Entscheidungsdatum: 14.05.2014
Der Anspruch ehemaliger Soldaten auf Zeit auf Arbeitslosenbeihilfe ruht während einer sich anschließenden Zeit der Arbeitslosigkeit nur in der Höhe, in der dem Arbeitslosen Arbeitslosengeld gezahlt wird.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger vom 1.4. bis 30.6.2011 Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe hat oder ob dieser Anspruch wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) ruht.
Der Kläger war bis 31.1.2009 Auszubildender bei der P GmbH. Im Anschluss daran meldete er sich ab 3.2.2009 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte gewährte ihm vom 3.2. bis 31.3.2009 Alg in Höhe von 10,91 Euro täglich; das sie ausgehend von der Ausbildungsvergütung des Klägers von 23,03 Euro täglich (Bemessungsentgelt) berechnete. Vom 1.4.2009 bis 31.3.2011 diente er für zwei Jahre bei der Bundeswehr als Soldat auf Zeit. Seine Bezüge beliefen sich im letzten Jahr des Dienstes auf 21 106,95 Euro.
Als sich der Kläger zum 1.4.2011 erneut arbeitslos meldete und Leistungen wegen Arbeitslosigkeit beantragte, bewilligte ihm die Beklagte ab 1.4.2011 Alg für eine Restanspruchsdauer von 304 Tagen in Höhe von 10,91 Euro/Tag (Bemessungsentgelt 23,03 Euro; Bescheid vom 7.4.2011). Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, ihm stehe (ergänzend) Arbeitslosenbeihilfe nach § 86a Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zu. Die Beklage wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.6.2011). Arbeitslosenbeihilfe sei nicht zu zahlen, weil diese gegenüber dem bewilligten Alg subsidiär sei und ruhe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger vom 1.4. bis 30.6.2011 Arbeitslosenbeihilfe unter Anrechnung des gezahlten Alg zu zahlen. Soweit dem Kläger Alg gezahlt worden war, hat es die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten hingegen zurückgewiesen und sich den Erwägungen des SG angeschlossen. Es hat ergänzend ausgeführt, die Arbeitslosenbeihilfe sei eine für eine Übergangszeit zu zahlende am Lebensstandard der Dienstzeit orientierte soziale Absicherung des aus dem Dienst ausgeschiedenen Soldaten. Ausgeschiedenen Soldaten, die durch einen geringen Zahlbetrag des Alg nicht entsprechend abgesichert seien, hätten Anspruch auf ergänzende Arbeitslosenbeihilfe.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 86a Abs 1 S 2 Nr 5 SVG. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift "ruhe der Anspruch" auf Arbeitslosenbeihilfe während des Zeitraums, für den der Arbeitslose die Voraussetzung des Anspruchs auf Alg erfülle. Der Anspruch ruhe insgesamt und nicht nur in Höhe eines tatsächlich zustehenden Anspruchs auf Alg. Auch der Zweck des Gesetzes spreche für diese Auslegung, die Arbeitslosenbeihilfe sei gegenüber dem Alg subsidiär. Bei der Arbeitslosenbeihilfe handle es sich um eine Fürsorgeleistung für Soldaten. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, die Ansprüche nach dem SVG als nachrangig auszugestalten. Ehemaligen Soldaten stehe nach dieser Regelung nur entweder ein Anspruch auf Alg oder alternativ auf Arbeitslosenbeihilfe zu. Zwar liege der tägliche Leistungssatz der Arbeitslosenbeihilfe um mehr als 100 vH über dem Zahlbetrag des Alg, gleichwohl sei nicht ergänzend Arbeitslosenbeihilfe an den Kläger zu zahlen. Ein möglicher Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei nicht besonders intensiv und dementsprechend hinnehmbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Juli 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 16. Dezember 2011 aufzuheben und die Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 7. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2011 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger für den streitigen Zeitraum ergänzend Arbeitslosenbeihilfe zu zahlen.
1. Die beklagte Bundesagentur für Arbeit ist passiv legitimiert, denn sie ist die nach § 86a Abs 1 S 2 Halbs 1 SVG für die Erbringung der Leistung "Arbeitslosenbeihilfe" zuständige Behörde.
Dies ergibt sich aus der aktuellen Fassung des SVG zwar nicht mit wünschenswerter Klarheit. Dort heißt es, auf die Arbeitslosenbeihilfe sind die Vorschriften des "Sozialgesetzbuchs und sonstiger Gesetze mit Ausnahme des Einkommenssteuergesetzes über das Arbeitslosengeld" anwendbar. Die Zuständigkeit der Beklagten wird aber bei historischer Auslegung der Vorschrift deutlich. § 86a Abs 1 S 2 SVG in der Fassung des Art 1 Nr 10 des Achten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes vom 6.8.1987 (BGBl I 2076) lautete: "Auf die Arbeitslosenbeihilfe sind die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes … und sonstiger Gesetze über das Arbeitslosengeld anwendbar." Die Bundesanstalt für Arbeit wurde mit Einführung der Leistung im SVG beauftragt, die Vorschriften über Arbeitslosenbeihilfe im Wege der Bundesauftragsverwaltung (Art 85, Art 104a Abs 3 S 2 Grundgesetz <GG>; dazu auch Bundessozialgericht 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1) und in entsprechender Anwendung der Vorschriften über Arbeitslosengeld durchzuführen (BT-Drucks 11/538, S 1, 4; vgl auch § 88a Abs 1 S 1 SVG). Hieran hat sich durch spätere textliche Anpassungen im SVG nichts geändert.
2. Der Kläger hat Anspruch auf ergänzende Arbeitslosenbeihilfe.
Nach § 86a Abs 1 S 1 SVG erhalten ehemalige Soldaten auf Zeit, die nach Beendigung einer Wehrdienstzeit von mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, Arbeitslosenbeihilfe. Nach § 86a Abs 1 S 2 SVG sind auf die Arbeitslosenbeihilfe die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und sonstiger Gesetze mit Ausnahme des Einkommensteuergesetzes über das Arbeitslosengeld und für die Empfänger dieser Leistung mit folgenden Maßgaben entsprechend anzuwenden:
1. Für den Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe steht die Wehrdienstzeit als Soldat auf Zeit einschließlich der nach § 40 Abs 5 des Soldatengesetzes eingerechneten Wehrdienstzeiten der Zeit eines Versicherungspflichtverhältnisses gleich.
2. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenbeihilfe mindert sich um die Zahl von Tagen, die auf den Zeitraum entfallen, für den Übergangsgebührnisse laufend oder in einer Summe gewährt werden. Für Soldaten auf Zeit mit einer Wehrdienstzeit von zwei Jahren wird der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe auf 180 Tage begrenzt.
3. Bei der Feststellung des Bemessungsentgelts sind für die Wehrdienstzeit im Sinne der Nr 1 die Dienstbezüge zugrunde zu legen. (…)
5. Der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe ruht während des Zeitraums, für den der Arbeitslose die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt oder nur deshalb nicht erfüllt, weil er Arbeitslosengeld nicht beantragt hat.
Der Kläger war nach den Feststellungen des LSG ab 1.4.2011 arbeitslos, hatte sich arbeitslos gemeldet, suchte eine Beschäftigung und war verfügbar. Er war vor dem 1.4.2011 zwei Jahre Soldat auf Zeit. Er bezog keine Übergangsgebührnisse. Die Dienstbezüge beliefen sich im letzten Jahr seiner Dienstzeit auf 21 106,95 Euro. Damit erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 86a Abs 1 S 1 SVG.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ruht der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe gemäß § 86a Abs 1 S 2 Nr 5 SVG während des Zeitraums, für den der Arbeitslose die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg erfüllt hat (Alt 1) oder nur deshalb nicht erfüllt, weil er Alg nicht beantragt hat (Alt 2), nur in Höhe des bezogenen Alg. Da der Kläger Alg bezogen hat, ist die erste Alternative dieser Vorschrift einschlägig.
