Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 23.05.2016


BVerwG 23.05.2016 - 7 B 47/15

Informationszugangsverweigerung wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Funktionsfähigkeit


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
23.05.2016
Aktenzeichen:
7 B 47/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:230516B7B47.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 18. August 2015, Az: 15 A 2856/12, Urteilvorgehend VG Köln, 22. November 2012, Az: 13 K 317/12, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

I

1

Der Kläger - ein Rechtsanwalt - begehrt Informationen über den Abschnitt der Hausrechtsrichtlinie des Präsidenten des Landgerichts Köln, der die "Rückgabe eines einbehaltenen Gegenstands infolge allgemeiner Zutrittskontrolle" betrifft. Ihm war als Nebenklagevertreter in einem Strafverfahren bei einer Einlasskontrolle ein Schlüsselanhänger abgenommen worden, an dem ein sog. "Leatherman micra tool" mit einem kleinen Taschenmesser befestigt war.

2

Das Verwaltungsgericht gab der Klage auf Informationszugang zu Abschnitt B. II. Abs. 4 bis 6 der Hausrechtsrichtlinie mit der Maßgabe statt, dass der Beklagte die Wörter, aus denen auf den Aufbewahrungsort der einbehaltenen Gegenstände geschlossen werden könne, schwärzen dürfe. Hinsichtlich der Absätze 5 und 6 hat der Beklagte die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung zurückgenommen; im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht seiner Berufung stattgegeben und die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Zugang zu Abschnitt B. II. Abs. 4 der Hausrechtsrichtlinie sei nach § 6 Satz 1 Buchst. a IFG NRW ausgeschlossen. Das Bekanntwerden der begehrten Informationen beeinträchtige die öffentliche Sicherheit, zu der auch die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen gehöre.

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Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

5

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt nicht in Betracht.

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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

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Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"Verstößt ein (Ober-)Verwaltungsgericht gegen die Amtsaufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO und verletzt es den Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es bei einem Informationszugangsstreit die Geheimhaltungsbedürftigkeit streitiger Dokumentenstellen wegen Belangen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung im Sinne von § 6 Satz 1a) IFG NRW (insoweit identisch mit § 3 Nr. 2 IFG) bejaht, gestützt auf bestrittenes Parteivorbringen der beklagten Behörde, ohne zuvor gem. § 99 Abs. 2 VwGO das von der Klägerseite beantragte "in-camera"-Verfahren durchzuführen, um im Zwischenverfahren zunächst auch nur den Versuch einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zu unternehmen, ob die Informationserteilung überhaupt geeignet ist, zumindest eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und/oder Ordnung herbeizuführen?",

ist - soweit sie sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (UA S. 17), bereits geklärt.

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Danach besteht in Streitigkeiten um Informationszugangsrechte keine generelle Pflicht zur Durchführung eines "in-camera"-Verfahrens; das Hauptsacheverfahren wird nicht gleichsam automatisch in das "in-camera"-Verfahren verlagert. Das gilt nicht nur für prozedurale Geheimhaltungsgründe, die sich aus dem jeweiligen den Informationszugang regelnden Fachgesetz ergeben und die - unabhängig vom Inhalt der Akten - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten und Unterlagen zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. Der konkrete Akteninhalt muss auch für die Feststellung materieller Geheimhaltungsgründe nicht zwingend rechtserheblich sein. Das Gericht der Hauptsache ist deshalb gehalten, vor Erlass eines Beweisbeschlusses zunächst die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um den Sachverhalt aufzuklären und festzustellen, ob über das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe gegebenenfalls auch ohne Einsicht in die betreffenden Unterlagen entschieden werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7, vom 2. November 2010 - 20 F 2.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 12 f., vom 6. April 2011 - 20 F 20.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 63 Rn. 8 f. und vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 5 f.).

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Zu diesem Zweck muss die Behörde, die den grundsätzlich gegebenen Informationszugang versagen will, soweit dies unter Wahrung der von ihr behaupteten Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen möglich ist, in nachvollziehbarer Weise Umstände darlegen, die auch für den Antragsteller, der die Informationen gerade nicht kennt, den Schluss zulassen, dass die Voraussetzungen des in Anspruch genommenen Versagungsgrundes vorliegen (BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 18.12 - Buchholz 404 IFG Nr. 13 Rn. 19). Eine Einsicht in die zurückgehaltenen Unterlagen wird nur dann entscheidungserheblich, wenn die Angaben der Behörde - unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Erörterung der Sach- und Rechtslage - für eine Prüfung der fachgesetzlichen Ausnahmegründe nicht ausreichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7).

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Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf oder die Notwendigkeit, die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Revisionsverfahren zu überprüfen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Aus dem Hinweis auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 und vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115, 205) folgt nichts anderes. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass zu den sachlichen Gründen, die eine Einschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG rechtfertigen können, auch berechtigte Geheimhaltungsinteressen gehören (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <124 f., 127 ff.>). Soweit die Beschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf daraus ableiten will, dass die ergänzenden behördlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung zur abstrakten Umschreibung des Regelungsgegenstandes von Abschnitt B. II Abs. 4 der Hausrechtsrichtlinie ("flankierende Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit") vom Kläger bestritten worden seien, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Kläger diese Angaben ausweislich des Sitzungsprotokolls - anders als etwa die Angaben zu der für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblichen Lage des Rückgabeortes - nicht in Abrede gestellt hat (vgl. S. 2 und 3 des Sitzungsprotokolls).

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2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

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Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 VwGO), sondern sein Urteil unter Vernachlässigung des klägerischen Vorbringens, insbesondere der Hilfsbeweisanträge auf Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im Landgericht Köln sowie auf Einleitung eines "in-camera"-Verfahrens, auf unzureichende und bestrittene Darlegungen des Beklagten gestützt und dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt, greift nicht durch.

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Der Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) beruht, ist die materiell-rechtliche Beurteilung der Vorinstanz zugrunde zu legen (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 8 B 98.10 - juris Rn. 3). Davon ausgehend musste sich dem Oberverwaltungsgericht weder die Notwendigkeit eines "in-camera"-Verfahrens noch einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im Landgericht Köln aufdrängen. Nach der - auf die o.a. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützten - Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts war vor der Einleitung eines "in-camera"-Verfahrens zunächst zu prüfen, ob bereits anhand des konkreten Inhalts der zur Verfügung stehenden Akten bzw. mittels der dazu gemachten behördlichen Angaben verifiziert werden kann, dass ein Ablehnungsgrund hinsichtlich der nicht zur Verfügung stehenden (Teile der) Information vorliegt (UA S. 16 unten). Dies hat das Oberverwaltungsgericht bejaht (UA S. 17 unten). Auf die Einsicht in den noch streitgegenständlichen Teil der Hausrechtsrichtlinie kam es daher für das Oberverwaltungsgericht nicht an. Das Vorbringen der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe die Angaben des Beklagten zu Absatz 4 nicht für plausibel halten dürfen, weil der Beklagte hinsichtlich der ursprünglich ebenfalls als geheimhaltungsbedürftig deklarierten Absätze 5 und 6 des Abschnitts B. II. der Hausrechtsrichtlinie freiwillig auf den Geheimhaltungsschutz verzichtet habe, liegt neben der Sache. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (S. 2 f.) hat der Beklagte die Berufung hinsichtlich der Absätze 5 und 6 zurückgenommen, nachdem das Oberverwaltungsgericht ihn darauf hingewiesen hatte, dass es den Versagungsgrund des § 6 Satz 1 Buchst. a IFG NRW insoweit nicht als gegeben erachte.

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Von einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im Landgericht Köln konnte das Oberverwaltungsgericht schon deshalb absehen, weil es von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht relevant war, ob der Rückgabeort für einbehaltene Gegenstände vor oder hinter einer Sicherheitsschleuse liegt (UA S. 15).

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Der gerügte Gehörsverstoß liegt ebenfalls nicht vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet nur, dass das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen wird, nicht aber, dass das Gericht der Ansicht eines Beteiligten folgt (BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a. - BVerfGE 64, 1 <12>). Einen Verstoß gegen diese Grundsätze zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit den Hilfsbeweisanträgen des Klägers befasst und näher begründet, warum es die begehrte Beweiserhebung nicht für erforderlich hält (UA S. 16 ff.).

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Schließlich ist auch für die von der Beschwerde geltend gemachte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nichts ersichtlich. § 108 Abs. 1 VwGO enthält als prozessrechtliche Vorschrift Vorgaben, die den Vorgang der Sachverhalts- und Beweiswürdigung steuern. Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Die Einhaltung der daraus folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht darauf überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob die Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO daher grundsätzlich nicht begründen. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz stellt jedoch dann einen Verfahrensfehler dar, wenn das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt, etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht, aktenwidrige Tatsachen annimmt oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (BVerwG, Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - 8 B 98.10 - juris Rn. 8 und vom 13. Januar 2016 - 7 B 3.15 - juris Rn. 22 m.w.N.). Eine solche Ausnahmesituation legt die Beschwerde aber nicht dar.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.