Entscheidungsdatum: 04.12.2018
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 2. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe wegen einer überlangen Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war alleiniger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der A. GmbH (A. ) mit Sitz in B. . Das Unternehmen war im Großhandel mit EDV-Geräten tätig und hatte zeitweise bis zu 100 Mitarbeiter.
Im Jahr 2009 zeichnete sich eine unternehmerische Krise der A. ab - zum Jahresende bestand eine negative Schlussbilanz mit einem Fehlbetrag von 952.024,42 €. Im April 2010 lagerte der Angeklagte den umsatzstärksten Geschäftsbereich der A. , den Handel mit Rückläufergeräten, auf eine hierfür neu gegründete Gesellschaft aus.
Die A. setzte ihre Geschäfte im Übrigen fort. Gegenüber einem ihrer Hauptlieferanten, der H. GmbH (H. ) entstanden im Laufe des Jahres 2010 Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 2.211.357,11 €, welche die A. mangels Liquidität nicht bedienen konnte. Der Angeklagte bat H. insofern erfolgreich um Stundung bis zum 30. September 2010. Nachdem jedoch die Verhandlungen über einen Zahlungsplan gescheitert waren, forderte H. die A. wieder zur Zahlung auf.
Zur Liquiditätslage der A. hat das Landgericht festgestellt, dass das Unternehmen jedenfalls im Tatzeitraum vom 30. September bis zum 26. November 2010 nicht in der Lage war, mindestens 90 % der fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Zur subjektiven Tatseite ist festgestellt, dass dem Angeklagten bekannt war, dass der A. „innerhalb absehbarer Zeit keine weiteren liquiden Mittel zufließen würden“.
Am 21. April 2011 stellte H. schließlich einen Insolvenzantrag, in dessen Folge das Insolvenzverfahren gegen die A. eröffnet wurde.
II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält sowohl bezüglich der Annahme der Zahlungsunfähigkeit der A. als auch bezüglich der subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Urteilsgründe liefern keinen ausreichenden Beleg, dass die A. im Tatzeitraum zahlungsunfähig war.
a) Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) erfolgt entweder durch die betriebswirtschaftliche Methode oder durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, NJW 2014, 164 ff. mwN).
Die - hier vom Landgericht angewandte - betriebswirtschaftliche Methode setzt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraus (BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - 1 StR 668/98, NJW 2000, 154, 156; Beschlüsse vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, NJW 2014, 164 ff.; vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546 ff.). Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen, ob innerhalb von drei Wochen mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen; das geschieht durch eine Finanzplanrechnung, aus der sich die hinreichend konkret zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der nächsten 21 Tage ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, aaO; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 15a InsO Rn. 65 f. mwN). Wird die betriebswirtschaftliche Methode gewählt, muss die Darstellung der Liquiditätslage zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig sein, dass dem Revisionsgericht die Kontrolle möglich ist, ob das Landgericht von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen und einen nachvollziehbaren Rechenweg gewählt hat (BGH, Beschluss vom 25. August 2016 - 1 StR 290/16, ZInsO 2016, 2032 f.).
b) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Strafkammer bezieht sich im Rahmen der Beweiswürdigung für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit der A. auf den betriebswirtschaftlichen Sachverständigen V. . Aus dessen in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ausführungen ergibt sich allerdings keine für das Revisionsgericht nachvollziehbare stichtagsbezogene Bewertung der Liquiditätslage.
aa) Für den Tatzeitraum wird überhaupt nur für den 30. September 2010 ein Deckungsgrad konkret beziffert (80,51 %). Zur Erläuterung werden jedoch nur die von dem Sachverständigen für diesen Tag errechneten Gesamtergebnisse zu den Aktiva und Passiva mitgeteilt (liquide Mittel in Höhe von insgesamt 1.852.663,64 € bei fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 2.301.219,06 €). Da es an jeder näheren Ausführung hierzu fehlt - insbesondere nach welchen Prämissen eine Finanzplanrechnung vorgenommen wurde -, kann die sachverständige Berechnung nicht nachvollzogen werden. Dabei bleibt auch unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage der Sachverständige die Liquiditätslage überhaupt bewertet hat, weil nach seinen Ausführungen die Geschäftsunterlagen der A. für das Jahr 2010 „unvollständig“ waren; der Insolvenzverwalter der A. , hat ausweislich der Urteilsgründe sogar angegeben, dass die gesamte Buchführung des Unternehmens nicht mehr verfügbar gewesen sei.
Hinzu kommt, dass der Sachverständige V. bei der Berechnung der Liquiditätslücke für den 30. September 2010 ersichtlich auch die Forderungen des Unternehmens H. berücksichtigt hat. Nach den getroffenen Feststellungen waren diese Forderungen allerdings bis zum 30. September 2010 gestundet. Dass Fälligkeit gleichwohl schon vor dem 1. Oktober 2010 eintrat, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Gestundete Forderungen dürfen bei der Berechnung der Liquiditätslücke jedoch nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 − 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; MüKo-StGB/Hohmann, 2. Aufl., § 15a InsO Rn. 31).
bb) Im Übrigen wird in den Urteilsgründen für kein weiteres Datum im Tatzeitraum überhaupt ein konkreter Deckungsgrad benannt, sondern es wird lediglich pauschal ausgeführt, dass bis zum 26. November 2010 ein Deckungsgrad von 90 % „jeweils nicht erreicht“ worden sei. Dies genügt keinesfalls den eingangs genannten Anforderungen an die Darstellung der Zahlungsunfähigkeit.
2. Auch zur subjektiven Tatseite hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Bereits die Feststellungen tragen nicht die Annahme vorsätzlichen Handelns des Angeklagten.
Im Rahmen von § 15a InsO muss der Täter es zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zur Stellung eines Eröffnungsantrags verpflichtet (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, aaO, § 15a InsO Rn. 90; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, aaO, § 15a InsO Rn. 132; Richter in Müller-Guggenberger, 6. Aufl., § 80 Rn. 57). Festgestellt ist vorliegend lediglich, dass dem Angeklagten bekannt war, dass der A. innerhalb absehbarer Zeit „keine weiteren liquiden Mittel zufließen würden“. Dies entspricht jedoch nicht der Kenntnis vom Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit, da eine solche nicht zwingend mit dem fehlenden Zufluss liquider Mittel einhergeht, sondern sich erst aus einer Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva ergibt.
b) Im Übrigen hält auch die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand, da dem angefochtenen Urteil keine eigenen Erwägungen der Strafkammer zum Vorsatz des Angeklagten im Tatzeitraum zu entnehmen sind. Ein entsprechender Vorsatz liegt unter den festgestellten Umständen zur Liquiditätslage der A. auch keinesfalls auf der Hand, da keine besonders gravierende Unterdeckung festgestellt ist und die Strafkammer zum 27. November 2010 von einer wiederhergestellten Zahlungsfähigkeit ausgeht.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Strafkammer insgesamt den Ausführungen des betriebswirtschaftlichen Sachverständigen V. „in eigener Überzeugungsbildung“ angeschlossen hat. Der Sachverständige hat unter anderem ausgeführt, der Angeklagte habe als Geschäftsführer Kenntnis von der Liquiditätslage „haben müssen“ beziehungsweise er habe sich jederzeit umfassend Kenntnis „verschaffen können“. Dies dient jedoch allenfalls zum Beleg eines Fahrlässigkeitsvorwurfes. Im Übrigen ist die Feststellung des Vorsatzes keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage, sondern obliegt allein dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621, 1624; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 583; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 63).
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