Entscheidungsdatum: 15.10.2010
Dem Angeklagten R. wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Juli 2009 gewährt.
Die Revisionen der Angeklagten gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten M., R. und G. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten M. hat es eine Freiheitsstrafe von neun Jahren verhängt sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Den Angeklagten R. hat es zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und den Angeklagten G. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte V. hat es unter Teilfreispruch im Übrigen wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit ihren unbeschränkt geführten Revisionen wenden sich alle Angeklagten – teils auf sachlichrechtliche Beanstandungen, teils auch auf Verfahrensrügen gestützt – erfolglos gegen ihre Verurteilungen.
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt, spätestens jedoch Anfang Oktober 2007 kamen die Angeklagten M., R. und G. dahin überein, in bewusstem und gewolltem arbeitsteiligen Zusammenwirken mindestens neun Kilogramm Kokaingemenge guter Qualität aus Südamerika, vorzugsweise aus Venezuela oder Kolumbien, nach Europa zu schmuggeln bzw. schmuggeln zu lassen, um es nach Deutschland zu verbringen und dort gewinnbringend an noch unbestimmte Abnehmer zu veräußern. M., der über gute Kontakte in das kolumbianische Drogenmilieu verfügte, übernahm dabei die führende Rolle des Einkäufers des Kokains vor Ort, aber auch die Organisation von Bezahlung, Transport und Absatz des Rauschmittels in Deutschland. G. sollte finanzielle und organisatorische Unterstützung zur Durchführung des Drogengeschäfts vorwiegend von Albanien aus leisten und später zusammen mit M. und R. den Verkauf des Kokains übernehmen. R. verbrachte in erster konkreter Umsetzung des Tatplans die von unbekannten Dritten von Südamerika nach Spanien eingeführten Drogen über Frankreich nach Deutschland. Dort wurde das Rauschgift, etwa zwei Kilogramm mit einem Wirkstoffgehalt von mehr als 80 % Cocainhydrochlorid, am 5. Dezember 2007 von den das Geschäft überwachenden Ermittlungsbehörden bei R. aufgefunden und sichergestellt.
II. Die Revisionen der Angeklagten R. und V. bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Hinsichtlich der im Ergebnis ebenfalls erfolglosen Revisionen der Angeklagten M. und G. bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:
1. Die Revision des Angeklagten M.
a) Zu Unrecht macht die Revision im Zusammenhang mit der Nichtaufklärung der Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers die Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO geltend. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen der Hauptverhandlung einen Antrag auf Vernehmung von zwei Zeuginnen zu seiner wirtschaftlichen Situation zur Tatzeit gestellt. Erstrebt wurde ausweislich der Antragsbegründung damit der Nachweis, dass er zur Tatzeit nicht unter „permanenten Geldproblemen“ gelitten habe. Hiermit und mit den wenigen konkretisierten Belegtatsachen stehen die Urteilsgründe nicht in Widerspruch. Soweit die Strafkammer die Ablehnung des Antrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit, nicht anders als bei anderen entsprechend abgelehnten Beweisanträgen, einerseits im Sinne von BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26 überaus pauschal begründet, andererseits überschießend ausgeführt hat, es sei für die Entscheidung ohne Belang, in welcher finanziellen Lage sich der Beschwerdeführer im Tatzeitraum befand, liegt ein den Bestand des Urteils gefährdender Rechtsfehler nicht vor. Die Strafkammer zieht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers in ihrer Beweisführung ergänzend nur insoweit heran, als sie sie ins Verhältnis zu seiner Einlassung eines lediglich vorgetäuschten Rauschgiftgeschäfts setzt. Hierfür wäre allein eine außergewöhnliche Wohlhabenheit des Beschwerdeführers zur Tatzeit bedeutsam, welche mit dem Beweisantrag nicht zu belegen war. Mit Blick auf die zum Werdegang und zum Leben des Beschwerdeführers in Südamerika detaillierte von der Revision mitgeteilte mehr als 500 Seiten umfassende schriftlich fixierte Einlassung ist auszuschließen, dass der Angeklagte bei klarerer Begründung der Beweisantragsablehnung in diesem Zusammenhang noch Relevantes hätte vortragen können.
b) Die wegen Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 i.V.m. § 261 StPO erhobene Inbegriffsrüge greift nicht durch. Es ist zureichend festgestellt, dass sämtliche Mitglieder der Strafkammer, mithin die Berufsrichter ebenso wie die Schöffen, Kenntnis vom Wortlaut der im Wege des § 249 Abs. 2 StPO einzuführenden Urkunden genommen haben (vgl. BGHR StPO § 249 Kenntnisnahme 1; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10). Von dem Feststellungsvermerk erfasst wurden ersichtlich die in den vier Anordnungen des Selbstleseverfahrens jeweils ausdrücklich bezeichneten Urkunden. Eine weniger pauschale Bezeichnung wäre zwar aus Gründen der Verfahrensklarheit gerade bei einer Mehrzahl von Anordnungen nach § 249 Abs. 2 StPO wünschenswert gewesen, der Bezugspunkt der Feststellung war indes für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar. Zweifel an dem erforderlichen Verständnis vom Gegenstand des Selbstleseverfahrens hatten ersichtlich auch die Verfahrensbeteiligten nicht; dem Revisionsvorbringen und dem Protokoll ist weder ein Widerspruch noch sonst eine Beanstandung der Verfahrensweise zu entnehmen. Abgesehen davon hat der Beschwerdeführer in seiner umfangreichen Einlassung den Inhalt der zentralen Urkunden selbst vorgetragen.
c) Ohne Erfolg bleibt auch die Verfahrensrüge, ein Antrag auf Ablehnung des psychiatrischen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 74 StPO) sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Auch wenn die Einholung einer Stellungnahme des Sachverständigen zu den im Ablehnungsgesuch geltend gemachten Beanstandungen für deren deutliche Entkräftung vorzugswürdig gewesen wäre, waren weder divergierende Angaben des Sachverständigen zur Dauer der Explorationsgespräche noch objektiv unrichtige Angaben zum Zeitpunkt der behaupteten Kenntnisnahme von Explorationsgrundlagen geeignet, seine Unparteilichkeit für einen verständigen Angeklagten in Zweifel zu ziehen.
2. Die Revision des Angeklagten G.
a) Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO i.V.m. § 24 StPO ist unbegründet. Das Ablehnungsgesuch ist zu Recht zurückgewiesen worden. Die beanstandete Verhandlungsführung und Sachbehandlung sämtlicher abgelehnter Richter entsprach dem Gesetz und war auch sonst weder unsachlich noch unangemessen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 24 Rdn. 17). Sie war deshalb auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten ungeeignet, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu begründen. Es oblag gemäß § 214 Abs. 3 i.V.m. § 222 Abs. 1 Satz 2 StPO allein der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten einen von ihr geladenen Zeugen namhaft zu machen. Ein entsprechender Beweisantrag wurde erst in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten gestellt. Dass sich die Strafkammer bereit erklärt hätte, den Angeklagten an Stelle der Staatsanwaltschaft zu informieren, wird von der Revision nicht dargetan. Danach bestand für die Mitglieder der Strafkammer auch mit Blick auf den ungeschriebenen Grundsatz der Aktenwahrheit und -klarheit keine Pflicht, die seitens der Staatsanwaltschaft mitgeteilte Absicht, einen Zeugen sistieren und einen entsprechenden Beweisantrag stellen zu wollen, aktenkundig zu machen. Überdies haben die abgelehnten Richter den vom Angeklagten gehegten Verdacht, Informationen kollusiv mit der Staatsanwaltschaft vor ihm verborgen zu haben, durch ihre dienstlichen Erklärungen hinreichend ausgeräumt.
b) Die Verfahrensrügen wegen Ablehnung von Beweisbegehren auf persönliche oder audiovisuelle Vernehmung verschiedener in Albanien zu ladender Zeugen versagen.
In allen Fällen bleibt nach dem Revisionsvortrag bereits zweifelhaft, ob der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung einen formgerechten Beweisantrag gestellt hat, der eine Bescheidung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ermöglicht hat. Der von der Revision mitgeteilte Antrag bezeichnet – neben einer Beweisbehauptung – jeweils die Zeugen, deren Anhörung begehrt wird, mit Vor- und Nachnamen und benennt darüber hinaus Ortschaften und Städte sowie möglicherweise landestypische Zusätze. Ohne nähere Angaben dazu, ob es sich bei letzteren um Einrichtungen, Straßen, Stadtteile oder ähnliches handelt, stellt dies ohne konkrete aus dem Revisionsvortrag ersichtliche Erklärungen weder die regelmäßig erforderliche ladungsfähige Anschrift dar (vgl. BGHSt 40, 3, 7), noch werden so die benannten Zeugen als Beweismittel zureichend individualisiert (vgl. BGH aaO S. 5; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 11, 34, 46; Basdorf in Festschrift für Widmaier 2008 S. 51, 60 f.).
Ungeachtet dessen hat die Strafkammer die Beweisanträge rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Der von der Strafkammer herangezogene Ablehnungsgrund nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ist tragfähig. Das Landgericht durfte in seine zulässige antizipierende Würdigung den mit der Beweiserhebung verbundenen zeitlichen und organisatorischen Aufwand einstellen sowie deren Bedeutung vor dem Hintergrund der bisherigen Beweisaufnahme bewerten (vgl. BGH NStZ 2009, 168, 169; StraFo 2010, 155). Die Beweisaufnahme mit mehr als 50 Hauptverhandlungstagen war zuvor bereits mehrfach geschlossen worden. Dass die freilich auch hier sehr pauschal begründete Annahme der Bedeutungslosigkeit die Verteidigung des Beschwerdeführers beeinträchtigt haben könnte, ist zudem abermals nicht ersichtlich.
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