Entscheidungsdatum: 20.03.2018
Die für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts erforderliche lebensbedrohliche Erkrankung setzt voraus, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach den konkreten Umständen des Falles verwirklichen wird.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufgehoben und der Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Fertigarzneimitteln, die intravenös zu applizierendes Immunglobulin (IVIG) enthalten.
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, 1937 geborene Kläger leidet seit 1992 unter zum Teil jährlich mehrfach rezidivierenden, seit 1998 nur noch stationär behandelten Pneumonien (insgesamt mehr als 30 Krankenhausaufenthalte). Prof. Dr. S. ( Hochschule H.) behandelt ihn seit 1998 fortlaufend - abgesehen von einer Unterbrechung von August 2009 bis Anfang März 2010 - auch in den infektfreien Intervallen ambulant mit Immunglobulinen (Octagam, Intratect, Privigen) unter der Diagnose Antikörpermangelsyndrom (Immunglobulinmangel) bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS), um die Häufigkeit und Schwere der Infekte zu reduzieren. Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) verneinte eine akut lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Beklagte teilte Prof. Dr. S. mit, die IVIG-Behandlung dürfe nicht zu ihren Lasten fortgeführt werden (9.2.2009). Den Antrag des Klägers auf Fortführung der IVIG-Behandlung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.2.2009, Widerspruchsbescheid vom 6.8.2009). Nach Klageerhebung hat der Kläger im einstweiligen Rechtsschutz obsiegt (LSG Beschluss vom 3.3.2010 - L 4 KR 44/10 B ER) und erhält seither weiterhin die IVIG-Behandlung zu Lasten der Beklagten. Das SG hat die Klage abgewiesen: Die IVIG-Fertigarzneimittel seien für die Erkrankung des Klägers nicht zugelassen, seine Pneumonien noch mit einer Standardtherapie (Antibiotikagabe) beherrschbar (Urteil vom 23.9.2014). Das LSG hat die Beklagte verurteilt, den Kläger mit IVIG-Fertigarzneimitteln nach ärztlicher Verordnung zu versorgen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Octagam, Intratect und seit 2012 mit Privigen sowie auf zukünftige etwaige andere intravenös zu verabreichende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Immunglobulin nach § 2 Abs 1a SGB V zu. Abzustellen sei auf die schwer eingeschränkte gesundheitliche Konstitution des Klägers, nicht auf die einzelne mit Antibiotika behandelbare Pneumonie. Der Kläger leide unter einer signifikanten Erniedrigung der polyklonalen Immunglobuline (sekundärer Immunglobulinmangel), die zu einer erhöhten Infektanfälligkeit mit nicht alterstypischer Häufung von schwersten rezidivierenden Pneumonien mit Todesgefahr führe. Dafür gebe es keine Standardtherapie. Die IVIG-Behandlung bewirke beim Kläger eine Reduktion der krankenhausbedürftigen Infektionen (Urteil vom 24.1.2017).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte zuletzt noch eine Verletzung von § 2 Abs 1a SGB V. Es fehle an der notstandsähnlichen Situation einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Ferner rügt sie die Verletzung von § 136 Abs 1 Nr 6 iVm § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 103 SGG. Das LSG habe die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten und sich ihm aufdrängende Ermittlungen unterlassen. Dem Urteil fehle es an Gründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. September 2014 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen unter Klarstellung des Tenors,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
Klageziel ist ein im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage für die Vergangenheit und der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage für die Zukunft zulässig geltend gemachter Anspruch des Klägers auf Versorgung mit ärztlich verordneten IVIG-Fertigarzneimitteln (dazu 1.). Ob dem Kläger ein solcher Anspruch zusteht, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung materiellen Rechts. Im Ergebnis kommt nur ein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Anspruch auf IVIG-Therapie nach allgemeinen Grundsätzen der Krankenbehandlung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), nach Off-Label-Use-Grundsätzen und wegen Seltenheit verneint, ohne Anlass zu Ausführungen zu anderen Rechtsgrundlagen zu haben (dazu 2.). Der erkennende Senat kann aber auf der Grundlage der LSG-Feststellungen nicht entscheiden, ob ein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts, vom Gesetzgeber positiviert in § 2 Abs 1a SGB V (in Kraft seit 1.1.2012; Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
