Entscheidungsdatum: 04.11.2015
1. a) Das Verfahren gegen den Angeklagten K. wird gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
b) Die Kosten des diesen Angeklagten betreffenden Verfahrens und die diesem hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
c) Der Antrag des Angeklagten K. , ihm Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu gewähren, wird abgelehnt.
2. Auf die Revision des Angeklagten T. gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 25. Februar 2014 wird
a) die Verfolgung, soweit dem Angeklagten T. vorsätzliches Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zur Last liegt, gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung beschränkt;
b) das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Anordnung des Verfalls von Wertersatz.
c) Die weiter gehende Revision des Angeklagten T. wird verworfen.
d) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung und wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 400.000 € angeordnet. Den Angeklagten K. hat es wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richten sich die Rechtsmittel der Angeklagten. Diese führen zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Angeklagten K. gemäß § 153 Abs. 2 StPO und zu einer Verfahrensbeschränkung bezüglich des Angeklagten T. gemäß § 154a Abs. 2 StPO. Im verbleibenden Umfang hat das Rechtsmittel des Angeklagten T. hinsichtlich der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, des Ausspruchs über die Gesamtstrafe sowie der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Erfolg.
I.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen vertrieb der Angeklagte T. über das Internet sog. Legal-Highs, also noch nicht der Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende synthetische Cannabinoide (insbes. JWH 210). Dies unterstützte der insbesondere für den „EDV- Bereich" verantwortliche Angeklagte K. , indem er unter anderem die jeweiligen Internetseiten einrichtete bzw. überarbeitete und die „Buchführung" übernahm. Vom 17. Dezember 2010 bis zum 6. März 2012 erzielte der Angeklagte T. durch den Verkauf der synthetischen Cannabinoide an über 10.000 Abnehmer einen Umsatz von mehr als 800.000 €.
Beiden Angeklagten war bewusst, dass die vertriebenen Substanzen von ihren Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht werden, um sich in einen Rausch zu versetzen. Die Nebenwirkungen der verkauften synthetischen Cannabinoide waren ihnen bekannt; die Gefahr von Gesundheitsschäden ihrer Abnehmer und Konsumenten interessierte sie aber nicht. Schädliche Wirkungen bis hin zu lebensgefährlichen Folgen für die Konsumenten nahmen sie in Kauf, hofften aber, dass nichts passieren werde, obwohl der Angeklagte T. von erheblichen gesundheitlichen Folgen auch unter seinen Abnehmern Kenntnis erlangt hatte. Ihm kam es vielmehr darauf an, innerhalb kürzester Zeit viel Geld zu verdienen und „richtig Kasse" zu machen. Er vertrieb die synthetischen Cannabinoide als Badesalz bzw. Kräutermischung und unterließ dabei „zielgerichtet" Hinweise auf die enthaltene Substanz, die Wirkungsweise, die Dosierung oder die Nebenwirkungen, obwohl er sich von seinen Lieferanten Auflistungen der Inhaltsstoffe geben ließ, um „unter gezielter Umgehung der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes tätig zu werden".
Nach dem Verkauf von 2 g einer solchen Substanz an den langjährig drogenabhängigen W. durch den Angeklagten T. und dem Konsum (durch Rauchen) verstarb W. am 15. Februar 2012 an einer Speisebreiaspiration und einer Atemdepression, welche durch den Konsum des JWH 210 mitverursacht wurden.
Daneben verkaufte der Angeklagte im März 2012 an zwei Abnehmer jeweils sechs sog. Kick-Speed-Kapseln, die die Vitamine B 6 und B 12 enthielten. Auch bei diesen unterließ er „zielgerichtet jegliche Produktinformation", obwohl ihm diese bekannt war.
2. Das Landgericht bewertete den Handel mit den synthetischen Cannabinoiden beim Angeklagten T. als vorsätzliches Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel und stützte dies darauf, dass sie als Arzneimittel entwickelt worden seien und diese „Eigenschaft" später auch nicht verloren hätten. Hierzu habe der Angeklagte K. Beihilfe geleistet. Beim Angeklagten T. stehe die fahrlässige Tötung von W. mit dem vorsätzlichen Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit. Wegen des Verkaufs der Kick-Speed-Kapseln sei der Angeklagte T. ferner des vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung schuldig.
II.
1. Der Senat teilt mit dem Europäischen Gerichtshof und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht die Ansicht des Landgerichts, dass es sich bei den nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden synthetischen Cannabinoiden (insbes. JWH 210) um Arzneimittel handelt.
Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz setzt voraus, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handelt. Hierfür wiederum ist entscheidend, wie der dieser Vorschrift zugrundeliegende, nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der genannten Richtlinien den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 3 StR 437/12, NStZ-RR 2014, 180, 181).
Dies hat das Landgericht an sich zutreffend erkannt, aber den Begriff des Arzneimittels dabei in einer Weise ausgelegt, wie es mit dem unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff nicht vereinbar ist. Die Auslegung des europäischen Rechts, mithin der Frage, wann es sich bei einem Stoff oder Stoffzusammensetzungen, die einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der genannten Richtlinie handelt, obliegt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Dieser hat in dem Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG dahin ausgelegt, dass der Begriff des Arzneimittels keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die vielmehr nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.
In diesem Sinne legt der Bundesgerichtshof nunmehr auch die Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG fast wortgenau entsprechende Regelung des nationalen Rechts zum Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG aus. Danach fehlt in den vorliegenden Fällen den synthetischen Cannabinoiden die Arzneimitteleigenschaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - 1 StR 47/14, NStZ-RR 2014, 312; vom 13. August 2014 - 2 StR 22/13; Urteil vom 4. September 2014 - 3 StR 437/12, BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 5, wobei die Entscheidungen vom 13. August 2014 und vom 4. September 2014 unter anderem auch JWH 210 betreffen).
Da JWH 210 erst durch die 26. BtMÄndV vom 20. Juli 2012 (BGBl. I S. 1639) mit Wirkung ab 1. Januar 2013, also nach dem Tatzeitraum, dem Betäubungsmittelbegriff unterstellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2014 - 2 StR 22/13), scheidet auch eine Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz aus.
2. Im Hinblick auf das derzeit stattfindende Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 GVG kommt jedoch in Betracht, dass sich die Angeklagten nach § 52 Abs. 1 des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) bzw. Beihilfe hierzu strafbar gemacht haben (vgl. dazu einerseits BGH, Beschluss vom 5. November 2014 - 5 StR 107/14, NStZ 2015, 597, andererseits BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 ARs 28/14, NStZ-RR 2015, 142).
3. Insofern stellt der Senat das Verfahren gegen den Angeklagten K. mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und dieses Angeklagten gemäß § 153 Abs. 2 StPO ein.
Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung erscheint nicht sachgerecht, da selbst im Falle einer erneuten Verurteilung die Schuld des bisher nicht bestraften, sozial eingegliederten Angeklagten gering ist. Da das ihm zur Last gelegte Geschehen bereits mehrere Jahre zurückliegt und derzeit nicht abzusehen ist, wann und wie das Anfrageverfahren abgeschlossen wird, besteht auch unter Berücksichtigung der relativ geringen Strafdrohung des § 52 Abs. 1 VTabakG kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung mehr.
Eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ist dem Angeklagten K. nicht zu gewähren. Denn bei einer Einstellung gemäß § 153 StPO ist eine solche Entschädigung regelmäßig nicht vorgesehen (vgl. §§ 1, 2 StrEG) und kann nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (§ 3 StrEG). Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar streitet auch insofern für den Angeklagten K. die Unschuldsvermutung. Jedoch bleibt der Tatverdacht, dessen Unrechtsgehalt wesentlich durch seine Handlungen bestimmt wird, trotz der oben aufgeführten Milderungsgründe und der geringeren Strafrahmenobergrenze des § 52 Abs. 1 VTabakG auch unter Berücksichtigung bloßer Beihilfe weiterhin erheblich und wird geprägt durch die einen langen Zeitraum umfassenden gewichtigen Tatbeiträge, die - jedenfalls objektiv, aber auch subjektiv vorhersehbar und vorhergesehen - zur Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden bei den Abnehmern der synthetischen Cannabinoide geführt haben. Die Mitwirkung an der Gefährdung der Gesundheit von mehr als 10.000 Menschen und die hierdurch drohende finanzielle Belastung der Allgemeinheit gebieten es vor diesem Hintergrund nicht, den Staat zu einer „Billigkeitsentschädigung“ nach § 3 StrEG zugunsten des Angeklagten K. zu verpflichten.
4. Beim Angeklagten T. beschränkt der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Verfolgung hinsichtlich des Vorwurfs des vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung aus den oben dargelegten Gründen gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (zur Anwendbarkeit von § 154a Abs. 2 StPO, wenn ein Urteil in angemessener Frist nicht zu erwarten ist: BGH, Beschluss vom 21. Mai 2015 - 3 StR 575/14).
Nicht bestehen bleiben kann der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Denn diesen stützt die Strafkammer schon hinsichtlich der Missachtung der gebotenen Sorgfalt auf die Verletzung der Strafnorm des § 95 Abs. 1 AMG (UA S. 65).
Der Wegfall des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Tötung und infolgedessen der für diese Tat verhängten Einzelstrafe hat die Aufhebung der Gesamtstrafe sowie der Anordnung des Verfalls von Wertersatz zur Folge.
Hinsichtlich der Verurteilung wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO; vgl. zu der zur Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer erhobenen Verfahrensrüge: BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 196/11, BGHSt 57, 3, 12 [zur vergleichbaren Problematik bei § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG]). Da die hierfür verhängte Strafe (50 Tagessätze zu je 15 €) nach den Urteilsausführungen nicht beeinflusst ist von der für das vorsätzliche Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung verhängten Freiheitsstrafe, kann diese bestehen bleiben.
Da mithin eine Straftat nach dem Lebensmittelrecht (§ 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GVG) nicht mehr zur Aburteilung steht, verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 354 Rn. 42 mwN).
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten T. wegen fahrlässiger Tötung auch davon abhängt, ob sich W. eigen- bzw. freiverantwortlich zum Konsum der „Kräutermischung" entschloss. Hieran kann es fehlen und deshalb eine zur Täterschaft des Angeklagten führende - normativ zu bestimmende - Handlungsherrschaft gegeben sein, wenn er kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 StR 47/14 NStZ-RR 2014, 312, 313; zur Verschreibung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt im Rahmen einer Substitutionsbehandlung auch BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 - 1 StR 389/13, BGHR StGB § 227 Beteiligung 4; zur Gefährlichkeit synthetischer Cannabinoide: BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin