Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 01.07.2014


BGH 01.07.2014 - 5 StR 134/14

Minder schwerer Fall des Totschlags: Notwehr gegen einen erkannt alkoholisierten, unbewaffneten Angreifer unter Einsatz eines Messers


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
01.07.2014
Aktenzeichen:
5 StR 134/14
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 22. November 2013, Az: 621 Ks 11/13
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. November 2013 im Strafausspruch aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat zum Schuldspruch - gegen den Antrag des Generalbundesanwalts - keinen Erfolg, führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der Angeklagte zur Tatzeit in einem Männerwohnheim. Dort hielt sich häufiger auch das dem Trinkermilieu zugehörige spätere Tatopfer R.     auf, um mit Bekannten Alkohol zu trinken. Am Nachmittag des Tattages war es bereits zu einem Konflikt zwischen dem Angeklagten und dem ihm flüchtig bekannten R.     gekommen, als dieser zweimal versucht hatte, in das Zimmer des Angeklagten zu gelangen. Der Angeklagte hatte dem aggressiv auftretenden und, wie er bemerkte, stark alkoholisierten R.     jeweils den Zutritt zum Zimmer verwehrt. Dabei hatte der Angeklagte, als R.     zum zweiten Mal und nunmehr gemeinsam mit einem ebenfalls stark angetrunkenen Freund in aggressiver Stimmung an der Tür erschienen war, einen im Zimmer liegenden Hammer ergriffen und ihn beiden drohend entgegen gehalten. Hierdurch eingeschüchtert hatten R.     und sein Begleiter sogleich das Zimmer des Angeklagten verlassen.

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Abends ging der Angeklagte gemeinsam mit einem Mitbewohner des Wohnheims zu einem nahe gelegenen Einkaufsmarkt, wo sie Getränke kauften. Der aidskranke, körperlich schwächliche Angeklagte war bewaffnet mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 13 cm, das er möglicherweise stets zu seinem Schutz bei sich zu tragen pflegte. Auf dem Rückweg kamen sie an einem Haus vorbei, in dem R.     eine Wohnung im ersten Obergeschoss dazu nutzte, gelegentlich dort mit Freunden zu feiern und Alkohol zu trinken. Als der Angeklagte sich mit seinem Begleiter auf dem Gehweg dem Haus näherte, bemerkte ihn R.     , der mit mehreren Personen auf dem Balkon stand. Dieser rief ihm in aggressivem Ton zu, ob „er immer noch seinen Hammer dabei habe", was der Angeklagte verneinte. Daraufhin schrie ihm R.     , der dem Angeklagten körperlich überlegen war, zu, dass er dann jetzt herunterkommen würde. Der Angeklagte, der nun damit rechnete, dass R.     ihn verprügeln wolle, blieb trotzdem auf dem Gehweg stehen, weil er nicht als Feigling gelten und Widerstand leisten wollte. Sein Begleiter, der die Gefährlichkeit der Situation erkannt hatte und in die Auseinandersetzung nicht hineingezogen werden wollte, ging unterdessen weiter und forderte den Angeklagten auf, sich ebenfalls zu entfernen. Dies lehnte der Angeklagte, der alkoholbedingt enthemmt, jedoch uneingeschränkt steuerungsfähig war, lautstark mit dem Zuruf ab, dass er die Angelegenheit „mal klären müsse". Auch er war wütend auf R.     und pöbelte zu den weiterhin auf dem Balkon stehenden Personen. Als R.     , der eine Blutalkoholkonzentration von 2,76 Promille hatte, aus dem Haus auf ihn zugelaufen kam, erkannte der Angeklagte dessen hohe Alkoholisierung und fehlende Bewaffnung. R.     versuchte ihm mit der Faust in das Gesicht zu schlagen. Aufgrund seiner Alkoholisierung kam er jedoch ins Straucheln und verfehlte den Angeklagten, der ihm hatte ausweichen können. Dann erhob er erneut die Faust zum Schlag. Nunmehr zog der Angeklagte sein in der Hosentasche verborgenes Messer hervor, „um sich nicht ausschließbar damit gegen einen weiteren Angriff zu wehren". Obwohl ihm ein erneutes Ausweichen ohne weiteres möglich gewesen wäre, stach der Angeklagte ohne Vorwarnung und mit bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer in Richtung des Oberkörpers seines Kontrahenten, wobei er möglicherweise dessen Schlagfaust treffen wollte. Der Stich traf R.     jedoch direkt in die Brust und verletzte dort die Hauptschlagader. Er brach infolge dieser Verletzung sofort zusammen und verstarb noch am Tatort, von dem der Angeklagte flüchtete.

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Eine Rechtfertigung wegen Notwehr nach § 32 StGB hat das Landgericht verneint. Zwar habe objektiv eine Notwehrlage bestanden, da der Geschädigte erneut mit erhobener Faust auf den Angeklagten zugegangen sei; zudem habe der Angeklagte mit dem Messereinsatz unwiderlegt zumindest auch den Zweck verfolgt, sich gegen den weiterhin drohenden körperlichen Angriff zu verteidigen. Eine Rechtfertigung des Angeklagten scheitere jedoch an der fehlenden Erforderlichkeit des lebensgefährlichen Messereinsatzes. Außerdem sei dieser gegen den erheblich alkoholisierten Geschädigten nicht geboten gewesen; es wäre für den Angeklagten zumutbar gewesen, sich dem Angriff durch Ausweichen oder Flucht zu entziehen, zumal er sich durch eigenes Verhalten in diese Situation gebracht habe.

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Die Strafe hat das Landgericht dem Strafrahmen des § 213 StGB entnommen. Es hat zwar die Voraussetzungen der ersten Alternative verneint, jedoch nach einer Gesamtabwägung die zweite Alternative des § 213 StGB zur Anwendung gebracht.

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2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

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a) Zu Recht hat das Landgericht den tödlichen Stich nicht als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen, weil es an der Erforderlichkeit der Abwehrhandlung mangelte.

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aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1996 - 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100, und vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 148 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Urteil vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN; Beschlüsse vom 21. November 2012 - 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106, und vom 21. August 2013 - 1 StR 449/13, NJW 2014, 1121, 1122). Danach muss der Angegriffene auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann mithin durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers allerdings in der Regel anzudrohen (BGH, Urteile vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN, vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 148 f., und vom 25. März 2014 - 1 StR 630/13; Beschlüsse vom 11. August 2010 - 1 StR 351/10, NStZ-RR 2011, 238, und vom 21. November 2012 - 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106).

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bb) Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass dem Angeklagten erfolgversprechende mildere Mittel zur Angriffsabwehr zur Verfügung standen: Er hätte seinen Messereinsatz zunächst androhen müssen, zumal er bei der vorausgehenden Auseinandersetzung am Nachmittag die Erfahrung gemacht hatte, R.     mit einer Waffe erfolgreich drohen und von sich fernhalten zu können. Dass einer Bewaffnung des Angeklagten für das Verhalten von R.     weiterhin Bedeutung zukam, wird auch durch dessen unmittelbar vor Beginn der neuen Auseinandersetzung gestellte Frage nach einem fortdauernden Mitsichführen des Hammers belegt. Erst nach deren Verneinung durch den Angeklagten kündigte R.     an, „dass er dann jetzt runterkommen würde" (UA S. 11 f.).

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Darüber hinaus hat das Landgericht eine Erforderlichkeit des lebensgefährlichen Messereinsatzes zu Recht auch deshalb verneint, weil der Angeklagte zumindest auf einen weniger sensiblen Körperteil des Angreifers hätte zielen müssen. Eine solche mildere Abwehrhandlung war dem Angeklagten nach den Feststellungen zur Kampfsituation ohne weiteres möglich, da er auch in der Lage war, den gegen ihn geführten Schlagbewegungen des erheblich betrunkenen R. auszuweichen.

