Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.12.2015


BPatG 28.12.2015 - 4 Ni 15/10 (EU) verb. m. 4 Ni 20/10 (EU)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Unterdruckwundverband II (europäisches Patent)" – zum Vorliegen eines Teilurteils des BGH – Teilrechtskraft – zur Zulässigkeit der weiteren Verteidigung des Patents in eingeschränkter Fassung - zum Umfang der Bindungswirkung für die Beurteilung der erweiterten Zulässigkeitsprüfung von geänderten Patentansprüchen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
28.12.2015
Aktenzeichen:
4 Ni 15/10 (EU) verb. m. 4 Ni 20/10 (EU)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 101 Abs 3 EuPatÜbk
Art 123 Abs 2 EuPatÜbk
Art 123 Abs 3 EuPatÜbk

Leitsätze

Unterdruckwundverband II

1. Hat der Bundesgerichtshof im Nichtigkeitsberufungsverfahren das angefochtene Urteil des Bundepatentgerichts aufgehoben und das Streitpatent für nichtig erklärt soweit sein Gegenstand über die im Urteilsausspruch enthaltene Fassung hinausgeht, ohne zugleich die Berufung im Übrigen zurückzuweisen, sondern im Übrigen die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung  zurückverwiesen, so liegt ein Teilurteil vor.

2. Wegen der durch das Berufungsurteil eingetretenen Teilrechtskraft ist die Verteidigung des Streitpatents nur noch insoweit zulässig, als dieses in der im Urteilsausspruch des Berufungsurteils genannten Fassung oder einer weiter eingeschränkten Fassung verteidigt wird.

3. Zum Umfang der Bindungswirkung nach § 119 Abs. 4 PatG für die Beurteilung der erweiterten Zulässigkeitsprüfung von geänderten Patentansprüchen.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 088 569

(DE 696 29 507)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, den Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, den Richter Dipl.-Ing. Univ. Schmidt-Bilkenroth und der Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer

für Recht erkannt:

1. Die weitergehende Klage wird zurückgewiesen.

2. Die gerichtlichen Kosten einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 1 zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 trägt die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1 zu 1/3, im Übrigen jede Partei selbst. Die gerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 trägt die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin zu 1 zu 1/3, zu 2/3 die Beklagte selbst.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

(Hinweis: Die Berichtigungsbeschlüsse vom 24. März 2016 sowie vom 6. April 2017 wurde von juris in den oben stehenden Text eingearbeitet)

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 088 569 (Streitpatent), das auf eine Teilanmeldung aus der WO 97/18007 zurückgeht, die als PCT-Anmeldung PCT/GB96/02802 bei dem Europäischen Patentamt mit unter anderem Deutschland als Bestimmungsland am 14. November 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der Patentanmeldung GB 9523253 vom 14. November 1995 angemeldet wurde. Das Streitpatent, dessen Erteilung am 13. August 2003 bekannt gemacht worden ist, wurde in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 696 29 507 geführt. Es betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und weist 5 Patentansprüche auf. Patentanspruch 1 lautet in englischer Sprache:

2

1. Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting to the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad.

3

und in deutscher Übersetzung:

4

1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigem Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einen Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht.

5

Wegen der abhängigen Patentansprüche 2 bis 5 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 088 569 B1 Bezug genommen.

6

Mit ihren Nichtigkeitsklagen greifen beide Klägerinnen das Streitpatent an, da sein Gegenstand unzulässig erweitert und nicht patentfähig sei.

7

Mit Urteil vom 3. Dezember 2012 hat der Senat das Streitpatent wegen des von den Klägerinnen zulässig geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds der nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ für nichtig erklärt, da sein Gegenstand insoweit unzulässig erweitert sei, als das in Patentanspruch 1 erteilter Fassung nach Hauptantrag wie auch nach sämtlichen Hilfsanträgen enthaltene Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen der Stammanmeldung nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen sei. Zudem stelle das nicht offenbarte Merkmal M1.7b keine Einschränkung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung, d. h. keine Konkretisierung der ursprünglich zur Erfindung gehörend offenbarten technischen Lehre dar, welche eine sogenannte uneigentliche Erweiterung begründe und die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung; GRUR 2011, 1003 – Integrationselement) im Anspruch verbleiben könne, ohne dass dies zur Nichtigkeit des Patents führe; vorliegend werde vielmehr durch Aufnahme dieses Merkmals eine veränderte technische Lehre gebildet, es liege ein Aliud vor. Während nämlich in der Stammanmeldung der Fachmann die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche der Schale auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das kennzeichnende Merkmal M1.7b genau dies voraus. Die Frage, ob die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für nationale Patente vertretene Rechtsauffassung zu den Rechtsfolgen uneigentlicher Erweiterungen auch für EP-Patente übertragen werden könne, stelle sich deshalb auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht. Denn im Falle eines Aliuds müsse das Streitpatent für nichtig erklärt werden (BGH GRUR 2011, 1003 – Integrationselement). Bei dieser Sachlage könne auch dahinstehen, ob auch der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit des Streitpatents begründet sei. Es erübrige sich deswegen eine Betrachtung des im Verfahren befindlichen Stands der Technik.

8

Auf die Berufung der Beklagten hat der Bundesgerichtshof am 17. Februar 2015 durch Urteil vom 17. Februar 2015 (X ZR 161/12 = BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 – Wundbehandlungsvorrichtung) das angefochtene Urteil des Senats aufgehoben und das europäische Patent 1 088 569 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung hinausgeht:

9

1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

10

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

11

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

12

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

13

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Ein Ausspruch einer Zurückweisung der Berufung im Übrigen, mit welcher die Beklagte die vollständige Klageabweisung verfolgt hat, ist nicht erfolgt. Der Bundesgerichtshof hat zur Begründung ausgeführt, das Patentgericht habe zwar zu Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung hinsichtlich des Merkmals 4b über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, da ein flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sei. Dies führe aber nicht zu einem Aliud, sondern nur zu einer Einschränkung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung mit der Folge, dass es auch bei einem europäischen Patent im Patentanspruch verbleiben könne und nur bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen sei, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden dürfe. Da jedenfalls Hilfsantrag 6 (neu), den die Beklagte im Berufungsverfahren als Hilfsantrag I verteidigt hat und welcher dem Urteilsausspruch des Berufungsurteil entspricht, auch im Übrigen nicht mehr über die ursprüngliche Anmeldung hinausgehe, sei die Verteidigung des Streitpatents nach diesem Hilfsantrag auch unter Beibehaltung des unzulässig erweiterten Merkmals 4b zulässig. Bei dieser Sachlage sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in dieser Fassung auf seine Patentfähigkeit ohne Berücksichtigung des unzulässigen Merkmals zu prüfen. Die Beurteilung des Patentgerichts halte mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand. Da die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft worden sei, führe dies zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

14

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Juli 2015, bei Gericht eingegangen am 17. Juli 2015, neue Hilfsanträge A bis K eingereicht (OLS 2, OLS 3), die nicht vollständig neu gefasst seien, sondern Modifikationen enthielten im Hinblick auf die Feststellung des Bundesgerichtshofs, dass der „Verbinder“ nur zusammen mit einer weiteren Leitung sowie Druckerfassungsmitteln offenbart sei.

15

Der Senat hat zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Hinweise vom 23. Juli 2015 und vom 24. Juli 2015 (vgl. Bl. 426, 430 d. A.) erteilt und die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Hilfsanträge A bis K im Hinblick auf die Fassung der Patentansprüche unzulässig seien, da deren jeweiliger Gegenstand über die im Urteilsausspruch des Berufungsurteils des Bundesgerichtshofs enthaltene Fassung hinausgehe. Diese bilde jedoch die verbleibende maximale Fassung des Streitpatents, welche im fortzuführenden Verfahren vor dem Senat noch einer Verteidigung zugänglich sei und von der Gestaltungswirkung des Berufungsurteils nicht erfasst sei.

16

Die Klägerin zu 2 hat mit Schriftsatz vom 27. Juli 2015 mitgeteilt, dass ihrem Antrag auf Widerruf des Streitpatents mit der im Berufungsurteil ausgeurteilten beschränkten Fassung dem mit der Klage angegriffenen Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 4 voll entsprochen worden sei; ein weitergehender Angriff werde nicht verfolgt und sei nicht gewollt; sie werde deshalb an der mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2015 nicht teilnehmen. Der Beklagten seien insoweit vollständig die auf die Klägerin zu 2 entfallenden Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17

Die Klägerin zu 1 vertritt die Ansicht, die Hilfsanträge A bis D der Beklagten gingen über den vom Bundesgerichtshof zurückverwiesenen Anspruch hinaus; die Hilfsanträge E bis F und J bis K seien zudem nicht erfinderisch; Hilfsantrag I sei unzulässig erweitert. Der Annahme einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen stünden insbesondere auch hinsichtlich Hilfsantrag E, in erster Linie VP5, aber auch VP4 sowie VP7, VP15, VP16, VP20 und VP18b entgegen.

18

Zur Frage der Patentfähigkeit hat die Klägerin zu 1 folgende Dokumente vorgelegt:

19

VP-P GB-Anmeldung 9523253.4 (Prioritätsanmeldung zum Streitpatent)

20

VP1 EP 1 088 569 B1 (Streitpatent)

21

VP1a WO 97/18007 A1 (OS der Stammanmeldung des Streitpatents)

22

VP2 DE 696 29 507 T2 (deutsche Übersetzung des Streitpatents)

23

VP3 bzw. VP3neu Merkmalsgliederung

24

VP4 WO 94/20041 A1

25

VP4Ü deutsche Übersetzung der VP4

26

VP5 TEDER, H. ; SANDEN, G.; SVEDMAN, P.: Continous Wound Irrigation in the Pig. In: Journal of Investigative Surgery. 1990, Volume 3, Seiten 399-407. URL: http://dx.doi.org/10.3109/08941939009140367

27

VP5Ü deutsche Übersetzung der VP5

28

VP6 US 4 605 399

29

VP6Ü deutsche Übersetzung der VP6

30

VP7 DE 43 06 478 A1

31

VP8 US 4 459 139

32

VP8a Römpp-Lexikon Chemie, 10. Auflage, Seite 1840

33

VP9 US 4 969 880

34

VP10 Dewan, P.: An Alternative Approach to Skin Graft Donor Site Dressing.

35

VP11 DE 38 09 539 A1

36

VP12 US 5 384 174

37

VP13 US 4 917 929

38

VP14 EP 0 081 987 A1

39

VP15 US 4 569 674

40

VP15-Ü Übersetzung der VP15

41

VP16 DE 36 40 124 A1

42

VP17a DE 35 02 290 A1

43

VP17b DE 35 24 893 A1

44

VP17c US 5 002 529

45

VP17d US 4 826 494

46

VP18a WO 91/12830 A1

47

VP18b WO 91/05575 A1

48

VP18c EP 0 617 913 A1

49

VP18d WO 94/20152 A1

50

VP18e WO 94/17842 A1

51

VP18f WO 94/17849 A1

52

VP19a US 2 568 566

53

VP19b EP 0 630 657 A1

54

VP19c US 2 802 466

55

VP20 WO 96/05873 A1

56

VP20-Ü Übersetzung der VP20

57

VP22 US 4 872 450

58

VP23 US 4 261 363

59

Die Klägerin zu 1 beantragt,

60

das europäische Patent 1 088 569 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

61

Die Klägerin zu 2 beantragt,

62

der Beklagten in vollem Umfang die Kosten aufzuerlegen.

63

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

64

die Klagen abzuweisen, hilfsweise die Klagen abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsanträgen A bis E, E1 bis E3, F, F1, I, J, G, K in der wiedergegebenen Reihenfolge verteidigt wird (Hilfsanträge A-E, F, G, I, J, K eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Juli 2015, Hilfsanträgen E1 bis E3 und F1 eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 28.07.2015).

65

Hilfsantrag E entspricht der tenorierten Fassung des Berufungsurteils. Wegen der Fassungen der Hilfsanträge A bis D, E1 bis E3, F, F1, I, J, G und K wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 14. Juli 2015 (vgl. Bl. 358 ff. d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 28. Juli 2015 (vgl. Bl. 449 ff. d. A.). Bezug genommen.

66

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die weiteren Hilfsanträge E1, E2, E3 und F1 überreicht, während sie Hilfsantrag H fallengelassen hat. Sie vertritt die Auffassung, dass die vom Senat geäußerten Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Hilfsanträge A bis K vom 14. Juli 2015 nicht durchgriffen, da eine Rechtskraft durch die teilweise Sachentscheidung des Bundesgerichtshofs lediglich hinsichtlich der Ansprüche des Streitpatents in der erteilten Fassung eingetreten sei; im zurückverwiesenen Verfahren könne sie jedoch neue Hilfsanträge stellen. Der Beklagten müsse es möglich bleiben, das Streitpatent mit einer Anspruchsfassung zu verteidigen, die zwar gegenüber dem erteilten Anspruch 1 eine Einschränkung darstelle, gleichzeitig aber den Spielraum, der gegenüber der tenorierten Fassung des Berufungsurteils verbleibe, vollständig ausschöpft, wie dies bei den Hilfsanträgen A bis D der Fall sei. Auch die Hilfsanträge A bis K seien demnach zulässig wie auch die Patentfähigkeit sämtliche Ansprüche der verteidigten Fassungen zu bejahen sei.

67

Die Klägerin zu 1 hat die Zurückweisung der Hilfsanträge E1 bis E3 und F1 als verspätet und hilfsweise Vertagung beantragt.

68

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28. Juli 2015 sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

69

Die Klage, soweit sie nach Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof noch zur Entscheidung ansteht und mit der die Klägerin zu 1 die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 54 Abs. 1, 2 und Art. 56 EPÜ) und der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) weiter verfolgt, ist zulässig, jedoch unbegründet. Denn in der vom Bundesgerichtshof im Berufungsurteil tenorierten Fassung, welche dem Hilfsantrag E entspricht, erweist sich der Nichtigkeitsangriff fehlender Patentfähigkeit als unbegründet.

I.

70

1. Soweit das Streitpatent in einer Fassung verteidigt wird, welche über die dem Urteilsanspruch des Bundesgerichtshofs hinausgeht, ist dem Senat eine Sachprüfung bereits nach § 322 ZPO deshalb verwehrt, weil das Streitpatent insoweit durch das Urteil des Bundesgerichtshofs gestaltet worden ist und keinen Bestand mehr hat. Der Senat geht deshalb entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten davon aus, dass aufgrund des Tenors im Berufungsurteil eine Verteidigung des Patents nur noch insoweit ermöglicht ist, als dieses in der dort genannten Fassung – jetzt Hilfsantrag E – oder einer weiter eingeschränkten Fassung verteidigt wird, während der Bundesgerichtshof das Patent im Übrigen bereits vernichtet hat und deshalb die von der Beklagten nunmehr verteidigten Fassungen, deren Patentgegenstand weiter ist – hier die Fassungen gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen A bis D – daher im Hinblick auf die insoweit eingetretene Teilrechtskraft nicht mehr verteidigt werden können.

71

Die Urteilsformel enthält zwar abweichend von einer Schlussentscheidung keine Zurückweisung der Berufung im Übrigen erfolgt ist, sondern nur eine Zurückverweisung im Übrigen an das Patentgericht (vgl. dagegen z. B. BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum), andererseits aber eine Teilvernichtung des Patents als Endentscheidung des Inhalts enthält, dass der Bundesgerichtshof das Patent vernichtet hat, soweit es über die tenorierte Fassung hinausgeht. Hätte der Bundesgerichtshof dem Beklagten noch einen weiteren Gestaltungsspielraum einräumen wollen, wäre es dem Bundesgerichtshof unbenommen gewesen, das Streitpatent nur in der erteilten Fassung für nichtig zu erklären und im Übrigen die Sache zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen oder aber von einer Teilvernichtung ganz abzusehen.

72

2. Der Senat hat gemäß § 119 Abs. 4 PatG die rechtliche Beurteilung, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils vom 3. Dezember 2012 durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Februar 2015 geführt hat, seiner erneuten Entscheidung zugrunde zu legen.

73

2.1. Der Senat hat deshalb seiner Sachprüfung die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs zugrunde zu legen, dass auch bei der Verteidigung eines europäischen Patents der Nichtigkeitsangriff wegen einer unzulässigen Änderung des Inhalts einer Anmeldung nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ im Falle einer nicht ursprungsoffenbarten bloßen Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, der sogenannten uneigentlichen Erweiterung, nicht zur Nichtigerklärung führt, sondern nur die Rechtsfolge bei einer gebotenen Prüfung der Patentfähigkeit eintritt, dass das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal insoweit außer Betracht zu lassen, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf.

74

2.2. Der Senat ist ferner daran gebunden, dass der Bundesgerichtshof in der Berufungsentscheidung (siehe Tz. 55) ausdrücklich klargestellt hat, dass es auch der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung nicht entgegen steht, wenn das im erteilten Patentanspruch enthaltene nicht – ursprungsoffenbarte Merkmal – hier Merkmal M1.7b – bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten war und sich die Zulässigkeit des Hilfsantrags im Übrigen als unbedenklich erweist. Denn der Bundesgerichtshof hat auch insoweit die Zulässigkeit der im Urteilstenor des Berufungsurteils enthaltenen hilfsweise verteidigten Fassung des Streitpatents, welche Hilfsantrag E entspricht, abschließend nicht nur unter dem Aspekt des Angriffs nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ beurteilt, sondern hinsichtlich der gesamten erweiterten Zulässigkeitsprüfung.

75

Nach der Rechtsauffassung des Senats ist zwar möglicherweise eine abweichende Beurteilung der Frage geboten, ob es jedenfalls bei der Änderung von erteilten Patentansprüchen im Nichtigkeitsverfahren nicht auch einer ergänzenden Überprüfung der Zulässigkeit des Anspruchs im Hinblick auf Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ bedarf, weil geänderte Ansprüche nach Art. 101 Abs. 3 EPÜ in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen stehen müssen und Art. II § 6 Abs. 3 IntPatÜG nur die Möglichkeit einer Änderung der Patentansprüche bestimmt, eine Aussage zu insoweit möglichen abweichenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für das nationale Nichtigkeitsverfahren jedoch nicht trifft Eine weitere Sachprüfung ist dem Senat jedoch vorliegend verwehrt. Es bleibt danach hinsichtlich Hilfsantrag E nur die Sachprüfung des fortgeführten Angriffs wegen fehlender Patentfähigkeit ohne Einbeziehung des unzulässig erweiterten Merkmals M1.7b, im Übrigen hinsichtlich der weiteren Hilfsanträge nur die Prüfung sonstiger Zulässigkeitsvoraussetzungen.

76

2.3. Ferner ist der Senat auch an die weitere Beurteilung des Bundesgerichtshofs gebunden, soweit dieser in den Gründen des Berufungsurteils die Fassung des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung als unzulässig verallgemeinert gesehen hat, diejenige nach dem dortigen Hilfsantrag 1 (jetziger Hilfsantrag E) jedoch als zulässig. Dies bedeutet, dass zur weiteren Verteidigung des Streitpatents zusätzliche zulässige Beschränkungen aufgenommen werden dürfen, nicht jedoch ursprünglich nicht offenbarte verallgemeinernde Formulierungen, die aus der Sicht des Bundesgerichtshofs zu einer unzulässigen Erweiterung führen würden.

77

2.4. Danach sind die verteidigten Hilfsanträge A-D bereits im Hinblick auf die durch das Berufungsurteil geschaffene Teilrechtskraft unzulässig, da sie über die im Urteilstenor des Berufungsurteils enthaltene Fassung inhaltlich hinausgehen. Schließlich sind die Hilfsanträge A-D auch deshalb unzulässig, soweit sie die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsfrage der unzulässigen Verallgemeinerung missachten. Genau dies ist aber auch hinsichtlich der verteidigten Hilfsanträge A-D der Fall, was aufzuzeigen sein wird.

II.

78

1. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Stimulieren der Heilung von oberflächlichen Wunden (siehe Streitpatentschrift Absatz [0001]). Wie die Streitpatentschrift (Abs. [0002], [0003]) ausführt, beschreibt die im Prioritätsintervall veröffentlichte WO 96/05873 A1 eine Vorrichtung zum Stimulieren der Heilung von Wunden, umfassend ein poröses Polster zum Einführen in die Wunde, das für Fluide durchlässig ist, einen Verband zum Abdecken der Wunde und Bereitstellen einer luftdichten Dichtung um die Wunde herum, eine Abflussröhre, die das Polster mit einer Saugpumpe verbindet, so dass ein Unterdruck an die Wunde angelegt werden kann, um Fluide von derselben abzusaugen, und einen Behälter zum Sammeln von Fluiden, die von der Wunde abgesaugt wurden. Diese Vorrichtung sei effektiv zum Behandeln einer Vielzahl von verschiedenen Arten und Größen von Wunden geeignet, erfordere jedoch, dass der Patient sich einer Behandlung an der Vorrichtung für einen langen Zeitraum unterzieht. Das bedeute, dass ein Patient, der mobil ist, während der Behandlung für lange Zeitdauer eingeschränkt sei.

79

2. Dem Streitpatent liegt daher gemäß der Streitpatentschrift die Aufgabe zugrunde (Abs. [0004]), eine Vorrichtung bereitzustellen, die von Patienten, die einigermaßen mobil sind, auf bequemere Weise verwendet werden kann, und die weitere Vorteile aufweist.

80

3. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Streitpatent im Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

81

M1 Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst:

82

M1.1 ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigem Weichschaum,

83

M1.2 eine Pumpe (6),

84

M1.3 eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6),

85

M1.4 einen Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung,

86

M1.5 eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder,

87

M1.6 wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist,

88

dadurch gekennzeichnet, dass

89

M1.7a der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst,

90

M1.7b deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht.

91

4. Soweit die Beklagte das Streitpatent hilfsweise mit geänderten Patentansprüchen verteidigt, ergeben sich gegenüber dem Patentanspruch 1 erteilter Fassung folgende Änderungen.

92

Nach Hilfsantrag A wird der Patentanspruch 1 dahingehend beschränkt verteidigt, dass der kennzeichnende Teil folgendes weitere Merkmal enthält:

93

M1.8a und wobei die Saugleitung (101) und eine zweite Leitung (106), mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst, zu einer mehrfach unterteilten Röhre kombiniert sind.

94

Nach Hilfsantrag B wird der Patentanspruch 1 dahingehend beschränkt verteidigt, dass der kennzeichnende Teil folgende weitere Merkmale enthält:

95

M1.8a wobei die Saugleitung (101) und eine zweite Leitung (106), mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst, zu einer mehrfach unterteilten Röhre kombiniert sind,

96

M1.9 und wobei die Vorrichtung einen Behälter (100) für abgesaugte Partikel umfasst,

97

M1.10 sowie einen Aufnehmer (105), der eine Zunahme des Unterdrucks in einer Leitung (103) aufgrund eines verstopften Filters (109) als gefüllten Behälter (100) interpretiert.

98

Nach Hilfsantrag C wird der Patentanspruch 1 dahingehend beschränkt verteidigt, dass der kennzeichnende Teil folgendes weitere Merkmal enthält:

99

M1.8b und wobei die Saugleitung (101) und eine zweite Leitung (106), mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst, Teil einer Multilumenleitung sind.

100

Nach Hilfsantrag D wird der Patentanspruch 1 dahingehend beschränkt verteidigt, dass der kennzeichnende Teil folgende weitere Merkmale enthält:

101

M1.8b wobei die Saugleitung (101) und eine zweite Leitung (106), mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst, Teil einer Multilumenleitung sind,

102

M1.9 und wobei die Vorrichtung einen Behälter (100) für abgesaugte Partikel umfasst,

103

M1.10 sowie einen Aufnehmer (105), der eine Zunahme des Unterdrucks in einer Leitung (103) aufgrund eines verstopften Filters (109) als gefüllten Behälter (100) interpretiert.

104

Nach Hilfsantrag E wird der Patentanspruch 1 dahingehend beschränkt verteidigt, dass der kennzeichnende Teil folgendes weiteres Merkmal enthält:

105

M1.8c und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle umfasst, mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

106

Hinsichtlich des Wortlauts der jeweiligen Unteransprüche der Hilfsanträge A bis E sowie der Patentansprüche der übrigen Hilfsanträge wird auf den Akteninhalt verwiesen.

107

5. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat, wie dies auch vom Bundesgerichtshof bestätigt worden ist, einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und der für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Mediziner zu Rate zieht.

III.

108

1. Der Senat legt dem Gegenstand des nach Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Patentanspruchs 1 folgendes Verständnis zugrunde.

109

Die Zweckangabe „zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger“ im Merkmal M1 schränkt die Vorrichtung nur darauf ein, dass sie geeignet sein muss, einen Unterdruck auf eine Oberflächenwunde ausüben zu können. Wie dieser Unterdruck aufgebaut wird, ist dagegen nicht festgelegt, so dass diese Angabe auch nicht ausschließt, dass – neben dem Vorhandensein eines Unterdrucks – auch weitere Einflüsse wie etwa ein Vorbeiströmen einer Flüssigkeit auf die Oberflächenwunde einwirken.

110

Im Merkmal M1.1 ist ein poröses Polster vorgesehen, d. h. einen durchlässigen, mit kleinen Löchern versehenen Körper. Dieser wird weiter dadurch eingeschränkt, dass er aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum besteht, d. h. dass beispielsweise Gasbetonsteine oder gewebte Faserstoffe aus Zellstoff nicht darunter fallen.

111

Gemäß der Zweckangabe im Merkmal M1.3 weist die beanspruchte Vorrichtung eine Saugleitung auf, die geeignet ist, das poröse Polster mit der Pumpe zu verbinden, d. h. die Saugleitung muss sowohl bis zur Pumpe, aber auch bis zum porösen Polster führen. Der Gegenstand wird aber nicht darauf eingeschränkt, dass die Saugleitung das Polster und die Pumpe direkt miteinander verbindet; vielmehr lässt es diese Angabe auch zu, dass sich – wie im Streitpatent gemäß Fig. 1 – im Leitungsweg der Saugleitung zwischen Polster und Pumpe beispielsweise ein Behälter befinden kann.

112

Gemäß Merkmal M1.5 dient eine chirurgische Abdeckung zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. Diese Zweckangabe ist nicht so zu verstehen, dass der Verbinder vollständig abgedeckt werden solle; dies würde das Problem aufwerfen, wie die Saugleitung durch die chirurgische Abdeckung zum Verbinder hindurchgeführt werden soll. Vielmehr ist dieses Merkmal im Sinne des Streitpatents, insbesondere der Fig. 6B und 6C, und im Kontext der Merkmale M1.6 und M1.7a so zu verstehen, dass die chirurgische Abdeckung nur die scheibenartige Schale des Verbinders überspannt und den Ausguss ausspart, um die Saugleitung daran anzuschließen, der Verbinder also eine Durchführung für die Saugleitung durch die chirurgische Abdeckung hindurch darstellt.

113

Gemäß Merkmal M1.7a umfasst der Verbinder eine scheibenartige Schale. Gemäß Rn. 11 des Berufungsurteils handelt es sich damit um einen dreidimensionalen Körper, der einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an seinem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Mit Blick auf die Fig. 6B und 6C fallen unter diesen Begriff aber auch Ausgestaltungen, wo die Schale praktisch als eine flache Scheibe mit nur minimal aufgebogenem Rand ausgeführt wird. Jedoch ist durch „scheibenartige Schale“ nicht angegeben, wie breit der Rand der Schale ausgebildet ist. So ist unter diesem Begriff auch eine Ausgestaltung einer Schale denkbar, bei der – im Querschnitt betrachtet – in der Mitte eine Vertiefung vorhanden ist und die um die Vertiefung herum in einen erhöhten, breiten und flachen Rand in Form einer Ring-Scheibe übergeht.

114

Da andererseits die Figuren 6A – 6D lediglich eine (mögliche) Ausführungsform der ‚disc-like cup’ zeigen, die zudem nicht maßstabsgetreu wiedergegeben sein muss, und in der zugehörigen Beschreibung nichts über das Verhältnis von Höhe zu Durchmesser der scheibenartigen Schale ausgesagt ist, ist dieser unscharfe Begriff entsprechend so weit auszulegen, dass darunter auch eine Tasse fällt, deren Höhe in etwa im Bereich ihres Durchmessers liegt.

115

Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 dagegen nicht zu entnehmen.

116

Gemäß Merkmal M1.8c ist die Saugleitung nach Merkmal M1.3 als innere Bohrung in einer Multilumenleitung ausgebildet, die ferner Kanäle zur Druckmessung an der Wundstelle umfasst. Nach Überzeugung des Senats sieht der unbefangene Fachmann vor dem Hintergrund der gesamten Streitpatentschrift und unter Berücksichtigung von Spalte 4, Zeilen 45 ff. des Streitpatents sowie der Figuren 5A bis 5F den Begriff „Multilumenleitung“ als einen einstückig durch Extrusion hergestellten Kunststoffschlauch, der mehrere sich in Längsrichtung erstreckende und untereinander unverbundene Lumen bzw. Kanäle aufweist. Die weitere Angabe „Saugleitung als innere Bohrung“ schränkt die Multilumenleitung dahingehend weiter ein, dass deren Kanäle im Querschnitt betrachtet derart angeordnet sind, dass zumindest ein Kanal von mindestens zwei weiteren Kanälen umgeben wird und als Saugleitung dient. Die funktionale Angabe, dass mit den (mindestens zwei) weiteren „Kanälen ein Aufnehmer den Druck an der Wundstelle misst“, bedingt, dass die Multilumenleitung bis zur Wundstelle geführt ist, was sich angesichts der als innere Bohrung ausgebildeten Saugleitung wegen der Auslegung von Merkmal M1.3 bereits implizit ergibt.

117

Nach Auffassung des Senats kann deshalb der Begriff „Multilumenleitung“ insbesondere auch nicht dem nach Merkmal M1.8a verwendeten Begriff einer „mehrfach unterteilten Röhre“ gleichgesetzt werden. Darunter aber fallen auch beispielsweise Ausgestaltungen, bei denen Saugleitung und zweite Leitung nebeneinander gelegt und von einer Umhüllung umwickelt werden, gleichsam einem Umwickeln eines Isolierbandes oder dem Überziehen eines Wärmeschrumpfschlauchs um zwei isolierte Elektrodrähte. Derartige Ausgestaltungen sind aber weder nach dem allgemeinen Fachverständnis noch insbesondere im Sinne des Streitpatents als eigenes Lexikon als Multilumenleitung anzusehen, welche einen Sonderfall einer mehrfach unterteilten Röhre bildet, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst zugestanden hat.

118

Dies wird besonders deutlich, wenn man, wie auch in der mündlichen Verhandlung erörtert, die im Streitpatent in der Verfahrenssprache Englisch in den Absätzen 24 und 28-29 sowie Absatz 33 verwendete Formulierung „multi-lumen tube“ der Bezeichnung „multi-partiton tube“ gegenüberstellt, wie das Streitpatent sie in Absatz 20 zur Erläuterung des Gesamtaufbaus nach Fig. 1 allgemein gebraucht.

IV.

119

Der Gegenstand des Streitpatents gemäß Hauptantrag und gemäß den Hilfsanträgen A bis D erweist sich gegenüber dem Gegenstand nach Hilfsantrag E, welcher dem Urteilstenor der Berufungsurteils entspricht, als weiter und kann daher im Hinblick auf die insoweit eingetretene Teilrechtskraft nicht mehr verteidigt werden; zudem erweist sich die Fassung im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ als unzulässig, da sie zu einer unzulässigen Änderung des Inhalts führt und den Nichtigkeitsgrund nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ auslöst.

120

Insoweit sieht der Senat sich nur zu vorsorglichen Ausführungen zu der Zulässigkeit der Hilfsanträge im Hinblick auf das Verbot unzulässig verallgemeinernder Erweiterungen des Inhalts der Anmeldung veranlasst.

121

1. zu den Hilfsanträgen A und B:

122

Der Senat sieht in der beanspruchten Fassung des Merkmals M1.8a, wonach im Zusammenhang mit der Messung des Drucks an der Wundstelle eine „mehrfach unterteilte Röhre „und nicht eine „Multilumenleitung“ beansprucht wird als unzulässig gegenüber dem Gesamtoffenbarungsgehalt des Inhalts der Anmeldung verallgemeinert und damit als unzulässig an.

123

1.1. Insoweit berücksichtigt der Senat zwar in rechtlicher Hinsicht, dass zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung im Zusammenhang mit der Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt ebenso wie zur Frage zur wirksamen Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung entscheidend ist, ob der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre der Gesamtoffenbarung der Ursprungsunterlagen "unmittelbar und eindeutig" entnehmen konnte, dass der geänderte Lösungsvorschlag als mögliche Ausführungsform von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGHZ 204, 199 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH GRUR 2010, 509 – Hubgliederungstor); der Senat teilt deshalb auch die Auffassung, dass ein „breiter“ formulierter Anspruch als unbedenklich zu erachten sein kann, wenn sich ein in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGHZ 204, 199 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH GRUR 2014, 970 – Stent; GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal; BGH 2012, 1124 – Polymerschaum).

124

Auch ist der Senat sich bewusst, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung dabei in einer Weise angewendet werden muss, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal).

125

1.2. Dennoch sieht der Senat die Lehre nach Merkmal 1.8a in dieser Allgemeinheit in Verbindung mit der weiteren Lehre nach Patentanspruch 1 nicht ursprünglich als zur Erfindung gehörend offenbart. Zwar mag sich das Merkmal M1.8a für sich genommen aus der ursprünglichen Beschreibung (siehe VP1a, Seite 5 Zeilen 17-26) entnehmen lassen. Sonach ist ein poröses Polster 102 an der Wundstelle mittels der Leitung 101 über einen Behälter 100 und eine Röhre 103 an eine Pumpe 6 verbunden, so dass ein Unterdruck an der Wundstelle aufgebracht werden kann; die Leitung 101 stellt mithin die Saugleitung im Sinne des Merkmals M1.3 dar.

126

Weiterhin ist eine zweite Leitung 106 an einem Ende mit der Wundstelle und mit einem zweiten Aufnehmer 108 verbunden, so dass mittels der zweiten Leitung 106 dem zweiten Aufnehmer 108 der Druck an der Wundstelle gemessen werden kann; dabei können die Leitungen 101 (d. h. die Saugleitung) und 106 (d. h. die zweite Leitung) zu einer mehrfach unterteilten Röhre kombiniert (´Tubes 106 and 101 can be combined in a multi-partitioned tube´) sein. Mithin offenbart dieser ursprüngliche Beschreibungsteil der VP1a das Merkmal M1.8a für sich, macht aber keine Angaben zu einem Verbinder gemäß dem Merkmal M1.4.

127

Dagegen wird der im Merkmal M1.4 angesprochene Verbinder in der ursprünglichen Beschreibung der VP1a auf Seite 8 Zeilen 5 bis 10 ausschließlich in Verbindung mit den Figuren 6A-6D beschrieben, und zwar als Verbinder zum Anbringen einer Multilumenleitung an der Wundstelle.

128

So hat bereits der Bundesgerichtshof ausgeführt (Tz. 31), dass der Verbinder in der Stammanmeldung nur als Element einer Vorrichtung offenbart ist, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten, mithin „in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung (steht), die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird“. Anderseits sei die unzulässige Verallgemeinerung in der verteidigten Fassung gemäß Urteilsausspruch (jetziger Hilfsantrag E) dadurch „rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet“.

129

Soweit danach überhaupt noch Raum für die Auffassung bestehen sollte, dass der Senat nur hinsichtlich des Erfordernisses eines Druckerfassungsmittels an eine vorgegebene Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs gebunden sei, nicht aber in Bezug auf die notwendige Ausbildung der Saugleitung und der zweiten Leitung als Multilumenleitung im Zusammenhang mit Merkmal M 1.4, sieht der Senat jedenfalls in Merkmal M1.8a und dem Wortlaut „zu einer mehrfach unterteilten Röhre“ eine unzulässige Verallgemeinerung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts der Anmeldeunterlagen und damit auch Patentanspruch 1 nach Hilfsanträgen A und B als unzulässig.

130

In der VP1a wird nämlich beschrieben, dass der Verbinder aus einer scheibenförmigen Tasse 601 mit einem Ausguss 602 besteht, der das Ende einer Multilumenleitung aufnimmt, wie sie in den Figuren 5F und 6E gezeigt ist. Diese beiden Figuren zeigen alternative Ausgestaltungen einer Multilumenleitung, bei der eine innere Bohrung 127 (siehe Fig. 5F in Verb. mit Seite 7 Zeilen 16-22) bzw. 606 (siehe Fig. 6E in Verb. mit Seite 7 Zeilen 3-7) als Saugleitung 101 und äußere Kanäle 130 (siehe Fig. 5F) bzw. 607 (siehe Fig. 6E) als zweite Leitung 106 vorgesehen sind.

131

Damit ist der Verbinder gemäß Merkmal M1.4 nur in Verbindung mit einer „Multilumenleitung“ offenbart, die eine innere Saugleitung und äußere Kanäle zur Messung des Drucks an der Wundstelle umfasst, so dass das Merkmal M1.8a demgegenüber als unzulässige Verallgemeinerung eine unzulässige Erweiterung darstellt. Denn Merkmal M1.8a fordert nur die eine Saugleitung (101) und zweite Leitung (106) zur Druckmessung an der Wundstelle zu einer „mehrfach unterteilten Röhre“ kombiniert sind (´can be combined in a multi-partitioned tube´). Darunter aber fallen auch beispielsweise Ausgestaltungen, bei denen Saugleitung und zweite Leitung nebeneinander gelegt und von einer Umhüllung umwickelt werden, gleichsam einem Umwickeln eines Isolierbandes oder dem Überziehen eines Wärmeschrumpfschlauchs um zwei isolierte Elektrodrähte. Derartige Ausgestaltungen sind aber weder nach dem allgemeinen Fachverständnis noch insbesondere im Sinne des Streitpatents als eigenes Lexikon als Multilumenleitung anzusehen, welche einen Sonderfall einer mehrfach unterteilten Röhre bildet, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst zugestanden hat. Ein verallgemeinertes Verständnis verbietet sich aber insbesondere schon deshalb, weil eine Multilumenleitung ein durch Extrusion aus einem Stück hergestellter Kunststoffschlauch ist, während dies bei der Kombination von Saugleitung und zweiten Leitung zu einer mehrfach unterteilten kombinierten Röhre nicht der Fall ist.

132

2. zu den Hilfsanträgen C und D:

133

Auch insoweit sieht es der Senat den geänderten Lösungsvorschlag als unzulässig verallgemeinert und deshalb als unzulässig an, weil im Merkmal M1.8b die Saugleitung, also die Leitung 101, und die zweite Leitung, also die Leitung 106, nur darauf eingeschränkt werden, dass sie lediglich Teil einer Multilumenleitung sein müssen, ohne dass die Ausbildung der Multilumenleitung konkretisiert wird.

134

Die Beklagte lässt bei ihrer gegenteiligen Auffassung insoweit außer Acht, dass die ursprüngliche Offenbarung der VP1a auf Seite 5 Zeile 23f. bereits davon spricht, die beiden Leitungen in einer mehrfach unterteilten Röhre zu kombinieren, wie dies später beschrieben wird. Diese, hier schon im Vorgriff angekündigte spätere Beschreibung, erfolgt dann zum einen auf Seite 6 Zeile 24 bis Seite 7 Zeile 2 sowie auf Seite 7 Zeilen 15 bis 22 in Verbindung mit Fig. 5F und zum anderen für eine alternative Ausgestaltung auf Seite 7 Zeilen 3 bis 9 in Verbindung mit Fig. 6E. Die VP1a legt danach je eine nähere Beschreibung der mehrfach unterteilten Leitung als eine Multilumenleitung fest, die einerseits eine innere Bohrung (´central bore 127´ gemäß Fig. 5F bzw. ´internal bore 606´ gemäß Fig. 6E) als Lumen für die Saugleitung 101 und andererseits ringförmige Kammern (´annular spaces 130´ gemäß Fig. 5F) bzw. Kanäle (´conduits 607 gemäß Fig. 6E) als Lumen zur Messung des Drucks an der Wundstelle vorsieht.

135

Auf genau diese besondere Ausgestaltung der Multilumenleitung bezieht sich schließlich der im Merkmal M1.4 angesprochene Verbinder und setzt diese voraus, indem er – wie zu den Hilfsanträgen A und B bereits ausgeführt – einen Ausguss 602 aufweist (siehe VP1a, Seite 8 Zeilen 5 bis 10 in Verbindung mit den Figuren 6A-6D), der „so konstruiert ist, dass er das Ende einer Multilumenleitung aufnehmen kann, wie sie in den Figuren 5F und 6E gezeigt ist“ (´sized to accept, as a closely sliding fit, the end of a multi-lumen tube e.g. of the kind shown in Figures 5F or 6E´). Damit steht letztendlich der im Merkmal M1.4 angesprochene Verbinder in untrennbarem Zusammenhang mit einer Multilumenleitung, die eine innere Saugleitung und äußere Kanäle zur Messung des Drucks an der Wundstelle umfasst, so dass das Merkmal M1.8b unzulässig verallgemeinert ist und eine unzulässige Erweiterung darstellt.

V.

136

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag E

137

Der als zulässig anzusehende Gegenstand des Streitpatents gemäß Hilfsantrag E hat Bestand; ein Nichtigkeitsgrund nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ besteht nicht.

138

1. Zum Stand der Technik gehört hierbei nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 Abs. 2, auch die am 29. Februar 1996 veröffentlichte Patentanmeldung WO 96/05873 A1 (VP20), da das Streitpatent die Priorität der Patentanmeldung GB 9523253 vom 14. November 1995 (VP-P) nicht wirksam in Anspruch nehmen kann und ihm deshalb nur der Zeitrang des Anmeldetags der Stammanmeldung vom 14. November 1996 zukommt.

139

1.1. Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann die Priorität einer vorangegangenen Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen (Art. 87 Abs. 1 EPÜ). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Gegenstand der beanspruchten Erfindung, d. h. die in den Patentansprüchen enthaltene Lehre, im Prioritätsdokument identisch als zur Erfindung gehörend offenbart ist; für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten deshalb die Prinzipien wie sie bereits zur Frage der unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung dargelegt worden sind. Das Prioritätsrecht der Nachanmeldung wird auch nicht davon berührt, dass ihr Gegenstand erst nach Patenterteilung in Folge nachträglicher Beschränkung deckungsgleich mit der prioritätsbegründenden Anmeldung wird (st. Rspr BGH GRUR 2012, 149 – Sensoranordnung; GRUR 2008, 597 – Betonstraßenfertiger).

140

1.2. Nach diesen Grundsätzen kann eine Identität der im Patentanspruch 1 beanspruchten Lehre mit derjenigen der Voranmeldung VP-P im Hinblick auf das Merkmals M1.4 nicht festgestellt werden. So wird der Verbinder gemäß dem Merkmal M1.4 im Streitpatent ausschließlich in den Fig. 6A bis 6D Lehre in Verbindung mit Spalte 2 Zeilen 49-51 und Absatz [0029] erläutert. Die gleiche Offenbarung findet sich auch in der Stammanmeldung VP1a (Fig. 6A bis 6D in Verbindung mit Seite 4 Zeilen 1-2 und Seite 8 Zeilen 5-24). Jedoch finden sich diese Teile in der Voranmeldung nicht.

141

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu, denn aus keiner der im Verfahren befindlichen Dokumente ist eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde eines Säugers mit einem porösen Polster (M1.1), einer (Saug-) Pumpe (M1.2) und einer Saugleitung (M1.3) bekannt, bei der gemäß dem Merkmal M1.8c die Saugleitung als innere Bohrung in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle umfasst, mittels derer ein Aufnehmer den Druck an der Wundstelle misst. Dies hat die Klägerin auch nicht mehr geltend gemacht.

142

3. Eine derartige Vorrichtung wird dem Fachmann vom vorliegenden Stand der Technik in Verbindung mit dem Fachwissen auch nicht nahegelegt. So wie auch die Klägerin geltend gemacht hat, sieht auch der Senat die Schriften VP5 und VP4 als den Stand der Technik an, den der Fachmann zu einer bezweckten Verbesserung der Mobilität und Tragbarkeit der Vorrichtung zunächst als erfolgversprechendes Sprungbrett für eine Problemlösung heranzog.

Abbildung

143

3.1. Die VP5 beschreibt einen Aufbau für einen Tierversuch an einem Schwein zur Untersuchung der Wundheilung derart, dass Spülflüssigkeit durch ein poröses, auf der Wundstelle okklusiv aufgebrachtes Polster (siehe Abstract: ´Irrigation was accomplished through a porous, occlusively applied dressing´) strömt und so Polster und Wunde reinigt und ein Wechseln des Verbandes minimiert (siehe Seite 399: ´The passage of the fluid cleanses both the pad and the wound 3, 4 and minimizes the need to change dressings´).

144

Der Versuchsaufbau weist zum einen eine, entlang einer Deckenschiene bewegbare und um eine Achse drehbare Plattform (´platform´) B und zum anderen ein, auf dem Rücken des Schweins befestigtes starres, gepolstertes Geschirr (´harness´) A auf. Dabei sind die Plattform B und das Geschirr A über ein biegbares, aber verwindungssteifes, 2 m langes, dünnwandiges Rohr D verbunden (siehe Fig. 2 mit zugehöriger Beschreibung).

Abbildung

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145

Die Plattform B enthält eine Stromversorgung und trägt eine Membranpumpe G, eine Rollenpumpe H sowie einen Vorratsbehälter E zum Liefern der Spülflüssigkeit und einen Drainagebeutel I zum Auffangen der durch das Polster geströmten Spülflüssigkeit.

146

Auf der Wundstelle am Schwein ist nun ein poröses, absorbierendes Polster (´irrigation dressing´) mit zwei Anschlüssen (´port´) aufgebracht (siehe Fig. 3 mit zugehöriger Beschreibung), wobei der in Fig. 3 gezeigte rechte Anschluss zum Anliefern der (frischen) Spülflüssigkeit in das Polster und der linke Anschluss zum Abführen der (verbrauchten) Spülflüssigkeit dient, so dass Spülflüssigkeit durch das Polster hindurch vom rechten Anschluss zum linken Anschluss gesaugt wird (siehe Figurenbeschreibung unter Fig. 1 und Abstract). Der linke Anschluss (´port´) am Polster ist über eine Leitung mit einem Sammelgefäß (´collecting vessel´) F verbunden, das am Geschirr direkt am Schwein angebracht ist (siehe Fig. 2 und 3 und deren Figurenbeschreibung). Mit dem Sammelgefäß F sind die Rollenpumpe H und die Membranpumpe G verbunden, die für einen Unterdruck beim Sammelgefäß F sorgen. Während die Rollenpumpe H die aus dem Polster abfließende und im Sammelgefäß gesammelte Spülflüssigkeit absaugt, bringt die Membranpumpe G einen kontinuierlichen Unterdruck im Sammelgefäß F und im Polster auf (siehe Fig. 4 und Seite 402 Mitte: ´A membrane pump, preset at -70 cm H 2 0 (ie, below atmospheric pressure), exposed the gas volume of both vessel and dressing pad to continuous suction´).

147

Damit ist der Aufbau der VP5 in der Lage, einen Unterdruck in dem auf der Wundstelle angebrachten Polster im Sinne des Merkmals M1 aufzubringen. Insofern geht der Einwand der Beklagten fehl, dass durch das Vorbeiströmen der Spülflüssigkeit infolge ihres Absaugens kein Unterdruck auf die Oberflächenwunde ausgeübt werden könne, denn die Fig. 4 zeigt eindeutig Messwerte, die einen Unterdruck im Polster und damit zwangsläufig auch an der Wundstelle belegen.

148

Weiter weist die Vorrichtung der VP5 mit der Membranpumpe G das Merkmal M1.2 und mit den Leitungen von Polster zum Sammelgefäß F und von Sammelgefäß F zur Membranpumpe G eine Saugleitung im Sinne des Merkmals M1.3 auf.

Abbildung

Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

149

Der Figur 1 der VP5 ist eindeutig zu entnehmen, dass auf dem Polster an dessen linken und rechten Seite je ein Anschluss (´port´) für die Spülflüssigkeit zuführende und die Spülflüssigkeit abführende Leitung vorgesehen ist, so dass die Vorrichtung der VP5 (auf der linken Seite) auch über einen Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung gemäß Merkmal M1.4 verfügt. Ebenso entnimmt der Fachmann der Figur 1, dass die Saugleitung am linken Anschluss angesteckt ist; damit weist also der linke Anschluss, der dem Verbinder gemäß M1.4 entspricht, auch einen Ausguss im Sinne des Merkmals M1.6 auf. Schließlich zeigt die Figur 1 einen kreisförmigen Rand um das angesteckte Ende der Saugleitung, der die Auflagefläche des Anschlusses auf dem Polster darstellt und dem, nach obiger Auslegung breit zu verstehenden Merkmal M1.7a entspricht.

150

Ferner ist in der VP5 das Polster von einer Polyurethanfolie luftdicht im Sinne des Merkmals M1.5 abgedichtet (siehe Seite 399: ´The dressing, which is occlusively applied, consists of an absorbent pad with two ports, one at each end.´, Seite 400 unten: ´The pad was covered with and framed by a Polyurethane film. The framing film was coated with hydrocolloid adhesive, allowing an airtight application of the pad to the skin.´). Dem steht auch nicht entgegen, dass nach Meinung der Beklagten das Polster wegen der durchströmenden Spülflüssigkeit kein geschlossenes System ist. Tatsächlich muss das Polster der VP5 durch die Polyurethanfolie gegenüber der Umgebung luftdicht abgedichtet sein, denn sonst gäbe es Undichtigkeiten, durch die hindurch nicht nur die am rechten Anschluss zugeführte Spülflüssigkeit, sondern vor allem Luft aus der Umgebung angesaugt werden würde.

151

Schließlich ist das Polster (´irrigation dressing´) der aus der VP5 bekannten Vorrichtung zwar porös (siehe Abstract: ´Irrigation was accomplished through a porous, occlusively applied dressing having two ports, one for supply and one for drainage.´), entgegen dem Merkmal M1.1 aber nicht aus offenem, zellförmigen Weichschaum, sondern aus gewebten Material (siehe Seite 400 unten: ´The dressing (see Fig. 1) consisted of an absorbent and pliable woven pad.´).

152

Insoweit sieht auch die Klägerin zu 1) einen Unterschied der VP5 zum Gegenstand des Patentanspruchs 1, so dass sie die VP5 nicht als neuheitsschädlich ansieht.

153

Ob nun der Fachmann im Rahmen seines fachmännischen Handelns geneigt ist, aus wirtschaftlichen, technischen oder medizinischen Gründen aus seinem Standardrepertoire an Materialien anstelle eines gewebten Materials einen Weichschaum für das poröse Polster zu wählen, um zum Merkmal M1.1 zu gelangen, kann dahingestellt bleiben.

154

Entscheidend ist vielmehr, dass die VP5 auch in Verbindung mit dem Fachwissen dem Fachmann nicht nahelegt, dass die Saugleitung als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle umfasst, mittels derer ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (M1.8c).

155

Zwar sieht die VP5 als Verbindung zwischen der Plattform B und dem Geschirr A das 2 m lange biegsame Rohr D vor, das erstens die Versorgungsleitung für die Spülflüssigkeit vom Vorratsbehälter E zum Einlass-Anschluss am Polster, zweitens die Saugleitung von der Membranpumpe G zum Sammelgefäß F am Geschirr A und drittens die Saugleitung von der Rollenpumpe H zum Sammelgefäß F am Geschirr A enthält (siehe Seite 402).

156

Ferner mag auch die VP5 eine Druckmessung vorsehen, wie sie im Merkmal M1.8c angesprochen wird: ein Drucksensor ist über eine biegsame Leitung mit einem Loch in der Mitte der Abdeckfolie über dem Polster verbunden und misst so den Druck in den Poren des Polsters (siehe Seite 401 oben und Figurenbeschreibung zu Fig. 4). Allerdings ist der VP5 nirgends zu entnehmen, wo sich der Drucksensor befindet: am Geschirr A direkt am Schwein oder an der Plattform. Damit lässt sich der VP5 aber auch nicht entnehmen, dass die biegsame Leitung zwischen Drucksensor und Polster zwingend durch das biegsame Rohr D führt.

157

Mithin offenbart die VP5 das Rohr D allenfalls als eine mehrfach unterteilte Röhre, die die Saugleitung von der Membranpumpe G zum Sammelgefäß F und weitere Kanäle aufweist, deren weitere Kanäle aber keine Druckmessung ermöglichen. Hier spricht im Übrigen gegen die Annahme, den Drucksensor auf der Plattform B anzuordnen, bereits, dass dann die biegsame Leitung zwischen Drucksensor und Polster ebenso lang sein müsste wie das Rohr D (2 m), was allerdings im Hinblick auf die Geeignetheit der Druckmessung in Anbetracht der geringen Unterdrücke von ca. -5 bis -25 cm H2O-Säule gemäß der Fig. 4 (entspricht -4,9 bis -24,5 mbar bzw. -490 bis -2450 Pa) dem Fachmann zumindest als untunlich erscheint, da eine fehlerfreie Druckmessung angestrebt ist.

158

Aber selbst wenn man – wie es die Klägerin zu 1) ohne weitere Begründung als naheliegend oder gar als vom Fachmann mitgelesen behauptet – den Drucksensor auf der Plattform B anordnen würde und damit die Leitung zwischen Drucksensor und Polster in dem dünnwandigen Rohr D unterbrächte, so dass das Rohr B eine mehrfach unterteilte Röhre mit Saugleitung (Saugleitung von der Membranpumpe G zum Sammelgefäß F) und einer zweiten Leitung zur Druckmessung an der Wundstelle darstellte, wäre es für den Fachmann in Verbindung mit dem Fachwissen nicht naheliegend, das Rohr D als Multilumenleitung im Sinne des Merkmals M1.8c weiterzubilden.

159

Dem steht nämlich zunächst schon entgegen, dass für den Fachmann keine Veranlassung besteht, das mehrfach unterteilte Rohr D als Multilumenausbildung auszuführen. In Anbetracht dessen, dass die VP5 einen Versuchsaufbau für einen Tierversuch zur Wundheilung betrifft, ist es schon aus wirtschaftlichen Gründen abwegig, hohe Einmalkosten für die Fertigung einer Multilumenleitung zu investieren. Hier geht auch die Meinung der Klägerin zu 1) fehl, wonach es bei einer praktischen Umsetzung des Versuchsaufbaus nach der VP5 fachmännisch sei, das Rohr D in Serienfertigung als Multilumenleitung auszugestalten. Denn zum einen ist es in der heutigen Zeit kaum vorstellbar, dass die Lehre der VP5 regelmäßig zur Behandlung von Oberflächenwunden bei Haustieren, insbesondere Schweinen, Anwendung finden würde. Zum anderen würde eine Übertragung der Lehre der VP5 zur Anwendung beim Menschen viel weitergehende Abänderungen nach sich ziehen, so dass die Ausgestaltung des mehrfach unterteilten Rohrs D als Multilumenausbildung als Einzelmaßnahme nicht naheliegt.

160

Schließlich aber bedingt das Merkmal M1.8c gemäß obiger Auslegung, dass sowohl Saugleitung als innere Bohrung der Multilumenleitung und die Kanäle zur Druckmessung bis an die Wundstelle führen. Hiervon führt die VP5 aber weg.

161

So reicht zwar die durch das Rohr D geführte Saugleitung bis zum Sammelgefäß F und von dort über eine weitere Leitung bis zum porösen Polster im Sinne obiger Auslegung des Merkmals M1.3. Ebenso verläuft auch die Leitung vom Drucksensor bis zum porösen Polster. Ob aber nun in der VP5 die Druckmessleitung am Sammelgefäß F vorbei läuft oder über das Sammelgefäß F verläuft, ist in der VP5 nicht angegeben.

162

Wollte nun der Fachmann im Sinne des Merkmals M1.8c die Druckmessleitung als äußere Kanäle um die innere Saugleitung in einer Multilumenleitung vorsehen, dann hätte sich dem Fachmann zusätzlich das Problem gestellt, dass er die Kanäle für die Druckmessung in irgendeiner Weise über das Sammelgefäß F führen musste. Dies ist aber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weil dann an den beiden Anschlüssen des Sammelgefäßes F zum Polster und zur Membranpumpe G konstruktive Maßnahmen notwendig werden, um die innere Saugleitung und die äußeren Druckmesskanäle innerhalb der Multilumenleitung voneinander zu trennen, wie dies im Streitpatent gelöst wird (siehe Fig. 5B und 5C in Verbindung mit Spalte 5 Zeilen 3-18). Diese Problematik ist in der VP5 aber nicht angesprochen und thematisiert worden und es lag auch nicht im Griffbereich des Fachmanns, die Druckmessleitung der VP5 über das Sammelgefäß F zu führen. Dementsprechend war es auch nicht nahegelegt, die Saugleitung und die Druckmessleitung der VP5 als Multilumenleitung gemäß M1.8c auszuführen.

163

3.2. Wählte der Fachmann dagegen seinen Ausgangspunkt bei der Schrift VP4, so ergibt sich keine andere Bewertung. Die VP4 schlägt (siehe Seite 1 Zeilen 2ff., Seite 4 Zeilen 21ff., Seite 10 Zeilen 16ff.) eine Vorrichtung zur Wundbehandlung unter Anwendung von Unterdruck (= Merkmal M1) vor, bei der (siehe Fig. 1; Seite 12 Zeile 8 bis Seite 13 Zeile 32) ein Unterdruckapparat 29 zum Umschließen einer Wunde 24 vorgesehen ist. Der Apparat 29 weist eine poröse Wundabschirmung 10 auf, die in die Wunde platziert ist, wobei die poröse Wundabschirmung ein offenzelliger Polymerschaum, beispielsweise ein Polyurethanschaum, sein kann (siehe Seite 13 Zeilen 11-20), der ausreichend porös ist, dass Gas von oder zur Wunde fließen kann (= Merkmal M1.1). Ein Vakuumsystem 30, das (siehe Seite 15 Zeilen 21-24) eine Saugpumpe 40 (= Merkmal M1.2) aufweist, stellt den Unterdruck zur Verfügung und ist über den Saugschlauch 12 mit der Wundabschirmung verbunden (= Merkmal M1.3).

164

In der ersten von der Klägerin zu 1) aufgegriffenen Ausgestaltung des Unterdruckapparats 29c (= Merkmal M1) gemäß Fig. 4 wird (siehe Seite 22 Zeile 13 bis Seite

Abbildung

165

23 Zeile 20 in Verb. mit Fig. 4) eine poröse Wundabschirmung oder ein kreisförmiges poröses Polster 109 in eine Wunde 114 eingelegt (= Merkmal M1.1). Ferner weist der Unterdruckapparat 29c einen Saugschlauch 112 (= Merkmal M1.3) auf, der mit dem oben beschriebenen Vakuumsystem 30 verbunden ist (= Merkmal M1.2).

166

Eine halbstarre Schutzhaube 18, deren Höhe deutlich geringer als deren Durchmesser ist (= Merkmal M1.7a), ist mit der Randseite nach unten auf dem Polster 109 platziert (= Merkmal M1.4) und weist einen zentralen Sauganschluss 104 zum Anschluss des Saugschlauchs 112 auf (= Merkmal M1.6).

167

Eine flexible, fluidundurchlässige, klebende Polymerabdeckfolie 117 ist über die Schutzhaube 118 drapiert und ist am oberen Abschnitt der Schutzhaube 118 und der umliegenden Haut angeklebt, um eine flüssigkeitsdichte Abdichtung unterhalb der Klebefolie 117 zu bilden (= Merkmal M1.5).

168

Damit weist die erste Ausgestaltung des Unterdruckapparats 29c gemäß Fig. 4 die Merkmale M1 bis M1.7a auf.

169

In der zweiten von der Klägerin zu 1) aufgegriffenen Ausgestaltung des Unterdruckapparats 29d (= Merkmal M1) gemäß Fig. 5 wird (siehe Seite 23 Zeile 21 bis

Abbildung

170

Seite 24 Zeile 23 in Verb. mit Fig. 5) eine poröse Wundabschirmung oder ein poröses Polster 120 in eine Wunde 124 eingelegt (= Merkmal M1.1). Ferner weist der Unterdruckapparat 29d einen Saugschlauch 132 (= Merkmal M1.3) auf, der mit dem oben beschriebenen Vakuumsystem 30 verbunden ist – hier liest der Fachmann die in Verbindung mit Fig. 1 erwähnte Pumpe 40 selbstverständlich mit (= Merkmal M1.2).

171

Eine Tasse 138, die mit der Randseite nach unten auf dem Polster 120 platziert (= Merkmal M1.4) ist, weist einen zentralen Sauganschluss 134 zum Anschluss des Saugschlauchs 132 auf (= Merkmal M1.6).

172

Eine flexible, fluidundurchlässige, klebende Polymerabdeckfolie 128 ist über die Tasse 138 drapiert und ist am oberen Abschnitt der Tasse 138 und der umliegenden Haut mittels einer Klebeschicht 129 befestigt, um eine flüssigkeitsdichte Abdichtung unterhalb der Folie 128 zu bilden (= Merkmal M1.5). Dass dabei die Tasse 138 Perforationen 133 aufweist, spielt keine Rolle, da diese Perforationen 133 dazu beitragen, dass die Abdeckung 128 an die Tasse 138 angesogen wird, wodurch die Perforationen 133 verschlossen werden.

173

Die Tasse 138 in der Fig. 5 der Druckschrift VP4 ist im Vergleich zur Tasse 601 in der Fig. 6C des Streitpatents zwar höher. Jedoch wird in der Beschreibung über die Form der Tasse 601 im Streitpatent überhaupt nichts ausgesagt, so dass bei entsprechend breiter Auslegung auch die Tasse 138 unter das Merkmal M1.7a fällt, zumal die Schale nach Merkmal M1.7a im Streitpatent in der Verfahrenssprache Englisch auch durchweg mit ‚cup’ bezeichnet wird.

174

Letztlich kommt es aber auf die zwischen den Parteien strittige Frage, ob die Tasse 138 noch unter das Merkmal M1.7a fällt, schon im Hinblick auf die erste Ausgestaltung nach Fig. 4 gar nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die VP4 das Merkmal M1.8c weder zeigt noch zu deren Ausbildung anregt.

175

So ist der VP4 an keiner Stelle zu entnehmen, dass der Druck an der Wundstelle gemessen werden sollte, was auch die Klägerin zu 1) einräumt. Daher gibt es keinerlei Veranlassung für den Fachmann, eine Leitung für eine Druckmessung an die Wundstelle heranzuführen, geschweige denn, die Leitung als äußere Kammern in einer Multilumenleitung vorzusehen, die sich um eine innere Saugleitung, beispielsweise den Saugschlauch 132 nach Fig. 5 der VP4, anordnen.

176

Soweit die Klägerin zu 1) geltend macht, dass sich der Fachmann, der sich die Aufgabe eines kontrollierten Druckes stellte, hierin die Bedeutung der Druckkontrolle erkennen würde und auch die Anregung hätte, den Druck an der Wunde zu messen, ist ihr allenfalls dahingehend beizupflichten, dass in der VP4 lediglich gelehrt wird, dass die Wundbehandlung durch Aufbringen von Unterdruck auf die Wunde in einer gesteuerten Weise erfolgt (siehe Seite 4 Zeilen 22-26: ´treating a wound by applying reduced pressure to the wound in a controlled manner for a selected time period´ und Seite 6 Zeilen 26-29: ´ The apparatus may also include a control device for controlling the pump and for providing intermittent or cyclic production of reduced pressure.´ sowie Seite 27 Zeilen 24-28: ´method of treating damaged tissue which comprises the steps of applying negative pressure to a wound for a selected time and at a selected magnitude sufficient to reduce bacterial density in the wound.´).

177

Dass aber zur Steuerung der Saugpumpe der Druck gemessen und kontrolliert werden solle, ist der VP4 nicht zu entnehmen, was auch die Klägerin zu 1) selbst einräumt.

178

Statt einer Druckmessung führt die VP4 zur Ansteuerung der Saugpumpe vielmehr auf Seite 16 Zeilen 21- 28 in Verbindung mit Fig. 1 aus, dass die Vakuumpumpe 40 vorbestimmte Unterdruckwerte erzeugt, indem ein Steuergerät 44, z. B. ein Schalter oder Zeitgeber, für einen zyklischen Ein-/Aus-Betrieb der Saugpumpe 40 in vom Benutzer auswählbaren Intervallen oder alternativ für einen kontinuierlichen Betrieb sorgt.

179

Ferner wird in der VP4 neben dem intermittierenden oder dem kontinuierlichen Betrieb der Saugpumpe allgemein noch ein Stop-Mechanismus vorgesehen, der ein Erzeugen von Unterdruck durch die Pumpe unterbricht, wenn sich eine übermäßige Menge an Exsudat in einem, zwischen Polster und Saugpumpe angeordneten Auffangbehälter angesammelt hat (siehe Seite 6 Zeilen 23-26). Nähere Ausführungen finden sich hierzu auf Seite 16 Zeile 29 bis Seite 17 Zeile 8 in Verb. mit Fig. 1, wo verschiedene mechanische oder elektrische Detektionsmechanismen eingesetzt werden sollen, um den Exsudatstand im Auffangbehälter 33 zu erkennen und so ein übermäßiges Ansaugen von Blut aus dem Patienten und letztlich ein Verbluten zu verhindern. Auf derartige Detektionsmechanismen geht die VP4 im Folgenden näher ein, wonach erstens eine rein mechanische Schwimmerventilanordnung 39 (siehe Fig. 7 in Verb. mit Seite 17 Zeile 9 bis Seite 18 Zeile 1), zweitens ein Filteranordnung 38a, die bei übermäßiger Fluidmenge verstopft (siehe Fig. 8 in Verb. mit Seite 18 Zeilen 2-27), und drittens ein elektronischer Betätigungsschalter 166 (siehe Fig. 9 in Verb. mit Seite 18 Zeile 30 bis Seite 19 Zeile 24) zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus gibt die VP4 zum Erkennen des Fluidpegels im Fluidfänger noch andere Geräte wie Gewichtsdetektoren oder optische Sensoren an (siehe Seite 19 Zeilen 24-30).

180

Im Hinblick darauf, dass die VP4 für ihre Lehre zur Wundbehandlung einen Unterdruck im Bereich von 0,01 bis 0,99 atm, vorzugsweise von 0,5 bis 0,8 atm, vorsieht (siehe Seite 26 Zeilen 21-25), erkennt der Fachmann, dass für diesen vergleichsweise breiten Druckbereich eine einfache Ansteuerung der Vakuumpumpe im intermittierenden Betrieb durch passende Wahl des Tastverhältnisses und im kontinuierlichen Betrieb durch passende Drehzahl der Pumpe völlig ausreichend ist. Hier wird der Fachmann durch einfache Versuche das gewünschte Ergebnis finden. In Kombination mit den vorgeschlagenen Sicherheitskonzepten bietet die VP4 damit bereits ausführlich und abschließend Lösungen zur Ansteuerung der Vakuumpumpe, so dass der Fachmann ausgehend von der VP4 keinerlei Veranlassung hatte, noch zusätzlich eine Druckmessung an der Wundstelle vorzusehen und damit eine „Regelung“ und nicht nur eine „Steuerung“ der Pumpe vorzusehen.

181

3.3. Aber selbst wenn man mit Blick auf die bereits erläuterte VP5 und die weiteren Druckschriften VP18a, VP18b und VP18c der Behauptung der Klägerin zu 1), dass es immer ein grundlegendes Bedürfnis sei, den Druck an der Wundstelle zu messen, folgen wollte, gelangte der Fachmann nicht naheliegend zum Merkmal M1.8c.

182

Die VP18a zeigt einen Multilumen-Katheter, der in die Gallenblase zur Gallensteinentfernung eingesetzt wird und ein Lösungsmittelinfusionslumen, ein Lösungsmittelabsauglumen und ein drittes Lumen zur Messung des internen Flüssigkeitsdrucks in der Gallenblase aufweist (siehe Seite 6 Zeile 25 bis Seite 7 Zeile 2, Fig. 3, 4, 9, 9A).

183

Die VP18b und die VP18c zeigen integrale Katheteranordnungen zur interkraniellen Drucküberwachung und Drainage, wobei ein Doppellumen-Katheter über ein Lumen eine kontinuierliche Überwachung des intrakraniellen Drucks ermöglicht, während über das andere Lumen gleichzeitig eine Drainage oder Probenentnahme erfolgt (siehe VP18b: Seite 1 Zeilen 6-15, Seite 9 Zeilen 2-16, Fig. 2, 12; VP18c: Spalte 1 Zeilen 5-15, Fig. 2, 12).

184

Auch wenn nun die VP18a bis VP18c eine Druckmessung an der Katheterspitze mittels eines Multilumen-Katheters vorsehen und der Fachmann diese Lehre auf die VP4 derart übertragen würde, dass er – wie bei der VP5 auch – den Druck an der Wundstelle messen würde, würde er dennoch nicht zum Merkmal M1.8c gelangen.

185

Während nämlich bei der VP18a bis VP18c am distalen Ende (also außerhalb des Patientenkörpers) die einzelnen Lumen einfach aufgefächert und an die jeweiligen Ressourcen angeschlossen werden können, stellt sich bei der VP4 – wie schon bei der VP5 auch – das Problem, dass der Kanal, der nun für die Druckmessung vorgesehen werden soll, gemeinsam mit dem Saugschlauch 12 vom Unterdruckapparat 29 bzw. Wundabschirmung 10 zum Anschluss 32 des Auffangbehälters 33 geführt werden muss (siehe VP4: Fig. 1) und zwar derart, dass die Druckmessleitung als äußere Kanäle um die innenliegende Saugleitung in einer Multilumenleitung angeordnet ist. Dies ist aber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weil dann nämlich am Anschluss 32 des Auffangbehälters 33 zum Unterdruckapparat 29 und am Anschluss 34 zur Vakuumpumpe 40 konstruktive Maßnahmen notwendig werden, um die innere Saugleitung und die äußeren Druckmesskanäle innerhalb der Multilumenleitung voneinander zu trennen, wie dies im Streitpatent gelöst wird (siehe Fig. 5B und 5C in Verbindung mit Spalte 5 Zeilen 3-18). Diese Problematik ist aber weder in der VP4 – ebenso wenig wie in der VP5 – noch in einer der VP18a bis VP18c in irgendeiner Weise thematisiert worden, so dass der Fachmann niemals in Erwägung ziehen würde, eine Druckmessleitung über den Auffangbehälter 33 zu führen. Dementsprechend ist es dem Fachmann auch nicht nahegelegt, den Saugschlauch 12 der VP4 und eine Druckmessleitung als Multilumenleitung gemäß M1.8c auszuführen, geschweige denn die Kanäle zur Druckmessung in der Multilumenleitung um die innenliegende Saugleitung anzuordnen.

186

3.4. Soweit sich die Klägerin zu 1) noch auf die VP15 und VP20 sowie die VP7 und VP16 stützt, führen auch diese den Fachmann nicht weiter.

187

So zeigt die VP15 ein Wunddrainagesystem mit kontinuierlichem Unterdruck, wobei ein von der Wunde W ausgehendes Drainagerohr 22 über eine Auffangflasche 220, einen hydrophoben Filter 243 mit dem Vakuumpumpenkopf 31 als Unterdruckquelle verbunden ist (siehe Fig. 7, 11 in Verb. mit Spalte 8 Zeilen 66ff., Spalte 9 Zeilen 22-27, Spalte 11 Zeilen 54ff., Spalte 13 Zeilen 34ff.) Zwar wird bei der VP15 auch ein (Unter-) Druck gemessen, jedoch befindet sich der Drucksensor 35 hinter der Auffangflasche 220 und dem hydrophoben Filter 243.

188

Auch die VP20 schlägt ein Wunddrainagesystem vor, bei dem ein Polster 36 (siehe Fig. 2, 5, 6, 9) über den Saugschlauch 38 mit einem Ansaugstutzen 35 an einem Wunddrainageauffangbehälter 19 angeschlossen wird. Der Wunddrainagebehälter 19 wird in die Kammer 18 auf der Rückseite eines Vakuumpumpengeräts 10 eingesteckt, wobei im eingesteckten Zustand der Ablaufstutzen 44 des Wunddrainagebehälters 19 mit der Anschlussöffnung 45 des Vakuumpumpengeräts 10 verbunden wird und so über den Schlauch 62, die T-Stücke 91 und 88 sowie den Filter 85 mit der eigentlichen Vakuumpumpe 84 verbunden ist. Ferner weist das Vakuumpumpengerät 10 einen Drucksensor 75 auf, der in der Saugleitung 62 den Druck misst.

189

Zwar gibt die VP20 auf Seite 17 im mittleren Absatz an, dass aufgrund eines Dämpfungseffekts der vom Drucksensor 75 gemessene Druck eine exakte Anzeige des Drucks an der Wundstelle ist (´This dampening effect, facilitated by restrictor 89 in line 93 between transducer 75 and T-i unction 9 1, causes the pressure measured by transducer 75 to be an accurate indication of actual wound site pressure´). Jedoch führt die VP20 im nächsten Satz aber auch aus, dass der Drucksensor 75 über die Leitung 93 mit der Schlauchleitung 62 in Verbindung steht, um den Druck im Aufnahmebehälter 94 zu messen (´Transducer 75 communicates with line 62 via line 93 to measure tank 94 pressure…´).

190

Es kann nun dahingestellt bleiben, welchem Druck der vom Drucksensor 75 gemessene Druck nun wirklich entspricht, denn auch die VP20 kann den Fachmann nicht in Richtung des Merkmals M1.8c lenken.

191

Hier ist nämlich zu berücksichtigen, dass innerhalb des Wunddrainagebehälters 19 vor seinem Ablaufstutzen noch ein Filter 44 liegt und sich somit im Verlauf der Saugleitung vom Polster bis zum Ort des Drucksensors noch der Wunddrainagebehälters 19 mit seinen Ansaug- und Ablaufstutzen 35 bzw. 44 und dem Filter 46 befinden (siehe Seite 10 zweiter Absatz).

192

Dass der Fachmann nun von dieser Lehre der VP20 abweicht und stattdessen Kanäle vom Polster zum Drucksensor in einer Multilumenleitung um die Saugleitung vorsieht, liegt dem Fachmann fern. Zum einen fehlt ihm hier schon die Veranlassung, da die VP20 ja lehrt, dass der an einer ganz anderen Stelle gemessene Druck aufgrund eines Dämpfungseffekts dem Druck an der Wundstelle entspräche. Zum anderen aber stößt er hier wieder auf das Problem, wie er bei Verwendung einer Multilumenleitung die Druckmesskanäle und die innenliegende Saugleitung zumindest am Ansaugstutzen 35 des Wunddrainagebehälters 19 auseinanderfädelt.

193

Auch wenn damit die VP15 und die VP20 zwar eine Druckmessung zur Steuerung einer Vakuumpumpe vorsehen, ist in beiden Fällen aber jeweils ein Drucksensor in der Saugleitung vorgesehen, der hinter einem Filter und einem Auffangbehälter angeordnet ist. Insofern können weder die VP15 noch die VP20 dem Fachmann die Anregung geben, für den Drucksensor stattdessen Kanäle vorzusehen, die bis direkt an die Wundstelle reichen und gleichzeitig noch außen um die Saugleitung in einer Multilumenleitung zu führen, wobei dann noch das Hindernis dazukommt, dass Saugleitung und Druckmesskanäle am Anschluss zum Auffangbehälter aufgefächert werden müssen.

194

3.5. Diese Beurteilung ändert sich auch, wenn der Fachmann ferner auch die VP7 und VP16 in seinen Überlegungen einbezog.

195

Die VP7 (ebenso wie die VP18d, die die Priorität der VP7 in Anspruch nimmt) schlägt für eine Drainagevorrichtung zum Absaugen von Fluiden aus einer Körperhöhle, insbesondere der Pleurahöhle (siehe Abstract), einen doppelläufigen Schlauch bzw. eine doppelläufige Sonde vor, wobei ein größeres Lumen des Schlauchs dem Absaugen von Fluiden aus einer Körperhöhle und ein kleineres Lumen des Schlauchs der permanenten oder intermittierenden Zufuhr eines Gases in die Körperhöhle dient, so dass praktisch eine Durchspülung der Körperhöhle stattfinden kann (siehe Spalte 1 Zeile 66 bis Spalte 2 Zeile 7). Insbesondere wird das distale Ende der doppelläufigen Sonde mit dem abführenden Teil 52 und dem zuführenden Teil 54 in den Pleurahöhle 12 vorgeschoben (siehe Fig. 4, 5; Spalte 4 Zeilen 26-31, Spalte 5 Zeilen 2-7, 30-40), außerhalb des Körpers teilen sich die beiden Lumen in Form einer Y-Kabels (siehe Fig. 3 in Verb. mit Spalte 5 Zeilen 21-29).

196

Zwar ist gemäß Fig. 5 im zuführenden Schenkel 54 ein Manometer 90 vorgesehen (siehe Spalte 5 Zeilen 56-62 mit Fig. 5), das eine Druckmessung im zuführenden Schenkel 54 ermöglicht.

197

Jedoch kann auch die VP7 den Fachmann nicht in Richtung des Merkmals M1.8c führen, denn wie die Fig. 2a und 2b zeigen, befindet sich das kleinere zuführende Lumen 54 am Rand des doppelläufigen Schlauchs 50. Einerseits führt damit die Lehre der VP7 davon weg, das kleinere zuführende Lumen stattdessen als mehrere äußere Kammern um das (größere!) abführende Lumen herum in einer Multilumenanordnung anzuordnen. Andererseits lässt sich aufgrund des Querschnitts das am Rand liegende zuführende Lumen 54 leicht aus dem doppelläufigen Schlauch heraustrennen, so dass auch die VP7 keinen Beitrag dazu leisten kann, wie der Fachmann das Hindernis überwinden sollte, die innenliegende Saugleitung und die äußeren Druckmesskanäle einer Multilumenleitung am polsterseitigen Anschluss des Sammelgefäßes F der VP5 oder am Anschluss 32 des Auffangbehälters 33 der VP4 aufzufächern.

198

Die VP16 schlägt eine Pumpenvorrichtung und Überwachungseinrichtung zur Verwendung bei Pleuradrainagen vor, bei der sich eine Drainageleitung S in die Pleurahöhle des Patienten hineinerstreckt und auf der körperfernen Seite über eine Leitung 6, einen Regler 5 und eine Unterdruckkammer 2 mit einer Vakuumpumpe 3 verbunden ist. Zwar messen auch hier die Pressostate 7 und 8 den Druck in der Leitung 6, jedoch führt die VP16 vom Patentgegenstand weg, da hier nur eine einlumige Drainageleitung eingesetzt wird.

199

Weitere von der Klägerin schriftsätzlich herangezogene Kombinationen von Schriften liegen noch weiter ab und sind auch von der Klägerin nicht mehr in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden.

200

4. Die Unteransprüche 2 bis 4 nach Hilfsantrag E werden von der Bestandskraft des Patentanspruchs 1 mitgetragen. Die weitergehende Klage war deshalb abzuweisen. Eine Erörterung der weiteren von der Beklagten eingereichten Hilfsanträge ist danach nicht mehr veranlasst.

VI.

201

1. Die Kostenentscheidung in Bezug auf die Klägerin zu 1 beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.

202

2. Die Kostenentscheidung in Bezug auf die Klägerin zu 2 beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

203

2.1. Bei der ergänzend unter Billigkeitsgesichtspunkten nach § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG zu treffenden Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 2 die gemäß Urteil des Bundesgerichtshof festgestellte Fassung des Streitpatents weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren und nach Zurückverweisung angegriffen hat und es dem Kläger im Patentnichtigkeitsverfahren andererseits verwehrt ist, einen Patentanspruch in der Weise beschränkt anzugreifen, dass der Inhaber des Streitpatents durch eine in den Klageantrag aufgenommene Neufassung der angegriffenen Patentansprüche festgelegt wird. Es ist ausschließlich Sache des Patentinhabers, das erteilte Patent in einer von ihm neu gefassten eingeschränkten Fassung zulässig zu verteidigen, um die vollständige Nichtigerklärung zu vermeiden. Es ist daher ebenso wenig Sache des Nichtigkeitsklägers bei Klageerhebung wie des Gerichts, von sich aus in eine Prüfung darüber einzutreten, inwieweit in einem insgesamt als nicht schutzfähig angegriffenen Patentanspruch ein bestandsfähiges Minus enthalten ist. Daraus folgend entspricht es der Billigkeit gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG abweichend vom Unterliegensprinzip und den entsprechend geltenden Kostengrundsätzen der §§ 91 ff., 269 Abs. 3 ZPO nicht der Klägerin zu 2, sondern dem Patentinhaber das mit der Möglichkeit einer zulässigen Beschränkung durch Neufassung des Patentanspruchs verbundene Kostenrisiko aufzubürden, welches hinsichtlich des überschießenden ursprünglichen Klageantrags entsteht, wenn dieser nicht angegriffen wird (BPatG Urt. v. 27.11.2012, 4 Ni 47/10 (EP) = GRUR 2013, 655 – Kosten bei Teilnichtigkeit; BPatG GRUR 2009, 46 - Ionenaustauschverfahren). Dies muss auch unabhängig davon gelten, ob die Beschränkung von der Patentinhaberin selbst erklärt wurde oder – wie im vorliegenden Fall – vom Bundesgerichtshof eine Beschränkung des Patents im Berufungsverfahren ausgesprochen wurde, die die Klägerin zu 2 zu keinem Zeitpunkt angegriffenen hat . Entscheidend ist, darauf abzustellen, dass die Klägerin zu 2 sich mit der beschränkten Fassung sofort einverstanden erklärt und die weitergehende Klage nicht verfolgt.

204

Danach war auch vorliegend insoweit keine anteilige Kostenauferlegung zu Lasten der Klägerin zu 2 geboten als das Streitpatent im ausgeurteilten Umfang der neugefassten zulässig beschränkten Patentansprüche Bestand hat.

205

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

VII.

206

Da Richter am BPatG Schmidt-Bilkenroth als erkennender Richter des im Anschluss an die mündliche Verhandlung erlassenen und nach § 94 Abs. 1 Satz 1 PatG am 19. Juni 2015 verkündeten Urteils mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 aufgrund seines Wechsels an das Deutsche Patent- und Markenamt aus dem Richterdienst als Richter am BPatG ausgeschieden ist, war er an der Unterschrift des zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgesetzten Urteils verhindert, so dass seine Unterschrift zu ersetzen war. Nach zutreffender Ansicht begründet das Ausscheiden eines Richters aus dem Richterdienst nach Verkündung des unter seiner Teilnahme gefällten Urteils i. S. v § 309 ZPO (hierzu BGH NJW-RR 2015, 893; NJW-RR 2012, 508; BAG Beschl. v. 6.5.2015, 2 AZN 984/14) eine Verhinderung aus rechtlichen Gründen i. S. v. § 315 Abs. 1 Satz 2 (BGH NJW 2011, 1741 Tz. 22; BVerwG NJW 1991, 1192 zu § 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO, mwN, auch bejahend für den Wechsel an ein anderes Gericht; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 315 Rn. 1, § 163 Rn. 8; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 315 Rn. 1; aA Vollkommer NJW 1968, 1309), gleich aus welchem Grund das Ausscheiden erfolgt (BayObLG NJW 1967, 1578).

207

Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

BESCHLUSS

(hier: Berichtigung des Urteils vom 28. Dezember 2015)

In der Patentnichtigkeitssache

...

betreffend das europäische Patent 1 088 569

(DE 696 29 507)

(hier: Tenorberichtigung)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 6. April 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Engels, der Richterin Kopacek, des Richters Dipl. – Phys. Univ. Dr. Müller, des Richters Dipl. Ing. Univ Schmidt-Bilkenroth und der Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer beschlossen:

Der Tenor des in der mündlichen Verhandlung am 28. Dezember 2015 verkündeten Urteils wird in Ziff. 2 in Satz 2 gefasst wie folgt:

„Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 trägt die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin zu 1 zu 1/3, zu 2/3 die Beklagte selbst.“

Gründe

Der Wortlaut der Kostenentscheidung im Urteil vom 28. Dezember 2015: „Die gerichtlichen Kosten einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 1 zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 trägt die Beklagte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 trägt die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3, im Übrigen jede Partei selbst“ enthält keine Angabe zu den außergerichtlichen Kosten der Beklagten, weshalb die Beklagte bezüglich der außergerichtlichen Kosten keine Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Klägerin zu 1 hätte. Obwohl die Klägerin zu 1 der Beklagten gegenüber nicht voll obsiegt hat, was auch in der Bezugnahme auf § 92 Abs. 1 ZPO in Ziff. VI.1 der Gründe des Urteils zum Ausdruck kommt, war insofern die Kostenentscheidung zu berichtigen, da der Urteilstenor insoweit eine offensichtliche Unrichtigkeit und Auslassung aufweist.

Die Verfahrenbeteiligten, die der Senat mit Verfügung vom 15. März 2017 von der beabsichtigten Tenor-Berichtigung informiert hat, haben hierzu keine Stellungnahme abgegeben, sodass von ihrem Einverständnis mit der Berichtigung auszugehen ist.