Entscheidungsdatum: 18.11.2014
1. Erbringt ein Sozialhilfeträger einem Sozialhilfeempfänger Krankenbehandlung mittels Beauftragung einer Krankenkasse in Unkenntnis einer bestehenden Familienversicherung, hat er als nachrangig verpflichteter Leistungsträger Anspruch auf Erstattung hierfür aufgewendeter Kosten gegen die Krankenkasse, bei der die Versicherung besteht.
2. Ist ein Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers gegen einen anderen wegen Ablaufs der Ausschlussfrist von einem Jahr ausgeschlossen, greift dagegen der Einwand unzulässiger Rechtsausübung nur bei grob rechtswidrigem Verhalten des Begünstigten.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. November 2013 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 31 102,90 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für die Krankenbehandlung eines Empfängers von Leistungen nach dem SGB XII.
K. P. (P) bezog ab 1.1.2005 vom klagenden Sozialhilfeträger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Bis 15.6.2005 war er freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse (KK) und wurde ab 16.6.2005 bei der AOK Berlin nach § 264 SGB V angemeldet. Der Kläger erstattete der AOK Berlin in der Folgezeit in den Quartalen IV/2005 bis III/2007 für Krankenbehandlung inklusive Verwaltungskosten 31 102,95 Euro (29 621,86 Euro zuzüglich 5 % Verwaltungskosten 1481,09 Euro). Der Kläger stellte im Juli 2007 fest, dass die getrennt lebende Ehefrau des P im betroffenen Zeitraum als Alg-II-Bezieherin pflichtversichertes Mitglied der Beklagten war. Er forderte die Beklagte zur Rückerstattung geleisteter Beiträge (Zeitraum 1.1.2005 bis 31.7.2005) in Höhe von 866,74 Euro (31.3.2008) sowie zur Erstattung von 31 254,81 Euro - später korrigiert auf 31 102,95 Euro - (30.7.2008) auf. Die Beklagte nahm P ab 1.1.2005 in die Familienversicherung der Ehefrau auf, erstattete dem Kläger die bis 31.7.2005 geleisteten Beiträge in Höhe von 866,74 Euro (15.8.2008), lehnte aber eine Erstattung im Übrigen unter Hinweis auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X ab (5.1.2009; 20.1.2009). Das SG hat die Klage auf Erstattung von 31 102,95 Euro nebst Zinsen abgewiesen (Urteil vom 22.7.2011). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 31 102,95 Euro verurteilt. Im Übrigen (Zinsen) hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe einen Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X. Der Anspruch sei aufgrund des Rechtsmissbrauchs der Beklagten nicht wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 111 SGB X ausgeschlossen. Die Beklagte habe es versäumt, P auf die kostenlose Familienversicherung hinzuweisen und damit auch die Pflicht zur engen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) grob verletzt. Ein Zinsanspruch bestehe hingegen nicht (Urteil vom 8.11.2013).
Der Kläger hat ein Teilanerkenntnis der Beklagten in Höhe von 123,63 Euro betreffend im dritten Quartal 2007 für den Versicherten gezahlte Kopfpauschalen angenommen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 111 SGB X. Nahezu jeder Erstattungsfall beruhe auf einer fehlerhaft beurteilten Zuständigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. November 2013 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet. Der klagende Träger der Sozialhilfe hat keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe jetzt noch streitiger 30 979,32 Euro. Der Senat ist prozessual an einer Entscheidung nicht gehindert (dazu 1.). Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ist entstanden (dazu 2.) Der Anspruch auf Erstattung ist aber nach § 111 SGB X ausgeschlossen (dazu 3.). Ein Erstattungsanspruch kann im Anwendungsbereich der §§ 102 ff SGB X auch nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, Geschäftsführung ohne Auftrag oder einen Schadensersatzanspruch gestützt werden (dazu 4.).
1. Im Revisionsverfahren fortwirkende prozessrechtliche Umstände, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen könnten, liegen nicht vor. P war nicht notwendig beizuladen. Einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedarf es im Erstattungsstreit nur dann, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 10a mwN). Hat der Berechtigte die Leistung aber bereits erhalten, kann er diese nicht noch einmal beanspruchen. Hat die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkung auf seine Rechtsposition, ist eine notwendige Beiladung nicht erforderlich (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 5 RdNr 9; Leitherer aaO). Das gilt auch im Verhältnis zwischen Sozialhilfe- und Sozialversicherungsträger (missverständlich insoweit BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7, Juris RdNr 10). So liegt der Fall hier. P hat vom Kläger bereits Sozialleistungen erhalten (dazu 2.a). Er kann diese Leistungen - unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits - weder nochmals von den hier Beteiligten beanspruchen noch kommt in Betracht, dass er dem Kläger wegen § 107 SGB X die erbrachten Leistungen erstatten muss (vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 3 mwN). Vorliegend geht es lediglich noch um die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Leistungsträgern (vgl ähnlich BSG SozR 4-2500 § 39a Nr 1 RdNr 9 mwN).
2. Der Erstattungsanspruch des Klägers entstand nach § 104 Abs 1 S 1 SGB X (idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vom 18.1.2001, BGBl I 130). Die Vorschrift regelt, dass dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig ist, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. So liegt der Fall hier. Der Kläger erbrachte im noch betroffenen Zeitraum vom 16.6.2005 bis 30.6.2007 Krankenbehandlung an P (dazu a), für die er nur nachrangig zuständig war. Vorrangig zuständiger Leistungsträger war die Beklagte (dazu b). Die übrigen Voraussetzungen für das Entstehen des Erstattungsanspruchs liegen vor (dazu c).
a) Der Kläger erbrachte für die Zeit vom 16.6.2005 bis 30.6.2007 Sozialleistungen an P, nämlich Krankenbehandlung. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 17.6.2008 entschieden hat, erbringen die KKn die Krankenbehandlung von nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Sozialhilfeempfängern nach § 264 SGB V aufgrund gesetzlichen Auftrags iS des § 93 SGB X (vgl ausführlich BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1; ihm folgend BSG SozR 4-2500 § 175 Nr 3 RdNr 31 <12. Senat>; so auch: Huck in Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2014, K § 264 RdNr 14; Krauskopf in Wagner/Knittel, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand: Juni 2010, § 264 RdNr 5; Marburger, WzS 2004, 289, 291; Peters in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 82. Ergänzungslieferung 2014, § 264 SGB V RdNr 4; Baierl in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 264 RdNr 32; Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 48 SGB XII RdNr 47; aA BSG Urteil vom 27.5.2014 - B 8 SO 26/12 R - Juris RdNr 20, vorgesehen für BSGE und SozR 4-2500 § 264 Nr 5; Sunder, Gutachten Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, NDV 2004, 320, 323; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 48 SGB XII RdNr 10; Zink/Lippert in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 48 SGB XII RdNr 43 ff, Stand April 2014; wohl auch: Zeitler, NDV 2004, 45, 46; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand April 2014, K § 48 RdNr 5; noch offen lassend, ob ein gesetzlicher Auftrag oder ein auftragsähnliches Verhältnis anzunehmen ist: BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2 RdNr 23 <8. Senat>). Insoweit überträgt § 264 SGB V den KKn - hier der AOK Berlin - in Abstimmung mit dem SGB XII die den Sozialhilfeträgern dem Grunde nach obliegende Aufgabe, die den Regelungen der GKV entsprechenden Leistungen zu gewähren (vgl § 48 SGB XII). Auf diese Weise wird nach § 264 Abs 2 SGB V die Krankenbehandlung der nicht versicherten Leistungsberechtigten nach dem SGB XII von der KK "übernommen" (vgl zum Ganzen BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1).
Auftraggeber der AOK Berlin war der Kläger, so dass die Sozialleistungen im Zuständigkeitsgefüge des SGB seinem Aufgabenbereich zuzurechnen sind. Denn allein der Kläger ist - unabhängig davon, dass die Leistungen gegenüber den Berechtigten unmittelbar von der AOK Berlin im Rahmen des dargestellten Auftragsverhältnisses bewirkt wurden - im Rechtssinne der für die Krankenbehandlung an nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfänger nach dem SGB XII zuständige Träger. Der Träger der Sozialhilfe, für den KKn - hier die AOK Berlin - auftragsgemäß Krankenbehandlung an nicht versicherte Sozialhilfeempfänger übernehmen, erbringt danach selbst Sozialleistungen (BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 LS 1). Der erkennende Senat muss wegen dieser Auslegung nicht beim 8. Senat im Hinblick auf dessen Entscheidung vom 27.5.2014 - B 8 SO 26/12 R - anfragen (§ 41 Abs 3 SGG). Dort waren nicht Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern betroffen, sondern das Bestehen einer sog "Quasiversicherung" nach § 264 Abs 2 SGB V. Soweit der 8. Senat in seiner Entscheidung ausgeführt hat, dass der Sozialhilfeträger in das unmittelbare krankenversicherungsrechtliche Leistungsgeschehen in keiner Weise eingebunden ist, ihm lediglich Meldeverpflichtungen und die Verpflichtung zur Einziehung der Krankenversichertenkarte für die KK (§ 264 Abs 5 und Abs 3 S 3 SGB V) obliegen und er keinen Statusbescheid über eine "Quasiversicherung" erlassen darf, folgt dem auch der erkennende Senat. Selbst wenn man ein Auftragsverhältnis ablehnen und lediglich ein "auftragsähnliches Verhältnis" bejahen wollte (dazu BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2 RdNr 23 <8. Senat>; BSG Urteil vom 27.5.2014 - B 8 SO 26/12 R - Juris RdNr 20), änderte dies im Übrigen nichts. Denn auch dann wären Sozialleistungen im Zuständigkeitsgefüge des SGB allein dem Aufgabenbereich des Sozialhilfeträgers zuzurechnen und die zwischen Sozialleistungsträgern geltenden Erstattungsregelungen der §§ 102 ff SGB X entsprechend anzuwenden.
b) Vorrangig zuständig für die Krankenbehandlung war die Beklagte. P hatte gegen die Beklagte im Zeitraum nach Beendigung der freiwilligen Versicherung einen Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 SGB V. Er war nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bei der Beklagten nach § 10 Abs 1 SGB V familienversichert. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Kläger war demgegenüber nachrangig zuständig für die Erbringung der Krankenbehandlung. Er war nicht - wie das LSG meint - unzuständiger Leistungsträger iS von § 105 SGB X, weil P familienversichertes Mitglied der Beklagten war. Nachrangig verpflichtet ist gemäß § 104 Abs 1 S 2 SGB X ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dies ist vorliegend der Fall. Nach § 2 Abs 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (sog Nachranggrundsatz, Selbsthilfeobliegenheit). Die Norm regelt keinen eigenständigen Ausschlusstatbestand (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1, RdNr 20; BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25; BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - Juris RdNr 13). Wenn tatsächlich keine anderen Leistungen erbracht werden, stellt die Erfüllung der Selbsthilfeobliegenheit in § 2 Abs 1 SGB XII deshalb kein ungeschriebenes (negatives) Tatbestandmerkmal eines Sozialhilfeanspruchs dar. So liegt der Fall hier. Die (vorrangig) zuständige Beklagte erbrachte im betroffenen Zeitraum keine Leistungen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch den Kläger erbrachten Leistungen bestehen nach dem Vorbringen der Beteiligten und nach Aktenlage im Übrigen nicht.
c) Der Erstattungsanspruch scheitert nicht an § 104 Abs 1 S 3 SGB X. Danach besteht kein Erstattungsanspruch, soweit der nachrangige Träger seine Leistung auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Trägers hätte erbringen müssen. Dies ist nach oben Gesagtem (1.b) gerade nicht der Fall. Hätte die Beklagte Krankenbehandlung erbracht, hätte der Kläger nicht leisten müssen. Die nach § 104 SGB X erforderliche Kongruenz (Gleichartigkeit) der Leistungen liegt ebenfalls vor. Schließlich liegen auch die einen Anspruch nach § 104 SGB X ausschließenden Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X nicht vor, weil die Leistungspflicht des klagenden Sozialhilfeträgers nicht nachträglich ab 16.6.2005 entfiel, sondern wegen der vorrangigen Pflicht der Beklagten zur Krankenbehandlung von vornherein nur nachrangig bestand.
