Entscheidungsdatum: 19.12.2013
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Januar 2013 im Strafausspruch in den Fällen B. I. 1.a bis 1.d und 1.f der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Schuldspruch in den Fällen B. II. und B. I. 1.e der Urteilsgründe, im Strafausspruch im Fall B. I. 1.a der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fünffachen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch in den Fällen B. I. 1.a bis 1.d und 1.f sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Die Revision des Angeklagten hat teilweise, die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schloss sich der Angeklagte spätestens im Sommer 2011 mit den gesondert verfolgten B. und M. zusammen, um mit Kokain in nicht geringen Mengen Handel zu treiben. Im Dezember 2011 schloss sich ihnen noch der gesondert verfolgte Bo. an. In den Fällen B. I. 1.a bis 1.d und 1.f der Urteilsgründe bezog die Bande zu Handelszwecken jeweils mindestens 500 g, 150 g, 200 g, 910 g und 100 g Kokain mit 10 % Wirkstoffgehalt. Im Fall B. I. 1.d waren zunächst 910 g Kokain in den Besitz der Bande gelangt; 410 g davon hatte man mangels Absatzmöglichkeit an den Lieferanten zurückgegeben. Im Fall B. I. 1.e der Urteilsgründe bewahrte der Angeklagte am 8. Mai 2012 179,8 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 6,95 % in seiner Wohnung auf. Das Marihuana war für den Eigenkonsum und als Zahlungsmittel für Kokain bestimmt. Das Landgericht hat im Fall 1.a eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, in den Fällen 1.b bis 1.d eine Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren und in den Fällen 1.e und 1.f eine solche von jeweils einem Jahr verhängt.
Im Fall B. II. der Urteilsgründe hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:
Am 10. Februar 2012 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem L. und dem Angeklagten. Hintergrund der Auseinandersetzung war, dass M. und B. den Eindruck hatten, L. verkaufe Betäubungsmittel an „Kunden" des Angeklagten. L. ging mit einem Schlagstock in der Hand auf den von B. herbeigerufenen Angeklagten zu. Dem Angeklagten gelang es während der tätlichen Auseinandersetzung, L. den Schlagstock abzunehmen und ihn zu treten. Der Schlagstock wurde von seinem Begleiter M. über einen Zaun geworfen. Nach dieser Auseinandersetzung äußerte L. , er wolle sich mit dem S. schlagen, der daraufhin telefonisch hinzugezogen wurde. Während der sich anschließenden tätlichen Auseinandersetzung zwischen L. und S. besprühte der Bo. den L. mit CS-Gas. Danach lief L. davon. Für diese Tat hat das Landgericht auf eine Einzelstrafe von zwei Jahren erkannt.
II.
Der Strafausspruch in den von der Staatsanwaltschaft angegriffenen Fällen hat keinen Bestand.
1. Schon die Erwägungen, mit denen die Strafkammer den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG bejaht hat, begegnen rechtlichen Bedenken. Die Formulierung, „der Gesetzgeber hatte bei Schaffung des zusätzlich verschärften Verbrechenstatbestandes des § 30a BtMG international organisierte Drogensyndikate im Blick, die nicht nur mittels Kurieren Drogen in die Bundesrepublik einschleusen, sondern auch Absatzorganisationen aufbauen und Maßnahmen für das Waschen und den Rückfluss der Gelder aus Rauschgifthandel treffen" lässt besorgen, dass die Strafkammer im Rahmen der Gesamtabwägung zu hohe Anforderungen an die Annahme eines „Normalfalles" nach § 30a Abs. 1 BtMG gestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1996 - 5 StR 402/95, BGHR BtMG § 30a Bande 2; Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 171/09, NStZ-RR 2009, 320, 321). Zudem sind die Wertungen zur Bandenstruktur widersprüchlich. Bei der Erörterung des minder schweren Falles geht die Strafkammer davon aus, dass die Bande um den Angeklagten besonders schlecht organisiert war (UA S. 16). Bei der rechtlichen Würdigung spricht sie hingegen von einer „ausgeklügelten Organisationsstruktur" (UA S. 13).
2. Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer außerdem bei der konkreten Strafzumessung eine zu geringe Strafrahmenuntergrenze zugrunde gelegt, indem sie den Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe des § 30a Abs. 3 BtMG angewendet hat. Dabei hat sie übersehen, dass die durch den schwereren Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 1 BtMG im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Tatbestände sowohl des § 29a Abs. 1 BtMG als auch des § 30 Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe entfalten (BGH, Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 1); für die Höchststrafe gilt demgegenüber nach der ständigen Rechtsprechung die für den Schuldspruch maßgebliche Bestimmung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 1 StR 59/10, NStZ 2011, 98, 99; Beschluss vom 14. August 2013 - 2 StR 144/13; vgl. aber auch Beschluss vom 25. Juli 2013 - 3 StR 143/13 Rn. 7 ff., juris).
Die Strafkammer hat nicht erwogen, ob auch minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 und § 30 Abs. 2 BtMG vorliegen. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen in den Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auf diesem Fehler beruhen. Im Fall I. 1.f unterschreitet die Einzelstrafe den Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG, in den Fällen I. 1.b bis 1.d ist auf die Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 BtMG erkannt worden. Im Fall I. 1.a ist lediglich auf eine die Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 BtMG geringfügig übersteigende Einzelstrafe erkannt worden. Überdies lässt das Urteil zum Fall I. 1.a angesichts der Betäubungsmittelmenge, die nicht über der im Fall I. 1.d gehandelten lag, eine nachvollziehbare Begründung für die Bemessung dieser Strafe vermissen. Insoweit wirkt die Aufhebung auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
3. Hinzu kommt ein weiterer Fehler zugunsten des Angeklagten bei der Bemessung aller Einzelstrafen. Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt. Untersuchungshaft ist indes, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund, es sei denn, mit ihrem Vollzug wären ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden (BGH, Urteile vom 28. März 2013 - 4 StR 467/12 Rn. 25 und vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, Rn. 18, jeweils mwN). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 - 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645). Daran fehlt es hier.
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen führt auch zur Aufhebung der Gesamtstrafe.
III.
Die Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist seine Revision aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 12. September 2013 unbegründet.
1. Die Verurteilung wegen (vollendeter) Nötigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Strafkammer hat bei der rechtlichen Würdigung zum Fall B. II. der Urteilsgründe lediglich ausgeführt, dass der Angeklagte mit M. , B. , Bo. und S. unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben von L. verlangt hat, dieser solle Drogengeschäfte mit Kunden des Angeklagten unterlassen. In welchen konkreten Verhaltensweisen sie eine Nötigungshandlung gesehen hat, ist nicht angegeben. Dass bei der Tat eine Drohung ausgesprochen worden wäre, ist nicht festgestellt, ebenso wenig, dass die geschilderten Tätlichkeiten des Angeklagten der Durchsetzung einer solchen Forderung dienten. Die Nötigung ist außerdem als Erfolgsdelikt ausgestaltet (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 421/03, BGHR StGB § 240 Abs. 1 Nötigungserfolg 3). Die Gewaltanwendung muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen. Vollendet ist die Nötigung erst dann, wenn der Genötigte die verlangte Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausführung begonnen hat. Auch dazu enthalten die Urteilsgründe keinerlei Angaben.
b) Bereits deshalb hat die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB keinen Bestand. Zudem lässt der geschilderte Tatablauf es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass sich der Angeklagte gegen L. , der mit einem Schlagstock in der Hand auf ihn zuging, zur Wehr gesetzt hat.
2. Der Schuldspruch im Fall B. I. 1.e der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes einer nicht geringen Menge Marihuana in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kann nicht bestehen bleiben. Der Besitz einer nicht geringen Menge Marihuana ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, worauf die Feststellung eines Wirkstoffgehalts von 6,95 % Tetrahydrocannabinol (THC) beruht. In der Beweiswürdigung setzt sich die Strafkammer nur mit den Angaben des Angeklagten und der gesondert verfolgten Bandenmitglieder zum Wirkstoffgehalt des Kokains auseinander. Dass der Angeklagte einen Wirkstoffgehalt des Marihuanas von genau 6,95 % THC gestanden haben könnte, schließt der Senat aus.
Der Schuldspruch begegnet aber auch deshalb Bedenken, weil die Absicht des Angeklagten, einen Teil des Marihuanas als Zahlungsmittel für Kokain einzusetzen, nicht hinreichend in Bezug auf ein bestimmtes Kokaingeschäft konkretisiert ist. Allein in dem Bereithalten eines Zahlungsmittels für noch völlig ungewisse Betäubungsmittelgeschäfte liegt weder ein versuchtes noch ein vollendetes Handeltreiben (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 1990 - 2 StR 147/90, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 22; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 225, 555).
Auch der Strafausspruch für diese Tat weist Rechtsfehler auf. Eigenständige Strafzumessungserwägungen fehlen völlig. Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der Strafzumessung - wie ausdrücklich bei der rechtlichen Würdigung - fehlerhaft von einem mehrfachen Überschreiten der nicht geringen Menge THC ausgegangen ist.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin