Entscheidungsdatum: 12.10.2016
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
I. Streitig ist ein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld (InsG) für die Zeit vom 1.8. bis 31.10.2006 wegen Insolvenz der H C (HC) Ltd, F, als möglicher Arbeitgeberin. Fraglich ist insbesondere, ob der Anspruch wegen der Insolvenz dieses Unternehmens entstanden ist, oder ob der Kläger Arbeitnehmer der HC GmbH, H, war, nach deren Insolvenz ihm InsG gezahlt worden ist.
Das SG Frankfurt am Main hat die auf InsG wegen des mangels Masse abgewiesenen Insolvenzantrags der HC Ltd. gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 6.5.2015). Das Hessische LSG hat die Berufung des Klägers durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter vom 10.5.2016 zurückgewiesen.
Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensfehler des LSG. Dieses habe vor der durch Beschluss getroffenen Entscheidung die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG verletzt. Zwar habe es ihm mit Verfügung vom 15.4.2016 mitgeteilt, dass es beabsichtige, durch Beschluss zu entscheiden und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme bis 20.5.2016 gegeben. Er habe auf den richterlichen Hinweis vom 15.4.2016 mit Telefax vom 21.4.2016 die Ansicht vertreten, dass dieser nicht den prozessrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Hinweis genüge. Darauf habe das LSG bereits am 10.5.2016 durch Beschluss entschieden. Da er keine Gelegenheit gehabt habe, sich weiter zu äußern, stehe die Entscheidung vor Fristablauf dem Ausfall der Anhörung gleich. In diesen Fällen werde das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler unwiderleglich vermutet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, denn sie bezeichnet substantiiert Tatsachen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 34, 36), aus denen sich eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG ergeben kann.
Die Beschwerde ist auch begründet, denn die gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG liegt vor. Das LSG hat gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG durch Beschluss entschieden, obwohl die von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war und der Kläger sich auch nicht abschließend zur Sache geäußert hatte.
Zwar hat das LSG den Kläger unter dem 15.4.2016 darauf hingewiesen, dass es in Betracht ziehe, dessen Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter zurückzuweisen. Die Anhörungsmitteilung hat - entgegen der Auffassung des Klägers - den prozessrechtlichen Anforderungen entsprochen (vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 809; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 19 mwN). Auch die dem Kläger gesetzte Frist zur Äußerung bis 20.5.2016 ist angemessen gewesen.
Vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Anhörungsfrist darf das Gericht aber grundsätzlich nicht entscheiden (BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 43/94 - HVBG-Info 1995, 2372; Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (Roller in HK-SGG, § 105 RdNr 8; E. Hauck in Hennig, SGG, § 105 RdNr 51).
Der Kläger hat sich nach Zugang der Anhörungsmitteilung am 21.4.2016 geäußert und geltend gemacht, diese Mitteilung genüge nicht den prozessrechtlichen Anforderungen. Der Stellungnahme des Klägers lässt sich aber nicht entnehmen, dass dieser sich zu dem Rechtstreit oder der Absicht, über diesen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, abschließend geäußert hat. Dem Inhalt der Äußerung und den sie begleitenden Umständen ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich damit zur Sache selbst oder zur in Aussicht genommenen Verfahrensweise abschließend geäußert hätte. Nach seinem (nur) formalen Einwand hätte er sich möglicherweise veranlasst gesehen, vor Ablauf der Frist eine Stellungnahme zur Sache oder zum weiteren Verfahren abzugeben, wenn das LSG seinen Einwand entweder zurückgewiesen hätte oder er bis kurz vor Ablauf der Frist ohne Reaktion geblieben wäre. Denn in einer solchen prozessualen Situationen hätte er damit rechnen müssen, dass das LSG ohne weiteres Vorbringen wie angekündigt verfahren werde.
Da das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entscheiden hat, liegt eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG vor. Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Denn der Verfahrensfehler führt auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B; BSG Beschluss vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B).
Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wird.
Das LSG wird in der abschließenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entschieden haben.