Entscheidungsdatum: 14.01.2019
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 26. Juli 2017 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Der am 27. September 1966 geborene Kläger ist seit 1995 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 10. Februar 2016 widerrief die Beklagte die Zulassung wegen Vermögensverfalls. Der Bescheid ist dem Kläger im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Auf dem Umschlag der Sendung ist das Datum der Zustellung nicht vermerkt. Die Zustellungsurkunde weist den 17. Februar 2016 als Tag der Zustellung aus. Das Feld "Unterschrift des Zustellers" weist einen unleserlichen Schriftzug, möglicherweise nur eine Paraphe auf. Die am 21. März 2016 beim Anwaltsgerichtshof eingegangene Klage des Klägers gegen diesen Bescheid ist als unzulässig verworfen worden. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2018 - AnwZ (Brfg) 5/18, NJW 2018, 2645 Rn. 16). Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die Klagefrist des § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht eingehalten.
a) Die Klagefrist begann mit der in § 34 BRAO vorgeschriebenen Zustellung des Widerrufsbescheids. Das Verfahren der Zustellung ist in der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht gesondert geregelt. Gemäß § 32 BRAO, § 41 Abs. 5 VwVfG, § 3 Abs. 2 VwZG gelten für die Ausführung der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Ist eine Zustellung durch Übergabe an den Empfänger (§ 177 ZPO) oder eine Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen (§ 178 ZPO) nicht möglich, kann eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 ZPO erfolgen. Zum Nachweis der Zustellung ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen (§ 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zu unterscheiden sind die Ersatzzustellung als solche (§ 180 Satz 1 ZPO), der Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 180 Satz 3 ZPO) und die dem Nachweis der Zustellung dienende Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO). Die Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 ZPO erfolgt durch Einlegen des Schriftstücks in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung. Mit der Einlegung des Schriftstücks gilt das Schriftstück als zugestellt. Der in § 180 Satz 3 ZPO vorgeschriebene Vermerk unterrichtet den Empfänger über den Zeitpunkt der Zustellung (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 22 zu § 182 Abs. 2 ZPO-E). Die Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) dient dem Nachweis der Zustellung, ist aber nicht konstitutiver Bestandteil der Zustellung (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2018 - XII ZB 138/18, NJW 2018, 2802 Rn. 5 mwN).
b) Der Anwaltsgerichtshof hat die fehlende Unterschrift der Zustellerin auf der Zustellungsurkunde für unschädlich gehalten und eine Zustellung durch Einlegung der Sendung in den Briefkasten des Klägers am 17. Februar 2016 für erwiesen erachtet. Der Kläger hält demgegenüber die Zustellung für unwirksam und den Beweiswert der Zustellungsurkunde gänzlich für beseitigt, insbesondere deshalb, weil die fehlende Unterschrift auch nicht nachgeholt worden sei. Beides trifft nicht zu.
aa) Die unvollständige Beurkundung der Zustellung ändert nichts an deren Wirksamkeit. Die Beurkundung des Zustellungsvorgangs nach § 182 ZPO dient nur dem Nachweis der Zustellung. Sie ist nicht konstitutiver Bestandteil der Zustellung. Das folgt aus dem klaren Wortlaut des § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO, war vom Gesetzgeber so gewollt (vgl. die amtliche Begründung des Entwurfs eines Zustellungsreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4554, S. 15 zu § 166 Abs. 1 ZPO-E) und entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19. Juli 2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rn. 26; Beschluss vom 11. Juli 2018, aaO; zustimmend etwa Prütting/Gehrlein/Tombrink, ZPO, 10. Aufl., § 182 Rn. 4; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 15. Aufl., § 182 Rn. 1). Der Kläger selbst bestreitet nicht, dass der den Widerrufsbescheid vom 10. Februar 2016 enthaltende Umschlag in den Briefkasten seiner Kanzlei eingelegt worden ist. Im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof hat er vorgetragen, er sei vom 15. bis zum 19. Februar 2016 wegen Krankheit gehindert gewesen, seine Kanzleiräume aufzusuchen, und die Kanzlei sei auch nicht anderweitig besetzt gewesen. Am 19. Februar 2016 habe er die Sendung vorgefunden.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers lässt die fehlende Unterschrift der Zustellerin nicht zwingend jeden Beweiswert der Zustellungsurkunde entfallen. Inwiefern äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht gemäß § 419 ZPO nach freier Überzeugung. Davon ist der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgegangen. Die fehlende Unterschrift schließt nicht aus, dass der Tag der Zustellung richtig beurkundet worden ist. Das gilt unabhängig davon, ob die Unterschrift nachgeholt worden ist oder nicht. Der Kläger selbst hat für möglich gehalten, dass die Sendung am 17. Februar 2016 in den Briefkasten eingelegt worden ist.
c) Der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 180 Satz 3 ZPO) führt ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.
