Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 15.05.2018


BPatG 15.05.2018 - 4 Ni 12/17

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Truvada (ergänzendes Schutzzertifikat)" – zu den Voraussetzungen und zum Prüfungsumfang für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel – zur Spezifizierung eines Wirkstoffs – zur Verwendung von Oberbegriffen und funktionellen Umschreibungen - zu den Erteilungsvoraussetzungen eines Schutzzertifikats bei Wirkstoffkombinationen zweier antiretroviraler Wirkstoffe


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
15.05.2018
Aktenzeichen:
4 Ni 12/17
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:150518U4Ni12.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 1 Buchst b EGV 469/2009
Art 3 Buchst a EGV 469/2009
Art 3 Buchst c EGV 469/2009
Art 4 EGV 469/2009
Art 15 Abs 1 Buchst a EGV 469/2009
Art 69 EuPatÜbk
Art 105a EuPatÜbk

Leitsätze

Truvada

1. Art. 3 Buchst. a Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (AM-VO) weist mit der Forderung für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ESZ), dass „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“, ein eigenständiges Kriterium auf, für welches nicht nur eine am Schutzumfang des Patentanspruchs nach Art. 69 EPÜ orientierte Prüfung maßgeblich ist. Umfasst ist auch die Forderung, dass der Erfindungsgegenstand des Grundpatents in den Patentansprüchen erkennbar hinreichend konkretisiert zum Ausdruck kommt, nämlich der durch das ergänzende Schutz-zertifikat verlängerte Schutz des konkreten Wirkstoffs oder der Wirkstoffzusammensetzung als Schutz-gegenstand i. S. v. Art. 4 AM-VO.

2. Als nicht maßgeblich und bereits aus dogmatischen Gründen unerheblich für die Feststellung des erkennbaren Erfindungsgegenstandes sieht der Senat im Rahmen der Erteilungsvoraussetzungen des Art. 3 AM-VO sonstige Kriterien an, wie die Frage, ob der Wirkstoffzusammensetzung oder dem Wirkstoff, welche die durch das ESZ geschützte Erzeugnis bilden, im Rahmen des Grundpatents Erfindungsqualität zukommt (core invention-Ansatz).

3. Für die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zumindest erforderliche Spezifizierung eines Wirkstoffs als Erfindungsgegenstand des Grundpatents im Falle bloßer funktioneller Umschreibung in den Patentansprüchen (GRUR 2014, 163 – Eli Lilly) sind nicht die Kriterien maßgeblich, welche an eine ausreichende ursprüngliche Offenbarung einer Lehre im Rahmen möglicher Beschränkungen des erteilten Patents im Bestandsverfahren oder nach § 64 PatG, Art. 105a EPÜ zu stellen sind.

4. Oberbegriffe oder funktionelle Umschreibungen beziehen sich nur dann stillschweigend, aber notwendigerweise und in spezifischer Art und Weise auf einen im Grundpatent nicht als erfindungsgemäß angesprochenen Wirkstoff, wenn zugleich ausgeschlossen ist, dass auch andere Wirkstoffe ebenfalls derartige Repräsentanten der in den Patentansprüchen des Grundpatents enthaltenen funktionellen Umschreibung oder des enthaltenen Oberbegriffs sein können, welche zwar unter diese subsumiert werden können, die aber die spezifischen arzneilichen Eigenschaften bzw. Wirkweisen des in Rede stehenden Wirkstoffs trotz sonstiger Gemeinsamkeiten im weiteren Sinne gerade nicht teilen.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das ergänzende Schutzzertifikat DE 12 2005 000 041

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richterin Kopacek, die Richter Dipl.-Chem. Dr. Jäger und Dipl.-Chem. Dr. Wismeth sowie die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner für Recht erkannt:

I. Das ergänzende Schutzzertifikat DE 12 2005 000 041 wird für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit der vorliegenden Klage angegriffenen ergänzenden Schutzzertifikats 12 2005 000 041 (Streitzertifikat), das mit Beschluss des Bundespatentgerichts vom 12. Mai 2011, 15 W (pat) 24/07 (TM7, IB7), unter Aufhebung des Beschlusses der Patentabteilung 1.43 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 20. September 2007 im Beschwerdeverfahren erteilt worden ist für

2

„Tenofovir Disoproxil und die Salze, insbesondere das Fumarat, Hydrate, Tautomere und Solvate davon in Kombination mit Emtricitabine”,

3

mit einer Laufzeit bis zum 21. Februar 2020.

4

Das Streitzertifikat ist von der Beklagten am 5. Juli 2005 als Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 915 894 B1 (Grundpatent) für das Erzeugnis „Tenofovir Disoproxil und die Salze, insbesondere das Fumarat, Hydrate, Tautomere und Solvate davon in Kombination mit weiteren therapeutischen Bestandteilen, insbesondere Emtricitabine“ angemeldet worden. Als Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses in der Europäischen Gemeinschaft hat sie den 21. Februar 2005 genannt. Mit diesem Datum hat die Europäische Kommission dem Erzeugnis „Truvada – Emtricitabine / Tenofovir Disoproxil“ die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft nach Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 erteilt. Diese Zulassung besteht fort.

5

Die Patentabteilung 1.43 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) hatte mit Beschluss vom 20. September 2007 den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar sei die Wirkstoffkomponente „Tenofovir Disoproxil und die Salze, insbesondere das Fumarat, Hydrate, Tautomere und Solvate davon“ durch den Patentanspruch 1 mit der allgemeinen Formel 1a des Grundpatents geschützt, nicht dagegen die Wirkstoffkomponente „Emtricitabine“. Der Fachmann finde in der gesamten Anspruchsfassung des Grundpatents keinerlei Anzeichen, die gegebenenfalls unter Heranziehung der Beschreibung auf den Wirkstoff Emtricitabin hinweisen könnten. Im Patentanspruch 27 werde eine pharmazeutische Zusammensetzung offenbart, die eine Verbindung nach irgendeinem der Patentansprüche 1 bis 25 zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger und gegebenenfalls anderen therapeutischen Bestandteilen enthalte. Während Erstere in der Beschreibung ausführlich dargestellt würden, fände sich für die „anderen therapeutischen Bestandteile“ keine einzige Bemerkung, obwohl zum Prioritätstag zahlreiche antivirale Wirkstoffe bekannt gewesen seien. Damit gebe Patentanspruch 27 dem Fachmann keinen Hinweis auf Emtricitabin als mögliche weitere Wirkstoffkomponente. Dieser Wirkstoff sei also vom Grundpatent nicht geschützt und die essentielle Voraussetzung des Art. 3 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 (nunmehr Verordnung (EG) Nr. 469/2009), wonach das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt sein muss, liege nicht vor.

6

Im Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht (BPatG) hat der 15. Senat den Beschluss des DPMA vom 20. September 2007 aufgehoben und das Streitzertifikat nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (folgend AM-VO genannt) mit der Begründung erteilt, dass Schutzgegenstand des Schutzzertifikates nach Art. 4 der AM-VO weder die arzneimittel-rechtliche Zulassung noch die patentierte Erfindung selbst sei, sondern ausschließlich das Erzeugnis im Sinne des Art. 1 Buchst. b AM-VO, also der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels in den Grenzen des nach Art. 3 Buchst. a AM-VO zum Zeitpunkt der Anmeldung des Erzeugnisses durch das Grundpatent gewährten Schutzes, mithin des gesamten Schutzbereichs des Grundpatents (EuGH C-392/97, GRUR Int. 2000, 69 – Farmitalia). Bei der Prüfung sei deshalb auf Art. 69 Abs. 1 EPÜ abzustellen und nicht allein auf den Schutzgegenstand des Grundpatents wie auch die Frage einer hinreichenden Offenbarung des Erzeugnisses im Grundpatent unerheblich sei. Denn der Umstand, dass das Grundpatent möglicherweise nicht auf den Wirkstoff beschränkt werden könne, hindere die Erteilung des Zertifikates nicht, solange der Wirkstoff in den Schutzbereich des Patents falle (BGH GRUR 2002, 415 – Sumatriptan).

7

Das zugelassene Erzeugnis, die Wirkstoffkombination aus Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin, falle zweifelsohne unter den Schutzbereich des Patentanspruchs 27, weil Tenofovir Disoproxil eine Verbindung nach den Patentansprüchen 1 und 25 und Emtricitabin ein „anderer therapeutischer Bestandteil“ sei.

8

Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Grundpatent nimmt die Priorität aus der US-Patentanmeldung 686838 vom 26. Juli 1996 in Anspruch und wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 697 22 004.4 geführt. In der deutschen Übersetzung trägt es die Bezeichnung: „Nukleotidanaloga“. Es umfasst 33 Patentansprüche. Die für die Beurteilung der Bestandsfähigkeit des Streitzertifikats wesentlichen Patentansprüche 1, 25 und 27 lauten wie folgt:

Abbildung

Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

9

Die Klägerinnen haben mit Schriftsätzen vom 26. April 2016, 29. April 2016, 11. August 2016 und 22. August 2016 Nichtigkeitsklage erhoben. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2016 sind die Verfahren verbunden worden.

10

Die Nichtigkeitsklagen richten sich gegen das Streitzertifikat. Sie werden auf den Nichtigkeitsgrund nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 3 Buchst. a der AM-VO gestützt. Die Klägerinnen machen die Nichtigkeit des Streitzertifikats nach dieser Vorschrift geltend, weil das Streitzertifikat entgegen Art. 3 Buchst. a AM-VO erteilt worden sei, da das dem Streitzertifikat zugrundeliegende Erzeugnis (die Wirkstoffkombination Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin) mangels Spezifizierung in den Patentansprüchen des Grundpatents nicht durch dieses geschützt sei.

11

Die Klägerin zu 1 stützt ihr Vorbringen u. a. auf folgende Schriften:

12

(NIK1) EP 0 915 894 B1 (= Grundpatent) [TM2, NK1, IB3]

13

(NIK2) EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2013, C-493/12 – Eli Lilly and Company v. Human Genome Sciences [IB11]

14

(NIK3) EuGH, Urteil vom 24. November 2011, C-322/10 – Medeva v. Comptroller General [NK5, IB8]

15

(NIK4) EP 1 583 542 B9 [ähnlich IB12]

16

(NIK5) (Anl-1) The High Court Commercial, Expert Report of Dr David Arnold Hawkins vom 29. Januar 2018, 2017 / 6494P – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. Teva Pharma, Norton (Waterford), Teva Pharmaceuticals Ireland. 9 Seiten, 182 Seiten Anlagen – Gutachten

17

(NIK6) (Anl-2) The High Court Commercial, Expert Report of Professor Stanley Michael Roberts vom 29. Januar 2018 2017 / 6494P – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. Teva Pharma, Norton (Waterford), Teva Pharmaceuticals Ireland. 12 Seiten, 254 Seiten Anlagen – Gutachten

18

(NIK7) (Anl-3) OLG Wien, Beschluss vom 19. Mai 2016, 34R25/16w

19

(NIK8) (Anl-4) OGH (Österreich), Beschluss vom 26. September 2016, 4Ob169/16f

20

(NIK9) (Anl-5) OHLY, Ansgar: Gutachten zur Auslegung des Art. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel im Rechtsstreit Teva GmbH et al. ./. Gilead Sciences, Inc. München: 31. Januar 2018. 10 Seiten – Gutachten

21

(NIK10) (Anl-6) Tribunal de grande instance de Paris, ordonnance de référé vom 5. September 2017, 17/57112 – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. S.A.S. Mylan [IB21]

22

(NIK11) (Anl-7) Tribunal de grande instance de Paris (High Court of Paris), Interim Proceedings Order vom 5. September 2017, 17/57112 – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. S.A.S. Mylan [englischsprachige Übersetzung zur NIK10] [IB21a]

23

und vertritt die Auffassung, dass der Europäische Gerichtshof weitergehende Anforderungen als diejenigen des Art. 69 EPÜ aufstelle, die beispielsweise in der Entscheidung „Eli Lilly“ (GRUR 2014, 163; NIK2, IB11) zu der dort formulierten Forderung der Identifizierbarkeit des Wirkstoffs führten. So sei unter Rn. 32 in der Entscheidung ausgeführt, dass „auch die Regeln des EPÜ anzuwenden seien“. Dies belege, dass der Europäische Gerichtshof hier zusätzliche Anforderungen aufstelle, ob nun als Teil der Auslegungskriterien oder jenseits der Auslegung des Art. 69 EPÜ. Ferner erfülle Patentanspruch 27 nicht annähernd die insoweit aufgestellten Voraussetzungen nach der Entscheidung „Eli Lilly“.

24

Es treffe nicht zu, dass ein Patentanspruch im Hinblick auf den Schutzgegenstand so gelesen werden könne, dass dieser gewisse Wirkstoffe umfasse, welche nicht genannt seien, welche der Fachmann aber möglicherweise zum Prioritätszeitpunkt kenne. Patentanspruch 27 sei nicht auf antiretrovirale Mittel für HIV zu lesen, sondern beziehe sich allgemein auf eine Vielzahl von Mittel und Erkrankungen, so Abs. [0044] der englischen Fassung des Grundpatents, wo HIV nur einmal erwähnt sei. Die Patentansprüche 26 und 27 hätten durchaus zulässig, z. B. auf Mittel gegen Herpes, eingeschränkt werden können. Die NiK5 und NiK6 bestätigten, dass unter „andere therapeutische Bestandteile“ auch Mittel gegen die Schmerzbehandlung und weitere Behandlungsziele subsumiert werden könnten.

25

Die Spezifizierung eines Wirkstoffs, wie sie die Beklagte als ausreichend sehe, werde der Forderung des Europäischen Gerichtshofs nicht gerecht. Die Beklagte räume selbst ein, dass als weitere Mittel Proteaseinhibitoren als Alternative zu NRTIs aus der Sicht des Fachmanns angesprochen seien, sodass die erforderliche Konkretisierung nicht vorliege.

26

Die Klägerin zu 2 stützt ihr Vorbringen u. a. auf folgende Schriften:

27

(TM2) EP 0 915 894 B1 (= Grundpatent) [NIK1, NK1, IB3]

28

(TM6) Truvada 200 mg/245 mg Filmtabletten. Zulassungsunterlagen Anhang I, II, III. 38 Seiten [ähnlich IB6a]

29

(TM7) BPatG, Beschluss vom 12. Mai 2011, 15 W (pat) 24/07 [IB7]

30

(TM8) SANDSTROM, Paul A.; FOLKS, Thomas M.: New strategies for treating AIDS. In: BioEssays, Vol. 18, 1996, No. 5, S. 343-346

31

(TM9) SHEWACH, Donna S.; LIOTTA, Dennis C.; SCHINAZI, Raymond F.: Affinity of the antiviral enantiomers of oxathiolane cytosine nucleosides for human 2’-deoxycytidine kinase. In: Biochemical Pharmacology, Vol. 45, 1993, No. 7, S. 1540-1543

32

(TM10) Netherlands Patent Office: Decision on objection concerning Certificate No. 300202. 2. Februar 2016. 9 Seiten

33

(TM11) OSBORNE, Randall: Gilead, Triangle Plan Merger: $464M Deal Pairs HIV Drugs. In: BioWorld Today, Vol. 13, 2002, No. 233, S. 1 und 6

34

(TM12) Deutsches Patent- und Markenamt, Bescheid vom 30. Juli 2014, Aktenzeichen 10 2008 000 033.5. 4 Seiten [IB18]

35

(TM13) High Court of Justice, Request for expedited determination of a preliminary reference, 23. Februar 2017. 4 Seiten [NK21]

36

(TM14) Landgericht München 1, Endurteil vom 17. August 2017, 7 O 11152/17 [ähnlich NK24, IB20]

37

(TM15) MUTSCHLER, Ernst: Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 7., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 1996, S. 652, 692, 712, 724-733, 747. – ISBN 3-8047-1377-7

38

(TM16) European Medicines Agency (EMA): Viread Tenofovir Disoproxil. EPAR summary for the public. 2014. 4 Seiten [IB16]

39

(TM17) MUTSCHLER, Ernst; GEISSLINGER, Gerd; KROEMER, Heyo K.; SCHÄFER-KORTING, Monika: Mutschler Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 8., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 2001, S. 841. – ISBN 3-8047-1763-2

40

(TM18) EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Melchior Wathelet vom 25. April 2018, C-121/17 – Teva, Accord Healthcare, Lupin, Lupin Europe, Generics v. Gilead Sciences

41

und vertritt ebenfalls die Auffassung, dass nicht ausschließlich auf das Fachwissen des Fachmanns abgestellt werden könne, um eine Konkretisierung zu leisten, sondern dass Art. 3 Buchst. a AM-VO darauf abstelle, dass diese Konkretisierung aus dem Grundpatent hergeleitet werden könne und sich am Grundpatent orientiere. Zudem kämen aus Sicht des Fachmanns als zweiter Kombinationspartner keineswegs nur antiretrovirale Wirkstoffe in Betracht; es ergäben sich hier auf drei Ebenen unterschiedliche Kombinationspartner, so auch Wirkstoffe, die nicht einmal antivirale Mittel seien (vgl. B15/1, Seite 13 ff. und Lehrbuch Mutschler TM15).

42

Die Klägerin zu 3 stützt ihr Vorbringen u. a. auf folgende Schriften:

43

(NK1) EP 0 915 894 B1 (= Grundpatent) [NIK1, TM2, IB3]

44

(NK5) EuGH, Urteil vom 24. November 2011, C-322/10 – Medeva v. Comptroller General [NIK3, IB8]

45

(NK6) EuGH, Beschluss vom 25. November 2011, C-630/10 – University of Queensland, CSL v. Comptroller General

46

(NK7) BPatG, Urteil vom 2. Mai 2012, 3 Ni 28/11 – Ranibizumab [IB10]

47

(NK8) Deutsches Patent- und Markenamt, Zwischenbescheid vom 23. Juli 2012, Aktenzeichen 10 2008 000 033.5. 3 Seiten

48

(NK9) EuGH, Urteil vom 12. März 2015, C-577/13 – Actavis v. Boehringer Ingelheim Pharma

49

(NK10) Britisch National Formulary. London: British Medical Association, The Pharmaceutical Press, 1996, No. 31, S. 264-269, Kapitel 5.3: Antiviral Drugs. – ISBN 0 85369 349 8 [B15/3]

50

(NK11) JAWETZ, Ernest: Antiviral Chemotherapy & Prophylaxis. In: KATZUNG, Bertram G. [Hrsg.]: Basic & Clinical Pharmacology. London: Prentice Hall, 1995, S. 730-737. – ISBN 0-8385-0619-4 [B15/3]

51

(NK12) LANGE, Joep: Combination Antiretroviral Therapy. Back to the Future. In: Drugs, Vol. 49, 1995, Suppl. 1, S. 32-37 [B15/2]

52

(NK13) DE JONG, Menno D. [et al.]: Consensus symposium on combined antiviral therapy. In: Antiviral Research, Vol. 29, 1995, S. 5-29 [B15/1 ]

53

(NK14) COLLIER, Ann C.: Efficacy of a combination antiretroviral therapy. In: MILLS, J. [et al.]: Antiviral Chemotherapy 4. New York: Plenum Press, 1996, S. 355-372 [B15/4]

54

(NK15) DE JONG, Menno D. [et al.]: Summary of the II International Consensus Symposium on Combined Antiviral Therapy and implications for future therapies. In: Antiviral Research, Vol. 35, 1997, S. 65-82

55

(NK16) Tabelle: Wirkstoffe, die zum Prioritätstag bekannt waren (Zusammenstellung aus NK10 bis NK15)

56

(NK17) EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2013, C-443/12 – Actavis Group, Actavis UK v. Sanofi Pharma Bristol-Myers Squibb

57

(NK18) European Medicines Agency (EMEA): Truvada. Background information on the procedure. 2005. 1 Seite

58

(NK19) European Medicines Agency (EMEA): Truvada. Scientific Discussion. 2005. 28 Seiten

59

(NK20) Commission of the European Communities: Proposal for a Council Regulation (EEC) concerning the creation of a supplementary protection certificate for medicinal products. COM (90) 101 final – SYN 255, Brüssel, 11. April 1990 – ISBN 92-77-59405-5

60

(NK21) High Court of Justice, Request for expedited determination of a preliminary reference, 23. Februar 2017. 4 Seiten [TM13]

61

(NK22) EuGH, Order vom 4. April 2017, C-121/17 – Teva, Accord Healtcare, Lupin, Lupin Europe, Generics v. Gilead Sciences

62

(NK23) RÖPKE, Axel: „AW: URGENT! Tenofovir/emtricitabine and Tenofovir mono (Plain)”. Informationsstelle für Arzneispezialitäten – IFA GmbH. E-Mail an Derk Vos vom 13. Juli 2017, 08:43 h. 1 Seite

63

(NK24) Landgericht München 1, Endurteil vom 17. August 2017, 7 O 11155/17 [ähnlich TM14, IB20]

64

(NK25) BPatG, Beschluss vom 17. Oktober 2017, 14 W (pat) 12/17

65

und weist darauf hin, dass auch der Erwägungsgrund 4 der AM-VO auf die Anmeldung für ein „Arzneimittel“ abstelle und deshalb eine Spezifizierung voraussetze. Ferner sei das Abgrenzungskriterium des Fachwissens des Fachmanns für die Frage, ob ein Wirkstoff umfasst sei, völlig unbestimmt und daher ungeeignet. Patentanspruch 27 sei nicht auf eine Kombinationstherapie eingeschränkt zu lesen und auch nicht ausschließlich auf eine Behandlung von HIV. Als weiteres Beispiel dafür, dass Patentanspruch 27 die weiteren Bestandteile nicht auf antiretrovirale Wirkstoffe einschränke, sei auf NK14, Seite 356 ff. zu verweisen sowie auf B18/9 und auf die lange Liste der dort genannten Wirkstoffe, bei der für Emtricitabin die Phase 2 nicht auf die Behandlung von AIDS, sondern auf die Behandlung von Hepatitis B gerichtet sei (vgl. insoweit auch NiK6).

66

Die Klägerin zu 4 stützt ihr Vorbringen u. a. auf folgende Schriften:

67

(IB3) EP 0 915 894 B1 (= Grundpatent) [NIK1, TM2, NK1]

68

(IB6) Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entscheidung der Kommission vom 21. Februar 2005 über die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Humanarzneimittels „Truvada – Emtricitabin / Tenofovir Disoproxil fumarat“ gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates. 3 Seiten

69

(IB6a) Truvada Filmtabletten. Zulassungsunterlagen Anhang I. 16 Seiten [ähnlich TM6]

70

(IB7) BPatG, Beschluss vom 12. Mai 2011, 15 W (pat) 24/07 [TM7]

71

(IB8) EuGH, Urteil vom 24. November 2011, C-322/10 – Medeva v. Comptroller General [NIK3, NK5]

72

(IB9) EuGH, Beschluss vom 25. November 2011, C-6/11 – Daiichi Sankyo v. Comptroller General

73

(IB10) BPatG, Urteil vom 2. Mai 2012, 3 Ni 28/11 – Ranibizumab [NK7]

74

(IB11) EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2013, C-493/12 – Eli Lilly and Company v. Human Genome Sciences [NIK2, NK17]

75

(IB12) EP 1 583 542 B1 [ähnlich NIK4]

76

(IB13) Europäisches Patentamt, Opposition Division, Beschluss vom 14. Februar 2011, Application No. 04 701 819.7. 26 Seiten

77

(IB14) EP 0 582 455 A1

78

(IB15) Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entscheidung der Kommission vom 5. Februar 2002 über die Zulassung des Humanarzneimittels „Viread – Tenofovir Disoproxil (als Fumarat)“ (Text von Bedeutung für den EWR). 3 Seiten

79

(IB16) European Medicines Agency (EMA): Viread Tenofovir Disoproxil. Zusammenfassung des EPAR für die Öffentlichkeit. 2014. 4 Seiten [TM16]

80

(IB17) Viread 245 mg Filmtabletten. Zulassungsunterlagen Anhang I. 10 Seiten

81

(IB18) Deutsches Patent- und Markenamt, Bescheid vom 30. Juli 2014, Aktenzeichen 12 2008 000 033. 5. 4 Seiten [TM12]

82

(IB19) High Court of Justice, Urteil vom 3. Mai 2017, HP-2016-000044 – Sandoz Limited, Hexal AG v. G.D. Searle LLC, Janssen Sciences Ireland UC

83

(IB20) Landgericht München 1, Endurteil vom 17. August 2017, 7 O 11152/17 [ähnlich TM14, NK24]

84

(IB21) Tribunal de grande instance de Paris, ordonnance de référé vom 5. September 2017, 17/57112 – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. S.A.S. Mylan [NIK10]

85

(IB21a) Tribunal de grande instance de Paris (High Court of Paris), Interim Proceedings Order vom 5. September 2017, 17/57112 – Gilead Sciences, Gilead Biopharmaceutics Ireland v. S.A.S. Mylan [englischsprachige Übersetzung zur IB21] [NIK11]

86

und vertritt die Auffassung, dass der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung „Eli Lilly“ das in der Entscheidung „Medeva“ (GRUR 2012, 257; NIK3, NK5, IB8) aufgestellte Kriterium der konkreten Angabe des Wirkstoffs nicht aufgegeben habe, sondern nur dessen namentliche Nennung ersetzt werden könne. Der Wirkstoff müsse identifizierbar sein, da für das Schutzzertifikat andere Maßstäbe als für das Patent gelten würden. Ansonsten könnte auch der konkret genannte erste Wirkstoff allgemein ohne Konkretisierung erfasst und der Patentanspruch so formuliert werden. Der Europäische Gerichtshof akzeptiere eine solche Formulierung aber gerade nicht. Insoweit ergebe sich eine stufenweise Prüfung des Patentanspruchs mit der Frage, ob der Wirkstoff vom Patentanspruch umfasst sei und sodann ausdrücklich genannt oder nach den Kriterien der „Eli Lilly“-Entscheidung ersetzt worden sei.

87

Die Klägerinnen zu 1 bis 4 beantragen sinngemäß,

88

das ergänzende Schutzzertifikat DE 12 2005 000 041 für nichtig zu erklären.

89

Die Beklagte beantragt,

90

die Klagen zurückzuweisen.

91

Die Beklagte verteidigt das Streitzertifikat und stützt ihre Argumentation u. a. auf folgende Dokumente:

92

(B1) Deutsches Patent- und Markenamt: Registerauszug zum Aktenzeichen DE 697 22 004.4. 26. Januar 2017. 5 Seiten [TM5, NK3, IB5]

93

(B2) High Court of Justice, Witness Statement of Professor Brian George Gazzard CBE vom 20. September 2016, HP-2016-000004 – Teva v. Gilead Sciences. 8 Seiten

94

(B3) KURITZKES, Daniel: Declaration. 19. Februar 2016. 3 Seiten

95

(B4-1) CHOO, Vivien: Combination superior to zidovudine in Delta trial. In: The Lancet, Vol. 346, 1995, S. 895

96

(B4-2) ERON, Joseph J. [et al.]: Treatment with lamivudine, zidovudine, or both in HIV-positive patients with 200 to 500 CD4+ cells per cubic millimeter. In: The New England Journal of Medicine, Vol. 333, 1995, No. 25, S. 1662-1669

97

(B4-3) Antiviral Briefs. In: Aids Patient Care and Stds, February 1996, S. 48-50

98

(B4-4) PINCHING, Anthony J.: Managing HIV disease after Delta. In: BMJ, Vol. 312, 1996, S. 521-522

99

(B4-5) CARPENTER, Charles C. J. [et al.]: Antiretroviral Therapy for HIV Infection in 1996. In: JAMA, Vol. 276, 1996, No. 2, S. 146-154

100

(B5-1) SCHINAZI, Raymond F. [et al.]: Selective Inhibition of Human Immunodeficiency Viruses by Racemates and Enantiomers of cis-5-Fluoro-1-[2-(Hydroxymethyl)-1,3-Oxathiolan-5-yl]Cytosine. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy, Vol. 36, 1992, No. 11, S. 2423-2431

101

(B5-2) WO 92/14743 A2

102

(B6) WORLD HEALTH ORGANIZATION: Consolidated guidelines on the use of antiretroviral drugs for treating and preventing HIV infection. Recommendations for a public health approach. Genf: WHO Press, 2. Aufl., 2016, S. 105. – ISBN 978 92 4 154968 4

103

(B7) Tribunal Superior de Justicia de Madrid, Urteil vom 9. September 2016, 658/2009

104

(B8) Deutschsprachige Übersetzung zu B7

105

(B9) High Court of Justice, Urteil vom 13. Januar 2017, HP-2016-000004/000023/000032/000034 – Teva, Accord Healthcare, Lupin, Lupin Europe, Generics v. Gilead Sciences

106

(B10) EuGH, Press Release No. 17/17 vom 17. Februar 2017. 3 Seiten

107

(B11) Herbert Smith Freehills LLP: Schriftsatz an Mr Justice Arnold vom 9. Februar 2017. 2 Seiten

108

(B12) High Court of Justice, Order for Reference of Question to the Court of Justice of the European Union vom 23. Februar 2017, HP-2016-000004/00023/000032/000034 – Teva, Accord Healthcare, Lupin, Lupin Europe, Generics v. Gilead Sciences

109

(B14) NAM: Antiretroviral drug chart. Drugs licensed in the European Union. September 2016. NAM Acorn House, 314-320 Gray’s Inn Road, London WC1X 8DP. www.aidsmap.com. 1 Seite

110

(B15/1) DE JONG, Menno D. [et al.]: Consensus symposium on combined antiviral therapy. In: Antiviral Research, Vol. 29, 1995, S. 5-29 [NK13]

111

(B15/2) LANGE, Joep: Combination Antiretroviral Therapy. Back to the Future. In: Drugs, Vol. 49, Suppl. 1, 1995, S. 32-27 [NK12]

112

(B15/3) British National Formulary. London: British Medical Association, The Pharmaceutical Press, 1996, No. 31, S. 264-269, Kapitel 5.3: Antiviral Drugs – ISBN 0 85369 349 8 [NK10]

113

(B15/4) COLLIER, Ann C.: Efficacy of Combination Antiretroviral Therapy. In: Mills, J. [et al.]: Antiviral Chemotherapy 4. New York: Plenum Press, 1996, S. 355-372 [NK14]

114

(B16) Annex 1: Active ingredients described at the priority date. 4 Seiten

115

(B17) Active ingredients described at the priority date. 4 Seiten

116

(B18/1) SCHINAZI, Raymond F. [et al.]: Pharmacokinetics and Metabolism of Racemic 2‘,3’Dideoxy-5-Fluoro-3’Thiacytidine in Rhesus Monkeys. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Vol. 36, 1992, No. 11, S. 2432-2438

117

(B18/2) SCHINAZI, Raymond F. [et al.]: Characterization of Human Immunodeficiency Viruses Resistant to Oxathiolane-Cytosine Nucleosides. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Vol. 37, 1993, No. 4, S. 875-881

118

(B18/3) WILSON, Jeanne E. [et al.]: The 5‘-Triphosphates of the (-) and (+) Enatiomers of cis-5-Fluoro-1-[2-(Hydroxymethyl)-1,3-Oxathiolane-5-yl] Cytosine Equally Inhibit Human Immunodeficiency Virus Type 1 Reverse Transcriptase. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Vol. 37, 1993, No. 8, S. 1720-1722

119

(B18/4) FRICK, Lloyd W. [et al.]: Pharmacokinetics, Oral Bioavailability, and Metabolic Disposition in Rats of (-)-cis-5-Fluoro-1-[2-(Hydroxymethyl)-1,3-Oxathiolane-5-yl] Cytosine, a Nucleoside Analog Active against Human Immunodeficiency Virus and Hepatitis B Virus. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Vol. 37, 1993, No. 11, S. 2285-2292

120

(B18/5) FRICK, Lloyd W. [et al.]: Pharmacokinetics, Oral Bioavailability, and Metabolism in Mice and Cynomolgus Monkeys of (2’R,5’S-)-cis-5-Fluoro-1-[2-(Hydroxymethyl)-1,3-Oxathiolane-5-yl] Cytosine, an Agent Active against Human Immunodeficiency Virus and Hepatitis B Virus. In: Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Vol. 38, 1994, No. 12, S. 2722-2729

121

(B18/6) WANG, L. H. [et al.]: Pharmacokinetics (PK) and Safety of 524W91 following Single Oral Administration of Escalating Doses in HIV-Infected Volunteers. In: Abstracts of the 35th Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy. 17-20 September 1995, Moscone Center San Francisco, California. Abstract A129. – ISBN 1-55581-100-0

122

(B18/7) SHOCKCOR, J. P. [et al.]: Hplc-nmr identification of the human urinary metabolites of (-)-cis-5-fluoro-1-[2-(hydroxymethyl)-1,3-oxathiolane-5-yl] cytosine, a nucleoside analogue active against human immunodeficiency virus (HIV). In: Xenobiotica, Vol. 26, 1996, No. 2, S. 189-199

123

(B18/8) BRIDGES, Edward G. [et al.]: Favorable Interaction of β-L(-) Nucleoside Analogues with Clinically Approved Anti-HIV Nucleoside Analogues for the Treatment of Human Immunodeficiency Virus. In: Biochemical Pharmacology, Vol. 51, 1996, S. 731-736

124

(B18/9) MINSHULL, Caroline [et al.]: Current Antiviral Agents FactFile. 2nd Edition: Part I – Herpesviruses, hepatitis viruses and respiratory viruses. In: International Antiviral News, Vol. 4, 1996, No. 5, S. 76-83

125

(B18/10) KINCHINGTON, Derek [et al.]: Current Antiviral Agents FactFile. 2nd Edition Part II – Human immunodeficiency viruses. In: International Antiviral News, Vol. 4, 1996, No. 7, S. 132-144

126

(B19) EuGH, Schlussanträge vom 24. November 2011 und 13. Juli 2011, C-322/10 – Medeva BV v. Comptroller-General of Patents, Designs and Trade Marks

127

(B20) High Court of Justice, Urteil vom 18. Juli 2014, HC12C00361 – Eli Lilly and Company v. Human Genome Sciences Inc.

128

(B21) HERDEGEN, Matthias: Die Voraussetzungen für ein ergänzendes Schutzzertifikat für eine Wirkstoffkombination im Lichte der Verordnung (EG) Nr. 469/2009, Rechtsgutachten, 3. November 2017, 25 Seiten und 2 Seiten Lebenslauf

129

(B22) KEMPEN, Bernhard: Gutachten zu den Auslegungsmaßstäben bei der Anwendung des Art. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (AM-VO), 17. Oktober 2017, 27 Seiten und 2 Seiten Lebenslauf

130

(B24) TSAI, Che-Chung [et al.]: Prevention of SIV Infection in Macaques by (R)-9-(2-Phosphonylmethoxypropyl) adenine. In: Science, Vol. 270, 1995, S. 1197-1199

131

Die Beklagte macht geltend, dass das Streitzertifikat zu Recht erteilt worden sei und insbesondere auch die Anforderungen des Art. 3 Buchst. a AM-VO erfülle. Die Kombination aus Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin sei ein Erzeugnis, das bei Auslegung im Sinne von Art. 69 EPÜ von Patentanspruch 27 im Sinne von Art. 3 Buchst. a AM-VO geschützt sei.

132

Soweit die vom Senat aufgestellte Forderung der Erfindungsgegenständlichkeit auf Art. 3 Buchst. a der AM-VO gestützt werde, sei zu berücksichtigen, dass auch im Hinblick auf die Formulierung „protected by“ kein eigenes Unionsrecht anzuwenden sei, sondern dies lediglich einen Verweis auf allgemeines materielles Patentrecht darstelle, welches keiner Harmonisierung bedürfe und deshalb auch nicht abweichend von Art. 69 EPÜ auszulegen sei. Insoweit sei im Rahmen des Art. 3 Buchst. a der AM-VO auch kein Raum für eine eigene Auslegungshoheit des Europäischen Gerichtshofs, welche mit den Grundsätzen des Art. 69 EPÜ nicht vereinbar sei. Für die Auslegung der Erteilung eines SPCs würden deshalb die Maßstäbe gelten, die bei Auslegung des Schutzbereichs heranzuziehen seien. Auch fänden sich in der Verordnung keine sonstigen Hinweise, dass hiermit etwas anderes gemeint sei, wie dies nach Art. 69 EPÜ festzustellen sei. Dies belege auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die bereits unter reiner Anwendung von Art. 69 EPÜ zu sachgerechten Ergebnissen komme, um festzustellen, was Erfindungsgegenstand sei.

133

Es stimme zwar, wie die Klägerinnen zu 3 und 4 anmerkten, dass die Ent-scheidung des BPatG, die zur Erteilung des Schutzzertifikats geführt habe (BPatG, Beschluss vom 12. Mai 2011, 15 W (pat) 24/07, vgl. Rn. 2, 28 und 5) vor den angesprochenen EuGH-Entscheidungen, und insbesondere vor den Entscheidungen „Medeva“ und „Queensland“ ergangen seien, aber auch unter Anwendung der Grundsätze dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebe sich kein anderes Ergebnis.

134

Es sei insoweit zu berücksichtigen, dass sich bei den einzelnen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, wie z. B. „Eli Lilly“ spezifische Fragen stellten, die eine andere Herangehensweise oder Betrachtung wie im vorliegenden Fall rechtfertigten. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Eli Lilly“ genüge es, wenn die Wirkstoffe funktionell beschrieben seien. Zwar könne nach Ansicht der Beklagten durch eine generische Bezeichnung keine unbegrenzte Anzahl von Einzelindividuen als im Nachhinein geschützt angesehen werden. Die entscheidende Frage laute aber, was der Fachmann im Anmeldezeitpunkt unter dem generischen Begriff verstanden habe und welche Individuen er hinzu gezählt habe. Auch die Entscheidung „Eli Lilly“ gebe nichts anderes vor, als die gebotene Auslegung nach Art. 69 EPÜ.

135

Der Fachmann habe Patentanspruch 27 entnommen, dass auch eine Kombination zweier antiviraler Wirkstoffe beansprucht gewesen sei, da zum Prioritätszeitpunkt (26. Juli 1996) die Kombination antiviraler Wirkstoffe und insbesondere von NRTI zu seinem Fachwissen gezählt hätten, wobei der Fachmann auch gewusst habe, dass Emtricitabin ein Beispiel für ein derartiges NRTI darstelle. Belegt werde diese Tatsache, dass Kombinationstherapien mit verschiedenen NRTI zum Prioritätstag des Grundpatents eine hohe Bekanntheit genossen hätten, durch eine Reihe von Veröffentlichungen, die vor dem Prioritätstag datierten.

136

Für das richtige Verständnis des Merkmals „andere therapeutische Bestandteile“ in Patentanspruch 27 sei wesentlich, dass das Patent bereits in Abs. [0001] und Abs. [0002] darauf abstelle, dass die hier maßgebenden Wirkstoffe, die PMPA-Analoga, im Stand der Technik bekannt gewesen seien, wobei in Patentanspruch 1 allgemeine antivirale Wirkstoffe beansprucht würden und im Patentanspruch 25 dann konkret PMPA, von dem der Fachmann gewusst habe, dass dies nur in Verbindung mit der HIV-Erkrankung diskutiert werde. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Dokumenten B24 und B18/10. Aus Sicht des Fachmanns richte Patentanspruch 25 den Fokus eindeutig auf HIV. Patentanspruch 27 wiederum beziehe sich auf Patentanspruch 25 und müsse deshalb im Hinblick auf die HIV-Erkrankung gelesen werden, sodass der Fachmann unter dem Begriff „anderen therapeutischen Bestandteilen“ in Patentanspruch 27 andere antiretrovirale Wirkstoffe in Kombination mit PMPA lese, dies aber nach wie vor im Fokus auf HIV. Der Fachmann habe das Merkmal „andere therapeutische Bestandteile“ in Patentanspruch 27 nur im Sinne einer antiviralen Kombinationstherapie verstanden, die sich aus dem Stand dieser Therapie und der Sichtweise des Fachmanns im Zeitraum 1996 ergeben habe.

137

Hierbei habe das Fachwissen des Fachmanns auf dem Gebiet der HIV sowohl die Inhibierung des HIV-Replikationszyklus als das vielversprechendste Therapiekonzept umfasst wie auch die antiretrovirale Kombinationstherapie, welche bereits seit Mitte der 90er Jahre Standard gewesen sei, ebenso wie die Kombinationstherapie mit zwei NRTIs seit 1996. Vor diesem Hintergrund sei dem Fachmann bewusst gewesen, dass sich Patentanspruch 27 auf eine Kombinationstherapie mit anderen antiviralen Mitteln, insbesondere anderen N(t)RTIs beziehe, bei der die Virusreplikation inhibiert werde. In der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2018 hat die Beklagte unter Vorlage einer Zeitstrahlgrafik (vgl. Anlage 1) ergänzend vorgetragen, dass zum Zeitpunkt der Priorität des Grundpatents für die Therapie gegen AIDS die Kombination zweier NRTIs in aller Munde gewesen sei. Aufgrund dieser Vorbedingungen habe der Fachmann den Patentanspruch 27 zwar nicht unmittelbar auf den Wirkstoff Emtricitabin gelesen, aber auf die Wirkstoffklasse der antiretroviralen Wirkstoffe gegen HIV, was auch den Einsatz des Wirkstoffs Emtricitabin umfasse. Zwar denke der Fachmann bei den in Frage kommenden antiretroviralen Wirkstoffen auch an die Wirkstoffklassen der Proteaseinhibitoren und nicht nur an NRTIs. Dies stehe aber den vom Europäischen Gerichtshof gesetzten Anforderungen für die erforderliche Konkretisierung nicht entgegen, weil die antiretrovirale Wirkung eine solche spezifische Eigenschaft gewesen sei, welche der Europäische Gerichtshof für die Individualisierung fordere. Es sei nach der Rechtsprechung in „Eli Lilly“ ausreichend, dass das geforderte Spezifische des Wirkstoffs auch in der Wirkstoffklasse repräsentiert sein könne. Der Anforderung an die Benennung des konkreten Wirkstoffs sei schon genügt, wenn der Fachmann die maßgebliche Wirkstoffklasse als spezifiziert durch den Patentanspruch sehe.

138

Im Übrigen sprächen die Ziele der AM-VO für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats, im vorliegenden Fall für beide Wirkstoffe Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin, da ansonsten eine Weiterentwicklung von Arzneimitteln nicht mögliche wäre (vgl. Erwägungsgrund 3 bis 6 der AM-VO).

139

Entgegen der Ansicht der Klägerin zu 1 belege auch die Existenz des Patents EP 1 583 542 B9 nicht, dass das Erzeugnis des Streitzertifikats nicht durch das Grundpatent gemäß Art. 3 Buchst. a AM-VO „geschützt“ gewesen sei. Die Prüfung ändere sich wegen der Existenz einer viele Jahre später eingereichten Patentanmeldung nicht. Maßgebend sei der Prioritätstag des Streitpatents. Soweit die Klägerinnen darauf abstellten, dass bereits am 5. Februar 2002 die Erteilung der Marktzulassung für VIREAD®, d. h. Tenofovir Disoproxil als Monopräparat erfolgt sei, und dass insoweit im Hinblick auf das Monoprodukt ein Zertifikat wegen des zwischen dem Anmeldetag des Grundpatents am 25. Juli 1997 und dem Tag der Erstzulassung liegenden Zeitraums von weniger als 5 Jahren im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 AM-VO kein Zertifikat erhalten hätte, sei diese Sichtweise nicht mit der AM-VO vereinbar. Denn vorliegend sei das maßgebliche Erzeugnis die Kombination von Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin und nicht Tenofovir Disoproxil als Monowirkstoff.

140

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf den Hinweis vom 9. August 2017 (Bl. 512 ff. der Akten) wird Bezug genommen.

141

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2018 und auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

142

Die auf den Nichtigkeitsgrund nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 3 Buchst. a der AM-VO gegen das streitgegenständliche ergänzende Schutzzertifikat [ESZ] gestützte Klage ist zulässig. Sie führt auch zum Erfolg. Denn das Streitzertifikat ist entgegen der in Art. 3 Buchst. a AM-VO bestimmten Voraussetzung erteilt worden, weil das dem Streitzertifikat zugrundeliegende Erzeugnis, hier die Wirkstoffzusammensetzung „Tenofovir Disoproxil und die Salze, insbesondere das Fumarat, Hydrate, Tautomere und Solvate davon in Kombination mit Emtricitabine“ nicht „durch [das] […] Grundpatent geschützt ist“.

143

Der Senat sieht die im Streitzertifikat beanspruchte Wirkstoffzusammensetzung Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin hinsichtlich des Wirkstoffbestandteils Emtricitabin als nicht durch das Grundpatent geschützt im Sinne von Art. 3 Buchst. a AM-VO an, da der Wirkstoff Emtricitabin nicht den Erfindungsgegenstand der Patentansprüche des Grundpatents bildet, insbesondere auch mangels hinreichender Spezifizierung nicht erfindungsgegenständlicher Wirkstoffbestandteil der in Patentanspruch 27 genannten pharmazeutischen Zusammensetzung ist, welche eine Verbindung nach einem der Patentansprüche 1 bis 25 zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger und „gegebenenfalls anderen therapeutischen Bestandteilen“ umfasst.

144

Insoweit verneint der Senat insbesondere die vorliegend entscheidende Frage, ob durch Patentanspruch 27 unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Kriterien, insbesondere nach der in der Entscheidung „Eli Lilly“ geforderten hinreichend konkretisierten Angabe des maßgeblichen Wirkstoffs bzw. Wirkstoffbestandteils im Patentanspruch der ausschließlich im Streit stehenden Erteilungsvoraussetzung für das Streitzertifikat nach Art. 3 Buchst. a AM-VO, der Wirkstoff Emtricitabin als Bestandteil der pharmazeutischen Zusammensetzung durch das Grundpatent geschützt ist.

I.

145

Art. 3 AM-VO nennt die Bedingungen für die Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ) und bestimmt unter anderem:

146

„Das [ESZ] wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

147

a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

148

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen […] erteilt wurde;

149

c) für das Erzeugnis nicht bereits ein [ESZ] erteilt wurde;

150

[…].“,

151

wobei nach Art. 1 Buchst. b das „‘Erzeugnis‘ den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels [bezeichnet]“ und Art. 4 den Schutzgegenstand wie folgt bestimmt:

152

„In den Grenzen des durch das Grundpatent gewährten Schutzes erstreckt sich der durch das [ESZ] gewährte Schutz allein auf das Erzeugnis, das von der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels erfasst wird, und zwar auf diejenigen Verwendungen des Erzeugnisses als Arzneimittel, die vor Ablauf des [ESZ] genehmigt wurden.“

153

1. Nach Ansicht des Senats formuliert Art. 3 Buchst. a AM-VO mit der Formulierung des durch ein Grundpatent geschützten Erzeugnisses eine eigenständige Forderung der Maßgeblichkeit des im Grundpatent zum Ausdruck kommenden Erfindungsgegenstands, des Schutzgegenstands, wie er in Art. 4 AM-VO noch einmal genannt wird, der durch Auslegung der Patentansprüche unter Berücksichtigung der auch in den Erwägungsgründen genannten Normzwecks der AM-VO festzustellen ist.

154

1.1. Insoweit reduziert sich entgegen der Auffassung der Beklagten die Formulierung „durch [das] […] Grundpatent geschützt ist“ in Art. 3 Buchst. a AM-VO nach Ansicht des Senats nicht lediglich auf eine Anwendung der für die Auslegung von EP-Patenten maßgeblichen Norm des Art. 69 EPÜ. Vielmehr bildet Art. 3 Buchst. a AM-VO mit der Forderung „durch [das] […] Grundpatent geschützt ist“ ein eigenständiges Kriterium, welches als unmittelbares Unionsrecht auch der Auslegungshoheit des Europäischen Gerichtshofs unterliegt. Die Auslegung der Formulierung „durch [das] […] Grundpatent geschützt ist“ hat deshalb in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter Berücksichtigung von Wortlaut und Normzweck der AM-VO zu erfolgen.

155

Durch die AM-VO soll insbesondere sichergestellt werden, was an sich auch bei der Festlegung des Schutzbereichs nach Art. 69 EPÜ oder nach nationalen Vorschriften, wie § 14 PatG, zu diskutieren und nach allgemeiner patentrechtlicher Lehre zu fordern ist, dass eine abstrahierende Ausdehnung des Schutzgegenstands wie auch des Schutzumfangs nicht über den konkret erkennbaren technischen Gehalt der Patentansprüche hinausgehen soll und zum Erfindungsgegenstand nur gehören kann, was im Patentanspruch seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. Scharen/Benkard, PatG, 11. Aufl., § 14 PatG Rn. 9, 10, mit weiteren Hinweisen auf die st. Rspr. des Bundesgerichtshofs).

156

Zu berücksichtigen sind hierbei insbesondere auch die mit der AM-VO in den Erwägungsgründen 4, 7 und 10 erörterten Ziele im Hinblick auf eine zulassungsbedingte Verkürzung der Amortisationsfrist, der Harmonisierung der Erteilungsvorschriften und die erforderliche Interessenabwägung aller Betroffenen auf dem „komplexen und empfindlichen“ pharmazeutischen Sektor, zu denen auch die Volksgesundheit gehört.

157

1.2. Die durch den Gesetzeswortlaut „in den Grenzen des durch das Grundpatent gewährten Schutzes“ geforderte Maßgeblichkeit eines nicht nur am Schutzumfang orientierten Bezugs und der Maßgeblichkeit eines in den Patentansprüchen hinreichend konkretisiert zum Ausdruck kommenden Erfindungsgegenstands bildet nach Auffassung des Senats hierbei kein zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, reduziert sich aber auch nicht auf eine bloße Verweisung der Anwendung von nationalem Recht und von Art. 69 EPÜ nach den dortigen Kriterien für die Ermittlung von Schutzgegenstand und Schutzumfang.

158

Der Senat teilt insoweit uneingeschränkt die Auffassung des von der Klägerin zu 1 vorgelegten Rechtsgutachtens NIK9 „Ohly“, wenn dort ausgeführt wird, dass die Annahme, der Europäische Gerichtshof dürfe wegen fehlender Kompetenz keine über die bloße Schutzbereichsbestimmung hinausgehenden Voraussetzungen für den Zusammenhang zwischen Grundpatent und Erzeugnis aufstellen, auf der stillschweigenden und nicht näher begründeten Annahme beruht, dass Art. 3 Buchst. a AM-VO in vollem Umfang auf Art. 69 EPÜ und die nationalen Auslegungsvorschriften verweist, darüber hinaus aber keinen eigenen Regelungsgehalt aufweist. Diese Ansicht stelle aber ihrerseits nichts anderes als eine denkbare Auslegung des Art. 3 Buchst. a AM-VO dar, für die sich der Europäische Gerichtshof gerade nicht entschieden habe. Das Kriterium des „spezifischen Bezugs“ lasse sich vielmehr dogmatisch auf zweierlei Weise einordnen: Entweder stelle es eine Auslegung des Begriffs „geschützt“ oder ein zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dar. Die besseren Gründe sprächen für Ersteres, wie sich am besten anhand der „Medeva“-Entscheidung verdeutlichen lasse. Auch die insoweit vorgelegten Rechtsgutachten B21 „Herdegen“ und B22 „Kempen“ rechtfertigen keine andere Bewertung, zumal diese bereits unterstellen, dass Art. 3 Buchst. a AM-VO ohne zusätzliche Wertung auf die Auslegungsvorschriften des EPÜ und des nationalen Patentrechts verweist.

159

2. Nach Auffassung des Senats fordert auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb zutreffend und ausgehend von der Bedeutung des Schutzgegenstandes (subject matter) eines ESZ nach Art. 4 AM-VO – nämlich des durch den arzneilich bestimmten Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung definierten Erzeugnisses (vgl. auch Schell/Schulte PatG., 10. Aufl., 2017 § 16a Rn. 24) – im Wege der Auslegung die Ermittlung des in diesem Kontext der AM-VO richtig verstandenen Erfindungsgegenstands des Grundpatents nach Art. 3 Buchst. a AM-VO.

160

2.1. Zunächst ist festzustellen, dass deshalb aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seit der Entscheidung „Medeva“ (GRUR 2012, 257 = NIK3, NK5, IB8) an der früheren Rechtsprechung und Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs, der auch die zur Erteilung des Streitzertifikats führende Entscheidung des BPatG vom 12. Mai 2011 (TM7, IB7) zugrunde lag, nicht festgehalten werden kann, wonach für die Prüfung, ob das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist, allein der durch die Patentansprüche des Grundpatents nach Art. 69 EPÜ zu bestimmende Schutzumfang als maßgeblich angesehen worden war und die nunmehr im Fokus stehende Frage ausreichender Offenbarung des Erzeugnisses als Erfindungsgegenstand im Grundpatent unbeachtlich war (vgl. hierzu auch Hacker/Busse, PatG, 8. Aufl. Anh. § 16a Rn. 39).

161

Dieser neue Ansatz des EuGH impliziert methodisch eine zweistufige Prüfung, die im ersten Schritt, ebenso wie Art. 3 Buchst. a AM-VO dies fordert, zunächst in der Bestimmung des aus den Patentansprüchen nach objektiven Kriterien abzuleitenden Erfindungsgegenstands (Schutzgegenstands) des Patents besteht, was im Wege der Auslegung aus der Sicht des Fachmanns zu erfolgen hat (Keukenschrijver/Busse PatG, 8. Aufl., § 14 Rn. 19, 21).

162

Für die vorliegende Entscheidung ist es deshalb nicht entscheidungserheblich, ob es im Rahmen der Auslegung nach Art. 69 EPÜ unter Beachtung der danach in der Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Bestimmung des Schutzumfangs, insbesondere mittels eines Verletzungstests, gerechtfertigt wäre, den Schutzgegenstand des Patentanspruchs 27 derart weit zu bestimmen, dass unter die dortige allgemeine Formulierung von „therapeutischen Bestandteilen“ einer mit dem Wirkstoff „Tenofovir Disoproxil“ gebildeten „pharmazeutischen Zusammensetzung“ auch eine Wirkstoffzusammensetzung als Erzeugnis i. S. v. Art. 1 Buchst. b AMVO fällt, die aus einer Zusammensetzung zweier hochwirksamer und zudem synergetisch wirkender arzneilicher Wirkstoffe besteht, nämlich „Tenofovir Disoproxil“ und „Emtricitabin“. Dies obwohl der Wirkstoff „Emtricitabin“ im Grundpatent an keiner Stelle genannt ist und eine „Wirkstoffzusammensetzung“ von einem einzelnen „Wirkstoff“ (Monowirkstoff) abzugrenzen ist und insbesondere eine „Wirkstoffzusammensetzung“ als neues Erzeugnis i. S. v. Art. 1 AM-VO nicht durch bloße Kombination von sonstigen, nicht arzneilich wirksamen Bestandteilen, wie Hilfs- oder Trägerstoffe mit einem Monowirkstoff begründet werden kann (EuGH C-210/13, PharmR 2014, 98 – Glaxosmithkline; EuGH C-431/04, GRUR 2006, 694 – Polifeprosan zu Art. 1 Buchst. b der VO (EG) Nr. 1768/92; BPatG 15 W (pat) 106/96, BPatGE 41, 56 – Clarithromycin; BPatG 15 W (pat) 12/02, BPatGE 46, 142 = GRUR 2003, 696 – Polifeprosan) und in der Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs (EuGH C631/13, GRUR 2015, 245 – Forsgren) gefordert wird: „Der Begriff des Wirkstoffs bezieht sich nämlich für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 469/2009 auf Stoffe, die eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausüben.“

163

Stellen sich also bereits insoweit im Rahmen des Art. 69 EPÜ im Lichte des nach Art. 1 Buchst. b AM-VO maßgeblichen Erzeugnis- und Wirkstoffbegriffs und der Schutzgegenstände eines ESZ, insbesondere auch in Bezug auf Art. 3 Buchst. c AM-VO und dem Verbot wiederholter Erteilung eines ESZ für identische Erzeugnisse, Fragen eines etwaig gebotenen einschränkenden Verständnisses des danach maßgeblichen Erfindungsgegenstands bei der Ermittlung des Schutzumfangs, so ist nach Ansicht des Senats jedenfalls im Rahmen des Art. 3 Buchst. a AM-VO ein solches einschränkendes Verständnis durch den Gesetzeswortlaut vorgegeben und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geboten.

164

Insoweit ziehen beide Parteien übereinstimmend auch nicht in Zweifel, dass die Kombination der Wirkstoffe „Tenofovir Disoproxil“ mit „Emtricitabin“ ein gegenüber dem hier maßgeblichen Monowirkstoff Tenofovir Disoproxil aus arzneilicher Sicht eigenständiges Erzeugnis gemäß Art. 1 Buchst. b AM-VO ist, zumal für den Monowirkstoff „Tenofovir Disoproxil“ und das Erzeugnis Viread® bereits am 5. Februar 2002 eine arzneimittelrechtliche Genehmigung erteilt worden war. Streitig ist nur, ob der Wirkstoff „Emtricitabin“ mit der Formulierung „therapeutische Bestandteile“ eine ausreichende funktionelle Umschreibung findet.

165

Maßgeblich ist danach die nach Art. 3 Buchst. a AM-VO geforderte Ermittlung nicht nur des Schutzbereichs, sondern des in den Patentansprüchen des Grundpatents erkennbar unter Schutz gestellten Erfindungsgegenstands im Hinblick auf dessen technischen Gehalt, d. h. des danach erfindungsgemäßen Wirkstoffs oder der Wirkstoffzusammensetzung und ihrer Wirkstoffbestandteile. Dies ist nach den Grundsätzen des Art. 69 EPÜ durch Auslegung aus der Sicht des Fachmanns bei unbefangener Lektüre der Patentschrift unter Einziehung seines Vorverständnisses und der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu ermitteln. Insoweit gelten die zu Art. 69 EPÜ in der nationalen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.

166

2.2. Nicht maßgeblich für die Erteilungsvoraussetzungen des Art. 3 AM-VO sieht der Senat sonstige Kriterien an, wie die Frage, ob die das Erzeugnis bildende Wirkstoffzusammensetzung Erfindungsqualität besitzt. Eine Frage, die insbesondere auch zur Abgrenzung des Verbots nach Art. 3 Buchst. c AM-VO herangezogen wird.

167

Dass für diese Feststellung des Erfindungsgegenstandes begrifflich auch der Aspekt der erfinderischen Tätigkeit bzw. der zentralen erfinderischen Tätigkeit („core invention“) in den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs angesprochen wird, mag zwar zu der Annahme verleiten, insoweit werde auch die Patentfähigkeit zum Beurteilungsmaßstab des vom Grundpatent „geschützten“ Wirkstoffs und Erzeugnis herangezogen, so wenn beispielsweise im Falle der ausdrücklichen Benennung des Wirkstoffbestandteils im Patentanspruch der „wahre Gegenstand der durch das Patent geschützten Erfindung […], d. h. sein technischer Beitrag oder der Kern der erfinderischen Tätigkeit“ angesprochen wird (EUGH C-577/13, GRUR 2015, 658 Rn. 29 – Actavis/Boehringer, Telmisartan).

