Entscheidungsdatum: 30.01.2019
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. September 2017 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Umstritten ist nur noch die Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für Unterkunft für Juli 2011, insbesondere im Hinblick auf die Rückschreibung eines schlüssigen Konzepts für 2012.
Der 1990 geborene Kläger zu 1 ist der Sohn der 1964 geborenen Klägerin zu 2. Sie bewohnten in Schönebeck (Salzlandkreis) eine 68,5 qm große Wohnung, für die monatlich zu zahlen waren 299 Euro Nettokaltmiete, 98,98 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 113 Euro Heizkostenvorauszahlung, insgesamt 510,98 Euro. Im August 2010 teilte die Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters den Klägern mit, angemessen seien pro Quadratmeter bis zu 4 Euro für die Nettokaltmiete und 1,10 Euro für die Betriebskosten. Für die Zeit vom 1.2. bis 31.7.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern ua im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit der Klägerin vorläufig Alg II und erkannte als Bedarf für eine 60 qm-Wohnung monatlich eine Nettokaltmiete von 240 Euro, eine Betriebskostenvorauszahlung von 66 Euro sowie schließlich die tatsächlichen Heizkosten von 113 Euro an (Bescheide vom 20.1.2011 und 14.4.2011; Widerspruchsbescheid vom 20.6.2011). Für Juli 2011 bewilligte er unter Anerkennung dieser Bedarfe dem Kläger 168,49 Euro und der Klägerin 193,01 Euro Alg II endgültig (Bescheid vom 25.6.2011).
Das SG hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, den Klägern monatlich von Februar bis Juli 2011 weitere 91,98 Euro als Bedarfe für die Unterkunft zu gewähren, weil von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen sei, die unter den Werten nach dem WoGG plus 10 % lägen (Urteil vom 25.10.2013). Die vom SG zugelassene Berufung des Beklagten hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 13.9.2017). Es lasse sich nicht feststellen, dass der Beklagte für die Zeit ab Februar 2011 die angemessenen Aufwendungen der Unterkunft berücksichtigt habe. Die ab dem 1.7.2010 angewandte Handlungsanweisung des Beklagten zur Angemessenheit der Leistungen für Unterkunft und Heizung erfülle nicht die Mindestanforderungen an ein schlüssiges Konzept. Eine rückwirkende Anwendung des vom Beklagten in 2012 erarbeiteten Konzepts sei nicht möglich.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe zu Unrecht einen Vergleichsraum festgelegt, diesbezüglich stehe dem Leistungsträger eine nicht justiziable Einschätzungsprärogative zu. Zudem sei eine Rückschreibung der mit dem Stichtag 1.3.2012 erhobenen Mietobergrenzen für Juli 2011 mittels des Verbraucherpreisindexes möglich. Ggf als notwendig angesehene Nachermittlungen zur Vergleichsraumbildung und Erstellung eines schlüssigen Konzepts für 2012 seien möglich.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. September 2017 und des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2013 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger verteidigen die angefochtene Entscheidung und beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
In einem Teilvergleich vor dem Senat haben sich die Beteiligten hinsichtlich der allein strittigen Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft für Februar bis Juni 2011 dem Ausgang des Rechtsstreits für Juli 2011 unterworfen.
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, denn die Kläger haben Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Anerkennung ihrer tatsächlichen Aufwendungen.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist nach dem Teilvergleich vor dem Senat neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 25.6.2011, der die Leistungen für Juli 2011 endgültig bewilligte und insoweit die vorangegangenen Bescheide ersetzte (zur Anwendbarkeit des § 96 SGG auf nach Erlass des Widerspruchsbescheids, jedoch vor Klageerhebung ergangene Bescheide vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 96 RdNr 3a), sowie die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 SGB II für Juli 2011 (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere ist die Berufung zulässig, weil sie vom SG zugelassen worden ist. Die Kläger verfolgen ihr Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG).
Ein solches Grundurteil im Höhenstreit ist auch hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein strittigen Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft zulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit in Abgrenzung zu einer unzulässigen Elementfeststellungsklage ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird (vgl nur BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN; zur Abgrenzung bei Verfahren nach § 44 SGB X: BSG vom 24.5.2017 - B 14 AS 32/16 R - BSGE 123, 199 = SozR 4-4200 § 11 Nr 80, RdNr 17 ff). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil der Beklagte den Klägern Alg II bewilligt hat und diese Anspruch auf höheres Alg II haben, wenn ihrem Vorbringen zur Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft gefolgt wird.
