Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 27.11.2012


BPatG 27.11.2012 - 4 Ni 47/10 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile (europäisches Patent)" – zur Kostenverteilung aus Billigkeitsgründen bei Selbstbeschränkung und teilweiser Klagerücknahme


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
27.11.2012
Aktenzeichen:
4 Ni 47/10 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Kosten bei Teilnichtigkeit

Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach die beklagte Patentinhaberin im Nichtigkeitsverfahren aus Billigkeitsgründen gem. § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG die gesamten Kosten des Rechtsstreits auch dann zu tragen hat, wenn die Klägerin nach zulässiger Selbstbeschränkung durch Neufassung der angegriffenen Patentansprüche die Klage insoweit zurücknimmt und das Streitpatent ohne weitere Sachprüfung nur für nichtig erklärt wird, soweit es nicht verteidigt wird (im Anschluss an BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 480 586

(DE 503 06 581)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Friehe und Richter Dipl.-Phys. Dr. rer.nat. Müller, Dipl.-Ing. Veit und Dipl.-Ing. Univ. Schmidt-Bilkenroth

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent EP 1 480 586 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im angegriffenen Umfang insoweit für nichtig erklärt, als die Patentansprüche 1 und 3 bis 8 wie folgt lauten und Patentanspruch 2 entfällt:

1. Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile, insbesondere des Penis, die einen Stützring (1), mindestens eine am Stützring (1) gelenkig befestigte, axial federnd gelagerte und graduell längenverstellbare Streckstange (2) sowie ein am distalen Ende der Streckstange (2) gehaltenes, das Körperteil umspannendes Befestigungsmittel (3) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass das Befestigungsmittel (3) als ein- oder zweiteiliges, im Wesentlichen zylindrisch vorgeformtes und das betreffende Körperteil ganz oder teilweise weichelastisch umschließendes Bauteil (14, 18; 22 bis 24) mit an dessen Umfang angebrachten, nach dem Anlegen des Befestigungsmittels (3) seitlich am Umfang der Streckstange (2) verrastbaren Halteclips (15) ausgebildet ist, wobei die Halteclips (15) als in Längsrichtung durchgehende geschlitzte Zylinder mit federnden Seitenwangen (15a) und einer distalen Anschlagplatte (16) ausgebildet sind.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Halteclips (15) vom in Streckrichtung distalen Bereich des Befestigungsmittels (3) ausgehen und sich über dessen distales Ende hinaus erstrecken.

4. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Befestigungsmittel (3) aus einer konkav gewölbten Aufnahmeschale (14) mit den seitlich vom distalen Ende ausgehenden Halteclips (15) und einem elastischen Spannelement (18) besteht.

5. Vorrichtung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass das Spannelement (18) aus einem gewölbt vorgeformten weichelastischen Halteteil (18a) mit von dessen Enden ausgehenden, elastisch dehnbaren Spannbändern (18b) besteht, wobei an den Außenflächen der Spannbänder (18b) Raststege (18c) zum Arretieren der Spannbänder in Schlitzöffnungen (17) der Aufnahmeschale (14) und Zuglaschen (18d) zum Lösen der Spannbänder (18b) und zum Begrenzen der Spannkräfte angeformt sind.

6. Vorrichtung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Raststege (18c) und die Schlitzöffnungen (17) abgerundete Kanten haben.

7. Vorrichtung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Stärke des gewölbten Halteteils (18a) um ein Mehrfaches größer ist als die der elastischen Spannbänder (18b).

8. Vorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Spannelement (18) in Längsrichtung variabel an der Aufnahmeschale (14) fixierbar ist, wobei die Länge der Schlitzöffnungen (17) größer als die Breite des Spannbandes (18b) ist.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

I.

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 480 586 (Streitpatent), das am 6. März 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität des deutschen Gebrauchsmusters DE 20203927 U vom 7. März 2002 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 503 06 581 geführt. Es betrifft eine Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile und umfasst 20 Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 1 bis 8 angegriffen sind.

2

Patentanspruch 1 lautet:

Abbildung

Abbildung

3

Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

4

Nach der Beschreibungseinleitung sind im Stand der Technik Streckgeräte bekannt, mit deren Hilfe es ohne operativen Eingriff möglich ist, auf der Grundlage einer dauernden Dehnung des Gewebes durch Einwirkung einer Streckkraft eine bleibende Verlängerung bestimmter Körperteile, zum Beispiel des Penis, zu erzielen. Die Benutzung dieser Vorrichtungen ist aber teils mit Verletzungsgefahren verbunden, teils erfordert das Anlegen dieser Vorrichtungen auch ein erhebliches Maß an Geschicklichkeit.

5

Die Patentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, eine Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile, insbesondere des Penis so auszubilden, dass beim Anlegen und bei der ständigen Benutzung eine einfache, komfortable und schmerzfreie Handhabung gewährleistet ist.

6

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

7

MA Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile, insbesondere des Penis, die

8

MB einen Stützring (1),

9

MC mindestens eine am Stützring (1) gelenkig befestigte,

10

MD axial federnd gelagerte und

11

ME graduell längenverstellbare Streckstange (2)

12

MF sowie ein am distalen Ende der Streckstange (2) gehaltenes, das Körperteil umspannendes Befestigungsmittel (3) umfasst,

13

dadurch gekennzeichnet, dass

14

MG das Befestigungsmittel (3) als im Wesentlichen zylindrisch vorgeformtes und das betreffende Körperteil ganz oder teilweise weichelastisch umschließendes Bauteil (14, 18; 22 bis 24) mit

15

MH nach dem Anlegen des Befestigungsmittels (3) seitlich am Umfang der Streckstange (2) verrastbaren Halteclips (15) ausgebildet ist.

16

Die Klägerin, die mit der Nichtigkeitsklage das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 8 angreift, macht geltend, dass der erteilte Patentgegenstand gegenüber dem Inhalt der Anmeldung unzulässig erweitert und nicht patentfähig sei. Darüber hinaus könne das Streitpatent auch die Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 202 03 927 vom 7. März 2002, bekannt gemacht am 4. Juli 2002, nicht wirksam in Anspruch nehmen, so dass dieses dem Streitpatent ebenfalls als Stand der Technik entgegenstehe.

17

Die Beklagte hat zuletzt im angegriffenen Umfang das Streitpatent nach Hauptantrag nur beschränkt in der im Urteilstenor wiedergegebenen Fassung sowie hilfsweise in einer weiter eingeschränkten Fassung verteidigt und beantragt, die Klage insoweit abzuweisen.

18

Die Klägerin, welche zunächst beantragt hatte, das europäische Patent EP 1 480 586 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 8 für nichtig zu erklären, hat daraufhin die so nach Hauptantrag eingeschränkte Fassung nicht mehr angegriffen und insoweit die Klage zurückgenommen.

19

Wegen des Wortlauts der hilfsweise verteidigten Fassung der angegriffenen Patentansprüche sowie des weiteren Vorbringens der Parteien und des Inhalts der Unterlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

20

Die zulässige, auf Teilnichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der Patentansprüche 1 bis 8 gerichtete Klage ist begründet und führt aufgrund der zulässigen, nach teilweiser Klagerücknahme nicht mehr angegriffenen Selbstbeschränkung ohne weitere Sachprüfung zur Nichtigerklärung des Streitpatents in dem im Urteilstenor ausgesprochenen Umfang.

21

Soweit der verkündete Urteilstenor im Patentanspruch 1 in der drittletzten Zeile die Worte „ausgebildet sind“ (und nicht „ausgebildet ist“) enthält, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO.

22

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Patentinhaberin im Nichtigkeitsverfahren das Streitpatent im Umfang des Angriffs auch ausschließlich beschränkt verteidigen mit der Folge, dass das insoweit nicht mehr verteidigte Patent ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären ist, da eine sachliche Überprüfung nur im Rahmen der von den Streitparteien bindend gesetzten Grenzen zu erfolgen hat (BGH GRUR 2005, 145, 146 – elektrisches Modul; BPatG GRUR 2009, 46, 49 – Ionenaustauschverfahren; BPatG GRUR 2009, 1195 – Kostenverteilung aus Billigkeitsgründen; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl., 2011, Rdn. 226ff.; zur Selbstbeschränkung auf Null vgl. auch Senat Urt. v. 18.7.2012, 4 N 3/12; BPatG GRUR 2010, 137 – Oxaliplatin).

23

Die von der Beklagten zuletzt nach Hauptantrag verteidigte Fassung der angegriffenen Patentansprüche 1 bis 8 erweist sich als patentrechtlich zulässig und ermöglicht deshalb eine entsprechende beschränkende Gestaltung des Streitpatents durch das erkennende Urteil; insbesondere sind in den Patentansprüchen 1 bis 8 aufgrund der Änderungen und Zusammenführung der Patentansprüche 1 und 2 zu dem nunmehr verteidigten Patentanspruch 1 auch keine unzulässige Erweiterungen gegenüber dem Inhalt der Anmeldung und gegenüber dem Prioritätsdokument enthalten, was mit den Parteien bereits in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden ist.

II.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Halbs. 1 PatG i. V. mit § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. mit § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO. Danach sind unter Billigkeitsgesichtspunkten die Kosten des Verfahrens trotz der teilweisen Klagerücknahme ausschließlich der Beklagten aufzuerlegen.

25

Der Senat teilt die Auffassung, dass die Klägerin auch bei einer nur teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents dann keine anteilige Kostenlast trifft, wenn sie bei Klageerhebung keine Möglichkeit hat, ihre Klage bereits insoweit eingeschränkt zu erheben, was insbesondere dann der Fall ist, wenn – wie vorliegend – die angegriffenen Patentansprüche durch Aufnahme weiterer Merkmale beschränkt werden und das Streitpatent insoweit zulässig verteidigt wird. Denn der Klägerin ist es verwehrt, einen Patentanspruch in der Weise beschränkt anzugreifen, dass der Inhaber des Streitpatents durch eine in den Klageantrag aufgenommene Neufassung des angegriffenen Patentanspruchs festgelegt wird. Die Klägerin ist auch aus Kostengesichtspunkten nicht verpflichtet, derartige, für sie akzeptable Beschränkungen vorgerichtlich oder im Rahmen der Klage vorzuschlagen, da den Patentinhaber und nicht die Klägerin Rechte und Pflichten aus dem Patent treffen, und es deshalb auch nicht ihre Aufgabe ist, zur Begrenzung des Streitgegenstands und Kostenrisikos Beschränkungen vorzuschlagen. Zudem würde die dem Patentinhaber nach der ständigen Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie gewährte Gunst, zur Beschränkung seines Patents nicht stets auf ein isoliertes Beschränkungsverfahren i. S. von § 64 PatG bzw. Art. 105a EPÜ ausweichen zu müssen, sondern diese auch im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens herbeiführen zu können (BGH GRUR 2005, 145, 146 – elektrisches Modul), zu einer für die Klägerin unbilligen kostenmäßigen Verschiebung des isolierten Beschränkungsverfahrens in das Nichtigkeitsverfahren führen (BPatG GRUR 2009, 46, 50 – Ionenaustauschverfahren , m. w. H.).

26

Hiervon ausgehend ist deshalb aufgrund der ergänzend heranzuziehenden Billigkeitsgründe gem. § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG abweichend vom Unterliegensprinzip und den entsprechend geltenden Kostengrundsätzen der §§ 91ff., 269 Abs. 3 ZPO der Patentinhaberin das mit der Möglichkeit einer zulässigen Beschränkung durch Neufassung des Patentanspruchs verbundene Kostenrisiko aufzubürden, welches hinsichtlich des überschießenden ursprünglichen Klageantrags entsteht, wenn die im Verlaufe des Verfahrens beschränkt verteidigte Fassung des Streitpatents nicht angegriffen wird und die Klägerin sich mit dieser Fassung sofort einverstanden erklärt (BPatG GRUR 2009, 46, 50 – Ionenaustauschverfahren ,m. w. H.).