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cc) Danach kann dahinstehen, ob hier das Notwehrrecht des Angeklagten außerdem unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit der Verteidigung eine Einschränkung erfahren musste, wie das Landgericht gemeint hat, ohne allerdings zu prüfen, ob das Vorverhalten des Angeklagten als sozialethisch verwerflich zu werten ist (vgl. zur Einschränkung der Notwehr nach Provokation BGH, Urteile vom 21. März 1996 - 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f., vom 2. November 2005 - 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 f. und vom 25. März 2014 - 1 StR 630/13; Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 118/10, NStZ 2011, 82, 83 mwN). Eine entsprechende Einschränkung liegt indes schon allein angesichts der dem Angeklagten bekannten massiven alkoholischen Beeinträchtigung des Opfers nahe (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 32 Rn. 52; Rosenau in SSW-StGB, 2. Aufl., § 32 Rn. 32), und zwar trotz der eigenen Alkoholisierung des Angeklagten.

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b) Den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat das Landgericht ungeachtet der Möglichkeit, dass der Angeklagte die Schlagfaust des Opfers treffen wollte, rechtsfehlerfrei aus der besonderen Gefährlichkeit des eingesetzten spitzen Messers, der Stichrichtung und der Dynamik der Bewegungsabläufe abgeleitet (UA S. 24 ff.).

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3. Indes hat der Strafausspruch keinen Bestand.

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a) Allerdings hat das Landgericht aus dem Leistungsverhalten des Angeklagten vor und nach der Tat mit sachverständiger Hilfe eine suchtmittelbedingte erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen (UA S. 26 ff.).

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b) Die Gewichtung der im Urteil aufgeführten zahlreichen Strafmilderungsgründe (UA S. 32 f.) im Rahmen des im Ergebnis zutreffend gewählten Strafrahmens des § 213 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.

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Es ist schon zweifelhaft, ob die erste Alternative des § 213 StGB verneint werden durfte. Angesichts der aggressiven Ansprache des Angeklagten durch das spätere Opfer vom Balkon unter Bezugnahme auf dessen vorangegangene Aggressionen am Nachmittag im Wohnheim und angesichts seines versuchten Faustangriffs auf den Angeklagten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. August 1996 - 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213 1. Alt. Misshandlung 5) ist die unter Verweisung auf das „Trinkermilieu" vom Landgericht angenommene Verneinung einer Provokation im Sinne der Vorschrift fehlerhaft. Ein Verschulden des Angeklagten in seinem beharrlichen Verbleiben am Tatort zu sehen, ist angesichts der maßgeblich vom späteren Opfer ausgehenden Aggression gleichfalls bedenklich. Zweifelhaft bleibt freilich, ob der Umstand, dass der Angeklagte damit gerechnet hatte, angegriffen zu werden, ein „Hingerissensein" zur Tat im Sinne der Norm hindert (vgl. dazu Fischer, StGB, 61. Aufl., § 213 Rn. 9a). Der Senat kann dies offenlassen.

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Denn die Anwendung der zweiten Alternative des § 213 StGB war hier aufgrund der Notwehrlage und „einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr" (UA S. 31 f.) zwingend. Diese Problematik hat das Landgericht zwar erkannt, das in gleichem Maße wie beim Vorliegen der ersten Alternative anzuerkennende Gewicht dieses ausschlaggebenden Strafrahmenfaktors aber nicht ausreichend gewichtet, weil es ihn lediglich im Rahmen einer „Gesamtabwägung" mit den sonstigen Strafmilderungsgründen für die Strafrahmenwahl herangezogen hat. Bei richtiger Bewertung hätten diese weiteren Milderungsgründe - namentlich die der Tat vorangegangenen Provokationen durch das Opfer und die Lebenssituation des süchtigen, schwerkranken Angeklagten - bei der allgemeinen Strafzumessung stärkeres Gewicht erlangen müssen. Es liegt nicht fern, dass sie so - neben dem auch insoweit noch mitzubewertenden Mitverschulden des Opfers und ungeachtet der Vorbelastungen des Angeklagten - Anlass für die Verhängung einer milderen Strafe gegeben hätten.

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Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem reinen Wertungsfehler nicht. Das neue Tatgericht hat die Strafe aus dem Strafrahmen des § 213 StGB auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen, die allenfalls durch neue nicht widersprechende ergänzt werden dürfen, neu festzusetzen.

Basdorf                          Sander                       Schneider

                   Berger                        Bellay