Entscheidungsdatum: 23.03.2018
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12. September 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Versorgung mit einer subkutanen Mastektomie und angleichender Liposuktion bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung - unter teilweiser Bezugnahme auf die SG-Entscheidung - ausgeführt, beim Kläger liege keine Krankheit im Rechtssinne vor. Ob wegen der Gynäkomastie ein behandlungsbedürftiger psychischer Leidensdruck bestehe, könne dahinstehen, da dies nach der Rspr des BSG jedenfalls keinen operativen Eingriff rechtfertige. Der Kläger sei durch die Gynäkomastie auch nicht entstellt, sodass sich auch dadurch kein Leistungsanspruch begründen lasse (Beschluss vom 12.9.2017).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG - hierzu 1.) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG - hierzu 2.).
1. Wer sich - wie der Kläger - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Daran fehlt es.
Der Kläger formuliert die Frage:
"Besteht nach § 27 SGB V ein Behandlungsanspruch auf eine Operation am (vermeintlich) gesunden Körper mit dem Ziel der Beeinflussung psychischer Leiden?"
Es fehlen hingegen Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 6; BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - Juris RdNr 7 mwN). Der Kläger geht selbst davon aus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage in der Rspr des BSG bereits geklärt ist und zitiert hierfür mehrere Entscheidungen des erkennenden Senats (BSGE 82, 158 = SozR 3-2500 § 39 Nr 5; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28); er ist indes der Meinung, dass diese Rspr einer Überprüfung bedürfe. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann zwar erneut klärungsbedürftig werden, wenn ihr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN; BSG Beschluss vom 27.1.2012 - B 1 KR 47/11 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 5.2.2013 - B 1 KR 72/12 B - RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 7). Dies ist im Rahmen der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 5). Daran fehlt es. Der Kläger trägt vielmehr nur seine eigene Meinung vor, ohne näher auf die Entscheidungslinien und Gründe der Rspr des erkennenden Senats einzugehen.
2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
Er rügt eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG. Das LSG habe seine Entscheidung nicht durch Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen dürfen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 SGG vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher vom BSG nur darauf überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, also ob etwa der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 27; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 9). Das Vorliegen einer groben Fehleinschätzung ist anhand der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auch darauf an, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens berücksichtigt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 31/13 B - Juris RdNr 7). Nur wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist, ist das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG sinnvoll (vgl BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 2). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung nur dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn etwa im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen relevant. Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung gegen den ausdrücklichen Willen eines Beteiligten unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG Beschluss vom 11.12.2002 - B 6 KA 13/02 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 2.7.2015 - B 1 KR 15/15 B - RdNr 15).
Der Kläger trägt zwar vor, das SG habe sein Erscheinungsbild in der mündlichen Verhandlung - ohne ihn davon vorher in Kenntnis zu setzen - in bekleidetem Zustand als nicht entstellend bewertet. Nach der Ankündigung einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG im Berufungsverfahren habe er schriftsätzlich darauf hingewiesen, dass das tatsächliche Erscheinungsbild der Mammae im Verfahren nie in Augenschein genommen worden sei. Es hätte ihm zugestanden werden müssen, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zur Feststellung einer entstellenden Wirkung äußern zu dürfen - dies auch mittels einer Präsentation in üblicher Kleidung, aber ohne die stets eingenommene Schonhaltung. Er zeigt damit keine grobe Fehleinschätzung des LSG auf. Er legt nicht dar, dass das LSG wegen neuer Tatsachen oder wesentlicher neuer rechtlicher Gesichtspunkte im Berufungsverfahren verpflichtet gewesen wäre, mit dem Kläger mündlich zu verhandeln. Es fehlen Ausführungen zur rechtlichen Relevanz des "tatsächlichen Erscheinungsbildes der Mammae"; auch legt er nicht dar, warum die Tatsachenfeststellungen des SG zu seinem Erscheinungsbild im bekleideten Zustand und die in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen, vom LSG berücksichtigten beiden Aufnahmen seines nackten Oberkörpers nicht ausreichend gewesen sein sollen, um die Voraussetzungen des erhobenen Leistungsanspruchs zu beurteilen. Er setzt sich auch nicht damit auseinander, warum er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine Gelegenheit gehabt haben soll, sich in "üblicher Kleidung, aber ohne die stets eingenommene Schonhaltung" zu präsentieren.