3. Der Anspruch auf Erstattung ist für den noch betroffenen Zeitraum nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung dazu, in welchem Umfang der Erstattungsanspruch entstanden ist (§ 104 Abs 3 SGB X). Dies gilt insbesondere für die vom LSG bejahte Frage, ob die Verwaltungskosten (§ 264 Abs 7 S 2 SGB V) entgegen § 109 SGB X erstattungsfähig sind und es sich insoweit um vergleichbare Leistungspflichten der betroffenen Träger handelt (vgl dazu BSGE 84, 61, 62 f = SozR 3-1300 § 105 Nr 5 S 14 f mwN; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 19; BSGE 105, 271 = SozR 4-2500 § 40 Nr 5, RdNr 19).
Gemäß § 111 S 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Frist hat der Kläger nicht eingehalten. Die Krankenbehandlung des P erfolgte, soweit der Erstattungsanspruch noch im Streit ist, für Zeiträume bis 30.6.2007. Auf den Tag, "an" dem die Leistung erbracht wurde, kommt es demgegenüber nicht an (vgl BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4 sowie BSGE 65, 31 = SozR 1300 § 111 Nr 6, Juris RdNr 30; BSG Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - USK 2008-6, RdNr 12). Der Kläger hat den Erstattungsanspruch erst mit Schreiben vom 30.7.2008 in einer die Frist wahrenden Weise geltend gemacht. Das Schreiben vom 31.3.2008 und der Schriftverkehr unter den Beteiligten zur Familienversicherung des P genügen nicht den Anforderungen an das "Geltendmachen" des Erstattungsanspruchs.
Der Begriff des "Geltendmachens" meint im Zusammenhang mit § 111 S 1 SGB X keine gerichtliche Geltendmachung und keine Darlegung in allen Einzelheiten, sondern das Behaupten oder Vorbringen. Allerdings muss der Wille erkennbar werden, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Eine bloß "vorsorgliche" Anmeldung reicht dagegen nicht aus. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Ausschlussfrist, möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht, muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrags feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden (§ 111 S 1 SGB X), hinreichend konkret mitgeteilt sind. Da der Erstattungsanspruch iS des § 111 S 1 SGB X bereits geltend gemacht werden kann, bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat, können allgemeine Angaben genügen, die sich auf die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränken (zum Ganzen BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 5 RdNr 15 mwN).
Diesen Anforderungen genügt das Schreiben vom 31.3.2008 nicht. Der Kläger rügte darin nur die nicht durchgeführte Familienversicherung, verlangte die "Eröffnung der Familienversicherung" ab 1.1.2005 und forderte die Erstattung der für den Zeitraum vom 1.1.2005 - 15.5.2005 von ihm geleisteten Beiträge zur freiwilligen Versicherung. Weder diesem Schreiben noch dem übrigen Schriftverkehr im Zusammenhang mit der Familienversicherung ist auch nur ansatzweise der Wille zu entnehmen, hinsichtlich der für die Krankenbehandlung erbrachten Leistungen zumindest rechtssichernd tätig werden zu wollen. Erstmals mit Schreiben vom 30.7.2008 verlangte der Kläger unter Hinweis auf § 104 SGB X Erstattung und bezifferte seinen Anspruch.
