Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 31.03.2017


BSG 31.03.2017 - B 12 KR 28/16 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss vor Ablauf der Anhörungsfrist - absoluter Revisionsgrund - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
31.03.2017
Aktenzeichen:
B 12 KR 28/16 B
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2017:310317BB12KR2816B0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Lüneburg, 16. Mai 2013, Az: S 16 KR 292/11vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 11. Februar 2016, Az: L 4 KR 249/13, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Erhebung des kassenindividuellen Zusatz(krankenversicherungs)beitrags in Höhe von 8 Euro monatlich (§ 242 SGB V) durch die beklagte Krankenkasse im Zeitraum vom 1.3.2010 bis 28.2.2012.

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Mit Verfügung vom 11.1.2016 wies der Vorsitzende des 4. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen die Beteiligten auf die Möglichkeit des vereinfachten Verfahrens nach § 153 Abs 4 SGG sowie dessen Voraussetzungen hin, teilte mit, dass der Senat diese Voraussetzungen für gegeben halte und gab Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu bis zum 20.2.2016. Die Anhörungsmitteilung wurde dem Kläger am 16.1.2016 zugestellt. Das LSG hat mit Beschluss vom 11.2.2016, zugestellt am 17.2.2016, die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende erstinstanzliche Urteil vom 16.5.2013 zurückgewiesen. Der Kläger hatte sich zuvor nicht geäußert.

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Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde ua die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§§ 62, 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG vor Ablauf der von ihm (selbst) gesetzten Anhörungsfrist (20.2.2016) entschieden habe (11.2.2016).

4

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger macht zu Recht einen Verfahrensmangel geltend, auf dem der angefochtene Beschluss auch beruht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG hat gegen das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) verstoßen, weil es am 11.2.2016 gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG durch Beschluss entschieden hat, obwohl die von ihm gesetzte, erst am 20.2.2016 endende Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war und der Kläger sich auch nicht bereits abschließend in der Sache geäußert hatte.

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a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, denn sie bezeichnet substantiiert Tatsachen (grundlegend etwa BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36), aus denen sich ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG ergeben kann.

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b) Die Beschwerde ist auch begründet, denn die gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG liegt vor.

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Zwar hat das LSG den Kläger unter dem 11.1.2016 darauf hingewiesen, dass es in Betracht ziehe, dessen Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter) zurückzuweisen. Diese Anhörungsmitteilung hat den prozessrechtlichen Anforderungen entsprochen (vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 809; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 19 mwN). Auch war die dem Kläger bis zum 20.2.2016 gesetzte Frist zur Äußerung angemessen.

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Vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Anhörungsfrist darf das Gericht aber grundsätzlich nicht entscheiden (BSG Beschluss vom 12.10.2016 - B 11 AL 48/16 B - Juris RdNr 7; Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 8; Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12, unter Hinweis auf BVerfG Beschluss vom 24.10.1991 - 1 BvR 604/90 - Juris; auch BSG Urteil vom 11.5.1995 - 2 RU 43/94 - HVBG-Info 1995, 2372; Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend in der Sache geäußert hat und weitere Stellungnahmen nach Lage der Dinge nicht zu erwarten sind (vgl - zu § 105 SGG - Roller in HK-SGG, 5. Aufl 2017, § 105 RdNr 8; Hauck in Hennig, SGG, Stand April 2010, § 105 RdNr 51). - Diese Maßgaben hat das LSG ersichtlich nicht beachtet.

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Weil das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entschieden hat, liegt eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG vor. Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Denn der Verfahrensfehler führt nicht nur zu einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§§ 62, 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG), sondern auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (nur mit Berufsrichtern) und damit zu einer Verletzung des Rechts des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - Juris RdNr 7 ff; Beschluss vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - Juris RdNr 6).

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2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen. Hiervon macht der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen Gebrauch.

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3. Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.