Mutter des Klägers und deren Ehemann, die die Familie auch finanziell unterstützen. Seit dem 1.5.2009 lebte die Familie in einer eigenen Wohnung und am 31.5.2011 beantragte die Verstorbene erstmals Leistungen beim beklagten Jobcenter. Ab Juli 2011 übte die Verstorbene eine Beschäftigung in einem Hotel aus. Der Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II (§ 7 Abs 1 SGB II in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung - aF) ab; insbesondere folge aus der Beschäftigung im Hotel kein Arbeitnehmerstatus (Bescheid vom 14.10.2011, Widerspruchsbescheid vom 30.1.2012).

3

Im Laufe des Klageverfahrens endete die Beschäftigung der Verstorbenen im Hotel und wurde am 22.8.2012 die jetzige Klägerin zu 4 geboren. Während des Klageverfahrens verpflichtete das SG in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Beklagten, den damaligen vier Klägern (Vater, Mutter, beide Töchter) von Juni bis November 2012 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren (Beschluss vom 25.6.2012); der Beklagte setzte diese Verpflichtung um.

4

Das SG hat unter Abweisung der Klagen im Übrigen den Beklagten verurteilt, den damaligen vier Klägern vom 1.5.2011 bis 31.1.2012 und vom 1.8. bis 30.11.2012 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Einkommens der Verstorbenen und von Zahlungen des Stiefvaters des Klägers zu erbringen; auf die ausgesparte Zwischenzeit wurde nachgezahltes Kindergeld verteilt (Urteil vom 2.4.2014). Auf die Berufung nur des Beklagten hat das LSG den örtlichen Sozialhilfeträger beigeladen, das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen der jetzigen vier Kläger (Vater, drei Töchter) insgesamt abgewiesen (Urteil vom 11.4.2017): Ein Anspruch gegen den Beklagten scheide aufgrund des Leistungsausschlusses in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF aus, insbesondere sei die Verstorbene entgegen der Auffassung des SG nicht als Arbeitnehmerin anzusehen gewesen. Ein Anspruch gegen den Beigeladenen auf Leistungen nach dem SGB XII scheide aus, der zu § 23 SGB XII (§ 23 Abs 3 SGB XII in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung - aF) ergangenen Rechtsprechung des BSG werde nicht gefolgt.

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Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG. Sie seien vom SGB II nicht ausgeschlossen, denn die Verstorbene habe durch ihre Beschäftigung einen Arbeitnehmerstatus erlangt. Hilfsweise hätten sie nach der Rechtsprechung des BSG Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII.

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Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. April 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 2. April 2014 zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Beigeladenen zu verurteilen, ihnen entsprechende Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

8

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässigen Revisionen sind im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Aufgrund des entgegen der Auffassung des LSG zu bejahenden Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen waren die Kläger nicht durchgehend von Leistungen des Beklagten nach dem SGB II ausgeschlossen. Eine abschließende Entscheidung über diese Leistungen ist dem Senat wegen des Fehlens näherer Feststellungen verwehrt. Nur soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen zeitweise ein Leistungsausschluss vom SGB II greift, kommen für die Kläger insoweit die hilfsweise beantragten Leistungen des Beigeladenen nach dem SGB XII in Betracht (§ 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG). Auch über diese ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt.

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile der Vorinstanzen und der Bescheid vom 14.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2012, durch den der Beklagte die von den Klägern begehrten Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat, sowie das gegen den Beigeladenen gerichtete hilfsweise Begehren der Kläger auf Leistungen nach dem SGB XII. Streitig ist der Zeitraum vom 1.5.2011 bis 31.1.2012 und vom 1.8. bis 30.11.2012, für den das SG den Beklagten zur Leistungsgewährung an die damaligen vier Kläger verurteilt und wogegen nur der Beklagte Berufung eingelegt hat. Streitig sind aufgrund dieser Verurteilung eigene Ansprüche der Kläger zu 1 bis 3, Ansprüche der Klägerinnen zu 2 und 3 zugleich als Rechtsnachfolgerinnen ihrer verstorbenen Mutter und Ansprüche der Klägerin zu 4 nur als Rechtsnachfolgerin der Verstorbenen, weil von ihr im Verfahren vor dem SG eigene Ansprüche nicht geltend gemacht worden sind und sie persönlich von der stattgebenden Entscheidung des SG nicht erfasst ist.

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2. Zutreffende Klageart für das gegen den Beklagten gerichtete Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Zulässig ist auch der Hilfsantrag auf Verurteilung des notwendig beigeladenen Sozialhilfeträgers (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 13). Weder diesem Antrag noch dem Hauptantrag, mit dem die Kläger die Wiederherstellung des Urteils des SG verfolgen, steht entgegen, dass vom Beklagten für einen Teilzeitraum des streitigen Zeitraums bereits aufgrund einer ausgeführten stattgebenden Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen erbracht worden sind (vgl BSG, aaO, RdNr 12, 14, 38).

12

3. Die Kläger können im streitigen Zeitraum zumindest zeitweise Anspruch gegen den Beklagten auf Alg II bzw Sozialgeld haben. Nach dem damals geltenden und hier anwendbaren Recht (dazu unter 4.) unterlagen sie - ungeachtet der vom LSG offengelassenen Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen (dazu 5.) - nicht durchgehend dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF, weil die Verstorbene Arbeitnehmerin war und hieraus Freizügigkeitsberechtigungen folgten, über deren zeitliche Reichweite der Senat ebenso wie über die Leistungsansprüche der Kläger nicht abschließend entscheiden kann (dazu 6.). Nur soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen zeitweise ein Leistungsausschluss vom SGB II greift, stehen diesem weder EU-Recht noch das EFA oder das GG entgegen (dazu 7.).

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Es kommen für die Kläger insoweit Leistungen des Beigeladenen nach dem SGB XII in Betracht. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf sie steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen (dazu 8.). Zwar unterlagen die Kläger zeitlich parallel mit einem Leistungsausschluss vom SGB II nach dem damals geltenden und hier anwendbaren Recht dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF (dazu 9.), der mit dem EU-Recht und dem EFA vereinbar ist (dazu 10.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aus (dazu 11.). Über diese ist dem Senat indes eine abschließende Entscheidung verwehrt (dazu 12.). Das LSG wird bei Bejahung von Leistungsansprüchen nach dem SGB II bzw SGB XII für die Verstorbene schließlich auch eine Rechtsnachfolge zu prüfen haben (dazu 13.).

14

4. Für die von den Klägern primär verfolgten SGB II-Leistungsansprüche von Mai 2011 bis Januar 2012 sowie von August bis November 2012 ist das in diesem Zeitraum geltende Recht anzuwenden, weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f). Insbesondere lässt sich dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl I 3155, nachfolgend: Gesetz vom 22.12.2016) nicht entnehmen, dass es sich Geltung für die Zeit vor seinem Inkrafttreten am 29.12.2016 beimisst (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 18).

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5. Ob und inwieweit die Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II aF und § 7 Abs 2 SGB II erfüllten, hat das LSG offengelassen, weil ausgehend von seiner Rechtsauffassung die Kläger "unabhängig von ihrem Alter, der wahrscheinlich vorliegenden Hilfebedürftigkeit sowie des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland" nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF von Leistungen ausgeschlossen waren.

16

6. Aufgrund des entgegen der Auffassung des LSG zu bejahenden Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen waren die Kläger indes im streitigen Zeitraum nicht durchgehend von Leistungen des Beklagten nach dem SGB II ausgeschlossen.

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Nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II aF und § 7 Abs 2 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Von diesem Leistungsausschluss umfasst sind erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (vgl letztens BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 22; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 18; so seit dem 29.12.2016 auch § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst a SGB II).

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Die Kläger konnten sich zeitweise auf materielle Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU berufen, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst sind. Denn die Verstorbene war aufgrund ihrer Beschäftigung ab Juli 2011 als Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU und vermittelte diese Freizügigkeitsberechtigung ihren Familienangehörigen (§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF; § 2 Abs 1, § 3 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 FreizügG/EU).

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a) Der Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU ist europarechtlich geprägt (zu den Regelungszusammenhängen vgl nur Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl 2018, Teil 1, Art 45-48 AEUV RdNr 10; Kahil-Wolff, ebenda, Teil 2, vor Art 1 VO Nr 883/2004 RdNr 5, Art 1 VO Nr 883/2004 RdNr 3, 6 ff; Steinmeyer, ebenda, Teil 2, vor Art 11 VO Nr 883/2004 RdNr 15 und Teil 3, Art 7 VO Nr 492/2011 RdNr 14; Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, 5. Aufl 2018, S 77 f). Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind; unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (so zuletzt BSG vom 13.7.2017 - B 4 AS 17/16 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 54 RdNr 19 unter Hinweis auf Rspr des EuGH und BSG).

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Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer (vgl dazu mit zahlreichen Hinweisen auf Rspr des EuGH nur Brinkmann in Huber, AufenthG, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 8 ff; Dienelt in Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl 2018, § 2 FreizügG/EU RdNr 38 ff; Franzen in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl 2018, Art 45 AEUV RdNr 15 ff). Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen; maßgeblich ist ihre Bewertung in einer Gesamtschau. Der Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf einschlägige Rechtsprechung des EuGH ein weites Verständnis zugrunde zu legen (vgl dazu mit Nachweisen nur Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, 5. Aufl 2018, S 72 ff).

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b) Hieran gemessen ist der Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen während ihrer Beschäftigung im Hotel zu bejahen. Dieser lag ein vom LSG festgestellter schriftlicher Formulararbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung ab Juli 2011 zugrunde, der Regelungen ua zur Arbeitszeit (30 Stunden im Monat, grundsätzlich wochentags), zum Inhalt der Tätigkeit (Reinigungskraft in einem Hotel), zur Vergütung (100 Euro im Monat, ab Mai 2012 250 Euro im Monat) sowie zu Urlaub und Krankheit enthielt. Diese nach Arbeitszeit und Vergütung vereinbarte geringfügige Beschäftigung genügt den vom Senat bereits aufgestellten Kriterien für den Arbeitnehmerstatus (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 3, 18 zu einem Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 Euro im Jahr 2008). Von diesen für die damalige Zeit aufgestellten Kriterien besteht für die hier streitigen Jahre 2011 und 2012 keine Veranlassung zur Abweichung; es kann offenbleiben, ob insoweit seither Änderungen eingetreten sein können, etwa im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.8.2014.

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Nach den Feststellungen des LSG erhielt die Verstorbene für ihre vereinbarte monatliche Arbeitszeit von 30 Stunden die vereinbarte Vergütung von zunächst 100 Euro und später 250 Euro tatsächlich gezahlt. Ob der Arbeitsvertrag auch im Übrigen so gelebt worden ist, wie dessen Regelungen es vorsahen, ist danach für die Arbeitnehmereigenschaft nicht entscheidend. Weder kommt es für diese darauf an, ob die Verstorbene statt an den Wochentagen an den Wochenenden beschäftigt war, noch darauf, ob die Regelungen zu Urlaub und Krankheit zur Anwendung gekommen sind. Für den Arbeitnehmerstatus im vorliegenden Einzelfall spricht hingegen zudem die Dauer der Beschäftigung von zumindest annähernd einem Jahr.

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c) Bis wann genau die im Juli 2011 begonnene Beschäftigung der Verstorbenen gedauert hat und warum sie beendet worden ist, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Dem Senat ist deshalb eine abschließende Entscheidung darüber verwehrt, wie lange die Verstorbene während ihrer Beschäftigung im Hotel Arbeitnehmerin iS des § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU war, und darüber, ob und ggf wie lange ihre Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU nachwirkte. Diese Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben, um gestützt auf diese über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II im streitigen Zeitraum entscheiden zu können.

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d) Neben den durch den Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen ihren Familienangehörigen vermittelten Freizügigkeitsberechtigungen kommt vorliegend als eine vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF nicht umfasste Freizügigkeitsberechtigung auch die nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 in Betracht (vgl insoweit die seit dem 29.12.2016 geltende Fassung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst c SGB II). Danach können Kinder eines EU-Ausländers, der in Deutschland beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie in Deutschland wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie Deutsche am allgemeinen Unterricht teilnehmen. Dieses Recht vermittelt sowohl den Kindern als auch den sie betreuenden Elternteilen eine materielle Freizügigkeitsberechtigung (vgl im Einzelnen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 27, 29 ff). Diese knüpft an den Arbeitnehmerstatus eines Elternteils an, reicht aber zeitlich über die Beschäftigung hinaus.

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Ob hiernach über die Beschäftigungsdauer der Verstorbenen zeitlich hinausreichende Freizügigkeitsberechtigungen der Kläger bestehen, kann der Senat mangels näherer Feststellungen des LSG zum Schulbesuch der Klägerinnen zu 2 und 3 nicht abschließend entscheiden. Auch diese wird das LSG nachzuholen haben, um entscheiden zu können, ob die Kläger aufgrund von Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 über Freizügigkeitsberechtigungen verfügten, die zeitlich über das Ende der Beschäftigung der Verstorbenen hinausreichten sowie ggf über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II in diesem Zeitraum.

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e) Keine Anhaltspunkte gibt es dagegen nach den Feststellungen des LSG dafür, dass die Kläger im streitigen Zeitraum über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 7, § 4a FreizügG/EU verfügt haben könnten. Für dessen Begründung genügt nicht bereits ein aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung als rechtmäßig anzusehender Aufenthalt (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 23; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 20).

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7. Soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen und der hierdurch begründeten Freizügigkeitsberechtigungen vorliegend ein SGB II-Leistungsausschluss greift, ist dieser mit EU-Recht vereinbar, wie sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt (EuGH vom 11.11.2014 - C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145; EuGH vom 15.9.2015 - C-67/14 - Alimanovic, NJW 2016, 555; EuGH vom 25.2.2016 - C-299/14 - Garcia-Nieto, NJW 2016, 1145). Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Kläger als polnische Staatsangehörige nicht entgegen, denn das EFA ist schon nach seinem persönlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig, weil Polen kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

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Auch Verfassungsrecht steht dem SGB II-Leistungsausschluss nicht entgegen. Dieser ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil die Kläger grundsätzlich Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII haben (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 29 ff; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hiergegen durch BVerfG vom 21.8.2018 - 1 BvR 2674/17).

