Entscheidungsdatum: 28.05.2013
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 311 vom 28. November 2001, S. 67 ff.) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. EG Nr. L 136 vom 30. April 2004, S. 34 ff.) geltenden Fassung gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen - also nicht wiederherstellen oder korrigieren -, nur dann als Arzneimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken? Fallen mithin Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die allein wegen ihrer - einen Rauschzustand hervorrufenden - psychoaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei einen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt haben, nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie?
2. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage ausgesetzt.
Dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs liegt die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Lüneburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht hatte den Angeklagten unter anderem wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
I.
1. Dem Revisionsverfahren liegt - soweit für das Vorabentscheidungsersuchen von Bedeutung - folgender, vom Landgericht festgestellter Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte verkaufte in seinem Geschäft "G. - Alles rund um Hanf" unter anderem Tütchen mit bis zu 3 g Kräutermischungen. Diese sogenannten Legal-High-Produkte enthielten synthetische Cannabinoide. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Kräutermischungen von seinen Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht wurden in der Erwartung, sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen. Die Kräutermischungen unterfielen zum damaligen Zeitpunkt nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Aufgrund eines zuvor gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens war ihm bekannt, dass die Kräutermischungen wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen von den Ermittlungsbehörden als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) eingestuft wurden.
Die Untersuchung der aufgefundenen Kräutermischungen ergab, dass ihnen jeweils synthetische Cannabinoide - unter anderem JWH-210 und RCS-4 - zugesetzt waren. Diesen Verbindungen liegt keine Dibenzopyranbasis wie bei dem in Marihuana enthaltenen Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) zugrunde. Sie gehören zur Gruppe der Aminoalkylindole und wirken - dem THC ähnlich - auf die Cannabinoidrezeptoren im menschlichen Körper ein, wodurch eine physiologische Wirkung hervorgerufen wird. Sie wurden aufgrund von Erkenntnissen, dass THC immunstimulierend wirkt und daher etwa bei Mukoviszidose-Patienten eingesetzt wird, von der pharmazeutischen Industrie in vorexperimentellen Studien getestet. Die Testreihen wurden bereits in der ersten experimentell-phamakologischen Phase abgebrochen, da die gewünschten gesundheitlichen Effekte nicht erzielt werden konnten und erhebliche Nebenwirkungen aufgrund der psychoaktiven Wirksamkeit zu erwarten waren.
Die von dem Angeklagten zum Kauf angebotenen Tütchen enthielten weder festgelegte Wirkstoffmengen noch Hinweise auf den Wirkstoff oder Dosierungsanleitungen. In der Regel waren sie mit dem Aufdruck versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet. Die Konsumenten brachten die Kräutermischungen zumeist auf Tabak auf und rauchten diese Kombination.
Typische Wirkung nach dem Konsum solcher Kräutermischungen ist eine gehobene Stimmung bis hin zur Euphorie mit subjektiv gesteigerter Sinneswahrnehmung. Phasen gesteigerten Antriebs können mit Schläfrigkeit, Apathie und Lethargie abwechseln. Bei hohen Konsumdosen, Anwendung durch Personen mit psychischen Störungen und bei wiederholtem Konsum kommt es häufiger zu atypischen Rauscherlebnissen, bei denen Wahnvorstellungen, Angst, Halluzinationen und Depersonalisierungserlebnisse, akute Panikreaktionen, Desorientierung, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisverlust auftreten. Die Rauscherlebnisse können sich bis zu sogenannten bad trips mit Suizidimpulsen steigern. Aufgrund der nicht standardisierten Zumischung der synthetischen Cannabinoide und der daraus folgenden sehr ungleichmäßigen Verteilung besteht die Gefahr der Überdosierung. Die von der Strafkammer vernommenen Zeugen haben zudem als weitere Nebenwirkungen Herzrasen, Schwindelgefühle und Übelkeit geschildert.
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte durch den Verkauf der Kräutermischungen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG strafbar gemacht, indem er im Sinne des § 5 Abs. 1 AMG in Verbindung mit § 4 Abs. 17 AMG bedenkliche Arzneimittel in Verkehr gebracht hat.
3. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts sowie dessen Wertung, dass die synthetischen Cannabinoide eine bedenkliche Wirkung hätten und eine solche dem Angeklagten bekannt gewesen sei.
II.
Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Nach den vom Landgericht getroffenen, den Bundesgerichtshof als Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen haben die von dem Angeklagten zum Verkauf angebotenen Kräutermischungen keine gesundheitsfördernde Wirkung, sondern werden allein wegen ihrer einen Rauschzustand hervorrufenden Nebenwirkungen konsumiert. Bei diesem Sachverhalt kommt eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG nur in Betracht, wenn auch solche Stoffe und Stoffzubereitungen, die keine therapeutische Wirkung entfalten oder die körperlichen Funktionen nicht im Sinne einer Besserung beeinflussen, vielmehr lediglich gesundheitsschädlich wirken, ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG darstellen können.
Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend davon ab, wie der § 2 Abs. 1 AMG zugrundeliegende, mit dieser Vorschrift nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Das Vorabentscheidungsersuchen ist erforderlich, denn die in der Vorlagefrage enthaltene Rechtsfrage ist vom Gerichtshof der Europäischen Union weder bereits entschieden worden (acte éclairé), noch ist die Anwendung des für den Arzneimittelbegriff maßgeblichen Unionsrechts derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (acte clair).
Im Einzelnen:
1. In Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung wird der Begriff des Arzneimittels definiert. Arzneimittel sind danach
"a) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen."
Der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der Richtlinie den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert. Das nationale Recht unterscheidet demgemäß - wie die Richtlinie - zwischen sogenannten Präsentationsarzneimitteln ("nach der Bezeichnung / Bestimmung") gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und sogenannten Funktionsarzneimitteln ("nach der Funktion") gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG.
Präsentationsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
"die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind".
Hingegen handelt es sich um Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, wenn Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen
"im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen."
2. Da die von dem Angeklagten angebotenen Kräutermischungen nicht als Arzneimittel bezeichnet und bestimmt waren, kommt es hier allein auf die Definition des Funktionsarzneimittels und dabei auf das Verständnis des Merkmals "beeinflussen" an. Denn die Merkmale "wiederherstellen" und "korrigieren" können mangels entsprechender Wirksamkeit der synthetischen Cannabinoide nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht erfüllt sein.
In Rechtsprechung und Literatur zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG ist umstritten, ob hinsichtlich des Merkmals "beeinflussen" ausreichend ist, dass Körperfunktionen durch die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung des eingenommenen Stoffes in irgendeiner - gegebenenfalls gesundheitsschädlichen - Weise beeinflusst werden, oder ob ein "Beeinflussen" nur vorliegt, wenn damit ein therapeutischer Nutzen oder jedenfalls eine positive Beeinflussung der physiologischen Funktionen im Sinne einer therapeutischen Zielrichtung erreicht wird.
a) Letztgenannte Auffassung wird von Teilen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie Teilen der verwaltungs- und strafrechtlichen Literatur vertreten (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12, ZVR-online 11/2012 Rn. 25 ff.; VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 - 7 K 3169/11, juris Rn. 168 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12, PharmR 2012, 298, 300; Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1184; Müller, PharmR 2012, 137, 139; Voit, PharmR 2012, 241, 243 f.; zust. aus der strafrechtlichen Literatur Krumdiek, StRR 2011, 213, 215; Nobis, NStZ 2012, 422, 424 f.; Weidig, Blutalkohol 50/2013, 57, 63 ff.).
Diese Gerichte und Autoren argumentieren in erster Linie mit der Systematik der Norm: Die beiden erstgenannten Merkmale des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG "wiederherstellen" und "korrigieren" betonten erkennbar den positiven Zweck der Anwendung des Arzneimittels; es sei nicht ersichtlich, dass die dritte Variante "beeinflussen" unter diesem Niveau bleiben solle. Bei einem anderem Verständnis seien zudem die "Wiederherstellung" oder "Korrektur" der physiologischen Funktionen als besonders ausgewiesene Ziele überflüssig, da die dritte Variante des "Beeinflussens" ohnehin alles umfassen würde (vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12, ZVR-online 11/2012 Rn. 25 ff.). Dieses Verständnis trage auch der Begriffsdefinition "nach der Funktion" Rechnung, denn die Funktion eines Arzneimittels liege gerade in der Bekämpfung von Krankheiten und unerwünschten körperlichen Zuständen und Befindlichkeiten, nicht aber darin, Gesundheitsgefahren auszulösen (Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1184 f.). Darüber hinaus bedürfe der ansonsten uferlose Arzneimittelbegriff einer einschränkenden Auslegung (s. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2685), die auf diesem Wege erreicht werden könne (Voit, PharmR 2012, 241, 244 mwN).
b) Andere Gerichte und Autoren sehen hingegen das Merkmal bei jeder nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen als gegeben an, sei sie positiv im Sinne eines therapeutischen Nutzens oder negativ im Sinne einer schädlichen Einwirkung (aus verwaltungsrechtlicher Sicht: OVG Saarlouis, Urteil vom 3. Februar 2006 - 3 R 7/05, ZLR 2006, 173, 188; VG Potsdam, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 3 L 115/08, PharmR 2009, 250, 251; Koyuncu in: Deutsch/Lippert, AMG, 3. Aufl., § 2 Rn. 18, 21; Müller in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 2 Rn. 91; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 119. Erg.-Lief., § 2 Nr. 69 aE; Volkmer in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., Vorbem. AMG Rn. 72; aus strafrechtlicher Sicht: OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Dezember 2012 - 1 St OLG Ss 246/12, PharmR 2013, 94, 97; LG Limburg, Urteil vom 27. September 2012 - 5 KLs 3 Js 14210/11, PharmR 2013, 190, 203 f.; Diehm/Pütz, Kriminalistik 2009, 131, 135; Patzak/Volkmer, NStZ 2011, 498, 500). Maßgeblich sei auf die (pharmakologische) Wirkung des Stoffes abzustellen, die - abhängig von der verabreichten Dosis - zu einer positiven oder negativen Beeinflussung der Körperfunktionen führen könne (OVG Saarlouis, aaO). Für die Frage der Beeinflussung und damit die Einstufung als Funktionsarzneimittel sei entscheidend, ob es durch die Einnahme zu einer Veränderung komme, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liege (Volkmer in: Körner/Patzak/Volkmer, aaO unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 3 C 22.06, PharmR 2008, 73, 77). Dies sei auch der Fall, wenn Stoffe oder Zubereitungen zum Zwecke der Rauscherzeugung eingesetzt würden (Koyuncu, aaO, Rn. 18; Volkmer in: Körner/Patzak/Volkmer, aaO).
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof sogenannte Designerdrogen (Methyl-Metaqualon) und chemische Lösungsmittel, die in nahezu reiner Form als Droge verwendet werden (Gamma-Butyrolacton) unter den Begriff des Arzneimittels subsumiert (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 270/97, BGHSt 43, 336 und vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243). Dabei hat er ausgeführt, die Frage, ob ein Präparat eine therapeutische Wirkung entfalte, sei keine Frage des Arzneimittelbegriffs, sondern allein eine Voraussetzung seiner Zulassung (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 270/97, BGHSt 43, 336, 339). Diese Rechtsprechung ist allerdings unter der Geltung des § 2 Abs. 1 AMG aF ergangen, nach der Arzneimittel definiert wurden als
"Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
. . .
5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen."
Auch der deutsche Gesetzgeber ist bei der weitergehenden Überführung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs in das deutsche Arzneimittelrecht im Jahr 2009 davon ausgegangen, dass Designerdrogen etwa mit Beimischungen synthetischer Stoffe mit cannabinoider oder ähnlicher Wirkung bei einer Beurteilung nach ihrer Funktion Arzneimittel im Sinne von § 2 AMG sein können (BT-Drucks. 16/12256, S. 41).
3. Da in § 2 AMG die Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG umgesetzt und der europäische Arzneimittelbegriff in das deutsche Arzneimittelrecht übernommen worden ist, kommt es für die Frage, welcher der beiden Auffassungen zu folgen ist, auf die - autonom vorzunehmende - Auslegung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs an, für die nicht auf die frühere nationale Rechtsprechung zum deutschen Arzneimittelbegriff angeknüpft werden kann (vgl. Voit, PharmR 2012, 241, 244). Diese Auslegung des europäischen Rechts obliegt allein dem Gerichtshof der Europäischen Union.
a) Der Gerichtshof hat die Frage, ob das Merkmal des "Beeinflussens" wie die Begriffe "Wiederherstellung" und "Korrektur" eine positive Wirkung voraussetzt, jedenfalls aber bei einer rein gesundheitsschädlichen Beeinflussung der Körperfunktionen nicht erfüllt ist, oder ob es sich dabei um einen Auffangbegriff handelt, der wertneutral jegliche positive wie negative Beeinflussung umfasst, bislang nicht entschieden (kein "acte éclairé").
b) Die Anwendung des Unionsrechts ist auch nicht derart offenkundig, dass sie im Sinne eines " acte clair" keinen vernünftigen Zweifeln unterläge.
