Entscheidungsdatum: 25.09.2018
1. Bei der Ermessensentscheidung nach § 31 Satz 1 BtMG sind gemäß § 31 Satz 3 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 2 StGB alle strafzumessungsrelevanten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.
2. Die Gründe für ein Versäumen des Präklusionszeitpunktes (§ 46b Abs. 3 StGB) sind ohne Bedeutung.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 2018 aufgehoben, soweit von Strafe abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen schuldig gesprochen. Von der Verhängung einer Strafe hat es nach § 31 BtMG abgesehen. Gegen die Absehensentscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer hierauf beschränkten Revision. Die getroffene Einziehungsentscheidung hat sie hingegen nicht angegriffen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Wesentlichen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten A. im Zeitraum von Herbst 2015 bis Sommer 2016 gewinnbringend insgesamt anderthalb Kilogramm Marihuana, ein Kilogramm Crystal und 80 Gramm Kokain. Weitere, ebenfalls zum gemeinsamen Weiterverkauf bestimmte 498,3 Gramm Crystal wurden bei A. sichergestellt. Der Erlös aus den Betäubungsmittelgeschäften belief sich auf 60.580 Euro.
2. Die Entscheidung, wegen der vom Angeklagten geleisteten Aufklärungshilfe nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG von Strafe abzusehen, hat das Landgericht auf folgende Feststellungen gestützt:
Nachdem der Angeklagte auf frischer Tat von der Polizei gestellt und verhaftet worden war, räumte er die abgeurteilten, den Strafverfolgungsbehörden bis dahin lediglich teilweise bekannten Taten umfassend ein. Zudem machte er detaillierte Angaben zu weiteren Tatbeteiligten und dem Lieferanten der tatgegenständlichen Betäubungsmittel. In der Folge offenbarte er Straftaten des in der örtlichen Drogenszene tätigen R. und benannte dessen Abnehmer. Kurz nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 22. Januar 2018 gab er Wissen über eine weitere im Betäubungsmittelhandel verstrickte Gruppierung um die gesondert Verfolgten Ri. und K. preis.
Die Angaben des Angeklagten führten in Bezug auf die Tatbeteiligten sowie die Gruppe um R. zu Festnahmen, Anklagen und Verurteilungen in erster Instanz.
II.
Die Revision ist wirksam auf das Absehen von Strafe beschränkt.
1. Das Fehlen von Feststellungen zu den Wirkstoffmengen der verkauften Betäubungsmittel (Marihuana und Kokain) in den Fällen 1 bis 4 stellt die Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch nicht in Frage. Denn Menge und Preis der verkauften Betäubungsmittel (mindestens je 200 Gramm Marihuana zum Preis von sieben Euro pro Gramm und mindestens je 20 Gramm Kokain zum Preis von 80 Euro pro Gramm) tragen die Feststellung, dass in allen Fällen der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 – 5 StR 622/17 Rn. 10; vom 16. Januar 2003 – 1 StR 473/02, NStZ 2003, 434).
2. Die Einziehungsentscheidung und die – rechtlich bedenkliche – Nichtanordnung der Einziehung des Wertes des Tatertrages (§ 73c StGB) in Form des Erlöses aus den Betäubungsmittelverkäufen sind nicht vom Rechtsmittelangriff erfasst. Zwar wendet sich die Staatsanwaltschaft im Revisionsantrag ohne Einschränkung gegen den Rechtsfolgenausspruch. In den Ausführungen zur Begründung des Rechtsmittels hat sie aber deutlich gemacht, dass allein die Anwendung des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG und das darauf beruhende Absehen von Strafe angegriffen werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2017 – 2 StR 47/17, NStZ-RR 2017, 201 mwN).
III.
Die Entscheidung des Landgerichts, von Strafe abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
1. Das angefochtene Urteil lässt schon nicht erkennen, dass die Strafkammer diese Entscheidung aufgrund der erforderlichen Gesamtwürdigung vorgenommen hat.
Gemäß § 31 Satz 3 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 2 StGB ist bei der Ermessensentscheidung nach § 31 Satz 1 BtMG die geleistete Aufklärungshilfe konkret zur Schwere der Straftat und der Schuld des Täters ins Verhältnis zu setzen. Dabei darf das Tatgericht nicht nur aufklärungsspezifische Kriterien in den Blick nehmen. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 426/12, StV 2013, 629, 630; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1056, 1793; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 31 Rn. 66 ff.).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Denn das Landgericht hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten und deren Auswirkungen für sein künftiges Leben darzustellen (UA S. 26 f.). Hingegen ist den Urteilsgründen namentlich nicht zu entnehmen, dass es die erhebliche einschlägige Vorstrafe des Angeklagten, die Tatbegehung unter laufender Bewährung und den Umfang des teils mit „harten“ Drogen betriebenen Handels in die gebotene Abwägung einbezogen hat.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nur insoweit zutreffend angenommen, als der Angeklagte weitere Beteiligte und seine Lieferanten belastet hat. Im Übrigen hat es bei der Beurteilung des Aufklärungserfolges im Sinne dieser Vorschrift einen rechtlich unzutreffenden Maßstab angelegt.
a) Betrifft das vom Täter offenbarte Wissen eine unter seiner Beteiligung begangene Tat, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung über die Aufdeckung des eigenen Tatbeitrags hinaus erstrecken (§ 31 Satz 2 BtMG). Das Landgericht hätte daher das Geständnis des Angeklagten hinsichtlich seiner eigenen Beiträge zu den Taten 1 bis 8 nicht als Aufklärungserfolg im Sinne von § 31 Satz 1 BtMG bewerten dürfen (vgl. auch Körner/Patzak/Volkmer, aaO Rn. 39).
b) Das Landgericht hat im Übrigen den nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG erforderlichen Zusammenhang zwischen der aufgedeckten und der dem Täter zur Last liegenden Tat zu weit ausgelegt. Der Zusammenhang in diesem Sinn setzt einen inneren und verbindenden Bezug zwischen der eigenen und der offenbarten Tat voraus. Eine derartige Konnexität ist weder hinsichtlich der Taten des gesondert Verfolgten R. noch hinsichtlich derjenigen der Gruppierung um die anderweitig Verfolgten Ri. und K. ersichtlich.
aa) Das Landgericht hat den Zusammenhang mit den Taten des gesondert Verfolgten R. und dessen Abnehmern mit der Begründung angenommen, diese seien zur gleichen Zeit wie der Angeklagte in das örtliche „Betäubungsmittelmilieu“ eingebunden gewesen (UA S. 23). Ein derartiges bloß örtliches und zeitliches Zusammentreffen offenbarter und eigener Straftaten genügt aber den zu stellenden Erfordernissen nicht; entsprechend liegt es für die langjährige persönliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und R. (vgl. BT-Drucks. 17/9695, S. 9; Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO Rn. 1049a mwN).
bb) Eine Verknüpfung der Taten der Gruppierung um die anderweitig Verfolgten Ri. und K. mit den verfahrensgegenständlichen Verfehlungen des Angeklagten ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Sie liegt nach den Feststellungen fern, und zwar auch in zeitlicher Hinsicht. Die vom Angeklagten offenbarten Taten der Gruppierung betreffen den Zeitraum von Ende 2013 bis März 2014 (UA S. 19), wohingegen die abgeurteilten Taten zwischen Herbst 2015 und Sommer 2016 begangen wurden.
c) Darüber hinaus hat die Strafkammer die Offenbarungen betreffend die zuletzt genannte Tätergruppe für die Annahme des § 31 Satz 1 BtMG herangezogen, obwohl diese erst nach dem Eröffnungsbeschluss erfolgten und damit präkludiert waren (§ 31 Satz 3 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 3 StGB). Die Vorschriften über die Aufklärungshilfe kommen nur zur Anwendung, wenn der Täter sein Wissen rechtzeitig offenbart. Die Wahrung des Präklusionszeitpunkts stellt dabei schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine zwingende, nicht durch Auslegung korrigierbare Voraussetzung für die Anwendung des § 31 Satz 1 BtMG dar. Auch mit Sinn und Zweck der Präklusionsregelungen wäre es nicht vereinbar, wenn im Einzelfall geprüft werden müsste, auf welche Ursache eine Verspätung zurückzuführen ist. Dem Gericht soll nämlich ermöglicht werden, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen und die Akten gegebenenfalls zum Zweck weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2010 – 1 StR 538/10, StraFo 2011, 61), wobei maßgebend der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses und nicht dessen Zustellung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2010 – 1 StR 538/10, aaO; vom 5. Oktober 2016 – 3 StR 311/16, NStZ 2017, 298).