1. Die erhobene Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist für den Zeitraum vom 24.9.2014 bis zum 24.1.2017 die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Kläger begehrt die Feststellung erst ab diesem Zeitpunkt, da die Beklagte eine Rückforderung der zuvor dem Kläger vorläufig erbrachten IVIG-Therapie ausgeschlossen hat. Ziel ist, den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der aufgrund einstweiliger Anordnung nur vorläufig erbrachten Sachleistungen feststellen zu lassen. Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs 2 iVm § 50 Abs 1 S 2 SGB X und/oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO in Betracht. Hieran ändert die im einstweiligen Rechtsschutz ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten nichts, IVIG als Sachleistung zu erbringen (LSG Beschluss vom 3.3.2010). Die Maßnahme ist für die Vergangenheit korrigierbar. Dies ergibt sich schon aus § 50 Abs 1 S 2 SGB X, der bei Sachleistungen, die nicht herausgegeben werden können, eine Erstattung in Geld vorsieht (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 8 mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen). Der LSG-Beschluss weist ausdrücklich auf eine mögliche Rückforderung der der Beklagen entstehenden Kosten hin. Dies begründet auch das Feststellungsinteresse des Klägers. Für die Zukunft (ab 25.1.2017) ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) richtige Klageart, da die IVIG-Behandlung des Klägers noch andauert.
2. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung ärztlich verordneter IVIG-Fertigarzneimittel weder nach allgemeinen Grundsätzen der Krankenbehandlung (dazu a) noch nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu b) oder des Seltenheitsfalls (dazu c). Andere Rechtsgrundlagen als § 2 Abs 1a SGB V kommen nicht in Betracht (dazu d).
a) Der Kläger kann von der Beklagten die Behandlung seines sekundären Immunglobulinmangels, assoziiert mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien, mit einem IVIG-Fertigarzneimittel als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V) mangels indikationsbezogener Zulassung nicht beanspruchen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 11, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect). Die begehrten IVIG-Fertigarzneimittel sind zulassungspflichtig. Sie haben weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Arzneimittelzulassung für eine Therapie des sekundären Immunglobulinmangels als solchen noch unter Berücksichtigung von MGUS und rezidivierenden Pneumonien. Das steht nach den unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG fest (§ 163 SGG).
b) Der Kläger kann eine Versorgung mit IVIG-Fertigarzneimittel auch im Rahmen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) und im Falle von klinischen Studien regelt (dazu aa), noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rspr beanspruchen (dazu bb).
aa) Der GBA hat eine IVIG-Therapie zur Behandlung des sekundären Immunglobulinmangels mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien nicht empfohlen. Nach § 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Gemäß § 91 Abs 6 SGB V sind die Beschlüsse des GBA mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d SGB V (vor dem 1.1.2016: § 137b SGB V) für die Träger iS des § 91 Abs 1 S 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Gestützt auf § 35c Abs 1 SGB V enthalten Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie
Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 SGB V sind nicht erfüllt. Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs 1 unter weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien. Der Kläger beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen einer klinischen Studie.
bb) Die Voraussetzungen der allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV sind ebenfalls nicht erfüllt. Sie bleiben unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist (zutreffend Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL). Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - neuropsychologische Therapie).
An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Solche Erkenntnisse mit Relevanz für die Erkrankung des Klägers bestehen nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bislang nicht.
c) Auch ein Seltenheitsfall besteht nicht. Hierzu darf das festgestellte Krankheitsbild (Immunglobulinmangel, assoziiert mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien) aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (vgl auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 - Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Das festgestellte Krankheitsbild des Klägers ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG systematisch erforschbar, was auch geschieht.
d) Zu Recht ist das LSG nicht darauf eingegangen, ob der Kläger die IVIG-Therapie als neue Behandlungsmethode oder wegen Behandlung durch Ärzte einer Hochschulambulanz beanspruchen kann. Die Zulässigkeit einer Behandlungsmethode nach dem SGB V kann keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel begründen, sondern nur zusätzliche Hürden für ihren Einsatz beseitigen (vgl dazu ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 23 f, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen -
Intratect). Sie überspielt nicht die besonderen Voraussetzungen für den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Die Behandlung durch Ärzte der Hochschulambulanz erweitert nicht den Anspruch Versicherter auf vertragsärztliche Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A; vgl dazu und zur - hier vom LSG nicht festgestellten - teilstationären Behandlung ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 25 ff mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect; nichts geändert hieran hat das Inkrafttreten des § 117 Abs 4 SGB V mWv 11.4.2017 aufgrund Art 1 Nr 6a, Art 3 Abs 1 Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung
3. Der erkennende Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit IVIG-Fertigarzneimitteln seit 24.9.2014 aus § 2 Abs 1a SGB V erfüllt sind (dazu a). Es fehlen hinreichende Feststellungen dazu, dass der Kläger an einer lebensbedrohlichen Krankheit im Rechtssinne leidet (dazu b), dass keine dem allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht und dass weitere Voraussetzungen erfüllt sind (dazu c).
a) Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Gemäß der Rspr des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (vgl BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Der Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rspr des erkennenden Senats (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31 - Kuba-Therapie) die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl § 2 Abs 1a SGB V; dazu Begründung des GKV-VStG-Entwurfs, BT-Drucks 17/6906 S 53). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 - neuropsychologische Therapie; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29 - SAA). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der GKV regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG
Für die Anwendung von § 2 Abs 1a SGB V auf Sachverhalte ab 1.1.2012 gilt insoweit nichts anderes. § 2 Abs 1a SGB V enthält nach der Begründung des GKV-VStG-Entwurfs eine Klarstellung zum Geltungsumfang des sog Nikolaus-Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) für das Leistungsrecht der GKV (BT-Drucks 17/6906 S 52; vgl auch BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 59 - Iscador).
Das BSG hat dementsprechend das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig hiermit vergleichbaren Erkrankung ua verneint bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 - Interstitielle Brachytherapie), bei einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sowie Suizidandrohung (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 11, 18 - Cabaseril), bei Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig eingeschränkter Lebenserwartung (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 ff - Mnesis) und bei Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden, die medikamentös mit Hilfe eines stets mitgeführten Notfallsets zu beherrschen waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen, RdNr 21; zustimmend BVerfG Beschluss vom 11.4. 2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582). Dagegen hat es bei einem zunächst operativ und dann chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich bereits mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht (BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 30 - Tomudex; zu unabdingbaren Tatsachenfeststellungen für die Beurteilung von Art und Schwere einer Krebserkrankung vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 29 - LITT; s ferner BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, dort zur pulmonalen Hypertonie Stadium NYHA IV, vom LSG nach § 163 SGG bindend bejaht; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29, Zurückverweisung an das LSG zur weiteren Aufklärung im Falle der schweren aplastischen Anämie).
b) Für den Kläger kommt nur ein Anspruch wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in Betracht. Weder ergeben sich nach den Feststellungen des LSG noch aus den Akten Hinweise auf eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit oder eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung iS eines nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl Begründung des GKV-VStG-Entwurfs, BT-Drucks 17/6906 S 53). Der erkennende Senat kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, dass der Kläger tatsächlich an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Rechtssinne leidet. Denn die getroffenen Feststellungen sind unklar und widersprüchlich. Das Revisionsgericht ist in einem solchen Fall auch ohne Rüge eines Beteiligten an die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden (vgl § 163 SGG; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 16). Es muss dementsprechend eine Sache, die sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, in die Tatsacheninstanz zurückverweisen (vgl Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 163 Anm 4a mwN).
Das LSG hat den oben aufgezeigten, vom erkennenden Senat in stRspr angewandten Maßstab für die Lebensbedrohlichkeit einer Erkrankung iS der grundrechtorientierten Auslegung und des § 2 Abs 1a SGB V ausdrücklich zitiert, aber hierzu widersprüchliche, unklare Feststellungen getroffen. Es hat ausgeführt, es stelle nicht allein auf die einzelnen, unzweifelhaft noch mit Antibiotika zu behandelnden Infektionen ab, sondern "auf die aus der Grunderkrankung resultierende Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems mit der daraus resultierenden Gefahr" des Exitus "(etwa nach Sepsis)". Diese beinhalte - auch noch unter Gabe des Immunglobulins - in Zusammenschau mit der Summe der bislang schon seit Erstdiagnose der Erkrankung im Jahr 1996 durchgemachten Infektionen die "eigentliche lebensbedrohliche Gefährdung des Klägers, bei der definitiv nicht absehbar ist, ob sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen" werde. Das "Risiko mit etwaiger Todesfolge eines dauerhaften Entzugs des Immunglobulins und der Umstellung auf eine ausschließliche Antibiotikatherapie" sei "nicht abschätzbar". Diese Feststellungen genügen nicht für die Annahme, dass dem Kläger nach den konkreten Umständen des Falles bereits droht, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf ohne IVIG-Therapie innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird.
Entgegen der Auffassung des LSG ist es hierbei ohne Belang, dass die Beklagte von 1998 bis 2008 die begehrte Therapie gewährt hat. Rechtlich begründet eine ggf rechtswidrige Leistung keinen Vertrauensschutz auf deren Fortsetzung. Eine Gewöhnung im Sinne einer medizinisch begründeten Abhängigkeit hat das LSG ebenfalls nicht festgestellt.
Soweit das LSG dem Sachverständigen Prof. Dr. G. darin gefolgt ist, dass die Erkrankung lebensbedrohlich sei, wirft dies Zweifel an der Reichweite dieser Feststellung des LSG auf. Sie steht nicht in Einklang mit den zitierten vorangegangenen Feststellungen zum rechtsbedeutsamen Maßstab der Lebensbedrohlichkeit. Zudem hat der Sachverständige seine Auffassung allein damit begründet, dass "jede Lungenentzündung zum Tode führen kann" (Gutachten vom 19.11.2013). Vergleichbares gilt, soweit sich das LSG für seine Auffassung auch auf die Aussagen des den Kläger behandelnden Arztes Prof. Dr. S. gestützt hat. Allein der Umstand, dass dieser den Zustand des Klägers als lebensbedrohlich und "extrem" beschreibt, genügt nicht, ohne dass diese Bewertung durch nachvollziehbare, - vom LSG hier nicht festgestellte - medizinische Befunde untermauert ist. Soweit das LSG Ausführungen von Prof. Dr. S. referiert, dass sich im Zusammenhang mit den Pneumonien auch immer wieder Septitiden entwickelt hätten, macht das LSG nicht deutlich, dass es diese als festgestellt ansieht, und erst recht nicht, von welchem Begriff oder Schweregrad der Sepsis es im Anschluss an Prof. Dr. S. aufgrund welcher Befunde dabei ausgeht (ältere Klassifizierungen: Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom
Der erkennende Senat ist revisionsrechtlich nicht gehalten, die sich widersprechenden Feststellungen des LSG durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen. Ausgehend von dem oben dargelegten rechtlich gebotenen Maßstab drängen sich zudem weitere Ermittlungen auf. So hat das LSG genaue Feststellungen weder zu konkreten Umständen getroffen, die Aufschluss über die konkrete Lebensbedrohlichkeit früherer stationär behandelter Pneumonien geben, noch etwa zu konkreten Umständen, die Aussagen zum Ausmaß der Überlebenswahrscheinlichkeit des Klägers bezogen auf die Grunderkrankung mit und ohne IVIG-Behandlung erlauben. Hierzu liegt nahe, die vollständigen Behandlungsunterlagen über den Kläger zumindest der letzten 15 Jahre beizuziehen und auf dieser Grundlage ergänzend Beweis durch Sachverständige zu erheben.
c) Es fehlen auch Feststellungen des LSG dazu, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung - wie die verabreichte prophylaktische Antibiotikatherapie - nicht als Standardtherapie zur Verfügung steht. Zudem fehlt es an ausdrücklichen Feststellungen dazu, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegt. Auch fehlen Feststellungen dazu, dass die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert wird und worden ist (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 23 ff - Tomudex).
4. Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben.
5. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.