Zwar hat der Gerichtshof - worauf die Vertreter der Auffassung, es komme auf einen therapeutischen Nutzen der Beeinflussung nicht an, verweisen - bereits im Jahr 1991 dahin erkannt, dass in den Anwendungsbereich der Funktionsarzneimittel nach Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der früheren Richtlinie 65/65/EWG auch solche Erzeugnisse fielen, die die Körperfunktionen veränderten, ohne dass eine Krankheit vorliege, wie beispielsweise Verhütungsmittel. Aus dem vom Richtliniengeber verfolgten Ziel des Gesundheitsschutzes folge, dass alle Stoffe eingeschlossen seien, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinne haben könnten (EuGH, Urteil vom 16. April 1991 - Rs. C-112/89 - "Upjohn", Sammlung der Rechtsprechung 1991, S. I-1703, Rn. 19, 21). Diese Rechtsprechung ist auf die Definition des Funktionsarzneimittels in der Richtlinie 2001/83/EG zu übertragen (EuGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - Rs. C-211/03 - "HLH Warenvertrieb und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, S. I-5141, Rn. 50); auch die Neufassung durch die Richtlinie 2004/27/EG hat nicht zu einer Änderung der durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien geführt (EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 - Rs. C-140/07 - "Hecht Pharma", Sammlung der Rechtsprechung 2009, S. I-41, Rn. 35). Zudem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass auch die Gesundheitsgefahren, die von einem Erzeugnis ausgehen, bei der Entscheidung, ob es sich dabei um ein Funktionsarzneimittel handelt, einzubeziehen sind (EuGH, Urteile vom 21. März 1991 - Rs. C-369/88 - "Delattre", Sammlung der Rechtsprechung 1991, S. I-1487, Rn. 35 und vom vom 9. Juni 2005 - Rs. C-211/03 - "HLH Warenvertrieb und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, S. I-5141, Rn. 30 mwN).
Mit diesen vom Gerichtshof entschiedenen Fällen, in denen es vorrangig um die Abgrenzung von Arzneimitteln zu Lebensmitteln, aber auch zu Kosmetika, ging und zu prüfen war, ob die Erzeugnisse überhaupt eine nennenswerte physiologische Wirkung hatten und deshalb den für Arzneimittel geltenden Verkehrsbeschränkungen unterworfen werden konnten, ist die vorliegende Fallkonstellation nicht zu vergleichen. Insoweit gilt:
Die Produktgruppe der Arzneimittel ist von jeher durch die spezifische Zwecksetzung der Heilung, Verhütung und Diagnose von Krankheiten geprägt (vgl. Müller, PharmR 2012, 137, 138 mwN; Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1184). Mit diesem allgemeinen Begriffsverständnis ist es nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, auch solche Stoffe oder Stoffzubereitungen unter den Begriff des Funktionsarzneimittels zu subsumieren, die zwar unzweifelhaft die körperlichen Funktionen beeinflussen, wie ein Gift aber ausschließlich gesundheitsschädliche Wirkungen haben. Die "Funktion" des Arzneimittels läge dann - wie auch im vorliegenden Fall - allein in der Auslösung von Gesundheitsgefahren (vgl. Rennert aaO, S. 1184 f.).
Es stellt sich mithin die grundsätzliche Frage, ob ein Stoff, der allein im Hinblick auf seine gesundheitsschädigende Wirkung als Rauschgift erzeugt und vertrieben wird, unter den Oberbegriff des "Arzneimittels" gefasst werden kann. Diese Frage verneinend verstehen die Befürworter einer einschränkenden Auslegung auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wenn er ausführt, dass ein Erzeugnis, um als Funktionsarzneimittel eingestuft werden zu können, "wirklich die Funktion der Verhütung oder Heilung besitzen" müsse (EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05 - Kommission/Deutschland III, Sammlung der Rechtsprechung 2007, S. I-9811, Rn. 64).
Insoweit ist die Ausgangslage auch nicht mit der etwa bei oralen Kontrazeptiva vergleichbar: Zwar verfolgen diese in aller Regel keinen therapeutischen Zweck in dem Sinne, dass sie eine Krankheit heilen oder verhindern sollen. Gleichwohl erscheint deren Einbeziehung in den Regulierungsbereich des Arzneimittelrechts schon deshalb ohne Weiteres gerechtfertigt, weil sie sich mit Blick auf das ihnen zugrundeliegende Konzept nur geringfügig von therapeutisch wirksamen Arzneimitteln unterscheiden und anerkanntermaßen einen von der Frau unerwünschten körperlichen Zustand - die Schwangerschaft - verhindern sollen (vgl. Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1181; Müller, PharmR 2012, 137, 139).
III.
Der Senat bittet anzuordnen, dass über das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit Vorrang entschieden wird. Die Vorabentscheidungsfrage ist in einem schwebenden Strafverfahren entscheidungserheblich, für das in besonderem Maße der aus Art. 6 Abs. 1 MRK resultierende Anspruch des Angeklagten gilt, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Anklage in angemessener Zeit entschieden wird.
Tolksdorf Pfister Schäfer
Mayer Gericke