Entscheidungsdatum: 07.08.2018
Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin unterzog sich 2012 einer Magenbypass-Operation (Gewichtsreduktion von 136 kg auf 86 kg). Sie ist mit ihrem Begehren, sie mit einer Abdominal- und einer Mammareduktionsplastik (MRP) zu versorgen, bei der Beklagten und den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, weder der Zustand der Bauchdecke noch der der Brüste erfüllten die Voraussetzungen einer Krankheit. Eine Entstellung liege nicht vor. Auch aus anderen Gründen seien die Operationen nicht erforderlich. Sie seien nicht geeignet, auf die Wirbelsäulenbeschwerden der ua an Morbus Forestier leidenden Klägerin heilend oder lindernd einzuwirken. Selbst wenn die Klägerin an einem myofaszialen Schmerzsyndrom leiden sollte, sei die MRP als ultima ratio wegen der bei der Klägerin bestehenden multikausalen Schmerzsituation keine erforderliche Behandlungsalternative (Urteil vom 12.12.2017).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und beantragt wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ferner hat sie erklärt: "Die Frage der ästhetischen Operationen aufgrund der Fettschürze wird nicht weiterverfolgt."
II. 1. Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil zu gewähren.
Der mittels Briefpost übersandte Beschwerdeschriftsatz der Klägerin ist beim BSG erst eine Woche nach Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) eingegangen. Nach § 67 Abs 1 SGG ist einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Beteiligen den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Die Gerichte dürfen daher bei der Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen. Die Übermittlung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Wird dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt im Besonderen für Störungen des Empfangsgeräts im Gericht. In diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristversäumnis in der Sphäre des Gerichts. Auch Störungen der Übermittlungsleitungen sind dem gewählten Übermittlungsmedium immanent, da ein Telefax nur über sie zum Empfangsgerät gelangt. Erst Leitungen und Gerät gemeinsam stellen die vom Gericht eröffnete Zugangsmöglichkeit dar. Auch bei einer Leitungsstörung versagt daher die von der Justiz angebotene Zugangseinrichtung. Der Nutzer hat mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen ist. Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern per Fax zu übermitteln, kann daher beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (vgl BVerfG
Die Klägerin war hiernach ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert. Die gebotenen Anforderungen an die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes mittels Telefaxgerät hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erfüllt. Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie am letzten Tag der Frist in der Zeit zwischen 16.55 Uhr und 21.50 Uhr bei funktionierendem eigenen Telefaxgerät und korrekter Eingabe der Telefaxnummer des BSG mehrfach erfolglos versucht hat, den Beschwerdeschriftsatz mittels Telefax zu übermitteln. Hinweise darauf, dass das gerichtseigene Telefaxgerät gestört oder defekt gewesen ist, haben sich zwar auch nicht ergeben. Die danach anzunehmende Leitungsstörung aus unbekannter Ursache ist jedoch der Klägerin nicht anzulasten, sondern der Sphäre des Gerichts zuzurechnen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigen der Klägerin noch ein anderer naheliegender zumutbarer Weg zur rechtzeitigen Übermittlung des Beschwerdeschriftsatzes zur Verfügung gestanden hat. Die Klägerin hat auch binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses, nämlich bereits am 22.2.2018, den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und die versäumte Rechthandlung nachgeholt.
2. Die Beschwerde der Klägerin ist jedoch unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Hieran fehlt es.
a) Die Klägerin legt den von ihr geltend gemachten Gehörsverstoß in Gestalt einer Überraschungsentscheidung nicht hinreichend dar.
Nach § 128 Abs 2 SGG darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können. Die Regelung erfasst einen Teilbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention
Die Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht, indem sie ausführt, es sei für sie überraschend gewesen, dass das LSG auf den bei ihr bestehenden Morbus Forestier Bezug genommen habe, obwohl selbst die Beklagte hierauf nicht zurückgegriffen habe. Sie verweist nämlich selbst darauf, der nach § 109 SGG bestellte Sachverständige Prof. Dr. R. habe sich in seinem Gutachten mit dem Morbus Forestier beschäftigt und das LSG habe sich mit diesem Gutachten in seinem Urteil auseinandergesetzt, ohne sich jedoch den Schlussfolgerungen des Sachverständigen anzuschließen. Die Klägerin greift damit und in ihren weiteren Ausführungen zu den Ursachen ihres Schmerzsyndroms nur in rechtlich unbeachtlicher Weise (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) die Beweiswürdigung des LSG an.
b) Soweit die Klägerin den Gehörsverstoß sinngemäß auf eine Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1, Abs 2 iVm Abs 3 Nr 3 SGG oder gemäß § 112 Abs 2 S 2 SGG iVm § 153 Abs 1 SGG stützen will, legt sie einen Verfahrensmangel nicht schlüssig dar. Der sich aus den genannten Vorschriften ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dementsprechenden Hinweispflichten des Gerichts beziehen sich nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen, die dem Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte (BSG Beschluss vom 27.7.1989 - 2 BU 191/88 - Juris RdNr 6). Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3; BSG Beschluss vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B - RdNr 9; BSG Beschluss vom 1.2.2017 - B 1 KR 90/16 B - Juris RdNr 7; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 105 Anm 9a mwN). Die Klägerin legt - wie oben ausgeführt - nicht dar, dass das LSG ihr unbekannte Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte in das Verfahren eingebracht hat.
c) Die Klägerin rügt zudem, das LSG hätte "ein aktuelles Gutachten über die Entwicklung der Forschung zur Mammae" einholen müssen. Dies werde hiermit ausdrücklich beantragt. Dieses Vorbringen genügt nicht den dargestellten gesetzlichen Voraussetzungen. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss insbesondere einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - Juris RdNr 5). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein - wie hier - anwaltlich vertretener Beteiligter im Verfahren formelle Beweisanträge gestellt hat, die er vor der abschließenden Entscheidung des LSG bei den Schlussanträgen zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - Juris RdNr 7). Ist ein Prozessbeteiligter rechtskundig vertreten, gilt sein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt oder im Urteil des LSG erwähnt wird (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 1.2.2013 - B 1 KR 111/12 B - RdNr 8). Daran fehlt es. Die Klägerin benennt bereits keinen Beweisantrag, den sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bei den Schlussanträgen aufrechterhalten hätte.