Eine nicht fristgerechte Aufklärungshilfe kann mithin nur bei der allgemeinen Strafzumessung berücksichtigt werden (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, aaO Rn. 32). In diesem Rahmen kann es gewichtet werden, wenn – wie vom Landgericht hier angenommen – die Verspätung auf Umständen beruht, die nicht in die Verantwortungssphäre des Angeklagten fallen.
d) Die fehlerhafte Subsumtion der genannten Umstände unter § 31 Satz 1 BtMG legt nahe, dass der Ermessensentscheidung der Strafkammer eine unzutreffende Gewichtung der verschiedenen Aufklärungsbemühungen zugrunde liegt. Zwar sind bei der Ermessensentscheidung nach § 31 Satz 1 BtMG – ebenso wie bei der Milderungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 2 StGB (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. Juli 2010 – 5 StR 84/10, NStZ-RR 2010, 305, 306 mwN) – gemäß § 31 Satz 3 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB alle strafzumessungsrelevanten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 426/12, StV 2013, 629, 630; Schäfer/Sander/van Gemmeren aaO Rn. 1057; Körner/Patzak/Volkmer aaO Rn. 66 ff.), so dass auch eine verspätete Aufklärungshilfe oder nicht unter § 31 Satz 1 BtMG fallende Aufklärungsbemühungen des Täters berücksichtigt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 3 StR 513/15). Sie sind aber regelmäßig mit niedrigerem Gewicht einzustellen als Aufklärungsbeiträge im Sinne des § 31 Satz 1 BtMG, auf die gemäß § 31 Satz 3 BtMG in Verbindung mit § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB besonderes Augenmerk („insbesondere“) zu legen ist.
3. Schließlich hat das Landgericht bei seiner Entscheidung einen nicht existenten Strafmilderungsgrund einbezogen. Die Strafkammer hat bei der Bestimmung der für die abgeurteilten Taten jeweils verwirkten Strafe die Einziehung von sichergestelltem Bargeld zugunsten des Angeklagten berücksichtigt (UA S. 25) und dabei verkannt, dass die Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB keinen Strafcharakter hat. Die mit ihrer Anordnung verbundene Vermögenseinbuße stellt daher keinen Strafmilderungsgrund dar (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 und 624/17 mwN) und muss somit bei der Strafzumessungsentscheidung außer Betracht bleiben.
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Ermessensentscheidung nach § 31 Satz 1 BtMG bei rechtsfehlerfreier Bewertung anders als geschehen ausgefallen wäre. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Da lediglich Wertungsfehler in Frage stehen, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den vom Angeklagten geleisteten Aufklärungsbeiträgen bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Es werden in den Fällen 1 bis 4 – unter Umständen im Wege der Schätzung – Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel zu treffen sein. Denn hierauf kann für eine sachgerechte und schuldangemessene Bemessung der jeweils verwirkten Strafe regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 – 5 StR 622/17 aaO; vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247 mwN).
2. Ein – ohnehin nur unter besonders hohen Anforderungen vertretbares – Absehen von Strafe nach § 31 Satz 1 BtMG setzt voraus, dass der Angeklagte keine Freiheitstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat. Liegen einem Angeklagten – wie hier – mehrere selbständige Taten zur Last, so muss unter Berücksichtigung aller Strafzumessungsgesichtspunkte für jede Tat gesondert geprüft werden, ob die Strafgrenze überschritten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2014 – 3 StR 429/13, StV 2014, 619). Die Milderungsmöglichkeit nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG muss bei dieser Prüfung – was im angefochtenen Urteil womöglich verkannt worden ist (vgl. UA S. 25) – außer Acht bleiben (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 31 Rn. 187).
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