Entscheidungsdatum: 29.05.2018
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und fügte sich in der Vergangenheit selbst Verletzungen, vor allem an den Unterarmen, zu. Mit ihrem Begehren auf Versorgung mit Medical Needling (Perkutane Kollageninduktion) zur Korrektur ihrer Narben (mindestens zwei Einzelbehandlungen; rund 2800 Euro pro Behandlung) ist sie bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, streitgegenständlich sei allein eine ambulante Behandlung. Die Behandlung mit Medical Needling stelle eine neue Behandlungsmethode dar, für die es an einer positiven Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) fehle. Ein Systemversagen liege nicht vor. Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Leistungsausweitung (vgl § 2 Abs 1a SGB V) seien nicht erfüllt, da die Klägerin nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung leide. Einer Suizidgefahr sei mit den Mitteln zur Behandlung psychischer Erkrankungen zu begegnen (Urteil vom 21.3.2017).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.
a) Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN). Die Klägerin legt die materielle Rechtsauffassung des LSG nicht dar. Sie führt nicht aus, wieso das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - noch hätte Beweis durch Sachverständige erheben müssen.
b) Auch die Gehörsrüge der Klägerin genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Wer - wie hier die Klägerin - die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG; Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) rügt, muss ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Daran fehlt es. Die Klägerin macht geltend, das LSG habe ihren Vortrag, dass die Behandlung im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes erfolgen müsse, insofern übergangen, als es festgestellt habe, dass dieser Vortrag nicht Streitgegenstand sei. Ihr ginge es um die Behandlung Medical Needling. Wie diese Behandlung durchzuführen sei, habe sich "offensichtlich erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ergeben." Sie setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass das LSG mit den von ihr zitierten Ausführungen, ein Anspruch auf stationäre Behandlung sei nicht Streitgegenstand, durchaus den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen hat, wenngleich auch nicht in ihrem Sinne. Das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es beinhaltet indes keinen Anspruch auf Übernahme des von einem Beteiligten vertretenen Rechtsstandpunkts (vgl BSG Beschluss vom 31.8.2012 - B 1 KR 32/12 B - RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - Juris RdNr 7).
c) Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, das LSG habe nicht umfassend über ihren Klageantrag entschieden, sinngemäß einen Verstoß gegen § 123 SGG und damit eine Verkennung des Streitgegenstandes durch das LSG rügen will, legt sie einen solchen Verfahrensfehler nicht schlüssig dar. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Anträge gebunden zu sein. Das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, ist bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen (stRspr, vgl etwa BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 12 ff mwN; BSG Urteil vom 28.3.2017 - B 1 KR 15/16 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 7 RdNr 11, auch für BSGE vorgesehen). Wer als Verfahrensmangel geltend macht, das Berufungsgericht habe den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand verkannt, muss den Verfahrensgang unter Auslegung der den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand bestimmenden Entscheidungen und Erklärungen lückenlos darlegen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 62; BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - Juris RdNr 9). Daran fehlt es. Die Klägerin legt schon den Inhalt des von ihr gestellten Antrags sowie den Regelungsgehalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidung nicht dar. Sie setzt sich auch nicht damit auseinander, dass sie im erstinstanzlichen Verfahren - damals noch anwaltlich vertreten - selbst vorgetragen hat, die Behandlung geschehe "rein ambulant" (S 5 der Klageschrift vom 31.3.2014).
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage: |
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"Stellt eine Retraumatisierung und damit einhergehende rezidivierende Suizidgedanken durch Narben, die durch selbstzugefügte Verletzungen (Ritzungen) entstanden sind, eine Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V dar?" |
Zweifelhaft ist bereits, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung stellt oder vielmehr nur die fehlerhafte Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall rügt. Die möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall kann indes nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Auch wenn man die Frage sinngemäß als allgemein gestellt auslegen wollte, ob eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne von § 2 Abs 1a SGB V bei Suizidgefahr bejaht werden kann, legt die Klägerin deren Klärungsbedürftigkeit nicht dar.
Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Klägerin legt nicht dar, wieso unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rspr noch Klärungsbedarf verbleibt, welche Maßstäbe für die ambulante - und ggf stationäre - Versorgung nach der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts und nach § 2 Abs 1a SGB V gelten (vgl nur BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28 RdNr 19 ff, auch für BSGE vorgesehen; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 57 ff; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 28 f; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; speziell zu wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen: BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 ff mwN - Idebenone; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 9 RdNr 13 mwN; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31-32 - D-Ribose). Es fehlt an jeglicher Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der Norm und der dazu und zur grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ergangenen Rspr des erkennenden Senats. Die Klägerin behauptet lediglich pauschal, die Frage, welche Krankheiten eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne von § 2 Abs 1a SGB V darstellten, sei "bislang noch konturlos". Sie verweist bloß darauf, dass ihr Fall "nicht mit den Brustvergrößerungsfällen zu vergleichen" sei, ohne die auch vom LSG zitierte Rspr des erkennenden Senats auch nur zu benennen.
Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN; BSG Beschluss vom 27.1.2012 - B 1 KR 47/11 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 5.2.2013 - B 1 KR 72/12 B - RdNr 7), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 5). Auch daran fehlt es.