Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 20.10.2015


BPatG 20.10.2015 - 4 Ni 6/14

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Verfahren zum Prüfen von Reifen" (deutsches Patent)" – zur Verteidigung vor dem Bundespatentgericht: Anspruchssatz enthält neue nebengeordnete Ansprüche mit Unteransprüchen - inhaltliche Beschränkung des Patentgegenstandes – keine unzulässige Neugestaltung des Patents – Selbstbeschränkung – zur Zulässigkeit und zur erweiterten Zulässigkeitsprüfung einer Selbstbeschränkung – zur Anwendbarkeit des Patentgesetzes, der Patentverordnung und von Ordnungsvorschriften


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
20.10.2015
Aktenzeichen:
4 Ni 6/14
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 101 Abs 2 EuPatÜbk
Regel 43 Abs 2 EuPatÜbkAO

Leitsätze

Verfahren zum Prüfen von Reifen

1. Wird im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht zur Verteidigung des Streitpatents ein Anspruchssatz aufgestellt, welcher neue nebengeordnete Ansprüche mit Unteransprüchen enthält, so begründet dies als solches – bei inhaltlich beschränktem Patentgegenstand – keine unzulässige Neugestaltung des Patents, sondern eine Selbstbeschränkung.

2. Diese gewählte Form der Selbstbeschränkung ist jedenfalls dann zulässig, wenn die verteidigte Fassung der Ansprüche durch den konkreten Nichtigkeitsangriff veranlasst ist, hier der Beschränkung des Hauptanspruchs des wegen fehlender Patentfähigkeit angegriffenen Streitpatents durch Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung (im Anschluss an BPatG GRUR 2013, 487 – Fixationssystem).

3. Im Rahmen der erweiterten Zulässigkeitsprüfung einer Selbstbeschränkung des erteilten Patents im Nichtigkeitsverfahren kommt nur eine entsprechende Anwendbarkeit der für das Anmeldeverfahren zu beachten Vorschriften nach dem Patentgesetz und der Patentverordnung in Frage. Ordnungsvorschriften, wie § 34 PatG oder §§ 9, 10 PatV, können deshalb der Zulässigkeit einer Änderung des Patents und der Neuformulierung erteilter Patentansprüche nur entgegenstehen, wenn ihr Ordnungszweck nicht mit der Erteilung des Patents entfallen ist (so § 34 Abs. 5 PatG).

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent 103 33 802

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, den Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, die Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer und den Richter Dipl.-Ing. Altvater für Recht erkannt:

I. Das deutsche Patent 103 33 802 wird für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das deutsche Patent DE 103 33 802 (Streitpatent), das am 24. Juli 2003 angemeldet worden ist und ein „Verfahren und Vorrichtung zum Prüfen von Reifen“ betrifft. Die Priorität des Streitpatents nimmt wiederum das am 24. Februar 2010 veröffentlichte, rechtsbeständige europäische Patent 1 500 917 in Anspruch, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Das Streitpatent umfasst 21 Patentansprüche und ist vollumfänglich angegriffen.

2

Die Patentansprüche 1 bis 21 des Streitpatents in der erteilten Fassung lauten:

3

1. Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems mit einem Speicher, in dem Geometriedaten (1, 2, 3, 4, 5, 6) des Reifens (7) gespeichert sind, und mindestens einem Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7), wobei der oder die Messköpfe (8) unter Berücksichtigung der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7) positioniert werden.

4

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten des Reifens (7) den Außendurchmesser (1) und/oder den Innendurchmesser (2) und/oder die Breite (3) umfassen.

5

3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten des Reifens (7) den Innendurchmesser (4) der Lauffläche des Reifens (7) umfassen.

6

4. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten des Reifens (7) die Maulweite (5) des Reifens (7) umfassen.

7

5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten des Reifens (7) die Kontur (6) der Seitenwand des Reifens (7) umfassen.

8

6. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) in einen Speicher eingegeben oder eingelesen werden.

9

7. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) gemessen werden.

10

8. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens durch einen Sensor (H, V, 16, 21) gemessen werden.

11

9. Verfahren nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass der Sensor relativ zum Reifen bewegbar ist.

12

10. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass ein horizontales Profil des Reifens gemessen wird.

13

11. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass ein vertikales Profil des Reifens gemessen wird.

14

12. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberfläche des Reifens (7) interferometrisch geprüft wird.

15

13. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberfläche des Reifens (7) durch Projizieren von strukturiertem Licht geprüft wird.

16

14. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberfläche des Reifens (7) durch Photogrammetrie geprüft wird.

17

15. Verfahren nach einem der Ansprüche 8 bis 14, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberfläche des Reifens durch denselben Sensor geprüft wird, durch den die Geometriedaten des Reifens gemessen werden.

18

16. Vorrichtung zum Prüfen von Reifen, insbesondere zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit einem Prüfsystem, das einen Speicher zum Speichern von Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) und mindestens einen Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7) umfasst.

19

17. Vorrichtung nach Anspruch 16, gekennzeichnet durch eine Messeinrichtung zum Messen der Geometriedaten des Reifens.

20

18. Vorrichtung nach Anspruch 17, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtung einen Sensor umfasst.

21

19. Verfahren nach Anspruch 17 oder 18, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtung und/oder der Sensor relativ zum Reifen bewegbar ist.

22

20. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 16 bis 19 dadurch gekennzeichnet, dass das Prüfsystem einen interferometrischen Messkopf umfasst.

23

21. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 16 bis 29, dadurch gekennzeichnet, dass der Sensor des Messkopfes derselbe Sensor ist wie der Sensor der Messeinrichtung.

24

Wegen des Wortlauts des Anspruchs 2a, den die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 2015 nicht mehr verteidigt hat, wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 25. Juni 2015 (Bl. 237 ff. d. A.) Bezug genommen.

25

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin zunächst die fehlende Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung gemäß §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG geltend sowie die mangelnde Patentfähigkeit gemäß §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG, da das Streitpatent weder neu gemäß § 3 Abs. 1 PatG sei noch auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG beruhe.

26

Die Klägerin beruft sich auf folgende Schriften:

27

D1 DE 199 11 913 A1

28

D2 DE 100 36 010 A1

29

D3 DE 42 32 201 A1

30

D4 DE 695 16 196 T2

31

D4´ EP 0 669 203 B1

32

D5 EP 1 284 409 A1

33

D6 JP 05-264 407 A

34

D6´ Maschinenübersetzung zu D6 ins Englische

35

D7 EP 1 043 578 A2

36

D8 EP 1 099 947 A2

37

D9 US 6 006 599 A

38

D10 US 6 386 025 B2

39

D11 Auszug “RETREADING BUSINESS”

40

D12 Handbuch „INTACT 1200 Bead to Bead“

41

D13 Handbuch „INTACT 1600 AC“

42

D14 Infobroschüre „HTCI“.

43

Die Klägerin führt aus, die beanspruchte Lehre sei wenigstens im Umfang des Patentanspruchs 6 nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen könne. Zudem werde der Gegenstand des Streitpatents von der D5 sowie von der D11 bis D14 neuheitsschädlich getroffen. Zudem sei der Patentgegenstand durch die Lehre der der D5 sowie der D10 insbesondere i. V. m. der D6 oder dem Fachwissen nahegelegt. Sie beruft sich ferner auf eine Vorbenutzung eines Reifenprüfgeräts VERGÖLST. Soweit die Beklagte das Streitpatent hilfsweise mit neuen nebengeordneten Anspruchssätzen verteidige, sei dies eine unzulässige Änderung des Streitpatents (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG). Es sei in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Frage der Einheitlichkeit zu beachten, da durch die Regel 43.2 im EPÜ strengere Anforderungen an die Voraussetzung von Nebenordnungen bestünden. Auch habe der 5. Senat des BPatG in der Entscheidung 5 Ni 8/13 vom 11.02.2015 zu Recht eine Begründung bezüglich der Veranlassung für eine derartige Anspruchsfassung gefordert. Im Übrigen führten auch die insoweit verteidigten Patentansprüche zu keiner anderen Beurteilung im Hinblick auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit, die jeweils zu verneinen seien.

44

Die Klägerin beantragt,

45

das deutsche Patent DE 103 33 802 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

46

Die Beklagte beantragt,

47

die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das deutsche Patent 103 33 802 mit dem mit Schriftsatz vom 25. Juni 2015 eingereichten Hilfsantrag (Bl. 246 bis 251 d. A.), ohne den Anspruch 2a verteidigt wird.

48

Der Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

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49

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin uneingeschränkt entgegen. Die Nichtigkeitsklage sei nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Erfindung in dem Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen könne. Sämtliche Patentansprüche seien sowohl in der erteilten Fassung als auch in der Fassung des Hilfsantrags patentfähig. Insbesondere gründe sich die Lehre des Streitpatents auf eine erfinderische Tätigkeit, die nicht in der Auswahl der Geometriedaten liege, sondern in dem kennzeichnenden Merkmal, woher diese stammten und wie sie zugeführt würden. Der Unterschied zu der von der Klägerin für die mangelnde Neuheit und die mangelnde erfinderische Tätigkeit in erster Linie genannten D5 bestehe darin, dass die Geometriedaten bei der D5 gemessen würden, während sie nach der Lehre des Streitpatents in die Datenbank eingelesen würden. Soweit das Streitpatent hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 14 verteidigt werde, seien sämtliche geänderten Patentansprüche zulässig. Der Grundsatz der Einheitlichkeit stehe der Zulässigkeit nicht entgegen; darüber hinaus dienten die Änderungen zur weiteren Abgrenzung zum Stand der Technik, sodass insoweit auch eine Veranlassung für die Abfassung dieser Ansprüche bestehe.

50

Der Senat hat den Parteien am 9. Februar 2015 einen frühen qualifizierten Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 184 ff. d. A.).

51

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

52

Die zulässige Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe mangelnder Ausführbarkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) und mangelnder Patentfähigkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) geltend gemacht werden, ist begründet, da sich der Gegenstand des Streitpatents sowohl in der geltenden Fassung als auch in der mit Hilfsantrag vom 25. Juni 2015 hilfsweise verteidigten Fassung als nicht patentfähig erweist, so dass das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären ist.

53

Der Senat bejaht die – zwischen den Parteien außer Streit stehende - Zulässigkeit der Klage auch insoweit, als eine Doppelidentität mit dem Patent EP 1 500 917 besteht und sich wegen der nach § 8 Abs. 1 IntPatÜG hieraus resultierenden Wirkungslosigkeit des nationalen Patents die Frage, nach einem grundsätzlich erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis stellt (siehe BGH Urt. v. 20.7.2010, X ZR 17/07). Ein solches liegt für die Klägerin unzweifelhaft bereits deshalb vor, weil die Beklagte zum Verzicht auf das Streitpatent aufgefordert worden ist.

II.

54

1. Nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung betrifft die Erfindung ein Verfahren zum Prüfen von Reifen und eine Vorrichtung zum Durchführen eines derartigen Verfahrens (vgl. Absatz [0001] der Streitpatentschrift).

55

Prüfgeräte für Reifen sind bereits bekannt. Dabei kann die Oberfläche des Reifens auf Fehlstellen untersucht werden. Dies kann insbesondere durch Bestrahlung mit kohärentem Licht, insbesondere Laserlicht, geschehen (vgl. Absatz [0002] der Streitpatentschrift).

56

2. Die Streitpatentschrift verweist zum Stand der Technik auf die Schriften der D1, D2 und D4, D5 und die dort gelehrten Verfahren und bezeichnet es vor diesem Hintergrund als Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung der eingangs genannten Art zu verbessern (vgl. Absatz [0007] der Streitpatenschrift).

57

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlagen Patentanspruch 1 der geltenden Fassung des Streitpatents ein Verfahren der eingangs genannten Art sowie Patentanspruch 16 eine Vorrichtung vor:

58

Patentanspruch 1 (mit Gliederungspunkten versehen):

59

M1.1 Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems

60

M1.2 mit einem Speicher, in dem Geometriedaten (1, 2, 3, 4, 5, 6) des Reifens (7) gespeichert sind,

61

M1.3 und mindestens einem Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7),

62

M1.4 wobei der oder die Messköpfe (8) unter Berücksichtigung der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7) positioniert werden.

63

Patentanspruch 16 (mit Gliederungspunkten versehen):

64

M16.1 Vorrichtung zum Prüfen von Reifen, insbesondere zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

65

M16.2 mit einem Prüfsystem,

66

M16.2.1 das einen Speicher zum Speichern von Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) und

67

M16.2.2 mindestens einen Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7) umfasst.

68

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen):

69

M1.1 Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems

70

M1.2 mit einem Speicher, in dem Geometriedaten (1, 2, 3, 4, 5, 6) des Reifens (7) gespeichert sind,

71

M1.3 und mindestens einem Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7),

72

M1.4a wobei der oder die Messköpfe (8) unter Berücksichtigung  der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7) automatisch positioniert werden,

73

dadurch gekennzeichnet,

74

M1.5 dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) den Außendurchmesser (1) und/oder den Innendurchmesser (2) und/oder die Breite (3) und/oder den Innendurchmesser (4) der Lauffläche des Reifens (7) und/oder die Maulweite (5) des Reifens (7) und/oder die Kontur (6) der Seitenwand des Reifens (7) umfassen

75

M1.6a und dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) aus einer Datenbank in einen Speicher eingelesen werden.

76

Patentanspruch 2 gemäß Hilfsantrag lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen):

77

M1.1 Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems

78

M1.2 mit einem Speicher, in dem Geometriedaten (1, 2, 3, 4, 5, 6) des  Reifens (7) gespeichert sind,

79

M1.3 und mindestens einem Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7),

80

M1.4a wobei der oder die Messköpfe (8) unter Berücksichtigung der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7) automatisch positioniert werden,

81

dadurch gekennzeichnet,

82

M1.5 dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) den Außendurchmesser (1) und/oder den Innendurchmesser (2) und/oder die Breite (3) und/oder den Innendurchmesser (4) der Lauffläche des Reifens (7) und/oder die Maulweite (5) des Reifens (7) und/oder die Kontur (6) der Seitenwand des Reifens (7) umfassen

83

M1.6b und dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) mit Hilfe eines Barcodes in einen Speicher eingelesen werden.

84

Patentanspruch 4 gemäß Hilfsantrag lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen):

85

M1.1 Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems

86

M1.2 mit einem Speicher, in dem Geometriedaten (1, 2, 3, 4, 5, 6) des  Reifens (7) gespeichert sind,

87

M1.3 und mindestens einem Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7),

88

M1.4a wobei der oder die Messköpfe (8) unter Berücksichtigung der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7) automatisch positioniert werden,

89

dadurch gekennzeichnet,

90

M1.5 dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) den Außendurchmesser (1) und/oder den Innendurchmesser (2) und/oder die Breite (3) und/oder den Innendurchmesser (4) der Lauffläche des Reifens (7) und/oder die Maulweite (5) des Reifens (7) und/oder die Kontur (6) der Seitenwand des Reifens (7) umfassen

91

M1.7 und dass die Geometriedaten (1-6) des Reifens durch einen vertikal ausgerichteten, weggebenden Sensor (H) und durch einen horizontal ausgerichteten, weggebenden Sensor (V) gemessen werden.

92

Patentanspruch 7 gemäß Hilfsantrag lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen):

93

M16.1a Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der  vorhergehenden Ansprüche

94

M16.2 mit einem Prüfsystem,

95

M16.2.1 das einen Speicher zum Speichern von Geometriedaten (1-6)  des Reifens (7) und

96

M16.2.2 mindestens einen Messkopf (8) zur Prüfung der Oberfläche  des Reifens (7) umfasst,

97

M16.2.3 der oder die unter Berücksichtigung der Geometriedaten (1-6) des Reifens (7) zur Prüfung der Oberfläche des Reifens (7) automatisch positionierbar sind.

98

4. Als zur objektiven Problemlösung berufenen Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Prüfanlagen auf Basis optischer Messverfahren an.

III.

99

Der Lehre des erteilten Streitpatents nach Anspruch 1 stellt darauf ab, dass das erfindungsgemäße Verfahren mittels in einem Speicher abgelegter Geometriedaten des Reifens durchgeführt wird, wobei diese Daten zuvor in unterschiedlicher Weise abgespeichert worden sein können und zur Positionierung des Messkopfs für die Prüfung eines Reifen verwendet werden, also nicht erst durch eine Messung des konkret zu prüfenden Reifens ermittelt werden müssen. So wird auch in der Beschreibung ausgeführt, dass der oder die Messköpfe unter Berücksichtigung der Geometriedaten, wie Außen-, Innendurchmesser, Breite, Lauffläche, Maulweite des Reifens, Kontur der Seitenwand des Reifens (Absätze [0010]-[0011] des Streitpatents), zur Prüfung der Oberfläche des Reifens positioniert werden. Die so im Speicher des Prüfsystems abgelegten Geometriedaten ermöglichen es, den oder die Messköpfe, die zur Prüfung der Oberfläche des Reifens dienen, automatisch zu positionieren. Hierdurch kann das Verfahren zum Prüfen von Reifen automatisiert werden (Abs. [0008]).

100

Hierbei können die Geometriedaten in den Speicher eingegeben werden, was insbesondere manuell geschehen kann, oder stattdessen bzw. zusätzlich können die Daten in den Speicher eingelesen werden, beispielsweise aus einer Datenbank, insbesondere auch über das Internet (Abs. [0012]).

101

Figur 1 zeigt einen Querschnitt durch einen Reifen in einer schematischen Ansicht

Abbildung

102

Das Streitpatent bezeichnet es ferner als vorteilhaft, wenn die Geometriedaten des Reifens stattdessen oder zusätzlich gemessen werden, vorzugsweise automatisch bzw. selbsttätig, was durch einen Sensor geschehen kann (Absätze [0013]-[0014]), der relativ zum Reifen bewegbar ist bzw. bewegt wird und ein horizontales Profil und/oder zusätzlich auch ein vertikales Profil des Reifens misst (Absätze [0015]-[0016]), wobei insbesondere Triangulationssensoren, Laser-Triangulationssensoren oder Ultraschallsensoren, aber auch andere Sensoren bzw. weggebende Sensoren geeignet sind (Abs. [0014]).

Abbildung

103

Während danach die Lehre von Patentanspruch 1 erteilter Fassung mit den Merkmalen M1.2, M1.4 insbesondere nur die Verwendung noch unspezifischer gespeicherter Geometriedaten und deren Berücksichtigung bei der Positionierung der Messköpfe lehrt, fokussieren die Patentansprüche 1-4 nach Hilfsantrag die Auswahl konkreter Geometriedaten (Patentansprüche 1, 2, 4 Merkmal M1.5) und deren Verwendung zur automatischen Positionierung des oder der Messköpfe (Patentansprüche 1, 2, 4 Merkmal M1.4a), wobei einerseits die auf unterschiedliche Art erfolgende Zuführung der spezifischen Geometriedaten des Reifens in den Speicher beansprucht wird (Patentansprüche 1, 2 Merkmale M1.6a, M1.6b), während andererseits diese Daten nicht aus einem Speicher abgerufen werden, sondern durch einen Sensor vom zu untersuchenden Reifen selbst ermittelt werden, um den oder die Messköpfe zu posi-tionieren (Patentanspruch 4 Merkmal M1.7).

104

Figur 3 zeigt einen möglichen Messaufbau, der sowohl für die Prüfung der Oberfläche des Reifens als auch für die Messung der Geometriedaten des Reifens verwendet werden kann (Abs. [0045]).

105

Soweit der Patentanspruch die im Verfahren verwendeten Gegenstände ergänzend hinsichtlich ihrer Funktion umschreibt, wie nach M1.3 den Messkopf „zur Prüfung der Oberfläche des Reifens“, bilden diese Angaben ebenso wie in den Vorrichtungsansprüchen die „Vorrichtung zum Prüfen von Reifen“ lediglich Geeignetheitskriterien. Sie legen insbesondere die Funktion der Gegenstände nicht auf den angegebenen Zweck fest (BGH GRUR 2010, 1081 - Bildunterstützung bei Katheternavigation; BPatG Urteil v. 6.12.2011 - 1 Ni 9/10 (EP)), sondern bilden eine Abgrenzung nur insofern, als diese Gegenstände jedenfalls die Eignung aufweisen müssen, der weiteren funktionalen Umschreibung zu genügen.

106

Gemäß den Merkmalen M1.1 und M1.3 soll die Oberfläche eines Reifens mittels eines Prüfsystems, das einen Messkopf enthält, geprüft werden. Dabei bleibt offen, welche Eigenschaften der Oberfläche des Reifens gemessen werden sollen und welche Art von Messkopf dazu verwendet wird (genannt sind als Beispiele: interferometrisch, strukturiertes Licht, Photogrammetrie; Abs. [0017], [0019]).

107

Gemäß Merkmal M1.2 ist ein Speicher vorhanden, in dem Geometriedaten des Reifens gespeichert sind. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen elektronischen Datenspeicher. Wie und wann die Geometriedaten des Reifens ermittelt wurden, bleibt dabei offen. Als Geometriedaten sind in den Ansprüchen 2 bis 5 der Außendurchmesser (1) und/oder der Innendurchmesser (2) und/oder die Breite (3) und/oder den Innendurchmesser (4) der Lauffläche des Reifens (7) und/oder die Maulweite (5) des Reifens (7) und/oder die Kontur (6) der Seitenwand des Reifens (7) genannt (siehe auch Merkmal 1.5 nach Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags).

108

Gemäß Merkmal M1.3 enthält das Prüfsystem einen Messkopf, der zur Prüfung der Oberfläche des Reifens geeignet sein muss.

109

Gemäß Merkmal M1.4a werden der Messkopf oder die Messköpfe unter Berücksichtigung der Geometriedaten des Reifens zur Prüfung der Oberfläche des Reifens automatisch positioniert. Es werden also die Geometriedaten des Reifens bei der Positionierung der Messköpfe berücksichtigt; sie können danach bereits im Speicher vorhanden sein oder auch vor der Prüfung erhoben worden sein. Dies versteht der Fachmann dahingehend, dass die Messköpfe zur Prüfung des Reifens automatisch derart positioniert werden, dass eine ordnungsgemäße Messung stattfinden kann, ihr Abstand zum Reifen also automatisch entsprechend eingestellt wird.

110

Im Merkmal M1.6a ist angegeben, dass die Geometriedaten des Reifens aus einer Datenbank in einen Speicher eingelesen werden. Es ist also eine Datenbank vorhanden, in der die Geometriedaten abgespeichert sind. Über die konkrete Ausbildung der Datenbank ist nichts ausgesagt. Ein Barcode muss dabei nicht verwendet werden.

111

Im Merkmal M1.6b ist angegeben, das die Geometriedaten des Reifens mit Hilfe eines Barcodes in einen Speicher eingelesen werden. Ob dabei zusätzlich noch eine Datenbank verwendet wird, in der die Geometriedaten abgespeichert sind, oder ob bereits im Barcode entsprechende Daten abgespeichert sind, bleibt dabei offen. Über den konkreten Aufbau des Barcodes ist nichts ausgesagt.

Abbildung

112

Die im Merkmal M1.7 genannten vertikal oder horizontal ausgerichteten Sensoren sind so zu verstehen, dass sie in die genannte vertikale oder horizontale Richtung ihre Messstrahlung aussenden und in dieser Richtung den Abstand zum Reifen messen. Figur 2 zeigt eine derartige Vorrichtung zum Prüfen von Reifen mit einem zu prüfenden Reifen in einem Querschnitt und einem vertikal ausgerichteten Triangulationssensor H und einen horizontal ausgerichteten Triangulationssensor V.

113

Während der Reifen 7 in horizontaler x-Richtung verfahren wird, nimmt der vertikal ausgerichtete Triangulationssensor H ein horizontales Profil auf. Ein zweites, vertikales Profil wird dadurch erhalten, dass der horizontal ausgerichtete Triangulationssensor V mittels einer Positioniervorrichtung A in vertikaler Richtung z verfahren wird. (Abs. [0039]).

114

Unter den im Anspruch 6 beanspruchten „vertikalen“ und „horizontalen“ Profilen im Zusammenhang mit horizontal und vertikal ausgerichteten weggebenden Sensoren versteht danach die Lehre des Streitpatents, wie insbesondere auch Fig. 2 und die zugehörige Beschreibung Absatz [0039] verdeutlichen, die Profile, die sich bei entsprechender vertikaler oder horizontaler Ausrichtung des oder der Sensoren bezogen auf das Messobjekt ergeben, wenn der oder die Sensoren verschoben werden; so entsteht nach Abs. [0039] ein vertikales Profil bei horizontaler Ausrichtung des Sensors und Verschiebung in vertikaler Richtung, während ein horizontales Profil entsteht bei vertikal ausgerichtetem Sensor und horizontaler Verschiebung in x-Richtung. Insofern bildet die Anmeldung ihr eigenes Lexikon.

IV.

115

I. Patentanspruch 1 nach Hauptantrag

116

Der Nichtigkeitsangriff gegen Patentanspruch 1 erteilter Fassung, welcher nach Hauptantrag verteidigt wird, erweist sich hinsichtlich des Angriffs wegen fehlender Ausführbarkeit nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 2, 22 Abs. 1 PatG als unbegründet, der weitere Angriff wegen fehlender Patentfähigkeit nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 PatG erweist sich jedoch als erfolgreich.

117

1. Fehlende Ausführbarkeit

118

Der Senat sieht die durch Patentanspruch 1 geschützte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Lehre ausführbar, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Dabei reicht es aus, wenn dem Fachmann ein allgemeines Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Insbesondere muss auch der Patentanspruch nicht alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthalten (BGH GRUR 2011, 707 Dentalgerätesatz; GRUR 2010, 414 - Thermoplastische Zusammensetzung; GRUR 2010, 916 - Klammernahtgerät). Beim erteilten Patent ist hierbei auch nicht notwendig, dass die Lehre des Patents über die gesamte Anspruchsbreite ausführbar ist (BGH GRUR 2010, 414 – Thermoplastische Zusammensetzung).

119

Das diesbezüglich bemängelte Merkmal M1.4, wonach der oder die Messköpfe unter Berücksichtigung der Geometriedaten des Reifens zur Prüfung der Oberfläche des Reifens positioniert werden, ist hinreichend bestimmt. Dabei versteht der Fachmann dieses Merkmal dahingehend, dass die Geometriedaten des Reifens, d. h. dessen Abmessungen, so zur Positionierung des Messkopfes verwendet werden sollen, dass dieser Messkopf eine korrekte Messung durchführen kann, er also im richtigen Abstand zum Reifen positioniert wird und demnach nicht zu weit weg und auch nicht zu nahe am Reifen mit eventueller Kollisionsgefahr positioniert wird.

120

Auch hinsichtlich des Merkmals M1.6b, welches nur einen Barcode und keine Datenbank erwähnt, die die Geometriedaten aufweist, besteht bei der gebotenen Auslegung keine unvollständige Information hinsichtlich der einzusetzenden Mittel, aus welcher ein Mangel an Ausführbarkeit folgt. Denn die Anspruchsformulierung „mit Hilfe eines Barcodes“ schließt weder die Einbeziehung einer gesonderten Datenbank in die technische Anweisung zur Ausgestaltung der Lehre aus noch wird die Ausgestaltung des Barcodes konkret bestimmt, so dass dieser bereits selbst auch Daten enthalten kann, welche eine „Datenbank“ bilden, so wenn die Barcodedaten bereits selbst Geometriedaten des Reifens enthalten. Dies erschließt sich dem Fachmann unter Einsatz seines Fachwissens ohne weiteres und kann eine fehlende Ausführbarkeit deshalb nicht begründen.

121

2. Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 und 16 nach Hauptantrag

122

Die Lehre nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 16 erweist sich gegenüber der D5 bereits nicht als neu.

123

2.1 Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist nicht neu gegenüber dem aus der D5 bekannten Stand der Technik.

Abbildung

124

So ist aus der D5 ein Verfahren zum Prüfen von Reifen mittels eines Prüfsystems bekannt (vgl. Spalte 2, Zeilen 16 bis 17: „Eine typische Anwendung dieser Art ist die interferometrische Prüfung von Reifen.“ und die Figuren 4 bis 6 mit Beschreibung, insbesondere Spalte 10, Zeilen 39 bis 43: „Die Figuren 4 bis 6 zeigen die praktische Anwendung des neuen Verfahrens am Beispiel eines Fahrzeugreifens. Zur Ermittlung innerer Strukturdefekte wird dabei, wie häufig üblich, die Innenseite des Reifens interferometrisch vermessen.“) [= Merkmal M1.1].

125

Dabei werden die Geometriedaten, d. h. die Oberflächenform des Reifens bei einer sogenannten Konturmessung ermittelt und in einem Speicher des dazu verwendeten Bildverarbeitungssystems für die weitere Verwendung bei der Prüfung der Oberfläche des Reifens gespeichert (vgl. die Figur 2 mit Beschreibung, insbesondere Absatz [0013]: „Die Figur 2 zeigt den Ablauf der Konturmessung während der Messkopf von der Position S1 in die Position S5 gedreht wird. Die Bilder der Kamera 4 werden fortlaufend aufgenommen und abgelegt. Zu jedem der abgelegten Bilder von den Lichtschnittebenen L1 und L2 wird ferner die Messkopfposition bestimmt. So wird zu Beginn der Drehbewegung eine Aufnahme bei S1, während der Drehbewegung die Aufnahmen bei S2 bis S4 gemacht und am Ende der Drehbewegung eine Aufnahme bei Position S5 gemacht. Die Oberfläche der Sektoren 1 und 2 wird somit mit insgesamt 10 Lichtschnitten erfasst bzw. vermessen.“ und Absatz [0014]: „Nach Beendigung der Drehbewegung des Messkopfes ist nun die Oberflächengeometrie der Sektoren 1 und 2 mit guter Auflösung berechenbar. Hierzu wird eine Triangulationsrechnung durchgeführt wobei über die bekannten Messkopfpositionen S1 bis S5 alle Lichtschnitte in einem gemeinsamen Koordinatensystem dargestellt werden können.“ Damit ist also ein Speicher, in dem Geometriedaten des Reifens gespeichert sind, vorhanden, wie im Merkmal M1.2 beansprucht ist.

Abbildung

126

Weiterhin ist mindestens ein Messkopf zur Prüfung der Oberfläche des Reifens vorgesehen (vgl. die Figur 4 mit Beschreibung, insbesondere Spalte 10, Zeilen 41 bis 51: „Zur Ermittlung innerer Strukturdefekte wird dabei, wie häufig üblich, die Innenseite des Reifens interferometrisch vermessen. Die Figur 4 zeigt die Positionierung des Messkopfes 14 gegenüber dem Querschnitt des Reifens 1. Der Messkopf 14 entspricht dem in den Figuren 1a und 1b gezeigten Messsystem, bestehend aus einem Lichtschnittsensor zur Ermittlung der Objektkontur einerseits und einem interferometrischen Messkopf zur flächenhaften interferometrischen Verformungsmessung andererseits.“) [= Merkmal M1.3].

127

Dabei wird der Messkopf unter Berücksichtigung der Geometriedaten des Reifens zur Prüfung der Oberfläche des Reifens positioniert (vgl. Absatz [0009], Unterstreichung seitens des Senats hinzugefügt: „Bei der abschnittsweisen Prüfung eines Objektes ist es erforderlich, die Lage der einzelnen Messabschnitte, den Abstand des Messkopfes zum Prüfobjekt, sowie die notwendige Anzahl von Messabschnitten, die zur vollständigen Erfassung der zu untersuchenden Oberfläche benötigt werden, festzulegen. Diese Festlegungen führen dann zu Prüfmaschinenparametern, wie z. B. den Schrittmotor- und Achspositionen, der Anzahl der Sektoren usw. Gemäß einem weiteren Aspekt der Erfindung wird das Konturmeßsystem zusätzlich dazu verwendet, um auch diese Parameter zu bestimmen. Die vom Konturmeßsystem gelieferten Daten können dabei entweder vom Bediener einen Soll/Ist-Vergleich der Messkopfposition ermöglichen, oder zur vollautomatischen Positionierung des Messkopfes dienen.“, wobei die gelieferten Daten den Geometriedaten des Reifens entsprechen) [= Merkmal M1.4].

128

Damit sind jedoch bereits alle Merkmale des Gegenstandes gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 aus der D5 bekannt. Die Beklagte hat dieser Auffassung im Übrigen auch nicht widersprochen.

129

2.2 Der auf eine Vorrichtung zum Prüfen von Reifen gerichtete Gegenstand des erteilten Nebenanspruchs 16 ist ebenfalls nicht neu gegenüber dem aus der D5 bekannten Stand der Technik, da er in den Merkmalen M16.1 bis M16.2.2 lediglich die Teile der Vorrichtung zur Durchführung der Verfahrensmerkmale M1.1 bis M1.3 gemäß Patentanspruch 1 benennt und damit inhaltlich nicht über Anspruch 1 hinausgeht.

130

2.3 Die weiteren erteilten Unteransprüche bedürfen bereits deshalb keiner weiteren Erörterung, weil die Patentinhaberin eine weitere isolierte Verteidigung für die Fassung nach Hauptantrag im Hinblick auf den geltend gemachten Hilfsantrag ausdrücklich nicht geltend gemacht hat (GRUR 2009, 46-50, Ionenaustauschverfahren). Auf die Frage, ob diese als lediglich vorteilhafte Weiterbildungen bereits für nichtig zu erklären sind, weil weder geltend gemacht wird noch sonst ersichtlich ist, dass die zusätzlichen Merkmale zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen (BGH GRUR 2012, 149 - Sensoranordnung), es sich also nicht nur um bloße „echte“ Unteransprüche handelt (hierzu Keukenschrijver/Busse PatG § 82 Rn. 52; Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 263) kommt es deshalb wegen des vorrangigen Willen des Patentinhabers nicht an (hierzu BPatG Urt. v. 12.3.2013 - 4 Ni 13/11 – Dichtungsring).

V.

131

I. Zulässigkeit der geänderten Patentansprüche

132

Der Senat sieht die nach Hilfsantrag aufgestellten Patentansprüche sämtlich als zulässig an, da sie inhaltlich eine zulässige Beschränkung des Patentgegenstands darstellen und auch die Aufstellung der neuen nebengeordneten Ansprüche 2, 4 und 7 sowie der hierauf ausgerichteten Unteransprüche 3, 5 und 6 sowie 8-14 jedenfalls deshalb als zulässig anzusehen ist, weil die so gewählte Beschränkung des erteilten Patents durch den Nichtigkeitsangriff fehlender Patentfähigkeit veranlasst ist.

133

1. Zulässigkeit von Nebenordnungen und hierauf ausgerichteter Unteransprüche

134

Nach einhelliger Auffassung ist die auch im Nichtigkeitsverfahren mögliche Beschränkung des Streitpatents auf ihre Zulässigkeit zu prüfen, wobei diese Prüfung nicht auf die Nichtigkeitsgründe nach §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 PatG reduziert ist, sondern erweitert auch diejenigen Voraussetzungen für die Erteilung von Patentansprüchen umfasst (BGH GRUR 1998, 901 – Polymermasse; BPatG GRUR 2013, 609 - Unterdruckwundverband; Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 278), soweit diese Anwendung finden können. Insoweit kommt mangels einer der Vorschrift des Art. 101 Abs. 3 EPÜ entsprechenden Bestimmung allerdings nur eine analoge Anwendung in Betracht, d. h. insbesondere solcher Vorschriften des PatG und der PatV, deren Grundgedanke auch bei Beschränkung eines Patents im Nichtigkeitsverfahren gerechtfertigt erscheinen (zur Analogie im Verfahrensrecht Zöller ZPO, 30. Aufl. Einl. Rn. 93 ff.; zum Patentverfahren BGH GRUR 1997, 890 - Drahtbiegemaschine). Andernfalls würden der Normzweck der auch im Nichtigkeitsverfahren möglichen Selbstbeschränkung erteilter Patente sowie die Grenzen zulässiger Analogiebildung missachtet.

135

1.1 Wesentlich ist insoweit, dass die beschränkte Verteidigung von einer unzulässigen Neugestaltung des Patents zu unterscheiden ist und sich die Selbstbeschränkung sachlich immer in dem durch das Beschränkungsverfahren, wie es in § 64 PatG für die isolierte Beschränkung geregelt ist, vorgegebenen Rahmen halten muss. Eine Neugestaltung des Patents ist dagegen im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren nicht mehr möglich und dem Anmeldeverfahren vorbehalten und zwar losgelöst von der Frage, ob die neu gestaltete Lehre eine andere Lehre - ein aliud - begründet oder nicht (BGH GRUR 2005, 145 – elektronisches Modul). Insoweit steht vorliegend außer Streit, dass sich die nach den geänderten Patentansprüchen verteidigte Lehre inhaltlich nicht als aliud darstellt.

136

Die Klägerin macht jedoch geltend, dass die Aufstellung erstmaliger nebengeordneter Patentansprüche bereits deshalb unzulässig sei, weil dies eine Neugestaltung des Patents darstelle, dem Gebot der Einheitlichkeit widerspreche und die Beklagte eine erforderliche Veranlassung nicht dargelegt habe.

137

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die erstmalige Aufstellung oder die Hinzufügung weiterer nebengeordneter Patentansprüche kann, wie der Anspruchssatz nach Hilfsantrag belegt und von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt wird, ohne weiteres eine inhaltliche Beschränkung der geltenden Lehre darstellen. Auch begründet insbesondere der Umstand, dass sich die Anzahl der Ansprüche oder ihre Darstellung in Form der Nebenordnung von der erteilten Fassung des Streitpatents unterscheidet, nicht als solcher bereits eine unzulässige Neugestaltung des Patents. Dies gilt auch dann, wenn man zutreffender Weise für die Bewertung einer zulässigen Änderung und Frage der Abgrenzung der Beschränkung von der Neugestaltung nicht nur auf den Inhalt abstellt, sondern auch formale Aspekte einbezieht, wie sie in § 34 Abs. 5 PatG i. V. m. § 9 Abs. 5 PatV für die Einheitlichkeit gefordert sind, oder aber die weiteren in der PatV zur Fassung von Patentansprüchen und Beschreibung enthaltenen weiteren Ordnungsvorschriften einbezieht.

138

Denn die Anwendung derartiger Vorschriften muss dort ihre Grenze finden und kann nicht als Argument einer Neugestaltung herangezogen werden, wo die Vorschriften ihren Zweck mit der Erteilung des Patents erfüllt haben und sich bereits deshalb eine analoge Anwendung verbietet. Es ist deshalb anerkannt, dass das im Prüfungs- bzw. Erteilungsverfahren geltende Gebot der Einheitlichkeit im Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren entgegen der Auffassung der Klägerin keine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Beschränkung eines erteilten Patents bildet und die im Prüfungs- bzw. Erteilungsverfahren geltenden Ordnungsvorschriften nach § 34 Abs. 5 PatG i. V. m. § 9 Abs. 5 PatV für das Gebot der Einheitlichkeit bzw. nach Art. 82 EPÜ i. V. m. Regel 43 Abs. 2 AOEPÜ für das EP-Patent deshalb für die erweiterte Zulässigkeitsprüfung der Beschränkung eines erteilten Patents unbeachtlich sind (Moufang/Schulte PatG 9. Aufl., § 34 Rn. 248; Schäfers/Schwarz/Benkard PatG 11. Aufl., § 34 Rn. 94 f., 95; a. A. BPatG Urt. v. 11.2.2015, 5 Ni 8/13 (EP); G 1/91 ABL. EPA 1992/253 - Einheitlichkeit/SIEMENS). Der Senat teilt diese Auffassung. Denn diese Ordnungsvorschriften haben ihren Ordnungszweck mit der Erteilung des Patents erfüllt, zumal auch beim erteilten Patent dem Patentinhaber, anders als im Anmeldeverfahren keine Möglichkeit mehr bleibt, durch eine Teilung auf einen derartigen Zulässigkeitseinwand zu reagieren (siehe auch EPA T 263/05 ABl. 2008, 329).

139

Insoweit ist bei der Grenzziehung analoger Anwendung von Vorschriften, welche das Anmeldeverfahren betreffen, und insbesondere auch für die Beurteilung der Zulässigkeit von beschränkenden Änderungen und deren Abgrenzung zur Neugestaltung einzubeziehen, der Sinn und Zweck dieser Bestimmungen unter Berücksichtigung der für Verfahrensnormen geltenden Auslegungsgrundsätze, wie dem Verbot übertriebener Formstrenge, eines prozessökonomischen Verfahrens und einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung (vgl. Zöller ZPO, 30. Aufl. Einl. Rn. 93 ff.; Engels/Busse PatG 7. Aufl. vor § 73 Rn. 46 ff.) sowie die berechtigten Interessen des Patentinhabers. Deshalb darf auch nicht vernachlässigt werden, dass im Gegensatz zur Situation im Prüfungsverfahren erst der Angriff auf das erteilte Patent die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer bestimmten Anspruchsfassung für den Patentinhaber erkennbar macht. Das gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die dem Patentinhaber im Rahmen zulässiger Selbstbeschränkung zugebilligte Gestaltungsrecht ein bereits erteiltes Patent betrifft und deshalb in besonderem Maße die Möglichkeit einer effektiven und auf größtmöglichen Rechtserhalt gerichteten Verteidigung des Patents zu beachten ist, mithin übertriebene Kleinlichkeit zu vermeiden ist (Engel GRUR 2009, 248; Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 278; ders. GRUR 2001, 571, 574, Augenmaß fordernd).

140

1.2 Nichts anderes muss auch für die weiteren, das Anmeldeverfahren betreffenden Vorschriften gelten, soweit deren Anwendung mit der Erteilung des Patents nicht mehr gerechtfertigt erscheint, so insbesondere auch Formvorschriften für die Aufstellung von Patentansprüchen. Auch diese können deshalb insoweit nicht das Argument einer unzulässigen Neugestaltung des Patents begründen. Dies gilt auch für die Frage, ob und in welchem Umfang die Bildung nebengeordneter Ansprüche zulässig ist. Insofern enthält § 9 PatV bereits keine Aussage über Begrenzungen bzw. Fallgruppen zulässiger Nebenordnungen, anders als Regel 43 Abs. 2 AOEPÜ zum europäischen Einspruchsverfahren, z. B. nebengeordnete Ansprüche für Alternativlösungen, sofern eine Formulierung innerhalb eines Anspruchs nicht zweckmäßig erscheint. Bereits deshalb kann allein in der beschränkenden Umformulierung eines Patentanspruchs als nebengeordneter Anspruch keine unzulässige Neugestaltung gesehen werden. Darüber hinaus hat sich für derartige, auf die Erteilung des Patents abzielende Ordnungsvorschriften mit Erteilung des Patents ihr Zweck, das Prüfungsverfahren sinnvoll zu strukturieren und den Prüfungsaufwand durch Begrenzung von Nebenordnungen vertretbar zu halten, relativiert oder erledigt. Beachtlich können sie jedoch nur sein, soweit auch die Neuformulierung erteilter Patentansprüche mit dem Sinn und Zweck dieser Bestimmungen in Konflikt gerät (ebenso, aber auch weitergehend BPatGE 52, 195 = BlPMZ 2011, 380 – Bearbeitungsstation; zur Beschreibung BPatG 26.3.1997 7 W (pat) 64/95; vgl. auch Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 278).

141

Der Senat sieht deshalb auch für die vorliegend in Rede stehende Frage der Bildung nebengeordneter Patentansprüche beim Angriff wegen fehlender Patentfähigkeit keinen Anlass, von der bereits zum Angriff fehlender Ausführbarkeit bestätigten Zulässigkeit der Bildung von nebengeordneten Ansprüchen und hierauf ausgerichteter Unteransprüche abzuweichen (GRUR 2013, 487 - Fixationssystem; ebenso für die Zulässigkeit nebengeordneter Ansprüche Engel GRUR 2009, 248, 250; Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren Rn. 285, 306, die Aufstellung weiterer abhängiger Ansprüche jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnis im Nichtigkeitsverfahren verneinend; zum EPÜ EPA T 263/05 ABl. 2008, 329, Singer/Stauder EPÜ Art. 101 Rn. 106 m. w. N.). Denn ebenso wie in der Entscheidung „Fixationssystem“, welche jeweils unterschiedliche und von dem Patentanspruch 1 erteilter Fassung umfasste Ausführungsformen betraf, liegt auch vorliegend eine inhaltlich ausschließlich beschränkende Verteidigung des Streitpatents vor (a. A. BPatG Urt. v. 11.2.2015, 5 Ni 8/13 (EP)).

142

So enthält die Fassung der neuen nebengeordneten Verfahrensansprüche 2 und 4 gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 eingeschränkte alternative Ausführungsformen mit den hierauf ausgerichteten Unteransprüchen 3, 5 und 6, während der Vorrichtungsanspruch 7 bereits in der geltenden Fassung als abhängig formulierter Nebenanspruch vorhanden war, inhaltlich aber durch Aufnahme weiterer Merkmale und die Bezugnahme auf die neugefassten Verfahrensansprüche 1-6 beschränkt ist. Dies gilt auch für die weiteren, auf Anspruch 7 rückbezogenen Unteransprüche 8-14, welche übernommene Formulierungen der erteilten Fassung (ursprüngliche Ansprüche 17 bis 21) bzw. eine Präzisierung des geltenden Anspruchs 8 darstellen, die in der Beschreibung in den Absätzen [0039] und [0040] erläutert sind. Trotz der somit im Ergebnis vollständigen Neufassung des Anspruchssatzes liegt danach keine unzulässige Neugestaltung des Patents vor. Im Übrigen entspricht die mit den Ansprüchen 1, 2 und 4 gewählte Form als nebengeordneten Ansprüchen, welche theoretisch auch in einem Anspruch hätte formuliert werden können, der für europäische Patente mit Regel 43 Abs. 2 AOEPÜ ausdrücklich für das Erteilungsverfahren anerkannten Fallgruppe, da nur so die jeweils abhängigen Unteransprüche entsprechend angepasst formuliert werden konnten. Eine unzulässige Neugestaltung kann deshalb hierin nicht gesehen werden.

143

1.3. Der Senat bejaht auch die von der Klägerin aufgeworfene weitere Frage der von der Beklagten in Abrede gestellten Veranlassung für eine derartige Verteidigung und beschränkende Fassung durch den gegenständlichen Nichtigkeitsangriff wegen fehlender Patentfähigkeit. Insoweit wird die Auffassung vertreten, ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse für eine Beschränkung des angegriffenen Patents durch Aufstellung neuer bzw. nebengeordneter Ansprüche müsse nicht durch den Nichtigkeitsangriff veranlasst sein, sondern finde seine Rechtfertigung bereits in einem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis, wie z. B. darin, durch die angestrebte Neuformulierung eine bessere Durchsetzungsmöglichkeit des beschränkten Patents zu erzielen (so Engel GRUR 2009, 248, 251; so auch zur Aufstellung neuer Unteransprüche bereits BPatGE 44, 240 = GRUR 2002, 327, 330 - Erstes Impulssignal).

144

Wie der Senat bereits in der Entscheidung „Fixationssystem“ angesprochen hat, kann dieser Auffassung zwar den Gedanken der Prozessökonomie und der Vermeidung des isolierten Beschränkungsverfahrens nach § 64 PatG für sich reklamieren (vgl. BPatG GRUR 2013, 487 - Fixationssystem); andererseits erscheint die Forderung nach einer durch den Angriff „veranlassten“ Beschränkung nicht unberechtigt (so auch BPatG Beschl. v. 28.7.2008 - 9 W (pat) 405/05; BPatGE 49, 84 = BlPMZ 2006, 212 - Sektionaltorblatt, grundsätzlich die Zulässigkeit für nebengeordnete Ausführungsformen verneinend, aber Ausnahmen aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht ausschließend; zu Unteransprüchen BPatGE 43, 230 = BlPMZ 2001, 223 - Spülgut), die letztlich Ausdruck der Forderung nach einem qualifizierten Rechtsschutzinteresse ist und insbesondere auch nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA und von Regel 43 AOEPÜ aufgestellt wird (vgl. Podbielski in Singer/Stauder EPÜ 6. Aufl. Art. 101 Rn. 106 m. w. N. zur Nebenordnung mit eingehender Begründung EPA T 263/05 ABl. 2008, 329). Diese Frage kann vorliegend jedoch letztlich unbeantwortet bleiben.

145

Denn vorliegend besteht kein Zweifel, dass der konkrete Nichtigkeitsangriff auf fehlende Patentfähigkeit eine derartige von einem qualifizierten Rechtsschutzinteresse getragenen Veranlassung zur Aufstellung der nebengeordneten Patentansprüche 2 und 4 sowie der neuen hiervon abhängigen Unteransprüche 3, 5-7 begründet hat; die Beschränkung danach sogar weitergehend als nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und von Regel 43 AOEPÜ zum Einspruchsverfahren gefordert sogar durch den konkreten Angriff und nicht nur abstrakt durch den Kanon der Nichtigkeitsgründe veranlasst war. So ist vorliegend zu berücksichtigen, dass aus Sicht der Patentinhaberin wegen der zum Erhalt des Patents als erforderlich angesehenen Beschränkung des Hauptanspruchs erteilter Fassung und der Aufnahme weiterer Merkmale aus der Beschreibung (M1.4a „automatisch“ und M1.6a „aus einer Datenbank“) eine weitergehende überschießende Beschränkung der bisherigen Ausführungsformen und alternativen Lösungen nur durch die Bildung der nebengeordneten Ansprüche 2 und 4 möglich war, nämlich mit dem zu M1.6a alternativen Merkmal M1.6b „mithilfe eines Barcodes) bzgl. Anspruch 2 und mit Merkmal M1.10 bzgl. des Anspruchs 4, der unter Wegfall der Merkmale M1.6a, M1.6b nicht die Generierung der Geometriedaten aus einem Speicher fokussiert, sondern deren konkrete Messung, wie sie in den erteilten Ansprüchen 7 und 8 ff. für den unbeschränkten Hauptanspruch 1 erteilter Fassung geschützt war.

146

2. Zulässigkeit im Übrigen

147

Auch sieht der Senat die Zulässigkeit der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag als zulässig an, da die Gegenstände sämtlicher geänderter Patentansprüche in Einklang mit §§ 21 Abs. 1 Nr. 2-4, 22 Abs. 1 PatG und ursprünglich offenbart wie auch den Schutzumfang der geltenden Patentensprüche nicht erweitert an. Insbesondere teilt der Senat auch nicht die von der Klägerin geltend gemachten Bedenken hinsichtlich der Ausführbarkeit der Lehre nach dem geänderten Unteranspruch 6.

148

2.1 Insoweit sieht der Senat sich hinsichtlich einer möglichen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung zu folgenden Bemerkungen veranlasst:

149

Die nach den Merkmalen M1.4a und M16.2.3 beanspruchte automatische Positionierung der Messköpfe unter Berücksichtigung der Geometriedaten des Reifens ist in den Abschnitten [0008] („Wenn die Geometriedaten des Reifens bekannt sind, also in dem Speicher des Prüfsystems abgelegt sind, ist es möglich, den oder die Messköpfe, die zur Prüfung der Oberfläche des Reifens dienen, automatisch zu positionieren. Hierdurch kann das Verfahren zum Prüfen des Reifens automatisiert werden.“), [0032] („Für die vollautomatische Prüfung […]“) und [0051] („Durch die Erfindung wird ein vollautomatisches Prüfgerät geschaffen.“) ursprünglich offenbart.

150

Hier ist keine konkrete Ausführungsform der automatischen Prüfung dargelegt, sondern diese ist nur allgemein erwähnt. Dies steht der ursprünglichen Offenbarung jedoch nicht entgegen, da auch in den geltenden Ansprüchen 1, 2, 2a, 4 und 7 nur allgemein eine automatische Prüfung beansprucht wird.

151

Die nach Merkmal M1.5 beanspruchten speziellen Geometriedaten des Reifens sind in den erteilten Unteransprüchen 2 bis 5 offenbart (betrifft die geltenden Ansprüche 1, 2 und 4).

152

Die Merkmale M1.6a, wonach die Geometriedaten des Reifens aus einer Datenbank in einen Speicher eingelesen werden (Anspruch 1), und M1.6b, wonach die Geometriedaten des Reifens mit Hilfe eines Barcodes in einen Speicher eingelesen werden (Anspruch 2), sind in den Abschnitten [0012] („Die Geometriedaten des Reifens können in den Speicher eingegeben werden, was insbesondere manuell geschehen kann. Stattdessen oder zusätzlich können die Geometriedaten des Reifens in den Speicher eingelesen werden, beispielsweise aus einer Datenbank, was insbesondere auch über das Internet geschehen kann.“) und [0037] („Die erwähnten Geometriedaten…können manuell eingegeben und/oder eingelesen werden, insbesondere aus einer Datenbank und/oder mit Hilfe eines Barcodes.“) ursprünglich offenbart.

153

Das Merkmal M1.7 ist in den Absätzen [0039] und [0040] ursprünglich offenbart.

154

2.2 Ausführbarkeit der Lehre nach Patentanspruch 6

155

Den Angriff der Klägerin auf fehlende Ausführbarkeit der Lehre des Streitpatents teilt der Senat nicht. Was unter den im Anspruch 6 beanspruchten vertikalen und horizontalen Profilen im Zusammenhang mit horizontal und vertikal ausgerichteten weggebenden Sensoren zu verstehen ist, ergibt sich für den Fachmann in eindeutiger Weise anhand der Figur 2 und der zugehörigen Beschreibung Absatz [0039]. Insofern bildet die Anmeldung ihr eigenes Lexikon.

156

II. Patentfähigkeit der Patentansprüche 1, 2, und 4 gemäß Hilfsantrag

157

Der Senat sieht den Nichtigkeitsangriff wegen fehlender Patentfähigkeit als begründet an, da sich die jeweilige Lehre der nunmehr nebengeordneten Ansprüche 1, 2, 4 und 7 durch die D5 als nahegelegt und deshalb als nicht erfinderisch erweist und die Beklage das Streitpatent nicht weitergehend, insbesondere nicht im Sinne einer isolierten Verteidigung der Unteransprüche verteidigt hat.

158

1. Patentfähigkeit von Patentanspruch 1:

159

Das präzisierte Merkmal M1.4a in den Patentansprüchen 1, 2 und 4, wonach die Messköpfe unter Berücksichtigung der Geometriedaten des Reifens zur Prüfung der Oberfläche des Reifens automatisch positioniert werden, ist ebenfalls bereits aus der D5 bekannt (vgl. den Absatz [0009]: „Die vom Konturmesssystem gelieferten Daten [d. h. Geometriedaten des Reifens] können dabei […] zur vollautomatischen Positionierung des Messkopfes dienen.“).

160

Das in den Patentansprüchen 1, 2 und 4 zusätzlich beanspruchte Merkmal M1.5 betrifft die konkret genannten Geometriedaten des Reifens, nämlich den Außendurchmesser und/oder den Innendurchmesser und/oder die Breite und/oder den Innendurchmesser der Lauffläche des Reifens und/oder die Maulweite des Reifens und/oder die Kontur der Seitenwand des Reifens. Sie stellen dabei auch nach Meinung der Beklagten lediglich dem Fachmann allgemein bekannte Geometriedaten dar.

161

Da bei der D5 sowohl die gesamte innere wie äußere Oberfläche und auch die Kontur des Reifens (vgl. die Abschnitte [0005] bis [0007] in denen die Oberflächenmessung und die Konturmessung des Reifens beschrieben ist) erfasst werden, umfassen die ermittelten Geometriedaten zwangsläufig auch die oben konkret genannten beanspruchten Geometriedaten des Reifens.

162

Beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 wird weiter im Merkmal M1.6a beansprucht, dass die Geometriedaten des Reifens aus einer Datenbank in einen Speicher eingelesen werden.

163

Die Geometriedaten werden bei der D5 (vgl. die Abschnitte [0009], [0013] und [0014] während der Konturmessung durch ein Bildverarbeitungssystem ermittelt und in einem Speicher gespeichert. Sie werden somit bei der D5 gemessen und nicht aus einer Datenbank in den Speicher eingelesen.

164

Da Reifen jedoch üblicherweise standardisiert sind und ihre Geometriedaten damit bereits bekannt sind, ist eine individuelle Messung jedes einzelnen Reifens überflüssig und der Fachmann wird einfach auf die bekannten (und evtl. bereits früher ermittelten) Geometriedaten des Reifens zurückgreifen. Dabei ist es für den Fachmann nahegelegt, diese bekannten Geometriedaten in der allgemein bekannten Form einer (auch im Streitpatent nicht näher charakterisierten) Datenbank abzulegen und die Geometriedaten bei Bedarf zur Benutzung bei der Positionierung der Messköpfe in den Speicher zu übertragen bzw. einzulesen.

165

2. Patentfähigkeit von Patentanspruch 2:

166

Beim Gegenstand des Patentanspruchs 2 wird im Unterschied zu Anspruch 1 im Merkmal M1.6b beansprucht, dass die Geometriedaten des Reifens mit Hilfe eines Barcodes in einen Speicher eingelesen werden.

167

Auch die Verwendung eines Barcodes ist für den Fachmann bei den oben genannten standardisierten Reifen nahegelegt, da Barcodes allgemein bekannt sind und als Kennzeichnung für standardisierte Produkte dienen, mit deren Hilfe das Produkt betreffende Daten, die auch aus einer Datenbank stammen können oder direkt in dem Barcode gespeichert sein können, in einen Speicher eingelesen werden (vgl. z. B. die üblichen Registrierkassen). Dabei die Geometriedaten des Reifens, die diesen charakterisieren, zu übertragen und in einen Speicher einzulesen ist für den Fachmann nahegelegt.

168

3. Patentfähigkeit von Patentanspruch 4

169

Beim Gegenstand des Patentanspruchs 4 wird im Merkmal M1.7 beansprucht, dass die Geometriedaten des Reifens durch einen vertikal ausgerichteten, weggebenden Sensor (H) und durch einen horizontal ausgerichteten, weggebenden Sensor (V) gemessen werden.

170

Bei der D5 sind zur Messung der Geometriedaten des Reifens bei der Konturmessung weggebende Sensoren vorgesehen. So zeigt die Figur 1b mit Beschreibung (insbesondere die Abschnitte [0006], [0007], [0013] und [0014]) einen Sensor (Kamera 3) der horizontal ausgerichtet ist und eine Triangulationsmessung mit Hilfe linienförmiger Lichtschnitte durchführt und damit die Geometriedaten des Reifens misst.

171

Da bei der Bestimmung der Geometriedaten auch die Fläche des Reifens eine Rolle spielt und deshalb gemessen werden soll, sind sowohl Messungen der horizontalen wie auch der vertikalen Geometriedaten des Reifens nötig. Deshalb ist es für den Fachmann nahegelegt, dafür zusätzlich zur horizontalen Ausrichtung auch noch die vertikale Ausrichtung zu bestimmen und dafür zusätzlich zum horizontal ausgerichteten weggebenden Sensor auch noch einen vertikal ausgerichteten weggebenden Sensor vorzusehen. Hinweise gibt ihm die D5 dabei in der Figur 5, bei der zur Messung der Strukturdefekte des Reifens zwei senkrecht zueinander angeordnete Sensoren (Messkopf 14) vorgesehen sind. Da die Messsensoren zur Messung der Strukturdefekte und die Konturmesssensoren des Reifens identisch sein können (vgl. Spalte 4, letzter Absatz: „Die Kamera zur Erfassung der Lichtschnitte und die Kamera des interferometrischen Messkopfes sind ferner vorzugsweise identisch, […]“) ist es für den Fachmann nahegelegt, diese senkrecht zueinander stehende Anordnung der Sensoren auch bei der Messung der Geometriedaten zu verwenden. Dabei können diese Richtungen auch die vertikale und horizontale Richtung sein, da diese ebenfalls senkrecht aufeinander stehen.

172

4. Patentfähigkeit von Patentanspruch 7:

173

Da die Merkmale M16.2 bis M16.2.2 und M16.2.3 inhaltlich den Merkmalen M1.1 bis M1.3 und M1.4a entsprechen und somit, wie bereits oben ausgeführt, bereits aus der Druckschrift D5 bekannt sind, ist auch der gemäß Merkmal M16.1a auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche gerichtete Nebenanspruch 7 aus den gleichen Gründen, wie die Ansprüche auf die er sich rückbezieht, für den Fachmann nahegelegt.

174

5. Unteransprüche 3, 5, 6 8-14:

175

Da der Vertreter der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf eine gesonderte Verteidigung auch der Unteransprüche nach Hilfsantrag verzichtet hat, bedurfte es aus den genannten Gründen bereits aufgrund der fehlenden Verteidigung dieser Ansprüche keine weiteren Sachprüfung und das Streitpatent war vollumfänglich für nichtig zu erklären.