Entscheidungsdatum: 12.03.2019
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Mit Urteil vom 29.3.2017 hat das LSG nach mündlicher Verhandlung einen Anspruch der Klägerin auf solche Leistungen verneint. Zu der mündlichen Verhandlung ist weder die Klägerin noch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erschienen.
Die Terminbestimmung ist am 1.3.2017 mit einfachem Brief gegen Empfangsbekenntnis zur Post gegeben worden. Nachdem von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin kein Rücklauf erfolgt war, hat die Geschäftsstelle des LSG am 28.3.2017 dessen Kanzlei telefonisch um Zusendung des Empfangsbekenntnisses per Fax gebeten und dazu eine Gesprächsnotiz gefertigt.
In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist festgehalten worden, dass das Empfangsbekenntnis zwar nicht zurückgeschickt worden sei, die Kanzlei laut Gesprächsnotiz vom 28.3.2017 allerdings Kenntnis vom Termin habe.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin einen Verfahrensmangel geltend und rügt, dass die Ladung dem Prozessbevollmächtigten nicht zugegangen sei und dieser keine Kenntnis von der mündlichen Verhandlung gehabt habe. Er sei am 28.3.2017 ganztägig außer Haus gewesen und habe erst am 29.3.2017 zwei Anrufvermerke seines Telefonsekretariats vorgefunden. Dadurch sei der Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzustellen; auch ihr Anspruch auf den gesetzlichen Richter sei verletzt worden.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) ergangen ist.
Der Gesetzgeber des SGG hat als Mittel zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Grundsatz der mündlichen Verhandlung als eine Prozessmaxime des sozialgerichtlichen Verfahrens ausgestaltet und den Beteiligten in § 124 Abs 1 SGG grundsätzlich einen Anspruch auf ihre Durchführung eingeräumt (vgl bereits BSG Urteil vom 26.10.1955 - 3 RJ 34/54 - BSGE 1, 277, 278 - Juris RdNr 10). Die Beteiligten haben ein Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung als dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (vgl BSG Urteil vom 22.9.1977 - 10 RV 79/76 - BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2, Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57, Juris RdNr 11) zu erscheinen und dort mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen (vgl ua BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 14 AS 195/17 B - Juris RdNr 5).
Diese Möglichkeit setzt die ordnungsgemäße Benachrichtigung über den Termin zur mündlichen Verhandlung (§ 153 Abs 1, § 110 Abs 1 S 1, § 63 Abs 1 S 2 SGG) voraus, die bei anwaltlich vertretenen Beteiligten gemäß § 73 Abs 6 S 6 SGG eine an den Bevollmächtigten gerichtete Mitteilung der Terminbestimmung erfordert. Diese muss zwar nach § 63 Abs 1 S 2 SGG nicht (mehr) zugestellt werden; es genügt schon die Bekanntgabe, etwa durch einfachen Brief oder durch Einwurfeinschreiben. Es liegt jedoch weiterhin vorrangig in der Verantwortung des Gerichts, den Anspruch auf rechtliches Gehör sicherzustellen. Dieses muss sich ggf Gewissheit darüber verschaffen, ob ein für die Wahrung des rechtlichen Gehörs bedeutsames, aber mit einfachem Brief übersandtes Schreiben den Adressaten auch tatsächlich rechtzeitig erreicht hat (vgl BSG Beschluss vom 23.5.2013 - B 4 AS 247/12 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 14 AS 195/17 B - Juris RdNr 6f). Soll dieser Nachweis anders als durch ein zu den Akten gelangtes Empfangsbekenntnis geführt werden, müssen deshalb ggf im Wege des Freibeweises zu klärende andere Umstände die einer Zustellung vergleichbare Überzeugungsgewissheit vom ordnungsgemäßen Zugang der Terminbestimmung vermitteln. Solche Umstände vermag der erkennende Senat hier nicht mit der gebotenen Sicherheit zu erkennen.
Allein die Versendung einer Terminbestimmung oder der Zugang bei einem anderen Beteiligten erlaubt regelmäßig nicht den Schluss, dass sie den Betroffenen auch erreicht hat. Denn vom Gericht übersandte Mitteilungen können verloren gehen. Geschieht die Übersendung formlos, so besteht keine Vermutung für den Zugang. Der Bürger trägt keine Beweislast für den Nichtzugang (vgl BVerfG
Auch wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs in sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (vgl § 202 SGG iVm § 547 ZPO), ist wegen der Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Beteiligten an der Teilnahme am Termin der mündlichen Verhandlung gehindert hat, die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung insgesamt beeinflusst hat. Nähere Darlegungen dazu, inwiefern das Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, sind daher in diesem Fall nicht erforderlich (vgl ua Senatsentscheidung vom 11.2.2015 - B 13 R 329/13 B - Juris RdNr 10).
Aufgrund dessen ist das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.