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8. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Kläger steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen (vgl dazu im Einzelnen BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 32 ff; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 24 ff).

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9. Soweit die Kläger einem Leistungsausschluss vom SGB II unterlagen (vor Beginn der Beschäftigung der Verstorbenen und nach deren Beendigung oder ggf nach Ende von Fortwirkungen der Beschäftigung), unterlagen sie im SGB XII dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF, der in dieser, im streitigen Zeitraum geltenden Fassung anzuwenden ist, weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f). Insbesondere lässt sich auch insoweit dem Gesetz vom 22.12.2016 (BGBl I 3155) nicht entnehmen, dass es sich Geltung für die Zeit vor seinem Inkrafttreten am 29.12.2016 beimisst. Nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

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Zwar sind die Verstorbene und die Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII aF Sozialhilfe zu erlangen. Hierzu wäre Voraussetzung, dass dieser Zweck den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht ersichtlich, zumal nicht sogleich nach der Einreise 2007/2008, sondern erstmals am 31.5.2011 Leistungen beantragt worden sind. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF auch nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII aF erst recht EU-Ausländer, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (vgl letztens BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 42; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 29; so seit dem 29.12.2016 auch § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB XII).

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10. Dieser Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII ist mit EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II. Das EFA findet auf die Kläger keine Anwendung.

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11. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII (vgl dazu im Einzelnen BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 44 ff; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 36 ff). Dass § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF iVm § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII den Zugang nur zu Ermessensleistungen ermöglicht, verpflichtet den Senat auch vorliegend nicht zu einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG (vgl bereits BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 50 f; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hiergegen durch BVerfG vom 21.8.2018 - 1 BvR 2674/17).

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12. Auf der Grundlage des § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII können die Kläger einen Zugang zu vom Beigeladenen zu gewährenden existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII haben.

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Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII (Kenntnisgrundsatz) erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die diesem zuzurechnende Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (vgl zuletzt BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 40 mN). Diese dem Beigeladenen zuzurechnende Kenntnis ist dem Beklagten durch den Antrag der Verstorbenen auf Leistungen nach dem SGB II vom 31.5.2011 vermittelt worden. Da das SGB XII im Anwendungsbereich des Kenntnisgrundsatzes - anders als § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II und anders auch als § 44 Abs 2 Satz 1 SGB XII für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - eine Antragsrückwirkung auf den Monatsersten nicht kennt, können nach dem SGB XII zu gewährende Leistungen erst am 31.5.2011 einsetzen.

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Soweit die Kläger hiernach für die Zeiträume, in denen sie trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen waren, grundsätzlich Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII haben, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung hierüber verwehrt, weil - wie in Bezug auf die Leistungen nach dem SGB II - den Feststellungen des LSG nicht die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII entnommen werden kann. Insbesondere hat das LSG die Hilfebedürftigkeit der Kläger iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II aF iVm § 9 Abs 1 SGB II nicht geprüft, weshalb auch Feststellungen zu ihrer Hilfebedürftigkeit nach den Maßstäben des SGB XII fehlen. Würde es - auch wenn dies das LSG selbst nicht als wahrscheinlich angesehen hat - an der Hilfebedürftigkeit fehlen, wäre eine Ermessensentscheidung über die Gewährung von Leistungen nicht zu treffen, sondern wären diese durch eine gebundene Entscheidung abzulehnen. Wäre eine Ermessensentscheidung zu treffen, so spricht viel dafür, dass das Ermessen des Beigeladenen dem Grunde und der Höhe nach auf Null reduziert wäre, weil sich der im streitigen Zeitraum bereits mehrjährige tatsächliche Aufenthalt der Kläger in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wurde, so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl letztens BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 53, RdNr 52 ff; BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 42).

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Über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII, Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII bei deren Vorliegen und das Eingreifen einer Ermessensreduktion auf Null bei Aufenthaltsverfestigung wird das LSG nach Zurückverweisung im insoweit wieder eröffneten Berufungsverfahren zu entscheiden haben.

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13. Soweit nach dem Vorstehenden auf der Grundlage der nachzuholenden Feststellungen Ansprüche der Verstorbenen auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II bzw SGB XII im streitigen Zeitraum bestanden, wird das LSG schließlich zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer Rechtsnachfolge in diese Leistungen vorliegen (vgl dabei zur Frage der Rechtsnachfolge in existenzsichernde Leistungen nur Groth in jurisPK-SGB I, 3. Aufl 2018, § 56 RdNr 19, § 59 RdNr 30 ff; Siefert in Kasseler Kommentar, § 56 SGB I RdNr 13 f, Stand März 2016).

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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.