Die in § 111 S 1 SGB X normierte Frist ist eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist (BT-Drucks 9/95 S 26 f). Deshalb ist es dem Erstattungsberechtigten regelmäßig verwehrt, dem Erstattungsverpflichteten, dem die Ausschlussfrist zugutekommt, unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenzuhalten (BSGE 86, 78, 83 = SozR 3-1300 § 111 Nr 8). Dieser Grundsatz findet zwar dann keine Anwendung, wenn die Versäumung der Ausschlussfrist auf ein grob rechtswidriges, zB vorsätzliches Verhalten dessen zurückzuführen ist, der durch die Ausschlussfrist begünstigt wird (BSGE 22, 257, 259 f = SozR Nr 2 zu § 143l AVAVG). Schon unter Geltung des § 111 SGB X aF hat das BSG den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung für die Fälle in Betracht gezogen, in denen der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, seinen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen (BSGE 86, 78, 83 = SozR 3-1300 § 111 Nr 8). Dies gilt erst recht nach der Änderung des § 111 S 2 SGB X (dazu unten), mit der der Gesetzgeber in gewissen Grenzen materieller (Ausgleichs-)Gerechtigkeit Vorrang vor rascher Rechtssicherheit eingeräumt hat, wie sie durch Ausschlussfristen gewährleistet wird (vgl BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 13). Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung findet dabei nicht nur im Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsträger, sondern auch im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträgern Anwendung. Diese trifft nämlich eine Pflicht zu enger Zusammenarbeit untereinander (§§ 86 ff SGB X); bei deren Verletzung besteht ein Beanstandungsrecht, bei groben Verletzungen sogar ein "Herstellungsanspruch" (zum Ganzen BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 20; BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 6 = SGb 1986, 162, 164; Seewald, SGb 1986, 133, 135 f).
Eine solche Ausnahme, die den Einwand unzulässiger Rechtsausübung rechtfertigt, liegt entgegen der Auffassung des LSG aber nicht vor. Selbst wenn der Beklagten vorgeworfen werden könnte, P falsch beraten zu haben, fehlt es an einem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und der Versäumung der Ausschlussfrist. Denn der Kläger wusste bereits im Juli 2007, dass die getrennt lebende Ehefrau des P als Alg-II-Bezieherin pflichtversichert war und dem P deshalb die Familienversicherung nach § 10 SGB V offenstand. Dennoch hat er über ein weiteres Jahr zugewartet, bis er einen Erstattungsanspruch geltend gemacht hat. Zudem hat der Kläger es selbst versäumt, die sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse bei P zu prüfen. Dies gehört schon wegen der Auswirkungen auf den Leistungsanspruch und den Leistungsbezug nach dem SGB XII zu seinen eigenen Aufgaben. Erst mit der Klärung dieser Verhältnisse kann entschieden werden, ob der Bedürftige nach § 264 SGB V bei einer KK seiner Wahl gemeldet werden muss, ob er (ggf freiwilliges) Mitglied in der GKV oder privat krankenversichert ist und schließlich, ob ggf Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 32 SGB XII zu übernehmen sind. Unterlässt der Erstattungsberechtigte entsprechende Ermittlungen und meldet er den Bedürftigen nach § 264 SGB V bei der gewählten KK an, kann er sich im Zusammenhang mit der versäumten Ausschlussfrist nicht darauf berufen, auch der Erstattungsverpflichtete habe einen Fehler gemacht. Denn ohne das eigene Fehlverhalten hätte der Kläger bereits mit Beginn der Leistung Kenntnis von der Familienversicherung haben können.
Schließlich ist die unterlassene oder fehlerhafte Beratung des P kein "grob rechtswidriges" Verhalten. Dies hat die Rechtsprechung etwa dann bejaht, wenn der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, seinen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen (BSGE 86, 78, 83 = SozR 3-1300 § 111 Nr 8). Dies zeigt, dass nicht jeder einem Sachbearbeiter eines Sozialversicherungsträgers unterlaufene Fehler genügt, sondern nur schwere Pflichtverstöße die Annahme eines groben Fehlverhaltens rechtfertigen können. Andernfalls würde die Regelung des § 111 SGB X oftmals leerlaufen, weil die von einem nachrangig zuständigen Träger erbrachte Leistung in einer Vielzahl von Fällen darauf beruht, dass der vorrangig zuständige Träger seine Zuständigkeit (vorwerfbar) fehlerhaft beurteilt hat. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann danach - um das Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht ins Gegenteil zu verkehren - nur in engen Grenzen gelten, etwa wenn die eingetretene Verzögerung kein Einzelfall wäre und auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen bei der Beklagten beruhte (BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 22). Anhaltspunkte hierfür sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen.