3. Rechtsgrundlage der Ansprüche der Kläger auf höhere Leistungen für die Unterkunft und Heizung für Juli 2011 gegen das beklagte Jobcenter sind §§ 19, 22 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das damals geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
4. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden im Rahmen der Bewilligung von Alg II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Die Prüfung der Angemessenheit des Bedarfs für die Unterkunft und der des Bedarfs für die Heizung haben grundsätzlich getrennt voneinander zu erfolgen (vgl nur BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, RdNr 18 mwN), unbeschadet der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Kostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs 1 Satz 4 SGB II) und der zwischenzeitlich eingeführten Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 10 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 26.7.2016 (BGBl I 1824).
Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen (BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R - BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24
5. Bei dem entscheidenden gesetzlichen Tatbestandsmerkmal "Angemessenheit" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (stRspr: vgl BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19
Gegen die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs bestehen keine durchgreifenden Bedenken, zumal zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II auch die Regelungen der §§ 22a bis 22c SGB II zu berücksichtigen sind (BVerfG vom 6.10.2017 - 1 BvL 2/15, 1 BvL 5/15 - RdNr 17; BSG vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R - BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr 93
Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Verwaltung ist grundsätzlich gerichtlich voll überprüfbar (vgl nur Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl 2018, § 40 RdNr 147 ff, § 46 RdNr 63 ff, jeweils mwN; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 31 RdNr 100, Stand der Einzelkommentierung 12/2011) und die Angemessenheit nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II ebenfalls. Eine Rechtsgrundlage oder dogmatische Herleitung für die von Jobcentern in diesem Zusammenhang zum Teil beanspruchte "nicht justiziable Einschätzungsprärogative" oder "gerichtlich nicht überprüfbare politische Entscheidung" sind im Lichte von Art 19 Abs 4 GG nicht ersichtlich (vgl zur vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit die einhellige Auffassung der Literatur zu § 22 SGB II: Berlit in LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 22 RdNr 61; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 71, Stand der Einzelkommentierung 10/2012; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 33, Stand der Einzelkommentierung 10/2016; Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 22 RdNr 73, 91; Piepenstock in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 22 RdNr 83; Wieland in Estelmann, SGB II, § 22 RdNr 71, Stand der Einzelkommentierung 10/2017).
6. Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen (stRspr BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 24 f; letztens BSG vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R - BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr 93
7. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie ("Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis") in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen, das der Senat ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung wie folgt zusammenfasst und konkretisiert (stRspr BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30
8. Der Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept ist ausgehend von der zuvor angeführten Rechtsprechung zugrunde zu legen:
a) Der Vergleichsraum ist der Raum, für den ein grundsätzlich einheitlicher abstrakter Angemessenheitswert zu ermitteln ist (BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19
Nach der auch für schlüssige Konzepte im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II entsprechend anzuwendenden gesetzgeberischen Vorgabe in § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II bildet das Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters zunächst einen Vergleichsraum, der indes aufgrund der örtlichen Gegebenheiten in mehrere Vergleichsräume zu unterteilen sein kann, für die jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmt werden können. Als solche örtlichen Gegebenheiten kommen weniger unterschiedliche Landschaften, sondern eher räumliche Orientierungen, wie Tagespendelbereiche für Berufstätige oder die Nähe zu Ballungsräumen, sowie aus der Datenerhebung ersichtliche, deutliche Unterschiede im Mietpreisniveau in Betracht.
b) Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird (grundlegend BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30
c) Es kann verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept in diesem Sinne zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf mehrere Vergleichsräume zu bilden, weil weder aus § 22 SGB II noch aus §§ 22a bis 22c SGB II die Anwendung eines bestimmten Verfahrens rechtlich zwingend ableitbar ist (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81
9. Es ist gerichtlich voll überprüfbar - wie ausgeführt (siehe 5.) -, ob die Ermittlung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete, insbesondere die Festlegung des Vergleichsraums und die Erstellung eines schlüssigen Konzepts im Rahmen der Methodenvielfalt zutreffend erfolgt ist. Die volle gerichtliche Überprüfung des Angemessenheitswerts und des Verfahrens zu seiner Ermittlung schließt nicht aus, dass bei dieser Kontrolle der Verwaltung deren in der Methodenvielfalt zum Ausdruck kommenden Eigenverantwortung Rechnung getragen und die gerichtliche Kontrolle als eine nachvollziehende Kontrolle ausgestaltet wird (BVerfG vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1, juris-RdNr 70; vgl zu den Grenzen gerichtlicher Kontrolle zudem: BVerfG vom 23.10.2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14; vgl ferner Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 22 RdNr 91, 104: "Verfahrenskontrolle").
a) Zur Umsetzung der gerichtlichen Kontrolle ist es auf eine entsprechende Klage hin zunächst Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit des vom beklagten Jobcenter ermittelten abstrakten Angemessenheitswerts sowohl im Hinblick auf die Festlegung des Vergleichsraums als auch die Erstellung eines schlüssigen Konzepts zu überprüfen.
Ist die Ermittlung dieses abstrakten Angemessenheitswerts rechtlich zu beanstanden, ist dem Jobcenter Gelegenheit zu geben, diese Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren eigenen Ermittlungen, auszuräumen (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81
b) Gelingt es dem Jobcenter nicht, die Beanstandungen des Gerichts auszuräumen, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache (vgl zu dieser Pflicht des Gerichts § 131 Abs 2, 3 SGG sowie dessen Abs 5 mit der Zurückverweisung an die Verwaltung nur unter bestimmten Voraussetzungen; BSG vom 28.6.2001 - B 3 P 9/00 R - BSGE 88, 215 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1, juris-RdNr 42) nicht befugt, seinerseits eine eigene Vergleichsraumfestlegung vorzunehmen (dazu 10.) oder ein schlüssiges Konzept - ggf mit Hilfe von Sachverständigen - zu erstellen. Beide Entscheidungen korrespondieren miteinander, denn die Bildung des Vergleichsraums kann nicht von der Erstellung des Konzepts getrennt werden, einschließlich der anzuwendenden Methode, und sind dem Jobcenter vorbehalten (vgl zu den Auswirkungen dieser Entscheidungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt nur § 22a Abs 3 Satz 2 SGB II).
Vielmehr kann das Gericht zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen; andernfalls sind mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmten Angemessenheitswerts die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 % (BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26
10. Nach diesen Maßstäben kann der Beklagte sich für den strittigen Juli 2011 nicht in zulässiger Weise auf ein Konzept berufen, das die aufgezeigten Voraussetzungen erfüllt und eine Anerkennung eines Bedarfs für die Unterkunft, der unterhalb der tatsächlichen Aufwendungen der Kläger liegt, zu rechtfertigen vermag.
a) Die ab dem 1.7.2010 geltende Handlungsanweisung des Beklagten, die zur Zeit der Kostensenkungsaufforderung im August 2010 bis zur endgültigen Bewilligung durch Bescheid vom 25.6.2011 angewandt wurde, wird den aufgezeigten Voraussetzungen nach den für den Senat mangels entsprechender Rügen der Beteiligten nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG nicht gerecht, weil ihr keine repräsentative und valide Datenerhebung zugrunde lag.
b) Das in 2012 entwickelte und anschließend angewandte Konzept des Beklagten kann nicht für die Zeit vorher angewandt werden. Die Rückschreibung eines Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft in die Zeit vor der Aufstellung des Konzepts ist unzulässig. Eine rechnerisch mögliche Rückschreibung ist mit den Anforderungen an ein Kostensenkungsverfahren nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II nicht vereinbar.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG erfordert eine wirksame Kostensenkungsaufforderung die Bezeichnung der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft durch das Jobcenter und stellt ein "Angebot" dar, in einen Dialog über die angemessenen Aufwendungen einzutreten (BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 70/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 8 RdNr 15 f mwN; BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90 RdNr 15 f mwN). Dass ein erst im Jahr 2012 entwickeltes Konzept weder zur Bezeichnung angemessener Aufwendungen im vorher liegenden Jahr 2011 führen noch Grundlage für einen Dialog in diesem Jahr sein kann, ergibt sich aus der zeitlichen Abfolge.
Eine Bezugnahme auf das Konzept aus 2012 im Sinne eines Nachschiebens von Gründen für das Kostensenkungsverfahren und die Anerkennung nur abgesenkter Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung scheidet aus, weil ein solches Nachschieben von Gründen dem aufgezeigten Sinn einer Kostensenkungsaufforderung, in einen Dialog über die angemessenen Aufwendungen der Unterkunft einzutreten, entgegensteht. Über ein Konzept und dessen Angemessenheitswerte, die (noch) nicht bekannt sind, kann nicht gesprochen werden. Im Übrigen scheidet das Nachschieben von Gründen aus, wenn dadurch die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (vgl nur Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 41 RdNr 19, Stand der Einzelkommentierung 8/2017; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 12, jeweils mwN). Eine solche Fallgestaltung ist gegeben, wenn Rechtsfolgen an ein Kostensenkungsverfahren geknüpft werden sollen, dessen Grundvoraussetzung "Bezeichnung der angemessenen Aufwendungen" in der maßgeblichen Zeit nicht erfüllt war, weil die entsprechenden Erkenntnisse, auf die der Beklagte sich nun für die damalige Zeit stützen will, erst später ermittelt wurden.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kann aus der Rechtsprechung des BSG zur Zulässigkeit der Fortschreibung eines schlüssigen Konzepts in die Zukunft (BSG vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R - BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr 93
Ob die Vergleichsraumbildung und das Konzept des Beklagten für 2012 die oben aufgezeigten Voraussetzungen erfüllen oder eine Nachbesserung möglich ist, kann dahingestellt bleiben.
c) Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für die Unterkunft liegen nicht oberhalb der "Angemessenheitsobergrenze" nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 %, was zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist.