Entscheidungsdatum: 19.06.2015
Systeme zur Platzierung von Material in Knochen
1. Eine Klageänderung im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht nach § 263 ZPO, hier die Geltendmachung eines weiteren Nichtigkeitsgrundes im Rahmen angegriffener Patentansprüche, kann nicht ausschließlich von einer der Klägerin beigetretenen streitgenössischen Nebenintervenienten geltend gemacht werden und ist unzulässig, da diese zur Verfügung über den Streitgegenstand nicht berechtigt ist (Fortführung von BPatG BlPMZ 2014, 323 – Abdeckung; GRUR 2010, 218 – Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren; GRUR 2010, 50 – Cetirizin).
2. Scheidet ein Richter nach Verkündung des Urteils, an dem er im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht i.S.v. § 309 ZPO mitgewirkt hat, aus dem Richterdienst aus, hier Wechsel zum Deutschen Patent- und Markenamts, so liegt eine Verhinderung aus rechtlichen Gründen nach § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO vor.
In der Patentnichtigkeitssache
…
…
betreffend das europäische Patent 1 104 260
(DE 699 33 037)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. und 19. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, den Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, den Richter Dipl.-Ing. Univ. Schmidt-Bilkenroth und Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und die
Nebenintervenienten zu 1) und zu 2).
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für Deutschland erteilte europäische PatentEP 1 104 260 B2 (Streitpatent), das als PCT-Anmeldung mit Anmeldetag 26. Juli 1999 angemeldet worden ist und das nach Beschränkung im Einspruchsverfahren in der geänderten B2-Fassung am 5. Juni 2013 veröffentlicht wurde. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung „SYSTEME ZUR PLATZIERUNG VON MATERIALIEN IN KNOCHEN“ und ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht. Es wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. DE 699 33 037.8 geführt. Es umfasst 16 Patentansprüche, welche sämtlich angegriffen sind.
Patentanspruch 1 in der Fassung der B2-Schrift lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei wegen mangelnder Patentfähigkeit aufgrund fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig zu erklären (Art. 138 Abs. 1 a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ). Zudem führt die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 2. April 2015 aus, dass sie ihre Nichtigkeitsklage zusätzlich auf den zu diesem Zeitpunkt nur von der Nebenintervenientin zu 1) geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung des Anspruchs 1 gegenüber der Offenlegungsschrift WO 00/09024 (NK6 bzw. Nint2) stütze. In der mündlichen Verhandlung hat sich die Klägerin den von der Nebeninterventientin zu 2) geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs (Art. 138 Abs. 1 d EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG) zu Eigen gemacht.
Im Verfahren befinden sich folgende Dokumente:
NK1 EP 1 104 260 B2 (Streitpatent in der beschränkten Fassung nach Einspruchsverfahren)
NK2 DE 699 33 037 T3 (deutsche Übersetzung der NK1)
NK5 Merkmalsanalyse Patentanspruch 1, von der Klägerin vorgelegt
NK6 WO 96/39970 A1
NK6a DE 696 33 286 T2 (deutsche Übersetzung der NK6)
NK7 WO 97/23174 A1
NK7a DE 696 16 823 T2 (deutsche Übersetzung der NK7)
NK8 US 5 419 765 A
NK8a deutsche Übersetzung der NK8
NK9 US 5 108 404 A
NK9a deutsche Übersetzung der NK9
NK10 US 5 312 333 A
NK11 DE 34 43 167 A1
NK12 US 5 310 407 A
NK13 US 4 576 152 A
NK14 US 4 349 028 A
NK15 US 4 671 263 A
NK16 US 4 892 550 A
NK17 US 4 274 163 A
NK18 US 4 969 888 A
NK19 US 5 445 639 A
NK20 WO 98/56301 A1
NK21 Auszug aus Wikipedia - Angioplastie
NK22 Urteil des LG Düsseldorf v. 30.10.2014, Az. 4a O 114/13
Ebenfalls als NK22 vorgelegt: Privatgutachten von Herrn PD Dr. med. Alexander C. Disch, 30.03. 2015
NK23/NK23a Gutachten von Prof. Mary E. Jensen in der Sache
US 7 153 307
NK24/NK24a Gutachten von Prof. Mary E. Jensen in der Sache
US 6 241 734
NK25/25a Verfügung der USPTO-Kammer in der Sache US 7 153 307
NK26/26a Verfügung der USPTO-Kammer in der Sache US 6 241 734
NK27 DE 695 32 528 T2
NK27a US 5 015 255
NK28 US 3 893 445
NK29 Deramond, Depriester et al.: „Percutaneous Vertebroplasty“.
NK29a Laredo „Current status of musculoskeletal interventional radiology“.
NK30 US 5 429 617
NK31 US 4 419 095
NK32 US 3 613 684
NK33 US 4 005 527
NK34 US 5 997 581
NK35 Laredo „Percutaneous biopsy of musculo-skeletal lesions“
NK36 Skizze der Klägerin zur ursprünglichen Offenbarung WO 00/09024
NK37 EP 1 104 260 B1 (Streitpatent in der erteilten Fassung)
B&B1/Nint1 Entscheidung der EPA-Einspruchsabteilung in der Sache EP 1 104 260 B1
B&B2 Umrechnungstabelle für Nadeln von Gauge in mm
B&B3/B&B3a Gutachten Gamal Baround, Ph.D. in der Sache US 7 153 307
B&B4/B&B4a Gutachten Gamal Baround, Ph.D. in der Sache US 6 241 734
B&B6 US 4 576 152
Nint2 WO 00/09024 (Offenlegungsschrift zum Streitpatent)
Nint3 GB 2 132 898 A
Nint4 US 4 650 472.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung sei nicht neu gegenüber den Entgegenhaltungen NK6, NK7, NK8 und NK9, NK27 und NK28. Dies belegten auch die vorgelegten Gutachten (NK22 bis NK24). Zudem liege eine mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von der NK29 in Kombination mit dem Fachwissen des Fachmanns vor sowie aufgrund der Kombination der NK29 mit einer der Entgegenhaltungen NK9 oder NK6. Die erfinderische Tätigkeit sei auch ausgehend von der NK9 in Kombination mit dem Fachwissen sowie in Kombination der NK9 mit einer der Entgegenhaltungen NK29, NK13, NK11 oder NK12 zu verneinen. Ebenso zu verneinen sei die erfinderische Tätigkeit ausgehend von der NK6 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns und einer der Entgegenhaltungen NK8 bis NK13 oder NK29.
Die Gegenstände der Unteransprüche 2 bis 16 seien ebenfalls nicht neu oder beruhten zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Auch die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 seien unzulässig erweitert und nicht patentfähig.
Die der Klage mit Fax vom 31. Oktober 2014 beigetretene Nebenintervenientin zu 1) ist von der Lizenznehmerin der Beklagten vor dem LG München I wegen Patentverletzung verklagt worden (21 O 12838/14) und greift das Streitpatent gleichfalls vollumfänglich wegen fehlender Patentfähigkeit an, sie macht zudem die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung und der mangelnden Ausführbarkeit für den Fachmann geltend (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. b und lit. c EPÜ).
Die mit Schriftsatz vom 21. Mai 2015 beigetretene Nebenintervenientin zu 2) ist von der angeblich ausschließlichen Lizenznehmerin der Beklagten wegen Patentverletzung verklagt worden vor dem LG München I (Az.: 21 O 12845/14). Sie greift das Streitpatent ebenfalls vollumfänglich an und macht sich den bisherigen Vortrag der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 1) zu Eigen. Sie verweist auf folgende Nichtigkeitsangriffe: Die NK6 sei neuheitsschädlich. Im Hinblick auf die NK9 in Verbindung mit der NK11 liege fehlende erfinderische Tätigkeit vor. Zudem sei eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung dergestalt gegeben, dass ein Aliud vorliege. Die Nint2 offenbare keine Vorrichtung, die einen Stutzen ohne ein „delivery device“ (z. B. eine Spritze) umfasse, und auch keine Vorrichtung, die ein zweiteiliges Stopfinstrument ohne ein „delivery device“ umfasse, mit dem das Füllmaterial in die Knochenhöhlung verfüllt werde. In der mündlichen Verhandlung hat die Nebenintervenientin zu 2) erklärt, die unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents (Art. 138 Abs. 1 d EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG) als zusätzlichen Nichtigkeitsgrund geltend zu machen.
Die Klägerin und die Nebenintervenientin zu 1) und zu 2) beantragen,
das europäische Patent EP 1 104 260 B2 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit in der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2015/19.Juni 2015 eingereichten Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigt wird.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin und der Nebenintervenienten in allen Punkten entgegen. Die Nichtigkeitsklage sei nicht begründet. Die Lehre des Streitpatents gehe nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus und sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Dies gelte im Hinblick auf die Patentansprüche in der geänderten Fassung gemäß der B2-Schrift, zumindest aber für die Patentansprüche gemäß der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche gemäß der Hilfsanträge 1 und 2.
Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Fassung der B2-Schrift sei neu gegenüber den Schriften NK6, NK7, NK8 und NK9 sowie hinsichtlich der Schriften NK 27 und NK28. Zudem sei die erfinderische Tätigkeit - unabhängig davon, ob man von der NK9, der NK29 oder der NK6 ausgehe - in Kombination mit dem Fachwissen oder dem übrigen im Verfahren befindlichen Stand der Technik gegeben.
Soweit die Nebenintervenientin zu 1) die neuen Klagegründe der unzulässigen Erweiterung sowie der mangelnden Ausführbarkeit in das Verfahren einführe, stelle dies eine unzulässige Änderung der Klage dar, welcher nicht zugestimmt werde. Auch in der Sache seien diese neuen Klagegründe nicht begründet. Ein Aliud - wie auch von der Klägerin im Schriftsatz vom 2. April 2015 angenommen - sei im Hinblick auf den Anspruch 1 nicht gegeben. Das „delivery device“ sei eine zusätzliche Komponente, die verwendet werden könne, um Material in die Stutzen-Komponente einzuführen. Es sei nicht wesentlich, wie das Material in die Stutzen-Komponente gelange, sondern dass Material, welches in der Kanüle vorhanden sei, mit Hilfe des Stopfinstruments, das durch die Stutzen-Komponente und die Stilett-Komponente gebildet werde, aus der Kanüle gedrängt werden könne. Dies sei in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart. Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit greife ebenfalls nicht, da aufgrund der Fig. 33 und der Abs. [0127] bis [0132] von einer deutlichen und vollständigen Offenbarung auszugehen sei. Die Geltendmachung des Klagegrunds der unzulässigen Schutzbereichserweiterung des Streitpatents rügt die Beklagte als verspätet, da der Klagegrund erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden und die B1-Schrift nicht vorgelegt worden sei.
Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf diesen Hinweis vom 19. Januar 2015 wird Bezug genommen (Bl. 370 ff. d. A.).
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18.06.2015 und 19.06.2015 Bezug genommen.
I.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Senat konnte nicht feststellen, dass der Gegenstand des Streitpatents nach Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung der B2-Schrift wegen der von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IntPatÜG, § 138 Abs. 1 Buchst. a bis d EPÜ sich als nicht bestandsfähig erweist, insbesondere dass die beanspruchte Lehre gegenüber dem Inhalt der Anmeldung oder gegenüber dem Schutzbereich des erteilten Patents erweitert ist, nicht ausführbar oder gegenüber dem Stand der Technik nicht neu ist oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
1. Der Senat sieht die Geltendmachung des weiteren Nichtigkeitsgrunds der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung durch den Gegenstand des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ), die zunächst nur von der Nebenintervenientin zu 1) und auch von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 2. April 2015 geltend gemacht worden, als zulässig an, auch wenn sich die nachträgliche Geltendmachung eines weiteren Nichtigkeitsgrunds durch die Klägerin im Rahmen der angegriffenen Patentansprüche als Klageänderung i. S. v. § 263 ZPO darstellt (hierzu BPatG, Urt. v. 12. November 2013 – 4 Ni 53/11 (EP) = BlPMZ 2014, 323 – Abdeckung). Denn diese Änderung der Klage ist ohne Zweifel sachdienlich, weil sie eine umfassendere Erledigung des zwischen den Parteien herrschenden Streits ermöglicht und damit der Prozessökonomie dient (vgl auch BGH Urt. v. 19. Juli 2011, X ZR 25/09). Hiermit entfällt zugleich der von der Beklagten geltend gemacht Zulässigkeitseinwand im Rahmen der Nebenintervention, da es für die Beurteilung der Zulässigkeit der insoweit erweiterten Unterstützungshandlung durch die Nebenintervenientin zu 1) auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ankommt.
2. Ebenso sieht der Senat den Umstand, dass die Klägerin und die Nebenintervenientin zu 2) in der mündlichen Verhandlung den weiteren Klagegrund der Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents gemäß Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG geltend gemacht haben, als eine nach § 263 ZPO aufgrund Sachdienlichkeit zulässige Klageänderung an.
Auch wenn die Beklagte die Einführung dieses weiteren Nichtigkeitsgrundes in der mündlichen Verhandlung als nach § 83 Abs. 4 PatG verspätet gerügt hat, weil insbesondere die B1-Schrift des Streitpatents bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegt worden war, ist nach Überzeugung des Senats dieser zusätzliche Nichtigkeitsgrund nicht als verspätetes Angriffsmittel zurückzuweisen, da für dessen Prüfung und Erörterung eine Vertagung der mündlichen Verhandlung nach § 227 Abs. I ZPO, § 99 Abs. 1 PatG nicht erforderlich war und es mithin an der Voraussetzung nach § 83 Abs. 4 Nr. 1 PatG fehlt.
Die Notwendigkeit einer Vertagung besteht nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe, insbesondere immer dann, wenn nach dem für das Gericht ersichtlichen oder ggf. auf Verlangen des Gerichts glaubhaft gemachten Sachstand durch die Ablehnung einer Vertagung der eine solche beantragenden Partei die Möglichkeit entzogen wäre, sich in der betreffenden Instanz sachgemäß und erschöpfend über alle Tatsachen, Beweisergebnisse oder sonstige verhandelte Fragen zu erklären. Ein solcher Fall ist beispielsweise gegeben, wenn die Vertagung beantragende Partei von dem Gericht oder der Gegenseite mit einer Tatsachen- oder einer Rechtsfrage konfrontiert wird, mit der sie sich nicht „aus dem Stand“ auseinander zu setzen vermag, zu der sie sachlich fundiert vielmehr nur dann Stellung nehmen kann, wenn sie angemessene Zeit für Überlegung und Vorbereitung hat (BGH GRUR 2004, 354ff. – Crimpwerkzeug I; Senatsurt. v. 29. April 2015, 4 Ni 26/13 (EP) – apparatus). Die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens setzt danach voraus, dass der neue Vortrag tatsächliche und rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären sind (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das verspätete Vorbringen dagegen noch ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor.
So liegt der Fall auch hier. Wie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2015 belegt, hat der Senat mit den Parteien ausführlich bereits die Frage der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung und Vorliegen eines Aliuds gestützte Argumentation der Klägerin und die Bedeutung der Merkmale 4.1 und 4.2. auch unter Einbeziehung der Frage einer Erweiterung des Schutzbereichs umfassend unter Berücksichtigung der Ansicht der Beklagten erörtert, ohne dass ersichtlich oder von der Beklagten geltend gemacht worden ist, dass insoweit keine abschließende Erörterung ohne Vertagung der mündlichen Verhandlung möglich sei. Danach bestand kein Anlass zu einer Vertagung i. S. v. § 227 ZPO, zumal der Senat bereits schon im qualifizierten Hinweis bei der Behandlung des Nichtigkeitsgrundes der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung im Zusammenhang mit den Änderungen des gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 der B1-Schrift beschränkten Patentanspruchs 1 der B2-Schrift eingegangen war und erläutert hatte, weshalb er eine unzulässige Erweiterung verneint.
3. Soweit die Nebenintervenientin zu 1) zudem den Klagegrund der mangelnden Ausführbarkeit geltend gemacht hat, hat die Klägerin diesen weiteren Klagegrund auch im Nachhinein nicht aufgegriffen. Der Senat sieht deshalb die ausschließliche Geltendmachung durch die Nebenintervenientin zu 1) als unzulässig an, auch wenn diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 2008, 80 – Sammelhefter II; zur Kritik BPatG GRUR 2010, 50 - Cetirizin) die erweiterten Rechte einer streitgenössischen Nebenintervenientin nach §§ 66, 69 ZPO wahrnimmt. Denn nach zutreffender Ansicht (BPatG GRUR 2010, 218 – Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren) obliegt auch dem streitgenössischen Nebenintervenienten nicht das Verfügungsrecht über den Streitgegenstand. Er ist weder zur Antragstellung über das Klagebegehren hinaus berechtigt (BPatG GRUR 2010, 218) noch kann er die Klage durch Einbringung eines neuen Nichtigkeitsgrundes ändern. Dies folgt aus seiner Stellung als Streithelfer, der gerade nicht Partei ist, sondern auch als streitgenössischer Streithelfer nur als Streitgenosse „gilt“. Er kann damit beispielsweise Rechtsmittel einlegen, die auch bei Widerspruch der Partei wirksam sind, er kann aber nicht den Streitgegenstand des Rechtsstreits ändern (vgl. auch Keukenschrijver/Busse PatG, 7. Aufl. § 81 Rn. 135 und Rn. 136).
Ergänzend ist auch in der Sache darauf hinzuweisen, dass der Senat - wie bereits im Qualifizierten Hinweis vom 19. Januar 2015 (vgl. S. 16) dargelegt - nicht zu erkennen vermag, weshalb die geltende Lehre für den Fachmann nicht ausführbar sein soll. Insbesondere geht der Einwand fehl, die aus Stutzen und Stilett gebildete Einheit könne kein Material überbringen, denn in der Beschreibung ist eindeutig dargestellt, wie Material in den Hohlraum eingebracht wird. Zudem ist eine Lehre bereits ausführbar, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Dabei reicht es aus, wenn dem Fachmann ein allgemeines Lösungsschema an die Hand gegeben wird.
II.
1. Das Streitpatent betrifft die Behandlung von Knochenzuständen in Menschen und anderen Lebewesen (siehe Streitpatent Abs. [0001]).
Nach der Beschreibungseinleitung des Streitpatents werden Injektionseinrichtungen ähnlich den im Haushalt eingesetzten Dichtpistolen eingesetzt, um Knochenzement in Knochen zu injizieren. Eine typische Injektionseinrichtung für Knochenzement besitzt einen pistolenförmigen Körper, der eine Kartusche mit Knochenzement trägt. Ein Auslösemechanismus beaufschlagt einen federbelasteten Druckkolben, der ein Volumen eines Knochenzements in einem viskosen Zustand durch einen geeigneten Stutzen oder eine geeignete Düse (im Folgenden Stutzen) und in das Innere des zu behandelnden Knochens zwingt. Entsprechend den Lehren der Patentschriften US 4 969 888 (= NK18) und US 5,108,404 (= NK9) kann zunächst durch Kompaktierung schwammartigen Knochens ein Hohlraum in den Knochen gebildet werden, in den dann der Knochenzement eingespritzt wird. Konventionelle Geräte zum Einspritzen von Knochenzement bieten allerdings keine Möglichkeit, die Federwirkung auszuschalten und schnell den Fluss des Zements zu beenden für den Fall, dass sich der Hohlraum füllt, bevor der federaktivierte Ladezyklus vervollständigt ist. Wenn einmal der federbetätigte Mechanismus aktiviert ist, lassen konventionelle Einspritzeinrichtungen für Zement es nicht zu, das Injektionsvolumen oder die Injektionsrate unter Berücksichtigung des Volumens des schwammartigen Knochens und der Dichte-Bedingungen, die innerhalb des Knochens vorgefunden werden, anzupassen oder in Echtzeit zu regeln (siehe Streitpatent Abs. [0002]).
Bei dem als Vertebroplastik bezeichneten klinischen Verfahren wird laut Streitpatentschrift ohne vorherige Ausbildung eines Hohlraums Knochenzement unter hohem Druck in das Innere eines vertebralen Körpers eingespritzt. Dabei bestehen wenig Möglichkeiten, den Zementfluss schnell und genau an das Knochenvolumen und die vorgefundenen Dichte-Bedingungen anzupassen, weil der unter hohem Druck herbeigeführte Zementfluss eine Trägheit erzeugt, die dazu führt, dass auch nach einer Abschaltung des hohen Drucks weiterhin Zement in die Knochen-Behandlungsstelle gefördert wird (siehe Streitpatent Abs. [0003]). Als Folge davon kann das Innere des zu behandelnden Knochens plötzlich überfüllt werden und es kann überschüssiges Füllmaterial aus dem Inneren des Knochens herausgedrückt und in benachbarte Geweberegionen gedrückt werden, wo das Füllmaterial nicht erforderlich oder erwünscht ist (siehe Streitpatent Abs. [0004]).
2. Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Streitpatentschrift (siehe Streitpatent Abs. [0005]) die Aufgabe, dem Bedarf an neuen Systemen für ein Platzieren von Material in Knochen mit einer verbesserten Regelungsmöglichkeit für die Rate und das Volumen, mit einer kürzeren Reaktionszeit und ohne das Erfordernis einer Verwendung von hohen Drücken nachzukommen.
Diese Aufgabenbeschreibung ist nach Ansicht des Senats mit dem Hinweis auf eine verbesserte Regelungsmöglichkeit, eine kürzere Reaktionszeit und die Verwendung von hohen Drücken zu sehr eingeschränkt und enthält bereits Lösungselemente; vielmehr ist das dem Streitpatent zugrundeliegende objektive Problem, für welches maßgeblich ist, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2003, 693 – Hochdruckreiniger), allgemeiner darin zu sehen, ein neues System für ein Befüllen von Wirbelkörpern mit Material vorzuschlagen, bei dem die Nachteile des Standes der Technik vermieden werden, wie einerseits zu hoher Kompressionsdruck, andererseits eine ausreichende Befüllung ohne möglichst überschießendes Material einzubringen, und die Nachteile des Standes der Technik zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass eine Erfindung auch mehrere unterschiedliche technische Probleme betreffen kann und insbesondere das technische Problem ohne Berücksichtigung von Lösungselementen so allgemein und neutral zu formulieren ist, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik insoweit erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt (BGH GRUR 2015, 352 – Quetiapin).
3. Als Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur der Medizintechnik oder einen Maschinenbauingenieur an, der über eine mehrjährige Berufserfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von medizinischen Instrumenten für die orthopädische Chirurgie verfügt und dabei im Team mit einem Chirurgen zusammenarbeitet.
4. Zur Lösung der Aufgabe lehrt die Streitpatentschrift (siehe Abs. [0024] in Verb. mit Fig. 1, 2) ein System 10 funktionaler Instrumente. In der dort dargestellten Ausführungsform weist das System (siehe Abs. [0025]) drei funktionale Instrumentengruppen 14, 16 und 18 auf. Dabei besitzt die erste Gruppe 14 Instrumente, deren Zweck es ist, einen subkutanen Zugang zu dem Inneren des Knochens zu gewinnen. Die zweite Gruppe 16 weist ein Instrument auf, dessen Funktion es ist, eine Vertiefung in einem schwammartigen Knochen zu erzeugen und die dritte Gruppe 18 besitzt Instrumente, deren Funktion es ist, Material in die Vertiefung einzuführen.
Die Vorrichtung nach dem Patentanspruch 1 des Streitpatents in der B2-Fassung, wie er mit Hauptantrag verteidigt wird, lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
1. Apparatus for introducing material (170) that sets to a hardened condition into a human vertebral body comprising:
2. a cannula (30, 184) for establishing a subcutaneous path through soft tissue into the human vertebral body;
3. a cavity forming instrument
3.1 capable of advancement through the cannula to a location inside the human vertebral body
3.2 to form a cavity in the human vertebral body by compressing cancellous bone;
4. an instrument for delivering the material into the cavity formed in the interior region of the human vertebral body
4.1 comprising a nozzle component (106, 180)
a) that is sized to be advanced through the cannula after withdrawal of the cavity forming instrument and
b) that includes an interior bore for containing and conveying the material,
4.2 the instrument also including a stylet component (182)
a) that is sized to be advanced through the interior bore of the nozzle component containing the material
b) to close the interior bore and
c) together with the nozzle component form a tamping instrument.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet in der deutschen Übersetzung:
1. Vorrichtung zur Einführung von Material (170) in einen menschlichen Wirbelkörper, das sich in einen gehärteten Zustand erhärtet, umfassend:
2. eine Kanüle (30, 184) zum Einrichten einer subkutanen Bahn durch Weichgewebe in den menschlichen Wirbelkörper;
3. ein einen Hohlraum bildendes Instrument,
3.1 das in der Lage ist, durch die Kanüle hindurch an eine Stelle im Inneren des menschlichen Wirbelkörpers vorwärts bewegt zu werden,
3.2 um einen Hohlraum im menschlichen Wirbelkörper zu bilden, indem die Spongiosa zusammengedrückt wird;
4. ein Instrument zur Abgabe des Materials in den Hohlraum, der im inneren Bereich des menschlichen Wirbelkörpers gebildet ist,
4.1 umfassend eine Stutzen-Komponente (106, 180),
a) die derart bemessen ist, um durch die Kanüle vorwärts bewegt zu werden, nachdem das den Hohlraum bildende Instrument herausgezogen worden ist und
b) die eine innere Bohrung aufweist zur Aufnahme und Abführung des Materials,
4.2 wobei das Instrument weiterhin eine Stilettkomponente (182) aufweist,
a) die derart bemessen ist, um durch die innere Bohrung der Stutzen-Komponente, die das Material enthält, vorwärts bewegt zu werden,
b) um die innere Bohrung zu schließen und
c) zusammen mit der Stutzen-Komponente ein Stopfinstrument zu bilden.
III.
Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert stets eine der Prüfung der Nichtigkeitsgründe vorgelagerte Auslegung des Patentanspruchs (BGH GRUR 2015, 875 – Rotorelemente; GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II), bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind, und welche nur im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu bestimmen ist und damit auch losgelöst von der Beurteilung der Patentfähigkeit nach dem Stand der Technik. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Maßgeblich ist danach, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) - bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt.
1. Insoweit erschließt sich dem Fachmann anhand der Figuren (Einfärbungen hinzugefügt) und Beschreibung im Streitpatent, dass die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 umfasst:
eine Kanüle 30/184, die durch das Weichgewebe ST bis an die Außenseite des Wirbelkörpers geführt ist und eine Bahn 166 in den Wirbelkörper bildet,
ein Hohlraum bildendes Instrument 78, das durch die Kanüle 30 in den Wirbelkörper eingeführt wird und durch Zusammendrücken von Spongiosa den Hohlraum bildet,
ein Instrument zum Einbringen von Material in den Hohlraum 168 mit
- einem, durch die Kanüle 30 bewegten Stutzen 106/180 und
- einem Stylet 182, das durch die innere Bohrung des Stutzens 180 eingeführt werden kann.
Im eingeführten Zustand bilden Stutzenkomponente 180 und Stylet 182 zusammen ein Stopfinstrument (108).
2. Patentanspruch betrifft danach eine Vorrichtung nach Merkmal 1, deren Bestandteile 3 Merkmalskomplexe bilden, nämlich
- | einer Kanüle gemäß Merkmal 2, |
- | einem Hohlraum bildenden Instrument gemäß Merkmal 3 und |
- | einem Instrument zur Abgabe eines Materials gemäß Merkmal 4 mit einer Stutzen-Komponente gemäß 4.1. und einer Stilettkomponente gemäß 4.2. |
2.1. Dabei versteht der Fachmann die Ausgestaltung der Vorrichtung durch ihre Bestandteile nach Patentanspruch 1 bei unbefangener Betrachtung so, dass die Kanüle, das Hohlraum bildende Instrument sowie die Stutzen- und die Stilettkomponente jeweils getrennte Teile bzw. Instrumente bilden.
Die Kanüle muss dafür geeignet sein, eine Bahn in den Wirbelkörper einzurichten, d. h. sie muss ein geschlossener länglicher Hohlkörper sein und in den Wirbelkörper, zumindest in einen Knochen, führen können. Letzteres erfordert eine mechanische Mindest-Festigkeit, ggf. eine distale scharfe Kante (= Endfläche 48), um durch Klopfen in den kortikalen Knochen (= hartes Knochengewebe) eindringen zu können (siehe Abs. [0136]).
Das Hohlraum bildende Instrument muss geeignet sein, durch die Kanüle bewegt zu werden, d. h. es muss einen kleineren Durchmesser als die Kanüle haben. Es bildet einen Hohlraum in dem Wirbelkörper durch Zusammendrücken, d. h. es muss in den Wirbelkörper gelangen und dort das Innere des Wirbelkörpers zusammendrücken können – ein etwaiges „Ausräumen“ von Spongiosa zur Hohlraumbildung ist dagegen ausgeschlossen.
2.2. Gemäß Merkmal 4. umfasst die beanspruchte Vorrichtung ein weiteres Instrument zur Abgabe eines Materials, das heißt, dass das Instrument geeignet sein muss, Material, insbesondere Knochenzement, in den Hohlraum im Wirbelkörper abzugeben und das seinerseits zwei Komponenten, nämlich eine Stutzen-Komponente gemäß 4.1 und eine Stilettkomponente gemäß 4.2, umfasst.
Die Stutzen-Komponente gemäß 4.1 ist derart bemessen, dass sie durch die Kanüle bewegt werden kann, d. h. ihr Außendurchmesser muss kleiner sein als der Innendurchmesser der Kanüle. Ferner weist gemäß 4.1 b) die Stutzen-Komponente eine innere Bohrung auf. Aufgrund der Zweckangabe „zur Aufnahme und Abführung des Materials“ ist diese Bohrung geeignet, Material aufzunehmen und abzuführen, da Zweckangaben - und so auch hier - zwar nicht den Patentgegenstand auf den genannten Zweck einschränken (BGH GRUR 2012, 475 – Elektronenstrahltherapiesystem; GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze), aber Geeignetheitskriterien bilden (BPatG Mitt. 2012, 354 – Kaffeemaschine; GRUR-RR 2015, 321 – Brustpumpe). Soweit in der Verfahrenssprache Englisch die Zweckangabe „for containing and conveying the material“ angegeben ist und das Wort „contain“ sowohl die Bedeutungen „enthalten“ als auch „aufnehmen“ haben kann, so ist für deren Verständnis von der Funktion der Stutzen-Komponente, wie sie in den Absätzen [0131] bis [0132] der Streitpatentschrift angegeben wird, in dem Sinne auszugehen, dass diese bestimmungsgemäß zur Durchleitung von Material von einer separaten Spritzenvorrichtung in den Hohlraum des Wirbelkörpers vorgesehen ist, wobei im Anschluss an dieses Durchleiten noch restliches Material in der inneren Bohrung der Stutzen-Komponente gemäß dem Merkmal 4.2 a) verbleiben kann. Dementsprechend ist – sofern man das Wort „contain“ mit „enthalten“ übersetzt – diese Zweckangabe so zu verstehen, dass die Stutzen-Komponente das Material nur dann enthält, sobald es von der Spritzenvorrichtung zur Durchleitung zugeführt wurde und solange, wie die Stilettkomponente nicht in die innere Bohrung der Stutzenkomponente vorgeschoben wurde und so das Material ausstößt. Der Stutzenkomponente bzw. ihrer inneren Bohrung kommt danach jedenfalls nicht die Bedeutung zu, dass diese vorab mit Material vorgefüllt ist.
Die Stilettkomponente gemäß 4.2 muss geeignet sein, durch die innere Bohrung der Stutzen-Komponente bewegt zu werden, d. h. der Außendurchmesser der Stilettkomponente ist (abgesehen von Fertigungstoleranzen) gleich dem Innendurchmesser der inneren Bohrung der Stutzen-Komponente. Ferner wird durch das Merkmal 4.2 b) vorgegeben, dass die Stilettkomponente in der Lage ist, „to close the interior bore“, also die innere Bohrung (der Stutzen-Komponente) zu schließen. Daraus ergibt sich, dass bei einer gewissen „Grund“-Stellung die distalen Enden von Stilettkomponente und Stutzen-Komponente bündig miteinander abschließen oder allenfalls die Stilettkomponente nur geringfügig über die Stutzen-Komponente vorsteht (siehe Streitpatentschrift Abs. [0130]/NK1: 'When the handle 192 is rested, the distal ends of the stylet 182 and nozzle 180 align. The presence of the stylet 182 inside the nozzle 180 closes the interior nozzle bore.' und [0132]/NK1: 'Nested together, the nozzle 180 and stylet 182 form a tamping instrument.'); keinesfalls jedoch darf die Stilettkomponente kürzer sein als die Stutzen-Komponente, da sonst im eingeführten Zustand der Stilettkomponente ein unverschlossenes Sackloch in der Stutzen-Komponente verbleiben würde.
Schließlich bilden gemäß Merkmal 4.2 c) die Stilettkomponente und die Stutzen-Komponente zusammen in der vorgenannten „Grund“-Stellung ein Stopfinstrument. Dieses zusammengesetzte Stopfinstrument (siehe Spalte 23 Zeilen 3f. der Streitpatentschrift: ´Nested together, the nozzle 180 and stylet 182 form a tamping instrument´) hat dabei einerseits die Funktion (siehe Abs. [0132]), durch Vorwärtsbewegung durch die Kanüle 184 verbleibendes Material aus dem Kanülen-Instrument 184 in den Hohlraum 168 zu verschieben, wodurch andererseits auch das Material auf kontrollierte Weise einheitlich im Hohlraum 168 und ohne unzulässig hohe Drücke kompaktiert wird.
Dagegen soll nach der Lehre des Streitpatents das aus Stilettkomponente und Stutzen-Komponente gebildete Stopfinstrument nicht die Funktion übernehmen, dass es ein „Stopfen“ im Sinne eines kontrollierten Abfüllens des Hohlraums derart erlaubt, dass das Stilett zum (stopfenden) Vorschieben von Material durch den Stutzen in den Hohlraum genutzt wird. Insoweit führt nämlich die Streitpatentschrift in Absatz [0132] eindeutig aus, dass zunächst nach Abschluss des Abfüllens von Knochenzement die Stutzen-Komponente vollständig aus der Kanüle zurückgezogen und erst danach das Stilett in den Stutzen zum Reinigen des Stutzens eingeführt wird, um dann als gemeinsames Stopfinstrument wieder in die Kanüle eingeführt zu werden.
Ein Stopfen nach dieser Lehre im Sinne des Streitpatents – wie es auch mit Merkmal 4.2. und dem Schließen der inneren Bohrung der Stutzen-Komponente intendiert ist, ist danach nur möglich, wenn die Stutzen-Komponente mit in „Grund“-Stellung eingeführter Stilettkomponente ein stumpfes, nahezu ebenes oder leicht balliges Ende hat, d. h. ein spitzes, beispielsweise kegel- oder pyramidenförmiges Ende ist ausgeschlossen.
Durch die eine (iSv einzige) Kanüle kann gemäß 3.1 das Hohlraum bildende Instrument und gemäß 4.1 die Stutzen-Komponente vorwärts bewegt werden. Dabei schränkt die verfahrensgemäße Angabe „nachdem das den Hohlraum bildende Instrument herausgezogen worden ist“ in 4.1 a) den Gegenstand der Vorrichtung körperlich insoweit mittelbar ein, dass entweder das Hohlraum bildende Instrument gemäß 3.1 oder die Stutzen-Komponente gemäß 4.1 durch die Kanüle bewegt werden können; ein gleichzeitiges, gemeinsames Bewegen von Hohlraum bildendem Instrument und Stutzen-Komponente durch die Kanüle wird dadurch vom Patentanspruch 1 ausgeschlossen.
Allerdings soll durch diese funktionale Angabe ersichtlich nur die körperliche Ausgestaltung der Vorrichtung mittelbar umschrieben werden und keine Reihenfolge für ein Einführen von Hohlraum bildendem Instrument und Stutzen-Komponente in die Kanüle vorgegeben, wie bei einem Verfahrensanspruch, deshalb können Hohlraum bildendes Instrument oder Stutzen-Komponente beliebig nacheinander durch die Kanüle bewegt werden.
Die weitere Zweckangabe „for introducing material (170) … into a human vertebral body“, also zur Einführung von Material (170) in einen menschlichen Wirbelkörper, das sich in einen gehärteten Zustand erhärtet „that sets to a hardened condition“ nach Merkmal 1. gibt als funktionelle Umschreibung und mithin als Geeignetheitskriterium wiederum nur vor, dass die beanspruchte Vorrichtung „apparatus“ dazu geeignet sein muss, derartiges - wiederum funktionell umschriebenes - Material einführen zu können; die beanspruchte Vorrichtung muss also in der Lage sein, ungehärtetes Material, zB pastöses Material, einzubringen, beispielsweise durch eine Röhre mit entsprechend großem Mindestdurchmesser. Insoweit wird das Material wiederum funktionell umschrieben, nicht dagegen beansprucht, dass dieses später tatsächlich aushärtet oder aber seinen ungehärteten Zustand während des Einführens und vor allem danach beibehält. Material im Sinne des Streitpatents ist etwa Knochenzement, der beim Einführen wie Gips oder Zement eine pastöse Konsistenz hat und dann nach Ablauf einer Abbindezeit aushärtet.
IV.
Die auf unzulässige Erweiterung des Patentgegenstands gegenüber dem Inhalt der Anmeldung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) und auf unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. d EPÜ) gestützten Nichtigkeitsangriffe erweisen sich als unbegründet.
1. Der Senat sieht ebenso wie die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in ihrer Entscheidung T 0012/09 vom 14. September 2011 den Patentanspruch 1 in der hier geltenden Fassung der B2-Schrift als zulässig im Sinne des Art. 123 Abs. 2 EPÜ bzw. hier Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ an wie auch keine Erweiterung des Schutzbereichs der geltenden Fassung der B2-Schrift gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. d EPÜ gegenüber derjenigen der B1-Schrift nach erkennbar ist, wie die nachfolgende Übersicht des Offenbarungsgehalts der Anmeldung und der Vergleich der den Schutzumfang bestimmenden Patentansprüche der B1 und B2 Fassung des Streitpatents belegt.
2. Der erteilte Patentanspruch 1 gemäß der B1-Schrift lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
Er stützt sich auf die Beschreibung, Seite 10 Zeile 26 bis Seite 11 Zeile 10, Seite 13 Zeilen 2-7, 13-18 in Verbindung mit Seite 31 Zeilen 10-19, Seite 16 Zeile 35 bis Seite 17 Zeile in Verbindung mit Seite 32 Zeile 32 bis Seite 33 Zeile 29 und Seite 38 Zeile 28 bis Seite 39 Zeile 24 sowie auf die Ansprüche 9, 24 und 50 der ursprünglichen Unterlagen gemäß der WO 00/09024 A1 (Nint2).
Patentanspruch 1 des Streitpatents in der B2-Fassung ist demgegenüber gemäß den nachfolgend kenntlich gemachten Streichungen und Ergänzungen geändert:
1. Apparatus for introducing material (170) that sets to a hardened condition into bone a human vertebral body comprising:
2. a cannula (30, 184) for establishing a subcutaneous path through soft tissue into bone, and the human vertebral body;
3. a cavity forming instrument
3.1 capable of advancement through the cannula to a location inside the human vertebral body
3.2 to form a cavity in the human vertebral body by compressing cancellous bone;
4. an instrument for delivering the material into the cavity formed in the interior region of the bone human vertebral body
4.1 comprising a nozzle component (106, 180)
a) that is sized to be advanced through the cannula after withdrawal of the cavity forming instrument and
b) that includes an interior bore for containing and conveying the material,
4.2 the instrument also including a stylet component (182)
a) that is sized to be advanced through the interior bore of the nozzle component containing the material
b) to close the interior bore and
c) together with the nozzle component form a tamping instrument.
3. Wie die nachstehende Übersicht zeigt, steht danach die geltende B2-Fassung sowohl in Einklang mit dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung (Offenlegungsschrift Nint2) als auch mit dem Schutzumfang der B1-Fassung.
3. Wie die nachstehende Übersicht zeigt, steht danach die geltende B2-Fassung sowohl in Einklang mit dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung (Offenlegungsschrift Nint2) als auch mit dem Schutzumfang der B1-Fassung.
Merkmal im Patentanspruch 1 |
Offenbarung in der Offenlegungsschrift (Nint2) bzw. der EP 1 104 260 B1 |
1.: that sets to a hardened condition |
Seite 5 Zeilen 29-33 der Offenlegungsschrift bzw. Abs. [0019] der B1-Schrift |
1., 2. 4.: human vertebral body |
Einschränkung von Knochen auf Wirbelkörper gemäß kompl. Offenlegungsschrift, insbes. Seite 27 Zeile 33-35 bzw. Abs. [0086] der B1-Schrift |
2.: subcutaneous path |
Fig. 8-11 in Verb. mit Seite 11 Zeilen 1-4 und Seite 38 Z.11-15 der Offenlegungsschrift bzw. |
3.: a cavity forming instrument |
Anspruch 9 in Verb. mit Anspruch 16, Anspruch 24 in Verb. mit Anspruch 34, Anspruch 36 in Verb. mit Anspruch 43 sowie Seite 11 Zeilen 4-7 und Seite 16 Zeile 35 bis Seite 17 Zeile 4 der Offenlegungsschrift bzw. |
3.2: by compressing cancellous bone |
Ansprüche 16, 34, 43 sowie Seite 11 Zeilen 4-7 und Seite 16 Zeile 35 bis Seite 17 Zeile 4 in Verb. mit Seite 32 Zeile 31 bis Seite 33 Zeile 32 der Offenlegungsschrift bzw. |
4.: cavity formed in the (vertebral body) |
Seite 33 Zeilen 28-32 und Seite 39 Zeilen 25-31 der Offenlegungsschrift bzw. |
4.1 a): after withdrawal of the cavity forming instrument |
Seite 34 Zeilen 2-12 der Offenlegungsschrift bzw. Abs. [0110] der B1-Schrift |
4.2 b): to close the interior bore and |
Seite 39 Zeilen 15-24 in Verb. mit Seite 40 Zeilen 5-12 sowie Anspruch 50 der Offenlegungsschrift bzw. Abs. [0130] in Verb. mit [0132] der B1-Schrift |
4. Dieses Ergebnis vermögen auch die von der Klägerin und den Nebenintervenienten vorgebrachten Einwände nicht zu entkräften. Der Senat teilt die insoweit vertretene Auffassung nicht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der B2-Fassung erstmals auf die Situation der Anwendung am Körper abstellt und dass insbesondere wegen des von der Ursprungsoffenbarung und Patentanspruch 1 nach der B1-Fassung abweichend gelehrten Modus der Zementverfüllung ein Aliud vorliege; insbesondere, dass ursprünglich und nach der B1-Fassung das Material durch ein „delivery device“, also eine Abgabevorrichtung (in Anspruch 2 der B1-Schrift mit „Überbringungseinrichtung zum Überbringen des Materials zu dem Stutzen“ übersetzt), z. B. eine Spritze, zur Verfügung gestellt worden sei, während in der B2 Fassung wegen der Streichung dieses Merkmals abweichend der Stutzen nicht nur der Durchleitung von Material aus einer separaten Abgabevorrichtung wie einer Spritze diene, sondern mit Blick auf die Worte „internal bore for containing and conveying the material“ im Merkmal 4.1 b) und „containing the material“ in Merkmal 4.2 a) auch dazu diene, das Material bereitzustellen, so dass von einem vorgefüllten Stutzen auszugehen sei, der dann mittels der Stilettkomponente 4.2. zum stopfenden Befüllen des Hohlraums eingesetzt werden könne.
4.1. Tatsächlich sehen zwar die Vorrichtungen nach den ursprünglichen Ansprüchen 24, 36 und 50 der Nint2 und Anspruch 2 der B1-Schrift wegen des Merkmals „delivery device“ das Vorhandensein einer Abgabevorrichtung vor - hierbei handelt es sich um eine gewöhnliche Spritze in Form eines Hohlzylinders mit einem Kolben -, um Material zu liefern („delivery device to convey material“). Jedoch sieht der Senat die Tatsache, dass diese Abgabevorrichtung weder in den erteilten Patentanspruch 1 der B1-Schrift noch in den beschränkten Patentanspruch der B2-Schrift Eingang gefunden hat, nicht als unzulässig an.
4.2. So richtet sich der ursprüngliche Anspruch 9 der Nint2 auf eine Vorrichtung zum Liefern von Material in einen Knochen („Apparatus for delivering material into bone“) und umfasst eine Kanüle und ein Stopfinstrument, das durch die Kanüle vorgeschoben werden und so in der Kanüle befindliches Material in den Knochen drängen kann. Weitergehende Angaben enthält der ursprüngliche Anspruch 9 nicht, so dass er grundsätzlich offen lässt, wie nun tatsächlich Material in den Knochen geliefert wird, insbesondere aber, wie das „in der Kanüle befindliche Material“ in die Kanüle gelangt ist. Damit aber gibt diese ursprüngliche Lehre keinen bestimmten Modus der Zementverfüllung vor, der vom geltenden Patentanspruch 1 einzuhalten wäre, so dass beim geltenden Patentanspruch 1 kein Aliud darin zu sehen ist, dass auch eine Hochdruckspritzpistole an den Stutzen angekoppelt werden könnte oder dass gar nichts an den Stutzen angeschlossen werden müsste.
Gleichzeitig gibt der ursprüngliche Anspruch 9 bei Betrachtung der bereits aus den Ansprüchen ableitbaren Offenbarung den größtmöglichen Rahmen vor, innerhalb dessen sich der beschränkte Patentanspruch 1 der B2-Schrift bewegen kann. Diese Randbedingung sieht der Senat als erfüllt an, denn gemäß obiger Auslegung der Merkmale 4.1 bis 4.2 c), wonach die Stilettkomponente und die Stutzen-Komponente gemeinsam ein zusammengesetztes Stopfinstrument bilden, das durch Vorwärtsbewegung durch die Kanüle 184 verbleibendes Material aus dem Kanülen-Instrument 184 in den Hohlraum 168 verschieben soll, umfasst der geltende Patentanspruch 1 mit den weiteren Merkmalen 1. und 2. das, was der ursprüngliche Anspruch 9 als Mindestanforderungen vorgibt.
4.3. Aber auch aus den übrigen Anmeldungsunterlagen kann der Fachmann die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnehmen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach jüngster Rechtsprechung des BGH das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in einer Weise angewendet werden muss, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet.
4.3.1. So sehen die Ursprungsunterlagen des Streitpatents ein System funktionaler Instrumente vor (siehe Seite 10 Zeile 26 bis Seite 11 Zeile 10 der Nint2), die dazu eingesetzt werden, um in Gewebe einzudringen, einen subkutanen Zugang zu dem Inneren eines Knochens zu gewinnen sowie um eine Vertiefung in dem schwammartigen Knochen zu bilden, in die für therapeutische Zwecke Material eingebracht wird. Dazu weist das System drei funktionale Instrumentengruppen 14, 16 und 18 auf, wobei die erste Gruppe 14 den Zweck hat, einen subkutanen Zugang zu dem Inneren des Knochens zu gewinnen, die zweite Gruppe 16 ein Instrument aufweist, dessen Funktion es ist, eine Vertiefung in einem schwammartigen Knochen zu erzeugen und die dritte Gruppe 18 Instrumente besitzt, deren Funktion es ist, Material in die Vertiefung einzuführen.
Nachfolgend werden in den Ursprungsunterlagen je ein Ausführungsbeispiel für die erste Instrumentengruppe 14 (siehe Seite 11 Zeile 17 bis Seite 16 Zeile 33) und die zweite Instrumentengruppe 16 (siehe Seite 16 Zeile 34 bis Seite 20 Zeile 34) näher erläutert, die sich dementsprechend auch im geltenden Patentanspruch 1 zum einen in der Kanüle gemäß Merkmal 2. und zum anderen in das den Hohlraum bildende Instrument gemäß den Merkmalen 3. bis 3.2 niederschlagen.
Für die dritte Instrumentengruppe 18 zum Einführen von Material in die Vertiefung schlägt nun die ursprüngliche Anmeldung zwei Ausführungsbeispiele vor.
Das erste Ausführungsbeispiel (siehe Seite 20 Zeile 35 bis Seite 24 Zeile 26 in Verbindung mit Fig. 5) sieht eine konventionelle Spritze 104, einen Stutzen 106 und ein Stopfinstrument 108 vor, wobei Stutzen 106 und Stopfinstrument 108 so ausgestaltet sind, dass sie durch die Kanüle 30 vorgeschoben werden können. Zunächst wird der mit der Spritze 104 verbundene Stutzen 106 in die Kanüle 30 vorgeschoben und Material aus der Spritze 104 durch die innere Bohrung des Stutzens 106 hindurch in den Hohlraum verbracht. Ist ausreichend Material verfüllt worden, wird der Stutzen 106 aus der Kanüle 30 herausgezogen, wobei Material in der Kanüle 30 verbleiben kann. Dieses Material kann aus der Kanüle 30 in den Knochen gedrängt und dort kompaktiert werden, indem das Stopfinstrument 108 in die Kanüle 30 eingeführt wird (siehe auch Seite 34 Zeile 3 bis Seite 35 Zeile 35).
Alternativ dazu schlägt die ursprüngliche Anmeldung ein zweites Ausführungsbeispiel (siehe Seite 38 Zeile 7 und 26 bis Seite 40 Zeile 19 in Verb. mit Fig. 33) für die dritte Instrumentengruppe 18 zum Einführen von Material in die Vertiefung mit einer Spritze 104, einem Stutzen 180 und einem Stilett 182 vor, wobei der Stutzen 180 durch die Kanüle 30 vorgeschoben und das Stilett 182 durch den Stutzen 180 vorgeschoben werden können, so dass Stutzen 180 und Stilett 182 als verschachtelte Einheit ein Stopfinstrument in der Kanüle 30 bilden können. Auch hier wird zunächst der mit der Spritze 104 verbundene Stutzen 180 in die Kanüle 30 vorgeschoben und Material aus der Spritze 104 durch die innere Bohrung des Stutzens 180 hindurch in den Hohlraum verbracht. Ist ausreichend Material verfüllt worden, wird der Stutzen 180 aus der Kanüle 30 herausgezogen, wobei auch hier Material in der Kanüle 30 verbleiben kann. Außerdem verbleibt auch Material in der inneren Bohrung des Stutzens 180, das aus dem Stutzen 180 ausgeleert werden kann, indem das Stilett 182 in den Stutzen 180 eingeführt wird. Bei vollständig in den Stutzen 180 eingeführtem Stilett 182 bilden Stutzen 180 und Stilett 182 gleichzeitig ein Stopfinstrument, das in die Kanüle 30 eingeführt wird, um dadurch schließlich - ebenso wie im vorhergehenden Ausführungsbeispiel - das in der Kanüle 30 verbliebene Material aus der Kanüle 30 in den Knochen zu drängen und dort kompaktieren zu können.
4.3.2. Auch wenn nun beide Ausführungsbeispiele für die dritte Instrumentengruppe 18 zum Einführen von Material in die Vertiefung jeweils eine mit Material gefüllte Spritze 104 vorsehen, die an den Stutzen 106 bzw. 180 gekoppelt wird, so dass das Material durch den Stutzen hindurch in den Hohlraum des Wirbelkörpers verbracht werden kann, liegt - entgegen der Auffassung der Klägerin und der Nebenintervenientinnen - keine unzulässige Erweiterung im Sinne einer unzulässigen Verallgemeinerung oder gar eines Aliuds vor, weil im geltenden Patentanspruch 1 die Spritze 104 nicht angegeben ist.
Denn beide Ausführungsbeispiele für die dritte Instrumentengruppe 18 weisen jeweils die gleiche Spritze 104 (gleiches Bezugszeichen) auf, die in beiden Fällen auch die gleiche Funktion als Abgabevorrichtung (Überbringungseinrichtung) erfüllt. Die Ausführungsbeispiele unterscheiden sich allein darin, dass im ersten Ausführungsbeispiel ein Stutzen 106 und ein „einteiliges“ Stopfinstrument 108 vorgesehen sind, die nur wechselweise in die Kanüle 30 eingeführt werden können, während im zweiten Ausführungsbeispiel ein Stutzen 180 und ein darin einführbares Stilett 182 vorgesehen sind, die miteinander verschachtelt ein „zweiteiliges“ Stopfinstrument bilden.
Der erfindungswesentliche Gedanke des Gegenstands des geltenden Patentanspruchs 1, der in den Merkmalen 4. bis 4.2 c) auf das zweite Ausführungsbeispiel ausgerichtet ist, liegt in der Ausgestaltung von Stutzen und Stilett und setzt ebenso - eine ungenannt gebliebene - Abgabevorrichtung, wie eine Spritze, voraus; lehrt aber insbesondere nicht, dass es einer solchen nicht bedürfe, weil etwa der Stutzen nicht nur der Durchleitung von Material aus einer separaten Abgabevorrichtung diene, sondern vorgefüllt sei und mittels Einsatz der Stilettkomponente 4.2. eine Befüllung des Hohlraums bewirke.
4.3.3. Dass im geltenden Patentanspruch 1 weder die Spritze 104 noch das Merkmal „delivery device“ angegeben ist, führt deshalb im Ergebnis nicht zu einer unzulässigen Erweiterung, da der Patentinhaber nicht genötigt ist, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen und ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich ist, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH GRUR 2014, 542 - Kommunikationskanal). So ist es hier. Eine unzulässige Erweiterung läge danach erst vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst aufgrund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat, so wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH GRUR 2013, 2012 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren; GRUR 2013, 809 - Verschlüsselungsverfahren). Dies ist aber gerade nicht der Fall, da es für den Fachmann selbstverständlich ist, dass der nur zur Durchleitung des Füllmaterials vorgesehene Stutzen eine separate Abgabevorrichtung voraussetzt.
4.4. Da auch im erteilten Patentanspruch 1 der B1-Schrift bereits das Merkmal „delivery device“ nicht angegeben war, ergibt sich aus der Nicht-Aufnahme in der B2-Schrift auch keine Erweiterung des Schutzbereichs, da der Schutzbereich durch die Gesamtheit aller Patentansprüche bestimmt wird. Dies gilt in gleicher Weise für die gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 vorgenommenen Ergänzungen von „containing and“ im Merkmal 4.1 a) und „containing the material“, da sich aus dem Verständnis dieser geänderten Angaben keine andere Lehre ergibt.
4.5. Schließlich stellt die Vorrichtung in der geltenden Fassung auch nicht auf eine Anwendung am Körper ab. Vielmehr ergibt sich aus dem Verständnis der hier strittigen Merkmale 4.1 b) und 4.2 b) für die Vorrichtung des geltenden Patentanspruchs 1 nichts anderes, als was der Fachmann als Lehre den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen entnimmt.
V.
Der auf fehlende Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, § 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ) gestützte Nichtigkeitsangriff erweist sich ebenfalls als unbegründet.
1. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu.
1.1. Die NK6 beschreibt (siehe Bezeichnung) eine verbesserte aufblasbare Einrichtung zur Anwendung bei der chirurgischen Behandlung von gebrochenen oder erkrankten Knochen, insbesondere betrifft der dortige Patentanspruch 13 ein System zum Überbringen einer therapeutischen Substanz an eine Behandlungsstelle innerhalb eines Knochens.
1.1.1. Dabei geht die NK6 bei der Schilderung des Standes der Technik im Einzelnen auf die Schriften US 4 969 888 und US 5 108 404 (siehe NK6, Seite 2 Zeile 17 bis Seite 4 Zeile 16) ein, wonach die dort beschriebenen Vorrichtungen und Verfahren besonders geeignet, aber nicht beschränkt für eine Verwendung zur Fixierung von Kompressionsfrakturen vertebraler Körper seien. So wird dort durch Bohren des zu behandelnden Knochens eine Vertiefung oder Passage in dem Knochen gebildet und durch Einsetzen und Aufblasen einer aufblasbaren ballonartigen Einrichtung die Vertiefung oder Passage weiter vergrößert. Anschließend wird ein fließendes, biokompatibles Füllmaterial, wie beispielsweise methylmethacryler Zement oder ein synthetischer Knochenersatz, in die Vertiefung oder Passage geleitet, um eine gehärtete Beschaffenheit ausbilden zu können und damit eine strukturelle Unterstützung für den Knochen bereitzustellen.
Die NK6 zielt explizit auf verbesserte, ballonartige, aufblasbare Vorrichtungen zum Gebrauch bei den Vorrichtungen und Verfahren der genannten Schriften US 4,969,888 und US 5,108,404 ab (siehe NK6, Seite 7 Zeilen 22 – 27) und schlägt eine Vorrichtung für das Überbringen einer therapeutischen Substanz zu einer Behandlungsstelle innerhalb von Knochen vor (siehe Patentanspruch 13; Seite 24 Zeilen 4-29 in Verb. mit Fig. 1, 2), wobei (siehe Patentanspruch 19; Seite 3 Zeilen 24-28) die therapeutische Substanz ein knochenfüllendes Material sein kann [= Merkmal 1.]. Weiter weist diese Vorrichtung einen hohlen Ballon 10 [= Merkmal 3.] auf, der aufblasbar ist von einer zusammengefalteten Konfiguration zu einer expandierten Konfiguration, welche ausreicht, um zumindest einen Teil des inneren schwammartigen Knochens zu komprimieren [= Merkmal 3.2].
Zudem weist die Vorrichtung eine Kanüle 26 auf [= Merkmal 2.], durch die der
Ballon 10 in den Knochen einsetzbar ist (siehe Seite 24 Zeile 30 bis Seite 25 Zeile 23 in Verb. mit Fig. 8), wobei der Ballon in zusammengefalteter Konfiguration eine geeignete Größe aufweist für eine Passage mit dem Katheter durch die Kanüle für ein Einsetzen in Knochen [= Merkmal 3.1] – notwendigerweise richtet die Kanüle 26 damit eine subkutane Bahn durch Weichgewebe in den Wirbelkörper ein [= Merkmal 2.].
Damit lassen sich nach Ansicht des Senats der NK6 die Merkmale 1. bis 3.2 des Patentanspruchs 1 entnehmen.
1.1.2. Im Hinblick auf den Merkmalskomplex 4. bis 4.2 c) ist festzustellen, dass die in der Fig. 8 mit den Bezugszeichen 18, 20 bezifferten Rohre gemäß der NK6 (siehe Seite 24 Zeilen 14 – 19 in Verb. mit Fig. 1) zum Aufblasen der beiden aufblasbaren Teile 12, 14 des Ballons 10 dienen, aber nicht zum Einbringen von Material in den Knochen. Diesbezüglich geht die NK6 vielmehr nach dem Stand der Technik gemäß der US 4,969,888 und US 5,108,404 davon aus (siehe Seite 3 Zeilen 24-28), dass fließendes, biokompatibles Füllmaterial, wie beispielsweise methylmethacryler Zement oder ein synthetischer Knochenersatz, in den mit dem Ballon gebildeten Hohlraum geleitet wird. Weiter erläutert die NK6 dazu (siehe Seite 40 Zeile 32 bis Seite 41 Zeile 3): „To insert materials which do not flow into the balloon-made cavity, like hydroxyapatite granules or bone mineral matrix, the surgeon can push them down a tube with a long pin whose diameter is slightly more narrow than the inner diameter of the canula through procedures which the minimally-invasive procedure is taking place“; in deutscher Übersetzung: „Um Materialien einzusetzen, welche, wie Hydroxyapatite, Granulate oder eine mineralische Knochenmatrix, nicht in die durch den Ballon hergestellte Aushöhlung fließen, kann der Chirurg diese in Richtung des Endes eines Rohres mit einem langen Stift drücken, dessen Durchmesser geringfügig kleiner ist als der innere Durchmesser der Kanüle, durch welche der minimal invasive Eingriff erfolgt.“)
Diese Textpassage offenbart nach Überzeugung des Senats keine dem Merkmalskomplex 4. bis 4.2c) entsprechenden Komponenten, denn die Auffassung der Klägerin, dass mit „down a tube“ das Vorhandensein eines Rohres im Sinne der Stutzen-Komponente gemäß Merkmal 4.1 offenbart werde, in das der „pin“ im Sinne der Stilettkomponente gemäß Merkmal 4.2 eingeführt werde, geht an der Sache vorbei.
Vielmehr wird durch die Worte „a tube“ allein noch kein näher konkretisiertes Rohr im Sinne einer Stutzen-Komponente nach Merkmal 4.1 und 4.1a) offenbart; stattdessen soll durch die Wendung „down a tube“ zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht fließfähiges Material allgemein durch einen Stift „rohrabwärts“ (ähnlich der Redewendung „down the river“ = „flussabwärts“) nach vorne geschoben werden kann. Ferner wird durch die Wortstellung des Relativpronomens „whose“ unmittelbar im Anschluss an die Worte „a long pin“ in Verbindung mit dem Singular des Wortes „diameter“ und dem Verb „is“ eindeutig festgelegt, dass sich der angesprochene Durchmesser auf den Stift bzw. „pin“ bezieht, und zwar nur auf diesen und nicht etwa auch auf das „eine Rohr“ bzw. auf „a tube“. Danach ist diese Textpassage der NK6 aus der Sicht des Fachmanns so zu verstehen, dass der Stift bzw. „pin“ einen nur geringfügig kleineren Durchmesser hat als die Kanüle, durch die hindurch der minimal-invasive Eingriff erfolgt. Für den Fachmann ist insoweit selbstverständlich, dass mit der hier angesprochenen Kanüle die oben in Verbindung mit der Fig. 8 der NK6 angegebene Kanüle 26 gemeint ist, die der Kanüle gemäß Merkmal 2. entspricht. Dies wiederum hat aber zur Folge, dass zwischen dem Stift bzw. „pin“ und der Kanüle kein weiteres Rohr mehr denkbar ist, so dass die NK6 eine Stutzen-Komponente im Sinne der Merkmale 4.1 und 4.1b) überhaupt nicht aufweisen kann. Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu gegenüber der NK6.
1.2. Die NK7 betrifft ein Zwischenwirbelimplantat vom Typ eines Wirbelkäfigs (siehe Bezeichnung; Anspruch 1) und offenbart in den nebengeordneten Ansprüchen 8 bis 10 drei Instrumente zum Einbau eines solchen Zwischenwirbelimplantats.
Das erste Instrument stellt eine Bohrführung 20 dar, mit dem gemäß Fig. 6 ein Lager 15 und eine Rille 16 ausgebildet wird, (siehe NK7: Seite 9 Zeilen 23-32), wobei das Lager 15 dazu bestimmt ist, den Körper 5 eines Implantats 1 zwischen zwei Wirbeln 3 aufzunehmen. Das Implantat 1 umfasst einen Körper 5, der in seinem Inneren einen Hohlraum 10 zur Aufnahme des Transplantats 2 begrenzt (siehe NK7: Seite 8 Zeile 20 bis Seite 9 Zeile 13 in Verb. mit Fig. 1, 2, 4).
Die Bohrführung 20 weist ein rohrförmiges Teil 21 und zwei mit Schneidenden ausgebildeten Bändern 22, 23 auf; das rohrförmige Teil 21 dient zur Führung eines Bohrers, mit dem das Lager 15 geschnitten bzw. gebohrt wird (siehe NK7: Seite 9 Zeile 23 bis Seite 10 Zeile 5 in Verb. mit Fig. 6
Ferner sieht die NK7 gemäß den Figuren 9 und 10 als zweites Instrument einen Knochenmeißel 30 zur Entnahme eines Transplantats 2 aus einem Wirbelknochen vor. Der Knochenmeißel 30 weist am distalen Ende einen Hohlraum 32 zur Aufnahme des Transplantats 2 und einen Schieber 30 zum Ausstoßen des gewonnenen Transplantats 2 auf (siehe NK7: Seite 10 Zeilen 6-19 in Verb. mit Fig. 6).
Schließlich umfasst gemäß Fig. 11, 13 ein drittes Instrument 40 einen rohrförmigen Körper 41, einen Schlagkopf 42 an einem Ende und einen Gewinde-ansatz 43 an seinem anderen Ende. Dieser Ansatz 43 kann in eine der Bohrungen 12 des Implantats 1 geschraubt werden. Außerdem umfasst das Instrument 40 eine Stange 45, die einen Kolben bildet, der in der Innenbohrung 46 des Körpers 41 zu gleiten vermag (siehe NK7: Seite 10 Zeilen 20-28).
Damit lehrt die NK7 also drei Instrumente, Bohrungsführung 20, Knochenmeißel 30 und Instrument 40, die beim Einbauen des Implantats wie folgt eingesetzt werden:
- Zunächst wird die Bohrungsführung 20 bis zur vollständigen Einführung der Klingen 22, 23 in die Bandscheibe 4 stoßbeaufschlagt, bis sie mittels der Klingen 22, 23 fest eingebracht ist und die Rille 16 ausgebildet wird (siehe NK7: Seite 10 Zeile 35 bis Seite 11 Zeile 5).
- Der Knochenmeißel 30 erlaubt die Entnahme des Transplantats 2 insbesondere im ilischen Knochenfortsatz des Patienten. Der Schneidrand 33 stellt das Abschneiden dieses Transplantats 2 mit der Form des Hohlraums 10 sicher, wenn auf den Schlagkopf 31 eingeschlagen wird (siehe NK7: Seite 11 Zeilen 6-10).
- Nach dem Bohren der zwei Bohrungen, wodurch das Lager 15 ausgebildet werden kann und nach dem Rückziehen der Führung 20 wird das Implantat 1 am Ansatz 43 des Instruments 40 angebracht und daraufhin in das Lager 15 und die Rille 16 geschlagen (siehe NK7: Seite 11 Zeilen 13-16).
- Sobald es sich an Ort und Stelle befindet, kann ein Einspritzen von Spänen schwammigen Knochens durch Druckausüben auf den Kolben 45 in das Innere des Hohlraums 10 erfolgen (siehe NK7: Seite 11 Zeilen 16-21).
Bei der NK7 werden danach die drei Instrumente Bohrungsführung 20, Knochenmeißel 30 und Instruments 40 nacheinander im Austausch eingesetzt. Dass der Knochenmeißel 30 oder das Instrument 40 in die Bohrführung 20 eingesetzt werden, ist in der NK7 nicht angegeben. Vielmehr wird zwingend vorgeschrieben, die Bohrungsführung 20 zurückzuziehen, bevor das Implantat 1 mit dem Instrument 40 angebracht wird.
Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 schon gegenüber der NK7 dadurch neu, dass die NK7 keine Kanüle im Sinne des Merkmals 2. zeigt, durch die sowohl gemäß Merkmal 3.1 ein Hohlraum bildendes Instrument und als auch gemäß Merkmal 4.1 eine Stutzen-Komponente vorwärts bewegt wird.
1.3. Die NK8 betrifft eine Wundbehandlungsvorrichtung ('wound treating device'), die benachbart zu einer Öffnung in einem Blutgefäß eingesetzt wird zum Zwecke der Wundbehandlung, insbesondere zur Blutgerinnung und Abheilung der Öffnung (siehe Spalte 2 Zeilen 10-14).
Dazu sieht die NK8 eine Einführkanüle 10 vor, die (siehe Fig. 5, 6; Spalte 6 Zeilen 42 bis 52) zwar durch die Haut (= „Weichgewebe“), aber während der Behandlung nicht in einen Knochen, sondern in ein Blutgefäß (≠ „Wirbelkörper“) vorgeschoben und nach der Behandlung ein Stück zurückgezogen wird, wobei sie eine Öffnung A in der Gefäßwand des Blutgefäß hinterlässt. Sofern diese Einführkanüle 10 zunächst noch als Kanüle gemäß Merkmal 2. angesehen werden kann, sieht der Senat diese im Hinblick auf die Zweckangabe des Merkmals 2. aber nicht als geeignet an, um nicht nur Weichgewebe, sondern auch hartes Knochengewebe (= „Wirbelkörper“) zu durchstoßen, denn hierzu findet sich in der NK8 keine Offenbarung dahingehend, dass die Einführkanüle 10 der NK8 über eine bestimmte Mindest-Festigkeit verfügen müsse.
Durch diese Einführkanüle 10 wird (siehe Fig. 7; Spalte 6 Zeile 65 bis Spalte 7 Zeile 20) gemäß der NK8 die eigentliche Wundbehandlungsvorrichtung 20 vorgeschoben, so dass das am distalen Ende befindliche aufblasbare Mittel oder Ballon 32 vor dem distalen Ende der Einführkanüle 10 austritt; dieses aufblasbare Mittel oder Ballon 32 wird über ein Aufblaslumen 28 aufgeblasen und drückt dabei gegen den Einstichkanal, komprimiert also das den Ballon 32 umgebende Gewebe. Auch wenn der Ballon 32 in der NK8 dazu eingesetzt wird, die Wundbehandlungsvorrichtung 20 in der Einführkanüle 10 zu fixieren, so dass sein distales Ende 24 weder vorgeschoben noch herausgezogen werden kann, stellt er ein Hohlraum bildendes Instrument im Sinne der Merkmale 3., 3.1 und 3.2 dar, denn er wäre, sofern er in einen Wirbelkörper eingeführt würde, auch in der Lage die Spongiosa darin zu komprimieren.
Ferner dient (siehe Fig. 2 bis 4, 7; Spalte 5 Zeilen 5 bis 43, Spalte 6 Zeilen 17 bis 39) die Wundbehandlungsvorrichtung 20 dazu, ein Blutgerinnungsmittel 34 an seinem distalen Ende 24 abzugeben [= Merkmal 1. und „Instrument zur Abgabe eines Materials“ gemäß Merkmal 4.]. Es weist hierfür eine Röhre 22 (= „Stutzen-Komponente“) auf, die ein großes Lumen 30 zur Aufnahme und Abführung des Blutgerinnungsmittels 34 hat [= Merkmale 4.1 und 4.1 b)].
Jedoch ist das Merkmal 4.1 a) gemäß obiger Auslegung in der NK8 nicht erfüllt. Entgegen dem Patentgegenstand, bei dem entweder das Hohlraum bildende Instrument gemäß 3. oder die Stutzen-Komponente gemäß 4.1 durch die Kanüle vorwärts bewegt werden kann, befinden sich bei der NK8 zwangsläufig sowohl der Ballon 32 vor dem distalen Ende der Einführkanüle 10 (ist also nicht herausgezogen) als auch die Röhre 22 in der Kanüle, denn Ballon 32 und Röhre 22 sind gemeinsam Bestandteile der Wundbehandlungsvorrichtung 20.
Insoweit geht auch die Auffassung der Klägerin an der Sache vorbei, wonach auch Merkmal 4.1 a) durch die Angabe, dass die Stutzen-Komponente „ bemessen “ sei, durch die Kanüle vorwärts bewegt zu werden, eröffne, dass der Stutzen auch gemeinsam mit dem Ballon durch die Kanüle passen dürfe. Hiergegen spricht nämlich, dass sich aus dem Zusammenhang der Merkmale im Patentanspruch 1 im Lichte der obigen Auslegung ergibt, dass das Hohlraum bildende Instrument gemäß Merkmal 3. und die Stutzen-Komponente gemäß Merkmal 4.1 zwei getrennte Teile sind, die gemäß der Auslegung des funktionalen Teils im Merkmal 4.1 a) nur wechselweise, nicht aber gemeinsam oder als Einheit durch die Kanüle vorwärts bewegt werden können.
Daher wird der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht von der NK8 neuheitsschädlich vorweggenommen, sodass es auf den Einwand der Beklagten, dass der den Ballon 32 bildende, aufgeklebte „Sleeve“ (siehe NK8, Spalte 5 Zeilen 43-50) überhaupt nicht die zum Ausbilden des Hohlraums in der Spongiosa erforderliche Drücke von bis zu 300 psi (siehe NK9, Spalte 7 Zeilen 19f.) aushalte, gar nicht ankommt.
1.4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist auch neu gegenüber der NK9, die die Klägerin in ihrer Klageschrift vom 28. Februar 2014 zunächst nur als Ausgangspunkt für die ihrer Meinung nach fehlende erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 gewählt und zudem als nächstliegenden Stand der Technik (siehe dort Seite 34 unten) angesehen hatte.
1.4.1. Die NK9, die neben der US 4 969 888 (NK18) bereits in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen des Streitpatents zitiert worden war, schlägt (siehe Spalte 2 Zeilen 4 bis 21) ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Fixierung von Knochenbrüchen, insbesondere von Kompressionsbrüchen von Wirbelkörpern, vor, wobei ein fließfähiges synthetisches Knochenmaterial in einen Hohlraum des Knochens eingebracht wird, um dort auszuhärten [= Merkmal 1.].
Dazu weist die Vorrichtung der NK9 eine Kanüle 30 auf, die (sie Fig. 14 bis 17; Spalte 6 Zeilen 35 bis 46) durch das Weichgewebe vorgeschoben und dann unter Drehung und Anpressdruck in den Wirbelkörper eingetrieben wird [= Merkmal 2.].
Nach einem Bohrungsschritt wird durch die Kanüle 30 ein aufblasbarer Ballon 76 [= „Hohlraum bildendes Instrument“] in das Innere des Wirbelkörpers eingebracht (siehe Fig. 21, 24; Spalte 6 Zeile 57 bis Spalte 7 Zeile 3) und aufgeblasen, so dass (siehe Spalte 7 Zeilen 27 bis 31) das Mark 67 des Wirbelkörpers 66 nach außen an die Innenwand des Wirbelkörpers gedrückt wird und einen Hohlraum hinterlässt [= Merkmale 3., 3.1, 3.2].
Nach Bilden des Hohlraums wird der Ballon 76 entleert, aus der Kanüle 30 entfernt und der Wirbelkörper gespült (siehe Spalte 7 Zeilen 36 bis 39).
Nach dem Spülen wird künstliches Knochenersatzmaterial mittels einer doppelläufigen Einspritzpistolen-Düse ('double barrel injection gun nozzle') [= „Instrument zur Abgabe des Materials in den Hohlraum“ gemäß Merkmal 4.] in den Hohlraum des Wirbelkörpers eingebracht (siehe Fig. 25, 26; Spalte 7 Zeilen 42 bis 65), wobei diese Einspritzpistolen-Düse ein kürzeres Ansaugrohr 82 und ein
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Materialzuführrohr 80 aufweist. Aus der Beschreibung (siehe Spalte 7 Zeile 60 bis Spalte 8 Zeile 6) in Verbindung mit den Fig. 25, 26 entnimmt der Fachmann der NK9, dass das Materialzuführrohr 80 [= „Stutzen-Komponente“ gemäß Merkmal 4.1] durch die Kanüle 30 bis in den Hohlraum des Wirbelkörpers eingeführt wird [= Merkmal 4.1 a)] und auch eine innere Bohrung aufweist, durch die der Knochenzement in den Wirbelkörper eingespritzt wird [= Merkmal 4.1 b)]. Ferner wird während des Einspritzens des Zements in den Wirbelkörper die doppelläufige Einspritzpistolen-Düse langsam zurückgezogen und dann am Eintrittsloch in den Wirbelkörper gedreht, während der Zement abbindet.
Damit zeigt die NK9 keine Stilettkomponente gemäß Merkmal 4.2, die im Sinne der Merkmale 4.2a) bis 4.2c) in das Mantelzuführrohr 80 der doppelläufigen Einspritzpistolen-Düse eingeführt wird, dieses schließt und mit diesem ein Stopfinstrument bilden könnte.
1.4.2. Soweit die Klägerin im Nachgang zum qualifizierten Hinweis vom 19. Januar 2015 erstmals in ihrem Schriftsatz vom 2. April 2015 (siehe Seite 26ff.) die NK9 mit Blick auf deren Fig. 15 und zugehöriger Beschreibung als neuheitsschädlich angesehen hatte, weil die dort angesprochenen Teile Führungsstift bzw. „guide pin“ 70 und Gewebeexpander bzw. „soft tissue expander“ 71 als Stilettkomponente gemäß 4.2 und Stutzen-Komponente gemäß 4.1 angesehen werden können, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung diese Ansicht nicht weiterverfolgt.
Auch Senat sieht insoweit keine Relevanz der NK9. Dort wird nämlich ausgeführt (siehe Spalte 6 Zeilen 19 bis 60), dass zum Herstellen des Zugangs in den Wirbelkörper zunächst (Fig. 10, 11) ein „guide pin 70“ zum Penetrieren des Wirbelkörpers 66 gelegt wird, daraufhin (Fig. 12) über den „guide pin 70“ der „soft tissue expander 71“ eingeführt wird bis zu einem Kontakt an den Wirbelkörper 66 (Fig. 13). Sodann stellt der „soft tissue expander 71“ eine Führung für die Kanüle 30 dar, um die Kanüle 30 an den zu behandelnden Wirbel heranzuführen (Fig. 14). Daraufhin wird die Kanüle 30 unter Drehung und Andruckkraft in den Wirbel eingetrieben (Fig. 15), bis sie in der Knochenwand verriegelt ist. Schließlich wird zunächst der „soft tissue expander 71“ herausgezogen (Fig. 17) und anschließend nach Bohren mit Bohrer 72 (Fig. 18, 19) auch der „guide pin 70“.
Zwar mag der „soft tissue expander 71“ so bemessen sein, dass er im Sinne des Merkmals 4.1a) durch die Kanüle bewegt werden kann, und auch ein Lumen im Sinne des Merkmals 4.1b) haben, das zur Aufnahme von Material geeignet ist. Zudem mag der „guide pin 70“ derart bemessen sein, dass er im Sinne der Merkmale 4.2a) und 4.2b) in der Bohrung des „soft tissue expander 71“ bewegt werden und diese Bohrung schließen kann. Jedoch können „soft tissue expander 71“ und „guide pin 70“ zusammen jedenfalls kein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2c) bilden.
Zum einen ist der Führungspin bzw. „guide pin“ 70 - das zeigen die Fig. 13 bis 15 - deutlich länger als der Gewebespreizer bzw. „soft tissue expander“ 71, so dass er schon deshalb nicht mit dem Gewebespreizer bzw. „soft tissue expander“ 71 ein Stopfinstrument bilden kann, da er gemäß obiger Auslegung allenfalls geringfügig überstehen dürfte. Zum anderen handelt es sich bei dem „soft tissue expander“ um - wie der Name schon sagt - einen Gewebespreizer, der das Weichgewebe zwischen Einstichstelle an der Hautoberfläche und dem Wirbelkörper auseinanderdrängen soll, um ein darauffolgendes Darüberstreifen der Kanüle zu ermöglichen. Dazu muss der Gewebespreizer bzw. „soft tissue expander“ 71 zwangsläufig an seinem distalen Ende - dies zeigen zudem die Fig. 13, 15 und 17 ganz deutlich - kegel- oder pyramidenförmig spitz zulaufend sein, so dass auch er gemeinsam mit dem Führungspin 70 nicht geeignet ist, ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2c zu bilden, da hierfür ja gemäß obiger Auslegung ein stumpfes, nahezu ebenes oder leicht balliges Ende zu fordern ist.
1.5. Der Inhalt der nachveröffentlichten NK27, die wegen der in Anspruch genommenen Priorität vom 20. Mai 1994 aufgrund Art. 139 Abs. 2 EPÜ in Verb. mit Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) und Art. 54 Abs. (3) EPÜ ein älteres Recht darstellt und nur bei der Prüfung auf Neuheit zu berücksichtigen ist, kann ebenfalls dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht die Neuheit nehmen, denn dieses Dokument betrifft ein Stoff-Implantat zur Stabilisierung eines spinalen Bewegungssegments, also eines Bandscheibenimplantats für die Wirbelsäule (siehe Bezeichnung, Abs. [0015], Patentanspruch 1).
1.5.1. Zum Einbringen des Stoff-Implantats bzw. eines Beutels 40 zwischen zwei Wirbel 12, 14 wird nach der Lehre der NK27 zunächst eine Eintrittsbohrung 46 in den Anulus (Bandscheibenring) 30 einer erkrankten Bandscheibe 20 mit einem herkömmlichen Mittel ausgebildet (siehe Abs. [0090] – [0091] in Verb. mit Fig. 3).
Daraufhin wird eine vergrößerte, hohle Kammer 44 zwischen den Wirbeln 12, 14 geschnitten (siehe Abs. [0095], [0097] in Verb. mit Fig. 4). Dies kann durch jede geeignete Technik, vorzugsweise mittels einer Zwischenwirbelreibahle erfolgen. Dabei offenbart die NK27 keine Kanüle im Sinne des Merkmals 2, durch die hindurch die vergrößerte Kammer 44 im Sinne des Hohlraums nach Merkmal 3 gebildet wird.
Abgesehen davon, dass die durch die Klägerin vorgenommene Beiziehung der im Abs. [0097] genannten US 5 015 255 als NK27a wegen der Nachveröffentlichung der NK27 schon nicht zulässig ist, stellt das dort gezeigte Instrument (siehe Spalte 5 Zeilen 16-48 in Verb. mit Fig. 5, 13, 14, 16: 'shaft 24' mit 'distal end 26') wegen der Schneiden ('blades 40, 42') an seinem distalen Ende kein Hohlraum bildendes Instrument im Sinne der Merkmale 3. und 3.2 dar, denn es bildet keinen Hohlraum durch Zusammendrücken, sondern durch Ausreiben, d. h. Ausräumen oder Entfernen von Material. Dabei ist auch unbeachtlich, dass bei der NK27a der Schaft ('shaft 24') im Sinne des Merkmals 3.1 zwischen zwei Wirbel durch einen Zylinderschaft 104 vorwärts bewegt werden kann, der als Kanüle gemäß Merkmal 2. angesehen werden könnte (siehe Fig. 16, Spalte 8 Zeilen 39-47).
1.5.2. Auch das Argument der Klägerin, die Fig. 5 und 7b der NK27 würden eine Kanüle und einen Stutzen zeigen, geht an der Sache vorbei, denn (siehe Abs. [0099] – [0105]) der Führungsschlauch 54 trägt an seinem distalen Ende einen Beutel 40, der mit einem Transplantationsmedium 52, beispielsweise fein zerhackten kortikalen oder Knochenschwamm-Splittern durch den Führungsschlauch 54 hindurch aufgefüllt wird. Da der Beutel 40 das am Operationsort verbleibende Implantat bildet und nicht zum Bilden eines Hohlraums - dieser ist ja bereits vorher herausgeschnitten worden und somit vorhanden - dient, könnte der zum Auffüllen des Beutels 40 dienende Führungsschlauch 54 allenfalls als ein „Instrument zur Abgabe des Materials in den Hohlraum, der im inneren Bereich des menschlichen Wirbelkörpers gebildet ist, mit einer Stutzen-Komponente“ im Sinne der Merkmale 4. und 4.1 angesehen werden, nicht aber als Kanüle gemäß Merkmal 2., durch die hindurch ein Hohlraum bildendes Instrument im Sinne des Merkmals 3.1 vorwärts bewegt werden könnte.
Soweit sich die Klägerin noch auf die Fig. 35 der NK27 stützt, wird dort eine Vorrichtung zum Einführen und Einfüllen eines Transplantationsmediums in einen Beutel 40 vorgeschlagen. Dabei dient der Beutel 40 auch hier nicht zum Bilden eines Hohlraums, sondern stellt das Implantat selbst dar, das mit einem Transplantationsmedium gefüllt wird. So ist (siehe Abs. [0108], [0109] in Verb. mit Fig. 32, 35) die mit dem Transplantationsmedium vorgefüllte Patrone 92 in der Art einer Kartusche in die Vorrichtung 90 eingelegt, an deren distalen Ende der Beutel 40 befestigt ist. Der Beutel 40 enthält eine mit Gewinde versehene Einfüllöffnung 80, die ein Innengewinde 82 zum Aufnehmen einer Gewindeschraube 84 aufweist. Zum Füllen des Beutels 40 wird mittels eines Kolbens 96 [= Stilett] in seinem Schaft [= Stutzen] die Schraube 84 in Richtung zu dem Innengewinde 82 geschoben, wodurch das Transplantationsmedium 52 in den Beutel 40 geschoben wird. Durch Drehen des Kolbens 96 kann schließlich die Schraube 84 in das Innengewinde 82 eingedreht und das Implantat 40 versiegelt werden. Jedoch zeigt die NK27 auch in diesem Zusammenhang keine Kanüle im Sinne des Merkmals 2.
1.6. Die NK28 lehrt ein Instrument zur Knochenbiopsie (siehe Bezeichnung) und weist (siehe Fig. 1; Spalte 3 Zeilen 17-60) eine Kanüle 10 [= Kanüle im Sinne des Merkmals 2.] und eine Knochen schneidende Anordnung ('bone cutting assembly') 47 auf, die zwar als ein Hohlraum bildendes Instrument im Sinne der Merkmale 3. und 3.1 angesehen werden kann. Jedoch ist diese Anordnung 47 entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geeignet, einen Hohlraum im menschlichen Wirbelkörper durch Zusammendrücken von Spongiosa im Sinne des Merkmals 3.2 zu bilden, da die Knochen schneidende Kanüle 35 als Bestandteil der Anordnung 47 an ihrem (distalen) Schneidepunkt 38 mit einer Schneidekante 62 versehen ist (siehe Spalte 7 Zeilen 55-63 in Verb. mit Fig. 7) und somit einen Hohlkörper bildet, indem sie einen Zylinder aus dem Knochen herausschneidet.
Ferner mag zwar die NK28 in Spalte 3 Zeile 66 bis Spalte 4 Zeile 6 angeben, dass das Instrument eine mit dem Lumen 39 der Schneidekanüle 35 verbundene Leitungsröhre 48 und somit einen Durchgang bis zum (distalen) Schneidepunkt 38 der Schneidekanüle 35 hat, so dass die, sich bei Gebrauch im Lumen 39 ansammelnden Knochenspäne durch Einführen eines Stiletts ausgeräumt werden können. Auch wenn sich nach Meinung der Klägerin dieser Durchgang durch Leitungsröhre 48 und Lumen 39 auch zum Einbringen von Material im Sinne des Merkmal 1. eignen könnte, wofür es jedoch in der NK28 keinerlei Anhaltspunkte oder Hinweise gibt, stellt dieser Durchgang entgegen der Meinung der Klägerin jedoch keine Stutzen-Komponente im Sinne des Merkmals 4.1 dar, da er selbst Teil auch der Anordnung 47 ist, die oben schon als Hohlraum bildendes Instrument nach Merkmal 3. angesehen wurde, wohingegen beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 angesichts obiger Auslegung das Hohlraum bildende Instrument und die Stutzen-Komponente zwei voneinander getrennte Teile sind. Das Gleiche gilt analog auch für die Schneidekanüle 35 als Teil der Knochen schneidenden Anordnung 47.
Schließlich ist der NK28 auch kein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) zu entnehmen, da die Schneidekanüle 35 am (distalen) Schneidepunkt 38 scharfkantig ausgeführt ist und auch das allenfalls erwähnte Stilett nicht näher spezifiziert ist, als dass der Fachmann hier ein stumpfes, nahezu ebenes oder leicht balliges Ende entnehmen könnte.
Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch neu gegenüber der NK28.
1.7. Soweit in der mündlichen Verhandlung noch die Frage aufgeworfen wurde, ob die NK29 dem Streitpatent neuheitsschädlich entgegenstehen könnte, erscheint es dem Senat ausreichend, darauf hinzuweisen, dass der NK29, die sich mit der Vertebroplastie beschäftigt, kein Hohlraum bildendes Instrument im Sinne des Merkmalskomplexes 3. bis 3.2 zu entnehmen ist und diese daher nicht als neuheitsschädlich angesehen wird; zudem ist ein diesbezüglicher Neuheitsangriff weder im schriftlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert vorgetragen worden (BGH GRUR 2015, 365 – Zwangsmischer; BGHZ 198, 187 - Tretkurbeleinheit).
2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Für die Beurteilung, ob eine beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist von dem auszugehen, was der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang (BGH GRUR 2007, 1055 – Papiermaschinengewebe) gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 607 - Fettsäurezusammensetzung), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (BGH GRUR 2009, 1039, Rn. 20 - Fischbissanzeiger; GRUR 2009, 382 - Olanzapin). Vor dem Hintergrund des im Verfahren befindlichen Stands der Technik sieht der Senat den Kern und die Leistung der Lehre des Streitpatents zur Lösung des sich stellenden Problems, ein neues System für ein Befüllen von Wirbelkörpern mit Material vorzuschlagen, bei dem die Nachteile des Stands der Technik vermieden oder gemindert werden, vornehmlich darin, dass die patentgemäße Vorrichtung ein Stopfinstrument zum „Stopfen“, d. h. Kompaktieren, des eingebrachten Materials am Ende des Einfüllvorgangs zur Verfügung stellt, das gemeinsam von einer Stutzen-Komponente und einer Stilettkomponente gebildet wird und somit zweiteilig ist.
Hierbei ist für die Beurteilung eines Naheliegens insbesondere zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß die technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr oder weniger zwangsläufig darstellen und es - abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt was zu tun ist - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür bedarf, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2009, 746 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln kann insbesondere nicht schon deshalb als nahegelegt bewertet werden, weil lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von dem im Stand der Technik Bekannten zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen. Diese Wertung setzt vielmehr voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (BGH GRUR 2010, 487 - einteilige Öse).
Danach wurde die erfindungsgemäße Lehre dem Fachmann nach Überzeugung des Senats im maßgeblichen Prioritätszeitpunkt unter Berücksichtigung des im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht nahegelegt, da weder im Stand der Technik das Stopfen von in Wirbelkörper eingebrachtem Material fokussiert oder angesprochen ist und sich zudem erst recht keinerlei Anregung findet, ein zweiteiliges Stopfinstrument auszubilden noch konnte unter Zuhilfenahme seines Fachwissens der Fachmann naheliegend zur erfindungsgemäßen Lehre gelangen. Insofern kommt es auch nicht darauf an, von welchem Stand der Technik und von welcher Schrift der Fachmann als erfolgversprechenden Ausgangspunkt für eine Problemlösung heranzog.
2.1. Ausgehend von der Problemstellung richtete der Fachmann sein Augenmerk zunächst auf die Lehre der NK9, die der Senat in Übereinstimmung mit der Klägerin auch als nächstliegenden Stand der Technik ansieht, da auch hier eine Vorrichtung im Sinne des Merkmals 1. mit Teilelementen gemäß den Merkmalen 2. bis 4.1 b) gelehrt wird und der Fachmann eine Lösung oder Anregung zur Problemlösung des sich stellenden technischen Problems erwarten konnte. Jedoch zeigt die NK9 keine Stilettkomponente gemäß den Merkmalen 4.2 und 4.2a) bis 4.2c).
2.1.1. So enthält insbesondere die NK9 keinerlei Hinweise dafür, dass ein Stopfen des eingespritzten Knochenzements im Wirbelkörper erforderlich oder zumindest vorteilhaft sein könnte. Die NK9 führt nämlich aus (siehe Spalte 7 Zeilen 60-65), dass die doppelläufige Einspritzpistolen-Düse langsam zurückgezogen wird, während der Wirbelkörper mit Knochenzement gefüllt wird, und dass die Spitze der Einspritzpistolen-Düse am Eintrittsloch in den Wirbelkörper gedreht wird, während der Zement aushärtet und danach die Einspritzpistolen-Düse entfernt wird. Die NK9 lehrt also, dass die doppelläufige Einspritzpistolen-Düse während des Zementfüllens langsam zurückgezogen wird, bis ihre Spitze, genauer gesagt die Spitze des Materialzuführrohr 80, das Eintrittsloch in den Wirbelkörper erreicht hat. Sodann verbleibt die doppelläufige Einspritzpistolen-Düse in dieser Stellung und wird dann verdreht, während der Zement aushärtet.
Damit gibt die NK9 dem Fachmann aber keine Anregung, in die innere Bohrung des Materialzuführrohrs 80 eine Stilettkomponente im Sinne des Merkmal 4.2 einzuführen, da diese in diesem Zustand wegen des bereits aushärtenden Zements gar nicht mehr in das Materialzuführrohr 80 gemäß den Merkmalen 4.2a) und 4.2b) eingeführt werden kann. Zudem könnte es mit dem Materialzuführrohr 80 auch kein Stopfinstrument mehr bilden, was im Übrigen schon deshalb sinnlos wäre, da ein Stopfen generell nur solange möglich ist, wie der Knochenzement noch nicht abgebunden hat. Schließlich würde das Einführen einer Stilettkomponente in das Materialzuführrohr 80 zudem eine Umkonstruktion der doppelläufigen Einspritzpistolen-Düse dahingehend erfordern, dass es nach dem Füllvorgang von der Einspritzpistolen-Düse abgetrennt werden kann.
2.1.2. Auch der Einwand der Klägerin, dass der Fachmann sein Fachwissen einsetzen und die doppelläufige Einspritzpistolen-Düse der NK9 wegen ihres fehlenden schnellen Reaktionsvermögens (siehe NK9, Spalte 7 Zeilen 50-55 sowie Streitpatent NK1, Spalte 1 Zeilen 20-29) durch ein manuell zu bedienendes Werkzeug mit Stutzen und Stilett ersetzen würde, führt nicht naheliegend zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1.
So hätte der Fachmann zwar anstelle des Mantelzuführrohrs 80 der Einspritzpistolen-Düse einen genügend langen Stutzen mit einem Lumen in die Kanüle der NK9 einbringen können, an deren proximalen Ende eine gewöhnliche, manuell zu bedienende und mit Knochenzement gefüllte Injektionsspritze angeschlossen ist, so dass durch Druckausübung auf den Kolben der Injektionsspritze der darin befindliche Knochenzement durch den Stutzen hindurch in den Wirbelkörper verbracht werden kann. Dann aber hätten entsprechend der Lehre der NK9 während des Einfüllens auch Stutzen und Injektionsspritze bis zum Eintrittsloch in den Wirbelkörper zurückgezogen werden müssen. Auch hätte sich dem Fachmann allenfalls noch die Möglichkeit eröffnen können, dass er sofort bei Erreichen des Eintrittslochs den Stutzen mit Injektionsspritze ohne weitere Druckausübung auf deren Kolben ganz aus der Kanüle entfernt, allerdings mit der Folge, dass der Knochenzement mangels ausreichender Zeit zum Abbinden als noch fließfähiges Material in die Kanüle verschleppt werden könnte. Um schließlich diesen ersichtlichen Nachteil zu vermeiden, hätte der Fachmann die weitere Überlegung einbeziehen müssen, dieses verschleppte Material wieder in den Wirbelkörper dadurch zurückzuführen, dass er einen geschlossenen Stab in die Kanüle einführt und so durch ein derartiges „Stopfinstrument“ auch zu einem Kompaktieren des Materials gelangt wäre. Allerdings findet sich in der NK9 weder eine derartige Lehre noch ist dort überhaupt thematisiert, einen geschlossenen Stab im Sinne eines einstückigen Stopfinstruments in die Kanüle einzuführen. Diese Betrachtung ist bereits Ergebnis einer rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis der patentgemäßen Lösung.
Letztlich kommt es hierauf aber nicht einmal an, da jedenfalls die Ausgestaltung eines erfindungsgemäßen zweiteiligen Stopfinstruments nicht nahegelegt war. Denn aufgrund welcher Anregung der Fachmann das Stopfinstrument nicht nur im Sinne eines geschlossenen Stabs als einstückiges Stopfinstrument ausbilden sollte, sondern als Stilett im Sinne des Merkmalskomplexes 4.2 bis 4.2c), das in den zur Materialverfüllung verwendeten Stutzen eingeführt wird und das gleichzeitig mit dem Stutzen ein (zweiteiliges) Stopfinstrument bildet, ist nicht ersichtlich, zumal das Stilett auch erst dann in den Stutzen eingeführt werden kann, nachdem Stutzen und Injektionsspritze aus der Kanüle vollständig entfernt und Stutzen und Injektionsspritze voneinander getrennt worden sind.
2.2. Soweit alternativ zu einem von der NK9 ausgehenden Lösungsansatz nach Ansicht der Klägerin auch allgemein darauf abgestellt werden könne, dass Material durch ein Rohr im Sinne des Stutzens gemäß den Merkmalen 4.1 bis 4.1b) mit einem Stift im Sinne des Stiletts gemäß den Merkmalen 4.2 und 4.2a) in den Wirbelkörper vorgeschoben wird, und solche aus Rohr und Stift bestehenden Werkzeuge ganz allgemein zum Fachwissen gehörten, wie beispielsweise die NK7, NK8, NK11, NK12, NK13 oder NK35 belegten, führt auch dieser Ansatz nicht naheliegend zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1. Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit auch Handlungsweisen zu berücksichtigen sind, die dem Fachmann deshalb nahegelegt waren, weil sie am Prioritätstag zum ärztlichen Standard-Repertoire gehörten (BGH GRUR 2014, 461 – Kollagenase I), d. h. wenn die Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs gehört, weil dann Veranlassung zur Heranziehung einer derartigen Lehre bereits dann besteht, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem). Vorliegend ist aber nicht ersichtlich oder aufgezeigt, dass die angegriffene Lehre eines zweiteiligen Stopfinstruments eines derartigen Standard-Repertoires entspricht, welches der Fachmann kraft seines Fachwissens heranzieht, insbesondere zeigen die genannten Schriften nicht auf, dass die erfindungsgemäße Lehre einem generellen, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendem Mittel entspricht.
2.2.1. Denn zum einen setzt dieser Ansatz voraus, dass in den Wirbelkörper nur das Material eingebracht werden kann, das sich vorab schon im Lumen des Stutzens befindet, da in dem Moment, in dem das Stilett zum Einführen in das Lumen des Stutzens an diesen angesetzt wird, schon kein zusätzliches Material mehr in das Lumen des Stutzen gelangen kann. Daher muss das Lumen des Stutzens also schon vorab mit ausreichend Material befüllt worden sein.
Da diese Bedingung aber nicht eingehalten werden kann, bricht dieser Ansatz schon deshalb in sich zusammen. Denn aus dem Stand der Technik ergibt sich, dass zum Verfüllen eines Wirbelkörpers zwischen 2000 mm³ und 5000mm³ Material benötigt werden (siehe NK9 Spalte 7 Zeile 56 und NK29 Seite 287 rechte Spalte). Berücksichtigt man ferner, dass die Kanüle 30 der NK9 wegen des in ihr einführbaren Bohrers 72 einen Innendurchmesser von 4 mm hat (siehe NK9, Spalte 6 Zeilen 47-56 in Verb. mit Fig. 18, 19), ließe sich mit Blick auf die Umrechnungstabelle B&B2 allenfalls ein Stutzen der Größe 9-Gauge mit einem Innendurchmesser von ca. 3 mm in die Kanüle 30 einführen. Da der Fachmann für eine 9-Gauge-Nadel, die wegen ihrer begrenzten mechanischen Festigkeit biegbar ist und während der Operation keinesfalls brechen darf, eine maximale Länge von 150 mm vorsehen wird, ergibt sich für einen solchen Stutzen ein inneres Gesamtvolumen von ca. 1060 mm³ (= 3 mm * 3 mm * π / 4 * 150 mm). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man auch unter Heranziehung der NK29, wonach sich für die dort zum Einfüllen in einen (größeren) Lendenwirbel vorgesehene, maximal 150 mm lange (und dünnere) 10-Gauge-Nadel (siehe NK29, Seite 285 rechte Spalte) mit einem Innendurchmesser von ca. 2,7 mm ein Gesamtvolumen von nur ca. 860 mm³ ergibt. In jedem Fall könnte der Wirbelkörper also höchstens nur zur Hälfte gefüllt werden, was ein Herausziehen und ein neuerliches Einführen des Stutzens allein zur Fortsetzung des Einspritzens erfordern würde, was aber aus medizinischer Sicht abzulehnen wäre.
2.2.2. Zum anderen mögen mit Blick auf die genannten Schriften zwar allgemein aus Rohr und Stift bestehende Werkzeuge bekannt sein und auch im Prioritätszeitpunkt zum Fachwissen gehört haben. Zudem mag es auch unter Einsatz dieses Fachwissens grundsätzlich möglich sein, diese Werkzeuge so einzusetzen, dass Material durch das Rohr mit dem Stift im Sinne von Stutzen und Rohr gemäß den Merkmalen 4.1 bis 4.2a) nach vorne geschoben wird, obwohl (wie oben gezeigt) die so einspritzbare Menge an Knochenzement gar nicht ausreichen würde. Jedoch ergibt sich aus dem Fachwissen nicht, dass Rohre und Stifte im Allgemeinen so ausgestaltet sein sollten, dass sie auch ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) derart bilden, dass das Stilett die innere Bohrung des Stutzens schließt, im eingesetzten Zustand den Stutzen höchstens geringfügig überragt und gemeinsam mit diesem ein Stopfinstrument mit einem stumpfen, nahezu ebenen oder leicht balligen Ende bildet. Hierzu hat die Klägerin auch keine Tatsachen vorgetragen, welche eine derartige Kenntnis des Fachmanns oder gar ein Standard-Repertoire belegen. Insofern ist das bloße nach vorne Schieben von Material durch das Rohr bzw. den Stutzen auch nicht als Stopfen im Sinne des Streitpatents anzusehen.
2.3. Dies bestätigen auch die von der Klägerin zum Beleg eines entsprechenden Fachwissen herangezogenen Dokumente, wie die NK9 und die weiteren im Verfahren befindlichen Schriften, da die daraus bekannten Instrumente aus Stutzen und Stilett keine Lehre oder Anregung enthalten, ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) zu bilden, d. h. ein Stilett, das den Stutzen ausfüllt und dessen innere Bohrung im eingesetztem Zustand abschließt oder nur geringfügig überragt und gemeinsam mit diesem ein Stopfinstrument mit einem stumpfen, nahezu ebenen oder leicht balligen Ende bildet.
2.4. Auch der Lösungsansatz einer Kombination der NK9 mit der NK13 führt deshalb nicht naheliegend zum Gegenstand des Patentanspruchs 1, auch wenn die NK13 speziell eine Einspritzvorrichtung für Knochenzement (siehe Spalte 1 Zeilen 1-7) beschreibt, die insbesondere anstelle der Einspritzpistole der NK9 zum Einsatz kommen könnte. Dieser liegt nämlich die Aufgabe zugrunde, zum einen bei relativ geringem Druck eine relativ große Menge Knochenzement und zum anderen bei relativ hohem Druck eine kleine Menge in eine Knochenkavität einspritzen zu können (siehe Spalte 1 Zeilen 57 bis 66 und Spalte 3 Zeile 64 bis Spalte 4 Zeile 8).
Dazu zeigt die NK13 ein Zylinderrohr 1 mit einer Einspritzöffnung 3 im Boden 2, mit einem innenliegenden Kolben 12 und mit Verstärkungen 5 als Teil eines Bajonettverschlusses, um so mit dem Kolben 12 eine größere Menge Knochenzement mit niedrigem Druck aus der Öffnung 3 auszupressen (siehe Fig. 2; Spalte 3 Zeilen 41 bis 45).
Weiter lehrt die NK13, dass an die Verstärkungen 5 des Zylinderrohrs 1 eine Stutzenkomponente 6 ('nozzle element 6') angeschlossen wird, in deren Einspritzrohr 7 ('nozzle tube 7') mit dem Kolben 12 Knochenzement gedrückt wird. Wenn dann der Schaft 14 ('shank 14') des Stößels 10 ('ram 10') durch die Öffnung 3 in das Einspritzrohr 7 ('nozzle tube 7') eingeführt wird, dichtet er dieses ab und drückt den im Einspritzrohr 7 ('nozzle tube 7') befindlichen Knochenzement heraus (siehe Fig. 3 - 5; Spalte 3 Zeilen 3-40). In dieser Konstellation wird nach der Lehre der NK13 eine relativ kleine Menge an Knochenzement (nämlich die im Einspritzrohr 7 befindliche) mit hohem Druck ausgepresst (siehe Spalte 3 Zeilen 46-53).
Abgesehen davon, dass der Fachmann, der angesichts der sich ihm bzgl der Lehre des Streitpatents stellenden Aufgabe beim Verfüllen ohne große Drücke auskommen möchte, die insoweit konträre Lehre der NK13 ohnehin nicht aufgreifen würde, bilden das Einspritzrohr 7 als Stutzen und der Stößel 10 als Stilett allemal kein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c). Denn die Fig. 3 und 4 zeigen, dass der Stößel 10 deutlich länger ist als das Einspritzrohr 7, so dass im eingeführten Zustand der Stößel 10 nicht nur geringfügig, sondern erheblich übersteht. Auch gibt die NK13 weder einen Hinweis, dass Einspritzrohr 7 und Stößel 10 in etwa gleich lang sein sollten, noch dass es in irgendeiner Weise auch vorteilhaft sein könnte, den Stößel 10 nur teilweise so in das Einführrohr 7 einzuführen, dass beide Enden bündig wären.
2.5. Auch die Kombination der NK9 mit der NK11 führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Die NK11 beschreibt zwar eine chirurgische Zementspritze und damit eine Vorrichtung, die insbesondere anstelle der Einspritzpistole der NK9 zum Einsatz kommen könnte. Die in der Fig. 1 gezeigte Spritze hat ein Gehäuse 2 mit einer Kanüle 10 am vorderen Ende und mit einem hinteren offenen Ende, durch das eine auswechselbare Zement-Kartusche 4 in das Innere des Gehäuses eingelegt wird (siehe Fig. 1; Seite 8 erster und zweiter Abs.). Das Gehäuse 2 wird sodann am hinteren Ende mit einem Deckel 14 verschlossen, in dem eine (Gewinde-) Spindel 20 verschraubt ist. Mittels Handgriff 28 kann die Spindel 20 nach vorne geschraubt werden, wodurch der erste Kolben 22 den Kartuschen-Deckel 3 der Zementkartusche 4 nach vorne drückt und so den Knochenzement durch die Kanüle 10 auspresst.
2.5.1. Die Lehre der NK11 hat es als Nachteil erkannt, dass bei relativ großen Hohlräumen in betreffenden Knochen manchmal der Inhalt mehrerer Knochenzement-Kartuschen benötigt wird und es dabei insbesondere nachteilhaft ist, dass beim Auspressen jeder Kartusche jedes Mal in der angesetzten Kanüle eine relativ große Restmenge an Knochenzement verbleibt und nicht ausgepresst werden kann (siehe Seite 4 unten). Demzufolge stellt sich die NK11 die Aufgabe, eine chirurgische Zement-Spritze derart weiterzubilden, dass jeweils der volle Inhalt der eingesetzten Zement-Kartusche vom Operateur ausgepresst werden kann. Dazu sieht die Lehre der NK11 (siehe Fig. 1 in Verb. mit Seite 9 zweiter Abs.) innerhalb der Spindel 20 eine innenliegende Kolbenstange 30 vor mit einem Griff 32 am hinteren Ende und einem zweiten Kolben 24 am vorderen Ende. Ist durch Betätigen des Handgriffs 28 der Kartuschen-Deckel 3 an der Anschlagsfläche 6 der Zementkartusche 4 angelangt, wird durch Drücken auf den Griff 32 mit einer am vorderen zweiten Kolben 24 befindlichen Schneide 26 der Kartuschen-Deckel 3 durchstoßen und es kann der zweite Kolben 24 bis zum vorderen Ende des Kanülenkanals der Kanüle 10 verfahren werden, wodurch der in der Kanüle befindliche Anteil an Knochenzement ebenfalls abgegeben wird (siehe Seite 10 zweiter Absatz).
Die NK11 richtet ihren Fokus somit eindeutig darauf, dass der gesamte Inhalt einer Knochenzement-Kartusche, einschließlich der beim Verfüllen in der Kanüle ansonsten übrigbleibenden Restmenge, zum Verfüllung ausgenutzt werden soll. Da zudem ein Stopfen von Knochenzement in der NK11 nicht angesprochen ist, sieht der Senat schon keine Veranlassung, die NK9 mit der NK11 zu kombinieren. Vielmehr wurde der Fachmann eher abgehalten, die NK11 in Betracht zu ziehen, da er bei der Lehre der NK11 auch die Gefahr erkannte, dass beim Durchstoßen des Kartuschen-Deckels 3 mit dem zweiten Kolben 24 Reste des Kartuschen-Deckels durch die Kanüle 10 in den Wirbelknochen verbracht werden könnten.
2.5.2. Aber selbst wenn man die Kanüle 10 der NK11 als Stutzen im Sinne der Merkmale 4.1 bis 4.1 b) und den mit Griff 32 und innerer Kolbenstange 30 bedienten zweiten Kolben 24 als Stutzen im Sinne der Merkmale 4.2 bis 4.2 b) auffassen wollte, gelangte der Fachmann nicht naheliegend zum Lösungsmerkmal 4.2 c).
Abgesehen davon, dass sich am vorderen Ende des Kolbens 24 eine Schneide 26 befindet, was an sich schon einer Nutzung von Kanüle 10 und Kolben 24 als Stopfinstrument abträglich ist, macht die NK11 darüber hinaus keine Angaben über die Beschaffenheit von Kolben 24 und Kanüle 10, die auf eine Nutzung als Stopfinstrument hindeuten könnten. Vielmehr gibt die NK11 an, dass in geringem Abstand von der Druckfläche des zweiten Kolbens 24 am Umfang der Kolbenstange 30 ein elastischer Dichtungsring 27 befestigt ist, der eng in den Kanülenkanal passt (siehe Seite 9 zweiter Absatz letzter Satz), d. h. die, eine Abdichtung des Lumens der Kanüle 10 bewerkstelligende Dichtung liegt hinterhalb der Druckfläche des Kolbens, so dass selbst dann, wenn die Druckfläche des Kolbens 24 und das distale Ende der Kanüle 10 bündig sind, zwischen Kolben 24 und Kanüle 10 ein ringförmiger Spalt verbleibt.
Vor allem aber ergibt sich aus der Lehre der NK11, wonach der zweite Kolben 24 bis zum vorderen Ende des Kanülenkanals der Kanüle 10 verfahren werden kann, zwangsläufig, dass sich der zweite Kolben 24 nur dann am vorderen Ende des Kanülenkanals der Kanüle 10 befindet, wenn der komplette Kartuscheninhalt verspritzt worden ist. Damit kann sich ein Bündigsein von Druckfläche des Kolbens 24 und vorderem Ende der Kanüle 10 als Grundbedingung für ein Stopfinstrument nur dann ergeben, wenn die Kartusche vorab mit exakt der Menge an Knochenzement abgefüllt ist, die nachher während der Operation auch benötigt wird. Eine derartige Übereinstimmung von vorab in der Kartusche befindlicher Menge und anschließend wirklich benötigter Menge sieht der Senat allenfalls als rein zufällig möglich, keinesfalls aber als die Bedingung einer planmäßig eingesetzten technischen Lehre erfüllend an. Denn gemäß den Ausführungen in 2.1.3 a), wonach für die hier als Stutzen anzusehende Kanüle 10 allenfalls eine Dimension von 9-Gauge mit einem Innendurchmesser von ca. 3 mm einsetzbar ist, ergibt sich als Volumendifferenz pro mm Vorschub des Kolbens 24 in der Kanüle 10 ein Wert von ca. 7 mm³ (= 3 mm * 3 mm * π / 4 * 1 mm). Dies ist, bezogen auf das laut NK9 minimale Einspritzvolumen vom 3000 mm³ (siehe Spalte 7 Zeile 56), ein Anteil von nur 2,4 ‰. Wollte man also einen maximalen Versatz von 2 mm zwischen Kolben 24 und Kanüle 10 gerade noch als geringfügiges Überstehen zum Ausbilden eines Stopfinstruments betrachten, dann müsste die Kartusche vorab mit einer Genauigkeit von unter 5 ‰ gefüllt werden.
2.5.3. Insofern gehen insbesondere auch die Behauptungen der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 2), dass das Abstimmen der Größe des Ballons und der Menge des Verfüllmaterials im Prioritätszeitpunkt dem Fachmann bekannt seien oder dass die NK11 den Fachmann anleiten würde, die Menge an Zement, die in den Stutzen gelangt, für die Verfüllung zu nutzen, was bedeuten würde, dass der Fachmann gezielt und nicht zufällig den zweiten Kolben bis an das distale Ende des Stutzens verschieben würde, aus mehreren Gründen an der Sache vorbei.
Dagegen spricht bereits, dass die NK11 von Kartuschen spricht, die in das Gehäuse 2 eingelegt werden und die üblicherweise in gestaffelten Größen, beispielsweise 1, 2, 5, 10, …. cm³, vorgehalten werden. Da in den seltensten Fällen die für die spätere Operation benötigte Menge - sofern sie denn überhaupt exakt bestimmbar sein sollte - genau einer Standardgröße entspricht, müsste also eine größere Kartusche gewählt und dann die überschießende Menge vorher ausgepresst und entsorgt werden, was aber der Lehre der NK11 zuwiderläuft, die ja gerade die gesamte Menge der Kartusche nutzbar machen will.
Weiterhin war es dem Fachmann am Prioritätstag nicht möglich, die Menge des während der Operation benötigten Verfüllmaterials (vorab) exakt zu bestimmen. Zwar mag gemäß der NK9 der Durchmesser des zur Hohlraumbildung genutzten Ballons 76 vorab per CT-Scan bestimmbar sein, jedoch ist seine axiale Höhe erst intra-operativ bestimmbar (siehe Spalte 7 Zeilen 4-8). Abgesehen davon erlaubt die Größe des verwendeten Ballons keine Rückschlüsse auf die einzuspritzende Zementmenge, denn die NK9 macht deutlich, dass (siehe Spalte 7 Zeilen 56-59) sich das Einspritzvolumen im Bereich zwischen 3 cm³ und 5 cm³ bewegt und dass vor allem ein größeres Volumen eingespritzt wird, als man aufgrund des mit dem Ballon gebildeten Hohlraum voraussagen würde. Daher ist es nach der Lehre der NK9 auch unerlässlich, dass das Einspritzen von Knochenzement unter Sichtkontrolle mittels Flouroskopie überwacht wird.
Schließlich war der Fachmann aus mehrfachen Gründen sogar abgehalten, eine Kartusche vorab mit der Menge an Knochenzement zu füllen, die der während der Operation einzuspritzenden Menge entspricht, um so gezielt auch die Menge an Zement, die in den Stutzen gelangt, für die Verfüllung zu nutzen, da unabhängig von den mit der erforderlichen Genauigkeit verbundenen Schwierigkeiten, die während der Operation benötigte Zementmenge vorab zu bestimmen und in die Kartusche einzufüllen, die mit diesem Gedanken verbundenen Risiken den Fachmann hiervon abhalten mussten, eine derartige Lösung in Erwägung zu ziehen. Denn sollte sich während der Operation herausstellen, dass anfänglich zu wenig Knochenzement in der Kartusche gewesen sein, müsste die gesamte Spritze der NK11 vom Wirbelkörper entfernt (d. h. aus der Kanüle 30 der NK9, die den Zugangsweg zum Wirbelkörper bildet, herausgezogen) werden, mit einer zweiten Kartusche versehen und wieder zum Wirbelkörper eingeführt werden. Sollte dagegen anfänglich zu viel Knochenzement in der Kartusche gewesen sein, müsste ebenfalls die gesamte Spritze der NK11 vom Wirbelkörper entfernt, überschüssiges Material in genau der richtigen (!) Menge herausgepresst und – entgegen der Lehre der NK11 – entsorgt und schließlich die gesamte Spritze wieder zum Wirbelkörper eingeführt werden. In beiden Fällen wäre also ein neuerliches Einführen der Spritze allein zur Fortsetzung des Einspritzens erforderlich, was aber aus medizinischer Sicht wegen des hohen Risikos für den Patienten zu verwerfen ist.
2.6. Auch die Kombination der NK9 mit der NK29 führt nicht naheliegend zum Gegenstand des Patentanspruchs 1. Die NK29 betrifft (siehe Seite 285 und 286) die perkutane Vertebroplastie (PVP), bei der mittels Nadeln durch die Haut hindurch Knochenzement in Wirbelkörper eingebracht wird. Sie schlägt dazu je nach Wirbelsäulenbereich Nadeln mit unterschiedlichem Durchmesser vor, mit deren Hilfe Zement aus einer Spritze in einen Wirbelkörper verbracht werden können (siehe Seite 287). Dabei wird der Knochenzement in drei Spritzenzylinder abgefüllt, die einen Luer-lock-Anschluss aufweisen und ein Volumen von 2 cm³ und 5 cm³ haben (siehe Seite 287 rechte Spalte). Bei pastöser Konsistenz wird der Knochenzement unter Sichtkontrolle mittels Flouroskopie in den Wirbelkörper eingebracht - der Fachmann liest selbstverständlich mit, dass durch Druckausübung auf einen Stempel oder Kolben im Spritzenzylinder der Knochenzement von der Spritze durch die Nadel in den Wirbelkörper gebracht wird.
2.6.1. Weiter lehrt die NK29:
„Once the cement injection is achieved, the needle is slowly pulled back to the cortical bone while pushing the mandred into the needle. The needle is then turned to and fro during the polymerization time-lag to avoid it gluing with the cement, then pulled back without any leakage.“
Nach Überzeugung des Senats gibt diese Textpassage prinzipiell genau das Gleiche wieder, was auch schon zur Lehre der NK9 (Spalte 7 Zeilen 60-65) ausgeführt wurde, dass nämlich beim Zementeinspritzen die Nadel langsam bis zum kortikalen Knochen - das entspricht der Eintrittstelle in den Wirbelknochen - zurückgezogen wird, während der „mandred“ (richtig müsste es „mandrel“ heißen) in Richtung zur Nadel geschoben wird; danach wird die Nadel hin und her gedreht um ein Ankleben zu verhindern und schließlich ganz zurückgezogen. Damit sind zweifelsohne die Worte „pushing the mandred into the needle“ so zu verstehen, dass mit „mandred“ der Kolben im Spritzenzylinder gemeint ist, der in Richtung zur Nadel, aber innerhalb der Spritze und nicht in der Nadel, nach vorne geschoben wird. Die Auffassung der Klägerin, dass der hier genannte „mandred“ das Stilett im Sinne der Merkmale 4.2 bis 4.2b) sei und mit der Nadel ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2c) bilden könne, geht deshalb an der Sache vorbei.
Nach der Lehre der NK29 handelt es sich bei der Spritze um eine solche mit einem Luer-Lock-Anschluss. Darunter versteht der Fachmann ganz selbstverständlich eine nach ISO 594-1:1986-06 (Kegelverbindungen mit einem 6 %-(Luer)-Kegel für Spritzen, Kanülen und andere medizinische Geräte; Teil 1: Allgemeine Anforderungen, Ausgabedatum 1986) genormte konische Verbindung, die den Anschluss der Nadel an die Spritze herstellt. Da die Nadel schlicht aus einem dünnen Rohr ohne eine innere Komponente besteht, kann der genannte „mandred“ nur der Kolben in der Spritze sein, der schon wegen der angegebenen minimalen Größe des Spritzenzylinders von 2 cm³ = 2000 mm³ nicht durch die Konus-Verbindung in die Nadel eindringen kann. Zudem lässt sich dieser Textpassage nicht mehr entnehmen, als was bereits allgemein zu Werkzeugen mit Rohr und Stift ausgeführt wurde, so dass sie im Übrigen auch nicht zum Merkmal 4.2 c) führen könnte.
2.6.2. Auch der Behauptung der Klägerin, die Fig. 4A mit zugehöriger Bildbeschreibung stütze ihre Auffassung, folgt der Senat nicht. Zwar zeigt die Fig. 4 (Seite 288) einen links-transpedikulären Zugang mit einer 10-Gauge-Nadel, wobei eine Koaxial-Technik gemäß Pfeil und eine Wirbel-Biopsie mit einer 15-Gauge-Nadel verwendet wird. Dabei stellt die im Bild durch den Pfeil hervorgehobene Nadel aber diejenige Nadel dar, mit der, da sie ja mit 15-Gauge auch dünner ist, die Biopsie durchgeführt wird. Sie dient dagegen nicht - wie die Klägerin meint - zum Einfüllen von Knochenzement. Hierzu lehrt die NK29 nämlich unter expliziter Bezugnahme auf die Fig. 4A (siehe Seite 291 rechte Spalte vorletzter Abs.), dass in der Mehrzahl der Fälle während einer perkutanen Vertebroplastie eine Knochenbiopsie vor der Zementeinspritzung durchgeführt wird, um so einen nicht-osteoporotischen Wirbelzusammenbruch auszuschließen. Dabei versteht der Fachmann unter einer Knochenbiopsie, dass mittels eines spitzen Instruments, das in der Fachwelt „Mandrill“ genannt wird, zunächst eine Öffnung in die harte Knochenwand eines Knochens eingebracht wird, durch die zwei konzentrische Nadeln in das Knocheninnere zur Gewinnung einer Gewebeprobe eingeführt werden. Genau dieses Instrument ist beim Pfeil in der Fig. 4A zu sehen, das zudem dort auch eindeutig als spitz erkennbar ist. Insofern zeigt die NK29 allenfalls einen Mandrill, der für die Knochenbiopsie während der perkutanen Vertebroplastie, aber vor dem Einspritzen von Knochenzement genutzt wird. Dass der Fachmann diesen Mandrill im Sinne des Stiletts gemäß Merkmal 4.2 auch zum Einspritzen von Knochenzement nutzen könnte, ist dagegen unfachmännisch und widerspricht der Lehre der NK29, zumal aus ihr nicht entnommen werden kann, welche Nadel dann den zugehörigen Stutzen im Sinne des Merkmals 4.1 bilden sollte. Abgesehen davon, ist aber der Mandrill vor allem schon aufgrund seines spitzen distalen Endes nicht in der Lage, mit einer ihn umschließenden Nadel ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) zu bilden.
2.7. Auch die Kombination der NK9/NK12 legt den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht nahe. Die NK12 beschäftigt sich mit der Blutstillung bei insbesondere lapararoskopischen, aber auch arthroskopischen oder endoskopischen, allgemein also minimal-invasiven Eingriffen, bei denen chirurgische Instrumente durch Kanülen als Zugangs- bzw. Arbeitskanäle an die Operationsstelle geführt werden und folglich auch zum Stillen von Blutungen kein offener Zugang vorhanden ist (Spalte 1 Zeilen 1-36, Spalte 1 Zeile 67 bis Spalte 2 Zeile 7). Dazu schlägt die NK12 (siehe Fig. 1; Spalte 2 Zeile 63 bis Spalte 3 Zeile 43) ein System 10 mit einem Schaft 12, einem Applikator 16 und einem Pfropfen eines blutstillenden Materials vor. Dabei umfasst der Schaft 12 ein rohrförmiges Gehäuse 18, dessen Außendurchmesser einen gleitenden Durchgang durch den Arbeitskanal einer laparoskopischen Kanüle erlaubt, so dass das System 10 an die Operationsstelle herangeführt werden kann. Ferner weist der Schaft 12 am proximalen Ende einen Anschlag 20 mit einem Flansch 21 als Fingergriff auf. Das Gehäuse 18 definiert ein inneres Lumen 19, in dem die Kolbenstange 22 des Applikators 16 liegt, deren Außendurchmesser so gewählt ist, dass die Kolbenstange mit minimalem Abstand durch das Lumen 19 gleiten kann. Am proximalen Ende der Kolbenstange 22 weist der Applikator 16 eine Daumenplatte 24 auf. Die Länge der Kolbenstange 22 ist dabei so ausgelegt, dass dann, wenn die Daumenplatte 24 am Flansch 21 anstößt, das distale Ende der Kolbenstange 22 mit dem distalen Ende des Schafts 12 abschließt (Spalte 4 Zeilen 32-6).
Weiter lehrt die NK12, dass zunächst der hämostatische Pfropfen 14 am distalen Ende des Gehäuses 18 im Lumen 19 eingebracht (siehe Spalte 4 Zeilen 8 bis 18) und dann bei Einsatz des Systems 10 mittels der Kolbenstange 22 aus dem Lumen 19 herausgedrückt wird (siehe Spalte 4 Zeilen 22 bis 40). Dabei kann (siehe Spalte 3 Zeilen 44 bis 51) der hämostatische Pfropfen 14 jedwede Form haben, die zum Zuführen durch den Schaft 12 geeignet ist, insbesondere auch eine Paste.
Abgesehen davon, dass die NK12 sich nicht mit dem Verfüllen von Knochenzement in einen Wirbelkörper, sondern mit dem Stillen von Blutungen beschäftigt und damit schon weit abliegt, wird der Fachmann den Schaft 12 und die Kolbenstange 22 der NK12 nicht als Stutzen und Stilett im Sinne der Merkmale 4.1 und 4.2 einsetzen, da hier der Pfropfen am distalen Ende eingebracht und nicht Material von einem proximalen Ende des röhrenförmigen Gehäuses 18 durch das Lumen 19 hindurch zum distalen Ende verbracht wird, mithin ein völlig anderer Lösungsansatz beschritten wird. Hinzu kommt, dass der Fachmann bereits erkennt, dass in Anbetracht des von der Kanüle 30 der NK9 maximal begrenzten Außendurchmessers für das Gehäuse 18 bzw. den Schaft 22 auch hier die Menge an Knochenzement im Lumen 19 für das Einfüllen in den Wirbelkörper nicht ausreicht und zudem die Menge an Knochenzement im Lumen 19 exakt der Menge entsprechen müsste, die beim Verfüllen im Hohlraum des Wirbelkörpers benötigt wird, was aus den bereits zu NK11 genannten Gründen den Fachmann von einer entsprechenden Vorgehensweise abhalten würde.
2.8. Auch wenn zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit als Ausgangspunkt die NK29 oder die NK6 anstelle der NK9 gewählt wird, ergibt sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 aus keiner dieser Schriften in Verbindung mit einer weiteren Druckschrift des im Verfahren befindlichen Stands der Technik - auch in Verbindung mit dem Fachwissen - auf naheliegende Weise.
2.8.1. Zwar mag es in dem Fall, dass der Fachmann von der NK29 ausgeht, noch naheliegend sein, dass er das dort nicht genannte Hohlraum bildende Instrument gemäß den Merkmalen 3. bis 3.2 in Verbindung mit seinem Fachwissen ergänzt. Wie bereits ausgeführt, zeigt die NK29 schon kein Stilett im Sinne des Merkmalskomplexes 4.2, zumindest aber kein Stilett, das in Verbindung mit einer Nadel als Stutzen ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) bilden könnte. Damit geht die NK29 nicht über das hinaus, was sich auch gemäß Abschnitt 2.2.2 aus der NK9 in Verbindung mit dem Fachwissen ergibt. Daher kann eine Kombination der NK29 anstelle der NK9 mit weiteren Schriften, die in Verbindung mit der NK9 in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, den Gegenstand des Patentanspruchs 1 ebenfalls nicht nahelegen: hier gelten die bisherigen Ausführungen entsprechend.
2.8.2. Das Gleiche gilt, wenn man die NK6 als Ausgangspunkt wählt. Wie bereits ausgeführt, geht die NK6 selbst von der NK9 als Ausgangspunkt aus und zielt nur darauf ab, die bereits in der NK9 vorgesehenen ballonartigen, aufblasbaren Vorrichtungen zum Bilden von Hohlräumen in Knochen weiter zu verbessern. Soweit die NK6 einzig auf Seite 40 Zeile 32 bis Seite 41 Zeile 3 das Verfüllen von Knochenzement anspricht, wonach nicht fließfähiger Knochenzement in Richtung des Endes eines Rohres mit einem langen Stift gedrückt werden kann, mag es für den Fachmann noch naheliegend sein, Rohr und Stift als Teile eines ihm in Verbindung mit seinem Fachwissen geläufigen Werkzeugs nunmehr als Stutzen im Sinne des Merkmals 4.1 bzw. als Stilett im Sinne des Merkmals 4.2 einzusetzen. Dass aber Rohr und Stift auch noch ein Stopfinstrument im Sinne des Merkmals 4.2 c) bilden sollten, ergibt sich aus der NK6 in Verbindung mit dem Fachwissen genauso wenig wie aus der NK9: hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
2.9. Weitere von der Klägerin schriftsätzlich herangezogene Kombinationen von Schriften liegen noch weiter ab und sind auch von der Klägerin nicht mehr in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden.
3. Die Unteransprüche 2 bis 16 werden von der Bestandskraft des Patentanspruchs 1 mitgetragen. Die Klage war deshalb insgesamt abzuweisen. Eine Erörterung der von der Beklagten eingereichten Hilfsanträge ist danach nicht mehr veranlasst.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG, hinsichtlich der Klägerin i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, hinsichtlich der Nebenintervenienten i. V. m. § 101 Abs. 1 2. HS ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
VII.
Da Richter am BPatG Schmidt-Bilkenroth als erkennender Richter des im Anschluss an die mündliche Verhandlung erlassenen und nach § 94 Abs. 1 Satz 1 PatG am 19. Juni 2015 verkündeten Urteils mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 aufgrund seines Wechsels an das Deutsche Patent- und Markenamt aus dem Richterdienst als Richter am BPatG ausgeschieden ist, war er an der Unterschrift des zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgesetzten Urteils verhindert, so dass seine Unterschrift zu ersetzen war. Nach zutreffender Ansicht begründet das Ausscheiden eines Richters aus dem Richterdienst nach Verkündung des unter seiner Teilnahme gefällten Urteils i. S. v. § 309 ZPO (hierzu BGH NJW-RR 2015, 893; NJW-RR 2012, 508; BAG Beschl. v. 6.5.2015, 2 AZN 984/14) eine Verhinderung aus rechtlichen Gründen i. S. v. § 315 Abs. 1 Satz 2 (BGH NJW 2011, 1741 Tz 22; BVerwG NJW 1991, 1192 zu § 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO, m. w. N, auch bejahend für den Wechsel an ein anderes Gericht; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 315 Rn.. 1, § 163 Rn. 8; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 315 Rn. 1; aA Vollkommer NJW 1968, 1309), gleich aus welchem Grund das Ausscheiden erfolgt (BayObLG NJW 1967, 1578).