Zwar ist der Revisionsführerin zuzugeben, dass es eine allein am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung die Annahme zuließe, dass der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe während des Bestehens eines Alg-Anspruch insgesamt ruht, ohne dass es auf die Höhe des Zahlungsanspruchs des Alg ankäme. Hierfür könnte sprechen, dass es für die Rechtsfolge des Ruhens nach Alt 2 des § 86a Abs 1 S 2 Nr 5 SVG genügt, dass Alg beantragt werden kann. Danach wäre für das Ruhen der Leistung nicht entscheidend, ob der bestehende oder geltend zu machende Anspruch auf Alg eine den Lebensstandard der Dienstzeit sichernde Höhe erreicht. Dies wiederum könnte dazu führen, dass bei einem Abstellen allein auf ein Stammrecht die Arbeitslosenbeihilfe auch dann ruhen würde, wenn der Zahlungsanspruch auf Alg seinerseits nach §§ 155 f Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
Auch die angeordnete Rechtsfolge des "Ruhens" könnte nach dem Gebrauch dieses Begriffs im SGB III darauf deuten, dass der Zahlungsanspruch auf Arbeitslosenbeihilfe insgesamt und nicht nur in einer das Alg ergänzenden Höhe nicht zu erfüllen ist (vgl Voelzke, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 38 f; Mutschler in Kreikebohm/Spellbrink/ Waltermann, Sozialrecht, 3. Aufl 2013 § 156 RdNr 3 f). Ist eine Begrenzung der Höhe der Leistung gewollt, ordnet der Gesetzgeber des SGB III regelmäßig die Anrechnung bestimmter Beträge auf das Alg an (Minderung des Alg; vgl zB § 155 SGB III). Allerdings hält der Gesetzgeber diese Begrifflichkeit nicht strikt durch, wenn er zB in § 156 Abs 2 Nr 3 Buchst b SGB III anordnet, dass der Anspruch auf Alg unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen "nur bis zur Höhe der zuerkannten Leistung ruht".
Bei Auslegung des § 86a SVG nach dessen Sinn und Zweck ergibt sich aber, dass der Anspruch ehemaliger Soldaten auf Zeit auf Arbeitslosenbeihilfe während einer sich anschließenden Zeit der Arbeitslosigkeit nur in der Höhe ruht, in der dem Arbeitslosen Alg gezahlt wird. Die Vorschrift wurde durch Gesetz vom 6.8.1987 (BGBl I 2078) in das SVG eingefügt, weil - so die Begründung des Gesetzes - die ehemaligen Soldaten auf Zeit, die nach Dienstzeitende arbeitslos wurden, durch den bis dahin bestehenden Anspruch auf Dienstzeitversorgung nicht ausreichend sozial gesichert waren. Wären sie in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer verblieben, hätten sie nach dem SGB III eine Absicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit anknüpfend an den zuletzt erzielten Verdienst gehabt. Dabei wurde im Gesetzgebungsverfahren als Alternative die Möglichkeit erwogen, die Soldaten auf Zeit in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen. Im Hinblick auf das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis des Soldaten auf Zeit wurde diese Überlegung aber verworfen und für diese Personen ein besonderes Sicherungssystem geschaffen (BT-Drucks 11/538, S 2; vgl auch § 27 Abs 1 Nr 1 SGB III).
Die besondere Schutzbedürftigkeit der Soldaten auf Zeit im Hinblick auf das Risiko der Arbeitslosigkeit wurde für einen zeitnah nach dem Ausscheiden aus dem Dienst liegenden Zeitraum gesehen. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Dienst wird dadurch hergestellt, dass vorausgesetzt wird, dass Soldaten auf Zeit für 180 Tage Arbeitslosenbeihilfe erhalten, wenn sie "nach Dienstzeitende" arbeitslos werden (§ 86a Abs 1 S 2 Nr 1 SVG). Die Gesetzesmaterialien machen weiter deutlich, dass mit der Arbeitslosenbeihilfe eine "Fürsorgeleistung" geschaffen werden sollte, mit der die ehemaligen Soldaten auf Zeit eine der Sicherung der Arbeitnehmer nach einer Beschäftigung vergleichbare Sicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit erhalten (BT-Drucks 11/538, S 4). Der Leistungsumfang soll dem des Alg entsprechen (BT-Drucks 11/286, S 7). Deshalb orientiert sich die Höhe der Leistung am Lebensstandard der Wehrdienstzeit (§ 86a Abs 1 S 2 Nr 3 SVG). Durch § 86a Abs 1 S 2 Nr 5 SVG sollte allerdings auch der subsidiäre Charakter der Arbeitslosenbeihilfe klargestellt werden (BT-Drucks 11/286, S 7).
Danach sind die Leistungen der Arbeitslosenversicherung den Versorgungsleistungen des SVG zwar systematisch vorrangig. Dieser Vorrang kann aber nicht gelten, wenn durch die vorrangige Leistung die angestrebte soziale Sicherung der Soldaten auf Zeit bei einer nach dem Dienstzeitende eintretenden Arbeitslosigkeit nicht erreicht wird. So hat der Kläger vorliegend zwar Alg bezogen, er hat aber infolge der Bemessung seines Anspruchs auf Alg nach der früher bezogenen Ausbildungsvergütung keine Leistung erhalten, die ihm (vorübergehend) den Lebensstandard sichert, den er im Dienstverhältnis vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit erreicht hatte.
Weil das vorrangige Alg die angestrebte soziale Sicherung nicht gewährleistet, ist es nach Sinn und Zweck des § 86a SVG geboten, dem Kläger ergänzend die Arbeitslosenbeihilfe nach § 86a SVG zu gewähren, um ihn während der nach dem Dienstzeitende eingetretenen Arbeitslosigkeit sozial so abzusichern, wie er nach dem Verlust einer entsprechend bezahlten Beschäftigung gesichert wäre. Seine Sicherung muss sich an den Bezügen der Dienstzeit orientieren, weil der Gesetzgeber mit Einführung der Arbeitslosenbeihilfe eine Sicherung gerade auf diesem Niveau angestrebt hat (BT-Drucks 11/286, S 7).
Bei teleologischer Auslegung des § 86a Abs 1 S 2 Nr 5 SVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe deshalb - wie schon die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben - nur in Höhe des bezogenen Alg. Dem Kläger steht aufgrund der geringen Höhe seines Anspruchs auf Alg in dem streitigen Zeitraum Anspruch auf ergänzende Arbeitslosenbeihilfe zu.
3. Da dem Kläger schon einfachrechtlich ein Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe zusteht, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob ein Ausschluss der Arbeitslosenbeihilfe durch den Bezug von Alg, solche Zeitsoldaten unter Verletzung von Art 3 Abs 1 GG benachteiligen könnte, deren Dienstbezüge deutlich höher waren als das Bemessungsentgelt des vorrangig zu zahlenden Alg. Dies erscheint nicht ausgeschlossen. Wie der vorliegende Fall zeigt, hatte der Kläger Dienstbezüge von 58,63 Euro/Tag, während das Alg nach einem Entgelt von nur 23,03 Euro/Tag bemessen wurde. In solchen Fällen erscheint fraglich, ob die Ungleichbehandlung von Zeitsoldaten mit einer an den Dienstbezügen ausgerichteten Versorgung gegenüber den Zeitsoldaten mit Anspruch auf Alg in deutlich geringerer Höhe als "nicht intensiv" angesehen werden könnte.
Die Revision der Beklagten ist daher als unbegründet zurückzuweisen.