Zu Recht ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, dass der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht gemäß § 111 S 2 SGB X auf einen späteren Zeitpunkt als den nach § 111 S 1 SGB X maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung hinausgeschoben war. Die Regelung lautet: "Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat".
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann bei Erstattungsansprüchen von Sozialleistungsträgern untereinander eine solche, den Fristenlauf hinausschiebende Kenntnisnahme von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" nicht vorliegen, wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 LS 1 und RdNr 15 f; dem folgend BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 16 f; ebenso BSG Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - Juris RdNr 15 ff = USK 2008-6). Das ist in aller Regel der Fall, wenn - wie hier - der Versicherte die Sachleistung bereits erhalten hat. Der Bedarf des Versicherten ist insoweit - wenn auch durch einen nachrangig zuständigen Träger - bereits gedeckt worden. Der (vorrangig) zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - hat keine Befugnis mehr, gegenüber P nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistung zu bewilligen. Für einen entsprechenden Antrag des Versicherten würde es von vornherein an der dafür erforderlichen rechtlichen Betroffenheit fehlen. Denn sein Anspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ist sowohl faktisch als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X erfüllt (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 15).
4. Der Kläger hat auch weder einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder dem Recht des Auftrags bzw der Geschäftsführung ohne Auftrag noch einen wie auch immer begründeten "Schadensersatzanspruch", zB aus positiver Forderungsverletzung. Die unmittelbare oder auch nur entsprechende Anwendung des Bereicherungsrechts, der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Schadensersatzrechts scheidet aus, wenn Vorschriften des öffentlichen Rechts eine erschöpfende Regelung enthalten, die einen Rückgriff auf solche Ansprüche nicht erlaubt (zur Geschäftsführung ohne Auftrag BSGE 85, 110 = SozR 3-2500 § 60 Nr 4, Juris RdNr 19, unter Hinweis insbesondere auf BGHZ 140, 102, 109 = NJW 1999, 858, 860; vgl Urteil des 6. Senats des BSG vom 26.1.2000 - B 6 KA 59/98 R - zum abschließenden Charakter öffentlich-rechtlicher ärztlicher Gebührenordnungen). So liegt der Fall hier. Die §§ 102 ff SGB X regeln abschließend die Leistungsansprüche zwischen Leistungsträgern in einem aus dem Leistungsberechtigten, dem (vor-)leistenden und dem zuständigen Leistungsträger bestehenden Dreiecksverhältnis (Böttiger in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, Vor §§ 102-114, RdNr 17). In der Begründung zum Entwurf der §§ 102 ff SGB X (BT-Drucks 9/95 S 24, Vor §§ 108 ff des Entwurfs) heißt es: "Mit diesen Vorschriften wird zum erstem Mal eine geschlossene Lösung für die schwierigen Fragen vorgelegt, welche Erstattungsansprüche bestehen und wie ihr Verhältnis untereinander ist. ...". Die §§ 102 bis 105 SGB X stellen einen öffentlich-rechtlich normierten Fall des Aufwendungsersatzes bei Führung eines fremden Geschäfts nach §§ 670, 683 BGB bzw der ungerechtfertigten Bereicherung nach §§ 812 ff BGB dar (vgl dazu BSG Urteil vom 29.5.1991 - 9a RV 10/90 - Juris RdNr 9). Im Anwendungsbereich der §§ 102 ff SGB X kann dementsprechend ein Erstattungsanspruch auch dann nicht auf andere denkbare Anspruchsgrundlagen gestützt werden, wenn der Anspruch nach §§ 102 ff SGB X an § 111 SGB X scheitert.