aa) Die Vorschrift des § 180 ZPO unterscheidet zwischen der Zustellung, welche gemäß § 180 Satz 2 ZPO durch die Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten bewirkt wird, und dem Vermerk über das Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO). Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht dagegen, den Vermerk als zwingende Voraussetzung einer Zustellung anzusehen. Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll der Vermerk den Empfänger auf den Beginn einer durch die Zustellung in Gang gesetzten Frist hinweisen (BT-Drucks. 14/4554, S. 22 zu § 182 Abs. 2 ZPO-E). Dieser Hinweis ist deshalb erforderlich, weil die Zustellungsurkunde mit dem darauf vermerkten Zustellungsdatum unverzüglich der Geschäftsstelle übermittelt wird. Wörtlich heißt es in der Begründung weiter (aaO): "Fehlt der Vermerk des Zustellungsdatums oder weicht dieses von dem auf der Zustellungsurkunde ausgewiesenen Datum ab, ist die Zustellung dennoch wirksam. Das Gericht hat diesen Umstand aber bei der Prüfung, ob und wann das Schriftstück als zugestellt gilt, zu berücksichtigen". In den Kommentierungen zu den §§ 180, 182 ZPO besteht folgerichtig Einigkeit darüber, dass das Fehlen des Vermerks gemäß § 180 Satz 3 ZPO keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Zustellung hat (vgl. etwa MünchKomm-ZPO/Häublein, 5. Aufl., § 180 Rn. 7; Zöller/Schultzky, ZPO, 32. Aufl., § 180 Rn. 9; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 180 Rn. 4, § 182 Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Rohe, ZPO, 4. Aufl., § 180 Rn. 11, § 182 Rn. 33; Dörndorfer in BeckOK ZPO, Stand 1. Dezember 2018, § 180 Rn. 3; ebenso: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. August 2018 - 2 Rb 8 Ss 387/18, juris, VGH Mannheim, VBlBW 2016, 328; jeweils mwN). Zum Schutz des Zustellungsempfängers ist die Nichtigkeitsfolge nicht erforderlich. Versäumt er wegen eines fehlenden oder fehlerhaften Vermerks eine Frist, kann ihm bei fehlendem Verschulden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
bb) Demgegenüber verweist der Kläger auf einen Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 6. Mai 2014 (GrS 2/13, NJW 2014, 2524), in welchem die gegenteilige Auffassung vertreten werde. Ebenso wie der Anwaltsgerichtshof hält der erkennende Senat aus den soeben genannten Gründen diese Auffassung nicht für richtig.
d) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 60 Abs. 1 VwGO) hat der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend abgelehnt. Eigener Darstellung nach war die Kanzlei des Klägers vom 15. bis zum 19. Februar 2016 nicht besetzt. Die nicht mit einem Datum versehene Sendung konnte - für den Kläger, der damals noch Rechtsanwalt war, erkennbar - an jedem Tag des genannten Zeitraums zugestellt worden sein. Auf eine fehlende Kenntnis der Vorschrift des § 180 Satz 3 ZPO kann der Kläger sich nicht berufen.
Soweit der Kläger vorträgt, er habe sich im Hinblick auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 6. Mai 2014 (NJW 2014, 2524) in einem unvermeidbaren, jedenfalls aber entschuldbaren Rechtsirrtum über den Fristbeginn bei fehlender Datumsangabe befunden, weil er auf die Richtigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung habe vertrauen dürfen, ist dieser Vortrag verspätet. Gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist müssen auch die Tatsachen substantiiert und schlüssig vorgebracht werden, aus denen sich die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung ergeben (BVerwGE 49, 252, 254 mwN; OVG Hamburg, Urteil vom 28. Juni 2018 - 1 Bf 92/17.A, juris Rn. 115; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 60 Rn. 29). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 1. Mai 2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat seinen Antrag damit begründet, dass er von einer Zustellung am 19. Februar 2016 ausgegangen sei, weil er das Schriftstück an diesem Tage vorgefunden habe; dass die Zustellung bereits zuvor erfolgt sei, habe er erst aus der Klageerwiderung der Beklagten erfahren. Auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs und ein hierdurch gewecktes Vertrauen hat er sich erstmals mit Schriftsatz vom 20. Juli 2017 berufen. Fristgerecht vorgetragene Tatsachen können nachträglich erläutert und ergänzt werden. Ein Nachschieben von Gründen nach Fristablauf ist demgegenüber unzulässig (BVerwG, DÖV 1981, 636 mwN).
2. Die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nach der Antragsbegründung, an welche der Senat gebunden ist, nicht erfüllt.
a) Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 53/16, juris Rn. 21 mwN).
b) Der Kläger verweist allein auf den Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 6. Mai 2014 (NJW 2014, 2524), in welchem die Vorschrift des § 180 Satz 3 ZPO als zwingende Zustellungsvorschrift bezeichnet werde, deren Verletzung nur nach § 189 ZPO heilbar sei. Auf diesem Rechtssatz beruht die genannte Entscheidung jedoch nicht. Sie betraf nur die Frage des Zeitpunkts der Mitteilung einer fehlerhaften Zustellung (BFH, NJW 2014, 2524 Rn. 64). Die Einordnung des § 180 Satz 3 ZPO als zwingende Zustellungsvorschrift stellte eine Vorfrage dar, deren Beantwortung der vorlegende Senat dem Großen Senat vorgegeben hatte. Der Große Senat hat zwar mitgeteilt, dass er die Ansicht des vorlegenden Senats teile; vorrangig hat er sich jedoch insoweit für gebunden gehalten (BFH, aaO Rn. 63).
c) Damit lässt sich die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage im vorliegenden Rechtsstreit nicht abschließend klären. Die Voraussetzungen einer Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. § 2 Abs. 1 RsprEinhG) liegen nicht vor. Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats ist einzuholen, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichts abweichen will. Die Rechtsfrage muss jedoch sowohl für den erkennenden Senat in der anhängigen Sache als auch für den divergierenden Senat in der bereits entschiedenen Sache entscheidungserheblich sein (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R, juris Rn. 22 mwN).
d) Die vom Kläger formulierte Frage nach dem Zeitpunkt der Zustellung stellt sich nicht, weil der Senat, wie gezeigt, nicht von einer zwingenden Zustellungsvorschrift ausgeht. Der fehlende Vermerk steht einer wirksamen Zustellung nicht entgegen; der Zeitpunkt der Zustellung kann sich aus der Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) oder aus den sonstigen Umständen des Falles ergeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
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