Entscheidungsdatum: 19.07.2018
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. August 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 6 der Urteilsgründe wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch,
c) im Ausspruch über die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Anordnung der Einziehung von Wertersatz von Taterträgen aufgehoben wird, soweit diese einen Betrag von 2.722,48 Euro übersteigt; die weiter gehende Einziehung von Wertersatz entfällt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, wegen Geldfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB und die Einziehung des Ersatzes des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.987,58 Euro sowie von fünfzehn 50-Euro-Falsifikaten angeordnet. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen dieses Urteil sind auf die Taten vom 11. November 2015 (Diebstahl zum Nachteil der Firma K. sowie versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr) beschränkt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt insoweit eine Verurteilung wegen „räuberischen Diebstahls in einem besonders schweren Fall“ in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zum Zwecke der Ermöglichung bzw. Verdeckung einer Straftat. Der Angeklagte wendet sich mit der Sachrüge gegen seine Verurteilung in diesem Fall. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat teilweise, dasjenige des Angeklagten nur in geringem Umfang Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts lud der Angeklagte am 11. November 2015 in einer Filiale der Firma K. drei Fernsehgeräte und einen Blu-Ray-Player in den Einkaufswagen und passierte, ohne zu bezahlen, den Kassenbereich. Als er auf dem öffentlich zugänglichen Kundenparkplatz die Elektronikgeräte in seinen Pkw lud, forderte ihn die stellvertretende Filialleiterin auf, den Kassenbon vorzulegen. Der Angeklagte entgegnete aggressiv, einen Kassenbon gebe es nicht und sie solle verschwinden. Dann schob er den leeren Einkaufswagen in Richtung der Filialleiterin, um die hintere Fahrzeugtür schließen zu können. Er setzte sich ans Steuer und fuhr mit hoher Beschleunigung und quietschenden Reifen in Richtung der einzigen Ausfahrt des Parkplatzes. Nachdem er mit etwa 30 bis 40 km/h eine Längskurve passiert hatte, beschleunigte er weiter stark. In diesem Moment kam ein K. -Mitarbeiter angelaufen und stellte sich in die Mitte der Ausfahrt. Der Angeklagte bemerkte ihn aus einer Entfernung von etwa fünfzehn Metern, beschleunigte jedoch weiter und fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h direkt auf den Mitarbeiter zu. Dabei ging es ihm nicht darum, die Tatbeute in Sicherheit zu bringen, sondern allein darum zu fliehen, um sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. Ein Anfahren des Mannes mit der Folge der Zufügung auch lebensgefährlicher Verletzungen nahm der Angeklagte, dem selbst ein Ausweichen nicht möglich gewesen wäre, in Kauf. Der K. -Mitarbeiter sprang im letzten Moment zur Seite.
Das Landgericht hat das Geschehen vom 11. November 2015 als gewerbsmäßigen Diebstahl (§ 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) und tatmehrheitlich als versuchte gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5, § 22 StGB) in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet. Eine Verurteilung nach § 315b Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte nicht in der Absicht gehandelt habe, eine andere Straftat – die versuchte gefährliche Körperverletzung – zu ermöglichen. Eine Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls scheide aus, weil der Angeklagte keine Gewalt angewendet habe, um sich im Besitz der gestohlenen Geräte zu halten. Gegenüber der stellvertretenden Filialleiterin habe er keine Gewalt ausgeübt. Die Gewalt gegenüber dem in der Ausfahrt stehenden Mitarbeiter habe nicht der Beutesicherung gedient.
II.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf die Geschehnisse vom 11. November 2015 beschränkt.
Das nur hinsichtlich der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat auch nur in diesem Umfang Erfolg.
a) Der Rechtsmittelangriff gegen die Verneinung der Voraussetzungen des § 252 StGB erschöpft sich darin, eine eigene Würdigung der Beweise vorzunehmen. Damit kann die Beschwerdeführerin im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. Als Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO zu bewertende Lücken der Beweiswürdigung oder Widersprüche zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Liegen aber solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar naheliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 mwN).
b) Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin hingegen, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat gemäß § 315b Abs. 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB beging. Zu diesem Qualifikationstatbestand verhält sich das Urteil nicht, obwohl dazu Veranlassung bestanden hätte. Als der Angeklagte auf den Mitarbeiter der Firma K. in der Ausfahrt zufuhr, ging es ihm nach den Feststellungen „allein darum zu fliehen, um sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen“ (UA 11). Er handelte allein in dem Bestreben, „sich durch rasche Flucht einer Identifizierung als Dieb und der sofortigen oder späteren Ergreifung zu entziehen“ (UA 34). Vor diesem Hintergrund hätte es der Erörterung bedurft, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Tathandlung nach seiner Vorstellung davon ausging, seine Täterschaft hinsichtlich des vorangegangenen Diebstahls sei noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 4 StR 483/17, NStZ-RR 2018, 88, 89).
Die Aufhebung der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr führt auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, des Gesamtstrafenausspruchs und der Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB.
Da bereits der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung der Aufhebung unterliegt, ist es nicht mehr entscheidungserheblich, dass die Strafkammer nicht erkennbar bedacht hat, dass die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB von dem Gesetz mit dem schwersten Strafrahmen bestimmt wird. Der gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB wäre indes höher als der von der Strafkammer angewendete Strafrahmen des § 315b Abs. 1 StGB.
c) Bei der Bemessung der Strafe für den am 11. November 2015 begangenen Diebstahl ist das Landgericht rechtsfehlerhaft von einer Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren – statt richtig einer solchen von zehn Jahren in § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB – ausgegangen. Der Senat kann jedoch ausschließen, dass die für diese Tat verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr auf dem Rechtsfehler beruht, da sich das Landgericht bei Bemessung dieser Strafe ersichtlich nicht am oberen Rand des von ihr fälschlich angenommenen Strafrahmens orientiert hat, sondern an der zutreffenden Untergrenze von drei Monaten.
2. Die ebenfalls wirksam auf die Geschehnisse vom 11. November 2015 beschränkte Revision des Angeklagten führt lediglich zur Herabsetzung des Einziehungsbetrags; im Übrigen erweist sie sich aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. März 2018 als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Nach den Urteilsgründen ist ein TV-Gerät im Wert von 259 Euro an die Geschädigte zurückgegeben worden (UA 42). Dieser Wert ist dementsprechend gemäß § 73e Abs. 1 StGB von dem vom Landgericht – abweichend vom Tenor – bei der Einziehungsentscheidung zu Gunsten des Angeklagten errechneten Gesamtbetrag von 2.981,48 Euro (UA 46) in Abzug zu bringen.
3. Der Senat weist darauf hin, dass durch die nach Verwerfung der Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten eingetretene Rechtskraft der Verurteilung wegen Diebstahls die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei seiner Flucht keine Beutesicherungsabsicht gehabt, bindend geworden ist. Abweichende Feststellungen durch den neuen Tatrichter insoweit wären wegen des Gebots der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe nicht zulässig.
Nach den bisherigen Feststellungen sind eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB durch einen „Beinahe-Unfall“ und damit auch die Voraussetzungen einer Lebensgefährdung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinreichend dargetan. Der neue Tatrichter wird gleichwohl Gelegenheit haben, die auf der Schätzung von Zeugen beruhende Feststellung der Geschwindigkeit des Angeklagten bei der Ausfahrt vom Parkplatz in der Beweiswürdigung näher zu belegen.
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