Entscheidungsdatum: 21.08.2013
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg.) vom 4. April 2013 mit den Feststellungen aufgehoben, ausgenommen sind die Feststellungen zum Tatgeschehen; insoweit wird die weitergehende Revision verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Am 22. Mai 2012 wollte der Geschädigte S. , 176 cm groß und ca. 72 kg schwer, der zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich alkoholisiert war, gegen 19:00 Uhr Sc. in K. besuchen. Er hatte eine Flasche Wodka besorgt, welche er mit Sc. zusammen trinken wollte. Als dieser die Wohnungstüre nicht öffnete, begab sich der Geschädigte S. im selben Haus ein Stockwerk höher zur Wohnung des Angeklagten, den er einige Tage zuvor in der Wohnung des Sc. kennengelernt hatte. Der Angeklagte, 180 cm groß und 80 kg schwer, ließ ihn ein und man trank zusammen Wodka mit Eistee, bis die Flasche leer war. Kurz vor 22:00 Uhr wollte der Angeklagte zu Bett gehen und bot dem erheblich betrunkenen Geschädigten S. an, er könne auf seiner Couch übernachten. Als er ins Schlafzimmer gehen wollte, zog der Geschädigte S., der zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,76 Promille aufwies, den Angeklagten, der mit maximal 2,02 Promille ebenfalls nicht unerheblich alkoholisiert war, kräftig und ruckartig auf die Couch zurück. Gleichzeitig sagte der Geschädigte S., der nicht damit einverstanden war, dass der Abend nun beendet werden sollte, in strengem Ton: „Sitzen!“ Der Angeklagte wiederholte, dass er jetzt müde sei und schlafen gehen möchte. Er stand erneut von der Couch auf, wurde jedoch wiederum vom Geschädigten S. zurückgezogen. Zudem versetzte der Geschädigte S. dem Angeklagten einen kräftigen Schlag mit der Faust gegen den Kopf oberhalb des linken Ohres. Als er dann noch ein weiteres Mal auf den Gesichtsbereich des Angeklagten einschlagen wollte, konnte dieser dem Schlag reflexartig ausweichen. Obgleich der Angeklagte nun dem Geschädigten S. eindringlich sagte, dass er damit aufhören solle und dass jetzt Schluss sei, ließ dieser sich nicht beruhigen, war weiterhin aggressiv und wollte abermals mit den Fäusten auf den Angeklagten einschlagen. Diese Schlagversuche konnte der Angeklagte jedoch abwehren, wobei er den Geschädigten S. seinerseits mit der Faust und mit erheblicher Wucht im Gesicht traf. Obgleich er nun wiederholt äußerte, der Geschädigte S. solle aufhören, ließ sich dieser weder hiervon, noch von den eingesteckten Treffern abhalten. Er versuchte weiter, auf den Angeklagten einzuschlagen. Schließlich konnte der Angeklagte, welcher in jungen Jahren Judo und Karate als Wettkampfsport betrieben, allerdings seit langem nicht mehr aktiv trainiert hatte, bei dem Geschädigten S. einen Armhebel ansetzen und dessen rechte Hand rücklings auf den Rücken drehen. Solchermaßen fixiert wollte er ihn aus der Wohnung werfen, was aber nicht gelang, da der Geschädigte S. versuchte, sich aus dem Armhaltegriff herauszudrehen. Der Angeklagte befürchtete nun, dass der Geschädigte S., wenn er sich befreien könnte, erneut auf ihn losgehen und auf ihn einschlagen werde. Um dies zu verhindern, nahm er den Geschädigten S. von hinten stehend mit seinem linken Arm in den Schwitzkasten bzw. Würgegriff und drückte zu. Als der Geschädigte S. nach einer nicht genau feststellbaren Zeitspanne dadurch schwächer wurde, konnte der Angeklagte ihn immer noch im Schwitzkasten haltend zu Boden bringen. Um den Angriff zu beenden, hielt der Angeklagte den Geschädigten S. weiter über einen Zeitraum von jedenfalls einer Minute fest im Schwitzkasten, wobei er wusste, dass dies grundsätzlich eine das Leben gefährdende Behandlung darstellt und es etwa durch ein Abdrücken beider Halsschlagadern zu einer tödlich verlaufenden Sauerstoffunterversorgung des Gehirns kommen kann. Obwohl der Geschädigte S. sich nicht mehr wehrte, hielt ihn der Angeklagte weiter fest im Würgegriff, da er nicht sicher war, ob der Geschädigte S. lediglich simulierte. Noch während er den Geschädigten S. auf diese Weise hielt, rief der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt leicht schwerfällig atmete, den Notruf der Polizei an, um deren Hilfe herbeizurufen. Nachdem er diesen Anruf nach einer Minute und 19 Sekunden beendet hatte, bemerkte der Angeklagte, dass der Geschädigte S. nicht mehr atmete. Er rief daraufhin zunächst einen Bekannten an, um mit ihm zu besprechen, was er nun tun solle. Entsprechend dem Rat des Bekannten rief er dann die Rettungsleitstelle an, um weitere Hilfe herbeizurufen. Zu diesem Zeitpunkt trafen bereits die herbeigerufene Polizei und kurze Zeit später der Notarzt ein. Der Notarzt konnte den Geschädigten S. nicht mehr reanimieren. Dieser war aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns infolge eines beidseitigen Abdrückens der Halsschlagader bereits tot.
2. Die Strafkammer ist aufgrund dieser Feststellungen davon ausgegangen, dass der Angeklagte zunächst in Notwehr handelte, als er die Schläge des Geschädigten S. abwehrte, und es dabei auch noch von der Erforderlichkeit im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gedeckt war, den Angreifer von hinten in den Würgegriff bzw. Schwitzkasten zu nehmen und zu Boden zu bringen. Nach Auffassung der Strafkammer sei jedoch aufgrund der konkreten Kampfsituation der fortdauernde Würgegriff am Boden nicht mehr erforderlich gewesen, um den Angriff zu beenden. Der Umstand, dass der Angeklagte befürchtete, der Angreifer könne simulieren, könne ihn nicht entlasten. Vielmehr habe der Angeklagte den am Boden liegenden Geschädigten S. nun lediglich in einen Haltegriff nehmen und am Boden fixieren können.
II.
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge nicht tragen. Denn das Schwurgericht hat sich nicht mit der Frage eines Erlaubnistatbestandsirrtums des Angeklagten auseinandergesetzt und diesbezüglich auch dessen Vorstellungsbild nicht umfassend geprüft.
1. Zutreffend geht allerdings das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte zunächst in Notwehr gehandelt hat, als er den Geschädigten S. in den "Schwitzkasten" genommen hat.
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 - 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 - 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 28. Februar 1989 - 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 - 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117).
b) Für den Angeklagten gab es in der Situation hier zum - lediglich mit Körperverletzungswillen vorgenommenen - Anlegen des Würgegriffs (jedenfalls zunächst) keine mildere Handlungsalternative: Auf die mehrfache Aufforderung zu Beginn der auch vom Angeklagten gegenüber seinem gewaltbereiten Gegner mit bloßer Körperkraft ausgetragenen Auseinandersetzung, mit seinen Angriffen aufzuhören, ist dieser nämlich nicht eingegangen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. September 1995 - 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29).
c) Die Notwehrsituation ist allerdings jedenfalls dann beendet gewesen, als der Geschädigte S. kampfunfähig zu Boden gebracht wurde. Die Rechtfertigung des Würgegriffs entfiel objektiv, als der Geschädigte S. am Boden liegend schwächer wurde, ruhig war und sich nicht mehr wehrte.
2. Demgegenüber begegnet die Annahme des Landgerichts, dass die weitere Aufrechterhaltung des "Schwitzkastens" eine vorsätzliche Körperverletzung im Sinne der §§ 223 ff. StGB darstellt, durchgreifenden Bedenken. Es übersieht, dass die Frage des Vorliegens einer vorsätzlichen Körperverletzung nach dem subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten zu entscheiden ist. Hätte der Angeklagte nämlich nicht erkannt, dass die Notwehrlage infolge der eingetretenen Kampfunfähigkeit des Geschädigten S. entfallen war, dann läge ein Irrtum im Sinne des § 16 StGB vor. Denn die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts wäre wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über Tatumstände nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu bewerten (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. März 1983 - 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264, 286 f.; vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 383 f.; und vom 29. Juni 1995 - 4 StR 760/94, NStZ 1996, 34, 35), so dass der Vorwurf (vorsätzlicher) Körperverletzung mit Todesfolge entfiele.
a) Das Landgericht hat nicht mit Tatsachen belegt, weshalb der Angeklagte habe erkennen müssen, dass es ausreichte, den Geschädigten S. nur noch mit einem Haltegriff festzuhalten, als er mit dem Angeklagten auf dem Boden lag. Dies hätte besonderer Erörterung auch daher bedurft, weil der Geschädigte S. sich bereits zuvor aus einem solchen Haltegriff zu befreien versucht hatte (UA S. 7). Die Ausführungen des Schwurgerichts beschränken sich auf die Feststellung, dass in der gesamten Wohnung keine erheblichen Kampfspuren festgestellt wurden, was aber gerade deswegen wenig verwunderlich ist, weil sich das Geschehen letztlich im Wesentlichen nur dort zugetragen hat, wo die Kontrahenten zu Fall kamen.
b) Die getroffenen Feststellungen, insbesondere der Gesprächsablauf und die Äußerungen des Angeklagten beim ersten Notruf bei der Polizei, legen die Annahme nahe, dass der Angeklagte auch noch beim Fixieren des Geschädigten S. im „Schwitzkasten“ auf dem Boden liegend davon ausging, dass seine Handlung erforderlich sei, um zu verhindern, dass der Geschädigte S. erneut auf ihn losgeht und ihn schlägt. Das Schwurgericht hat hierzu festgestellt, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht sicher war, ob der Geschädigte S. lediglich simuliere. Wenn der Angeklagte tatsächlich glaubte, dass der Geschädigte S. sich nur deswegen nicht mehr wehrte, um freizukommen und seine unberechtigten Angriffe gegen den Angeklagten fortzusetzen, wäre der Angeklagte von einer noch andauernden Notwehrsituation ausgegangen, auch wenn diese tatsächlich nicht mehr gegeben war.
c) Soweit das Landgericht ohne weitere Begründung davon ausgegangen ist, es könne den Angeklagten nicht entlasten, dass er befürchtete, „der Angreifer könne simulieren“, legt das nahe, dass es von unzutreffenden Anforderungen an eine Putativnotwehrlage ausgegangen ist. Denn auf der Grundlage der Feststellungen, dass sich der Angeklagte - nach dem rechtsfehlerfrei festgestellten vorausgegangenen provozierenden und aggressiven Verhalten des Geschädigten S. - beim Loslassen des Geschädigten S. einen erneut bevorstehenden Angriff vorstellte, wäre er einem entsprechenden Irrtum unterlegen.
Dieser Irrtum des Angeklagten könnte aber auf einer Außerachtlassung der gebotenen und ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt beruhen, so dass er wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen wäre (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Urteile vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384 f.; und vom 18. September 1991 - 2 StR 288/91, NJW 1992, 516, 517), wobei in diesem Zusammenhang insbesondere zu berücksichtigen wäre, dass ihm die Gefährlichkeit des Würgegriffs bekannt war.
3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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RinBGH Cirener befindet |
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Jäger |
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