Entscheidungsdatum: 18.07.2011
Auch nach Abschluss des laufenden Verfahrens kann der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG dem Anspruch auf Informationszugang entgegenstehen.
I.
Der Kläger begehrt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Einsicht in Protokolle von Sitzungen der nach § 16 LFGB gebildeten Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission. Sein Antrag wurde vom Vorsitzenden der Kommission abgelehnt. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Die Berufung des Klägers, mit der nicht mehr über die Mitteilung der Ergebnisse, sondern nur noch über Informationen zum übrigen Beratungsverlauf zu entscheiden war, hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes sei zwar eröffnet; insbesondere sei die Kommission eine Behörde des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Der Informationsanspruch des Klägers sei aber nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG ausgeschlossen. Die Protokolle der Kommission und ihrer Ausschüsse beträfen, soweit sie noch in Streit stünden, vertrauliche behördliche Beratungen; die Geschäftsordnung der Kommission schreibe vor, dass deren Sitzungen nichtöffentlich und die Mitglieder sowie die hinzugezogenen Sachkenner zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Die Vertraulichkeit der Beratungen werde durch ein Bekanntwerden der Sitzungsprotokolle beeinträchtigt. Insoweit bedürfe es einer ernsthaften, konkreten Gefährdung der geschützten Belange. An die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung seien dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer die möglicherweise eintretende Beeinträchtigung sei. Angesichts der besonderen Zusammensetzung der Kommission und der ihr zugewiesenen Aufgabe seien an den Grad der Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung keine hohen Anforderungen zu stellen. Wegen der Bedeutung, die den von der Kommission nach § 15 Abs. 2 LFGB beschlossenen Leitsätzen für den Rechtsverkehr zukämen, bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass die Beratungen in der Kommission auf einer analytisch-sachlichen Ebene verblieben. Eine unabhängige und unbefangene Beratung wäre aufgrund der drohenden öffentlichen Diskussion erheblich erschwert. Der Vertraulichkeitsschutz gelte nicht nur für einen beschränkten Zeitraum, sondern müsse über die Entscheidungsfindung hinausreichen. Zur Sicherstellung einer effektiven Kommissionsarbeit solle für deren Mitglieder kontinuierlich eine Atmosphäre der Offenheit und Unbefangenheit gewährleistet sein. Hier bestehe teilweise eine Personenidentität mit der vorangegangenen Berufungsperiode; auch in sachlicher Hinsicht gehe es nicht um abgeschlossene Vorgänge. Ein Anspruch auf Einsicht folge auch nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Revision ist nicht wegen des allein in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
1. Die vom Kläger sinngemäß als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob der Schutz der Vertraulichkeit des Beratungsprozesses nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG über das Ende des laufenden Verfahrens hinaus Berücksichtigung finden könne, rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Denn diese Frage ist im Sinne der vom Oberverwaltungsgericht vertretenen - bejahenden - Rechtsansicht zu beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Angesichts des Schutzzwecks der Vorschrift ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die allein in § 3 Nr. 3 Buchst. a IFG erwähnte "notwendige Vertraulichkeit" auch auf die behördlichen Beratungen zu beziehen ist. Mit der Formulierung "solange" wird deutlich gemacht, dass der Informationszugang grundsätzlich nur aufgeschoben ist. Die Dauer des Aufschubs bestimmt sich danach, ob der Schutz der Vertraulichkeit weiterhin eine Offenlegung der Beratungsinterna verbietet. Entgegen der Ansicht des Klägers bildet dabei der Abschluss des laufenden Verfahrens keine unüberwindbare zeitliche Grenze. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich hierfür nichts entnehmen. Soweit dort "laufende Verfahren" erwähnt werden (BTDrucks 15/4493 S. 12), bezieht sich dies auf § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG. Dieser auf den Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses gerichtete Ablehnungsgrund entfällt nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens (vgl. Schoch, IFG, 2009, § 4 Rn. 31 f.; Rossi, IFG, 2006, § 4 Rn. 16). Rückschlüsse auf die zeitliche Begrenzung des parallel anwendbaren eigenständigen Ausschlusstatbestands nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG lässt dies aber nicht zu. Denn die hierdurch geschützten innerbehördlichen Beratungen, die auf eine offene Meinungsbildung und einen freien Meinungsaustausch angelegt sind, können wegen des Wissens um eine - auch nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens erfolgende - Offenlegung etwa der einzelnen Beiträge und Meinungsbekundungen im Beratungsprozess beeinträchtigt werden (vgl. Schoch, a.a.O., § 3 Rn. 130; siehe auch Wegener, NZS 2008, 561 <566 f.>).
Auch hinsichtlich der speziell auf die Vertraulichkeit der Beratungen der Lebensmittelbuch-Kommission bezogenen Fragestellung wird ein Klärungsbedarf nicht dargetan.
Es versteht sich von selbst, dass sich die Frage nach einer Fortdauer des Vertraulichkeitsschutzes nach den konkreten Verhältnissen des jeweiligen Sachbereichs beantwortet und es einer inhaltlichen Ausrichtung an den Kriterien für einen dem parlamentarischen Informationsrecht entzogenen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. März 2004 - 2 BvK 1/01 - BVerfGE 110, 199 <215> und vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 - BVerfGE 124, 78 <121 f.>) nicht bedarf. In der Gesetzesbegründung wird dieser lediglich beispielhaft bei den Erläuterungen zu § 4 erwähnt (BTDrucks 15/4493 S. 12).
Zwingende unionsrechtliche Vorgaben gebieten nicht eine strikte zeitliche Begrenzung der Informationsverweigerung. Dabei kann dahinstehen, ob die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit - BasisVO - (ABl Nr. L 31 S. 1) so zu verstehen ist, dass sie ganz allgemein organisatorische Strukturen und Verfahren fordert, die "ein Höchstmaß an Transparenz" gewährleisten. Denn eine umfassende Veröffentlichungspflicht obliegt nach Art. 38 Abs. 1 BasisVO lediglich der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Spezielle auf den sonstigen Gesetzesvollzug bezogene Informationszugangsrechte gewährt die Verordnung demgegenüber gerade nicht. Deswegen gelten insoweit im Rahmen der allein durch das Äquivalenzgebot und das Effektivitätsgebot begrenzten Organisations- und Verfahrensautonomie die allgemeinen mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften, die im Übrigen bei den Ausschlussgründen nach § 3 IFG eine Abwägungsentscheidung nicht vorsehen.
Schließlich legt die Beschwerde auch nicht dar, dass das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG zu der vom Kläger für zutreffend gehaltenen Auslegung führen müsste. Dieses Grundrecht schützt den Zugang zu Informationen, die aus allgemein zugänglichen Quellen stammen. Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist, allgemein, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Während diese Eignung sich allein nach den tatsächlichen Gegebenheiten richtet, hängt das Kriterium der Allgemeinbestimmung von der Entscheidung des berechtigten Trägers der Informationsquelle ab. Der Bestimmungsberechtigte kann dabei sein Recht in differenzierter Weise ausüben. Dies gilt auch für den Staat, der im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse Art und Umfang des Zugangs festlegen kann (BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 1 BvR 2623/95 u.a. - BVerfGE 103, 44 <60 f.>). Das Grundrecht ist demnach, was den Zugang zu amtlichen Informationen angeht, auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angewiesen (vgl. etwa Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 3 Rn. 76), der bereits in der Grundnorm des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG den Informationsanspruch zwar voraussetzungslos, aber nicht grenzenlos gewährt hat. Wie die insoweit gegebene Normgeprägtheit des Schutzbereich des Grundrechts im Einzelnen zu verstehen ist (siehe dazu Schoch, a.a.O., Einl. Rn. 153 ff., 157 f., m.w.N.) und ob sie dazu führt, dass jegliche fehlerhafte Anwendung des Gesetzesrechts, die eine rechtswidrige Verweigerung des Informationszugangs zur Folge hat, zugleich einen Verfassungsverstoß darstellt (so Möstl, in: Leible
2. Mit der des Weiteren der Sache nach aufgeworfenen Frage, welche Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Vertraulichkeit der Beratungen der Lebensmittelbuch-Kommission zu stellen sind, wird ein Klärungsbedarf ebenso wenig aufgezeigt.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass es im jeweiligen Einzelfall einer Prognose bedürfe, ob durch das Bekanntwerden der Informationen die notwendige Vertraulichkeit der behördlichen Betrachtungen beeinträchtigt werde. Erforderlich sei eine ernsthafte konkrete Gefährdung der geschützten Belange. An die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung seien dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer die eintretende Beeinträchtigung sei. Diese vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Differenzierung des Grades der Wahrscheinlichkeit entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Recht der Gefahrenabwehr (vgl. etwa Urteile vom 26. Juni 1970 - BVerwG 4 C 99.67 - Buchholz 445.4 § 34 WHG Nr. 2, vom 26. Februar 1974 - BVerwG 1 C 31.72 - BVerwGE 45, 51 <61> = Buchholz 310 § 30 VwGO Nr. 8 und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356> = Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 71; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 - 1 BvR 518/02 - BVerfGE 115, 320 <360 f.>, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 u.a. - BVerfGE 120, 378 <429>); sie bedarf als solche nicht der Überprüfung in einem Revisionsverfahren. Dieser Grundsatz beruht im Bereich der Eingriffsverwaltung zwar auf dem - auch - grundrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsprinzip (Urteil vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39>= Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 80a). Unabhängig von diesem Ausgangspunkt beansprucht er aber beim Schutz öffentlicher Interessen gleichermaßen Geltung.