Entscheidungsdatum: 04.09.2018
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. März 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Streitig ist die Beitragserhebung auf eine Kapitalleistung einer Direktversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV).
Der 1950 geborene Kläger traf mit seinem Arbeitgeber am 19.12.2000 eine Aufhebungsvereinbarung, wonach er eine Abfindung in Höhe von 97 893 Euro erhalten sollte. Am 30.9.2001 schied der Kläger aus dem Unternehmen aus. Zuvor, am 24.7.2001, schloss der Arbeitgeber für den Kläger eine Direktversicherung in Form einer Kapitallebensversicherung bei einem Versicherungskonzern mit einer Laufzeit von zwölf Jahren zugunsten des Klägers ab. Bezugsberechtigt war unwiderruflich der Kläger bzw der überlebende Ehegatte bzw Angehörige. Versicherungsbeginn war der 1.10.2001, Beginn der Altersrente der 1.10.2013. Noch im September 2001 zahlte der Arbeitgeber 26 238 Euro von der Abfindung als Einmalprämie auf die Direktversicherung rückwirkend für die Jahre 1981 bis 2001 ein. Weitere Prämien wurden nicht gezahlt. Am 1.12.2001 wurde der Kläger Versicherungsnehmer. Am 1.10.2013 erfolgte die Auszahlung aus der Direktversicherung als Einmalzahlung in Höhe von 43 515,66 Euro an ihn.
Der Kläger bezieht eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung und ist bei der beklagten Krankenkasse und der beigeladenen Pflegekasse pflichtversichert. Mit Bescheid vom 8.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.5.2014 setzte die Beklagte - auch im Namen der Beigeladenen - die monatlichen Beiträge zur GKV und sPV unter Berücksichtigung der Einmalzahlung fest. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 12.6.2014 bei der Beklagten "Einspruch". Nach einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesversicherungsamt informierte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 7.10.2014 über den Beitragsrückstand.
Mit Schreiben vom 26.10.2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, bei dem Beitragsrückstand handele es sich um einen Irrtum. Die Beklagte wertete das Schreiben als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, den sie mit Bescheid vom 25.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2015 ablehnte. Das SG hat die Klage abgewiesen. Bei der Einmalleistung handele es sich um eine betriebliche Altersversorgung iS von § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V. Der Begriff der betrieblichen Altersversorgung sei nach Sinn und Zweck der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften auszulegen. Eine strenge Bindung an die Definition des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) bestehe nicht. Eine betriebliche Altersversorgung liege dann vor, wenn es sich um Bezüge vom früheren Arbeitgeber oder von bestimmten Institutionen handele, bei denen in der Regel ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu dieser Sicherungsform und einer Erwerbstätigkeit bestehe. Unerheblich sei der Versicherungsnehmerwechsel, da vom Kläger als Versicherungsnehmer keine Prämien gezahlt wurden (Urteil vom 24.2.2016). Das LSG hat die Berufung des Klägers unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG-Urteils zurückgewiesen (Beschluss vom 27.3.2017).
Der Kläger rügt eine Verletzung von § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V und § 226 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB V. Die Vorinstanzen würden von der neueren Rechtsprechung des BSG abweichen, weil sich das BSG wieder an den Begrifflichkeiten des BetrAVG in der Auslegung durch das BAG zu orientieren scheine, wenn es ausführe, dass der objektive Inhalt der zugesagten Leistung maßgeblich sei und es einem Arbeitgeber unbenommen bleibe, mit dem Beschäftigten für dessen Zustimmung zur Auflösung des Arbeitsvertrages eine unter das BetrAVG fallende bzw der Rente vergleichbare Leistung zu vereinbaren oder aber eine (bloße) Abfindung ohne Versorgungscharakter. Unabhängig von der fehlenden Heranziehungsmöglichkeit sei jedenfalls die auf die Einmalzahlung zu erbringende Kapitalertragssteuer von 4521,90 Euro abzuziehen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. März 2017 und das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. Februar 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 8. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag, schließt sich aber den Ausführungen der Beklagten an.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die zulässige Revision des klagenden Versicherten ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2015 erweist sich als rechtmäßig.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2015, worin sie eine Aufhebung des bestandskräftigen Bescheids vom 8.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.5.2014 im Wege des Überprüfungsverfahrens ablehnte.
2. Der Kläger kann im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung ihres bestandskräftigen Bescheids vom 8.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.5.2014 nicht beanspruchen. Die Bescheide sind rechtmäßig.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach § 44 Abs 2 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Der bestandskräftige Bescheid der Beklagten vom 8.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.5.2014 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die am 1.10.2013 erfolgte Einmalzahlung aus der Direktversicherung der Beitragserhebung in der GKV zu Recht als Versorgungsbezug nach § 229 Abs 1 S 1 Nr 5, S 3 SGB V der Beitragserhebung gemäß § 237 S 1 Nr 2 SGB V zugrunde gelegt (dazu a). Hiervon waren die darauf zu entrichtenden Steuern nicht abzuziehen (dazu b).
a) Nach § 237 S 1 Nr 2 SGB V in der seit dem Inkrafttreten des SGB V im Jahr 1989 unveränderten Fassung werden bei versicherungspflichtigen Rentnern ua der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen der Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Gemäß § 229 Abs 1 S 1 SGB V in der ab 1995 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung - Agrarsozialreformgesetz 1995 - vom 29.7.1994 (BGBl I 1890) gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden, Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung; außer Betracht bleiben Leistungen aus Altersvorsorgevermögen iS des § 92 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt nach dem mit Wirkung zum Jahr 2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - GMG - vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) eingefügten Satz 3 der Vorschrift ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.
Wesentliche Merkmale einer Rente der betrieblichen Altersversorgung (als einer mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Einnahme) im Sinne des Beitragsrechts der GKV sind, wenn ihr Bezug - wie hier - nicht schon institutionell (Versicherungseinrichtung, Versicherungstyp) vom Betriebsrentenrecht erfasst wird, ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Rente und der früheren Beschäftigung sowie ihre Einkommens-(Lohn- bzw Entgelt-)Ersatzfunktion als - weiteres - Merkmal der Vergleichbarkeit mit der gesetzlichen Rente. Leistungen sind dann der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen, wenn sie ua die Versorgung des Arbeitnehmers im Alter bezwecken, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen sollen. Durch diese Zwecksetzung unterscheidet sich die betriebliche Altersversorgung von sonstigen Zuwendungen des Arbeitgebers, etwa solchen zur Überbrückung von erwarteter Arbeitslosigkeit oder Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 18/14 R - USK 2015-64, Juris RdNr 18 mwN).
Die dem Kläger gewährte Einmalzahlung aus der Direktversicherung erfüllt jedenfalls diese vom BSG aufgestellten Voraussetzungen. Dies gilt schon deshalb, weil er den Anspruch auf dem nach § 1 Abs 2 Nr 4 BetrAVG vorgesehenen Durchführungsweg der Direktversicherung erworben hat (vgl BSG Urteil vom 26.3.1996 - 12 RK 21/95 - SozR 3-2500 § 229 Nr 13, Juris RdNr 22). Die als solche im Versicherungsschein bezeichnete Direktversicherung wurde auch vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer während des Arbeitsverhältnisses und hierauf rückwirkend zu Gunsten des Klägers bzw dessen überlebenden Ehegatten bzw Angehörigen abgeschlossen und nach einer Erklärung von Kläger und Arbeitgeber zur Direktversicherung vom 24.7.2001 durch Gehaltsumwandlung finanziert. Die Leistungen aus der Lebensversicherung verloren ihren Charakter als Versorgungsbezüge auch nicht deshalb, weil sie durch eine Eigenleistung des Klägers, nämlich den teilweisen Verzicht auf die Abfindung, finanziert worden sind. Wird ein Versorgungsbezug aus einer Direktversicherung iS des § 1 Abs 2 BetrAVG gezahlt, ist es unerheblich, ob er im Einzelfall ganz oder zum Teil auf Leistungen des Arbeitgebers beruht oder allein auf Leistungen des Arbeitnehmers bzw des Bezugsberechtigten (BSG aaO, Juris RdNr 23).
Auch der spätere Wechsel in der Versicherungsnehmereigenschaft zum 1.12.2001 ändert an der Beitragserhebung nichts, denn zu der Zeit, als der Kläger Versicherungsnehmer war, wurden keine Prämien mehr auf die Kapitallebensversicherung entrichtet (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 16/10 R - BSGE 108, 63 = SozR 4-2500 § 229 Nr 12).
Entgegen der Auffassung des Klägers kann aus dem Urteil des Senats vom 29.7.2015 (B 12 KR 18/14 R - USK 2015-64) nicht geschlossen werden, das BSG orientiere sich neuerdings an den Begrifflichkeiten des BetrAVG in der Auslegung durch das BAG. Gegenstand jenes Urteils war die Zahlung eines monatlichen Überbrückungsgeldes bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres aus Anlass des Verlustes des Arbeitsplatzes. Damit wurde jedoch - anders als im vorliegenden Fall - kein Versorgungs-, sondern lediglich ein "Überbrückungszweck" verfolgt, weil die Zusage dieser Einnahme nach ihrem objektiven Inhalt den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis oder in den Ruhestand erleichtern sollte.
b) Die Kapitallebensversicherung war mit dem vollen Auszahlungsbetrag der Beitragserhebung zugrunde zu legen. Ein Abzug der darauf zu entrichtenden Kapitalertragssteuer (§ 43 EStG) ist nicht deshalb anzuerkennen, weil sie als Quellensteuer angelegt ist und der entsprechende Betrag von der auszahlenden Stelle unmittelbar an das Finanzamt abgeführt wird. Dies folgt aus dem im Sozialrecht grundsätzlich geltenden Bruttoprinzip. Insbesondere das Arbeitsentgelt unterliegt einer Besteuerung in Form der Lohnsteuer als Quellensteuer. Wie Renten und Versorgungsbezüge wird es jedoch einheitlich mit seinem Bruttobetrag der Beitragsberechnung zugrunde gelegt (vgl zB BSG Urteil vom 28.1.1999 - B 12 KR 24/98 R - SozR 3-2500 § 237 Nr 7, Juris RdNr 22 mwN zur verfassungsgerichtlichen Rspr). Für die Beitragspflicht auf einmalig ausgezahlte Versorgungsbezüge ist keine Ausnahme anzuerkennen.
3. Hinsichtlich der Festsetzung von Beiträgen zur sPV gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend (§ 57 Abs 1 S 1 SGB XI).
4. Für Fehler bei der konkreten Berechnung der Beiträge bestehen weder Anhaltspunkte noch werden solche vom Kläger behauptet.