168

Insoweit ist aber festzustellen, dass die Frage der Patentfähigkeit des Erzeugnisses für die Beurteilung eines nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a AM-VO im Hinblick auf die Erteilungsvoraussetzungen eines nach Art. 3 AM-VO angegriffenen Schutzzertifikats aus dogmatischen Gründen unerheblich sein muss. Diese ist ausschließlich im Rahmen eines auch gegenüber Schutzzertifikaten möglichen Angriffs auf die Validität des Grundpatents zu klären. So kann sich eine pharmazeutische Zusammensetzung im Lichte des Art. 3 Buchst. a und c AM-VO als eine nicht vom enthaltenden Monopräparat und arzneilichen Wirkstoff unterschiedliche Wirkstoffzusammensetzung nach Art. 1 Buchst. b AM-VO darstellen und deshalb kein weiteres Schutzzertifikat rechtfertigen, während bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Patentanspruchs des Grundpatents durchaus Neuheit der pharmazeutischen Zusammensetzung gegenüber dem enthaltenen Monowirkstoff zu bejahen ist.

169

Deshalb stellt nach Auffassung des Senats auch der Europäische Gerichtshof nicht in Zweifel, dass eine derartige Prüfung auf Patentfähigkeit keine weitere ungenannte Erteilungsvoraussetzung des Schutzzertifikats als Tatbestandsvoraussetzung des Art. 3 AM-VO ist (vgl. Hacker/Busse a. a. O. Anh. § 16a Rn. 71), sondern zieht dieses nur als Element der Auslegung zur Ermittlung und kritischen Beurteilung des maßgeblichen Erfindungsgegenstands heran, auch wenn dieser Aspekt im Rahmen üblicher Auslegungskriterien zu Art. 69 EPÜ fremd erscheinen mag.

170

Weshalb der Europäische Gerichtshof im Actavis/Boehringer-Fall bereits die Erfindungsgegenständlichkeit verneint hat, ohne dies auf die arzneiliche Bewertung des im Grundpatent expressis verbis genannten Diuretikums Hydrochlorthiazid als Wirkstoff im Sinne von Art. 1 Buchst. b AM-VO zu stützen, und zu der Annahme gelangte, der in der anspruchsgemäßen pharmazeutischen Zusammensetzung Telmisartan-Hydrochlorothiazid enthaltene weitere Wirkstoff Hydrochlorthiazid sei nicht Erfindungsgegenstand des Grundpatents und könne deshalb den Schutz für eine „Wirkstoffzusammensetzung“ als neues Erzeugnis nicht begründen, mag verwundern. Dies ändert aber nichts daran, dass dieses Ergebnis Resultat einer Auslegung des maßgeblichen Patentanspruchs im Lichte des Art. 3 Buchst. c AM-VO war, bei der auch Aspekte der Erfindungsqualität herangezogen wurden. Dies erfolgte ebenso im Actavis/Sanofi-Fall, wo sich der Europäische Gerichtshof schon wegen der fehlenden expressis verbis Benennung eines Diuretikums oder eines anderen zu kombinierenden Wirkstoffs nicht gezwungen sah, der arzneilichen Bedeutung des allenfalls additiv wirkenden Diuretikums nachzugehen, um festzustellen, dass dieser zusätzliche Wirkstoff den Schutz einer „Wirkstoffzusammensetzung“ nicht begründen konnte.

171

Zu bedenken ist insoweit auch, dass in diesen Fällen pharmazeutische Zusammensetzungen als beansprucht in Rede standen, bei denen zu hinterfragen war, ob die Diuretika wegen ihrer lediglich additiven Wirkung oder ihrer Zuordnung als gemeinfreier Wirkstoff, zu dessen Entdeckung das Grundpatent keinen Beitrag geleistet hat, als nicht geeignet anzusehen waren, den Erfindungsgenstand des Grundpatents für eine Wirkstoffzusammensetzung als neues Erzeugnis dadurch auszubilden, dass im Nachhinein beliebige Stoffe mit den vom Grundpatent geschützten Stoffen zu „neuen“ Erzeugnissen kombiniert werden. Das Resultat eines Verbots der Mehrfachzertifizierung eines identischen Erzeugnis wäre danach möglicherweise aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs ebenso bei ausschließlich arzneilich bestimmter Betrachtung der Anforderungen an eine Wirkstoffzusammensetzung erzielt worden. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Diuretika hochwirksame Wirkstoffe bei der Behandlung von Bluthochdruck sind, die nicht nur einen additiven Effekt haben.

172

Letztlich kommt es vorliegend auf diesen ergänzenden Aspekt einer „core invention“-Prüfung des Art. 3 Buchst. a AM-VO als mögliches korrigierendes Auslegungskriterium nicht an, weil es bereits an einer Nennung oder hinreichenden Spezifizierung der Wirkstoffkomponente Emtricitabin mittels funktioneller Umschreibung oder durch Angabe eines Oberbegriffs fehlt, welche die Annahme rechtfertigen könnte, diese sei erfindungsgegenständlich.

173

3. Unter Berücksichtigung der in der Entscheidung „Eli Lilly“ aufgestellten Kriterien des Europäischen Gerichtshofs und der aus Sicht des Senats maßgeblichen Grenzziehung hat der Senat keinerlei Zweifel daran, dass die hier maßgebliche Wirkstoffkomponente Emtricitabin nicht durch das Grundpatent als Erfindungsgegenstand geschützt ist und zwar selbst dann nicht, wenn man der Auffassung der Beklagten folgen wollte, dass der Fachmann die Lehre des Patentanspruchs 27 und den Begriff der „anderen therapeutischen Bestandteile“ einschränkend im Sinne antiretroviraler Wirkstoffe in Kombination mit PMPA (Tenofovir) mit dem Fokus auf HIV verstehe.

174

3.1. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung „Eli Lilly“ die Anforderungen an die Offenbarung eines Wirkstoffs als Erfindungsgegenstand in den Patentansprüchen präzisiert, wonach der Wirkstoff zwar auch nur funktionell in den Patentansprüchen umschrieben sein kann. Dies ist aber nur dann als ausreichend anzusehen, sofern sich die Patentansprüche stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise.

175

Für die in dieser Entscheidung in Rede stehende konkrete Frage, ob der in seinem Wortlaut auf einen „isolierte[n] Antikörper oder einen Teil davon, der […] ein vollständiges Neutrokin-α-Polypeptid […] oder die extrazelluläre Domäne des Neutrokin-α-Polypeptids […] bindet“ gerichtete Patentanspruch eine ausreichende Offenbarung für einen spezifischen, Neutrokin-α bindenden und nunmehr unter dem Namen Tabalumab bekannten Antikörper darstellt, wiederholte der Europäische Gerichtshof, dass es nicht erforderlich ist, den Wirkstoff in den Patentansprüchen des Grundpatents mit einer Strukturformel anzuführen. Vielmehr kann es für Art. 3 Buchst. a AM-VO ausreichend sein, wenn die Patentansprüche, den Schluss zulassen, dass der Wirkstoff unter eine in den Patentansprüchen eines vom EPA erteilten Patents enthaltene Funktionsformel fällt und die oben genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Der Europäische Gerichtshof führte aus:

176

„38. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein Wirkstoff, der in den Ansprüchen eines Grundpatents nicht mit einer strukturellen Definition oder wenigstens mit einer funktionellen Definition angeführt wird, nach der in Randnr. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung jedenfalls nicht als im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt angesehen werden kann.

177

39. Zur Frage, ob die Verwendung einer funktionellen Definition für sich genommen ausreichen kann, ist festzustellen, dass Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 grundsätzlich dem nicht entgegensteht, dass ein Wirkstoff, der einer in den Ansprüchen eines vom EPA erteilten Patents enthaltenen funktionellen Definition entspricht, als durch dieses Patent geschützt angesehen werden kann; dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ u. a. im Licht der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise.“

178

3.2. Diese Voraussetzungen sieht der Senat vorliegend eindeutig als nicht erfüllt an, auch wenn nach Auffassung des Senats für die danach geforderte Spezifizierung des Erfindungsgegenstands nicht die Kriterien maßgeblich sind, welche an eine ausreichende Offenbarung einer Lehre im Rahmen möglicher Beschränkungen des erteilten Patents im Bestandsverfahren oder nach § 64 PatG, Art. 105a EPÜ zu stellen sind.

179

Denn die dortige Forderung nach einer unmittelbaren und eindeutigen sowie individualisierten Ursprungsoffenbarung für den Beschränkungsgegenstand erfolgt vor dem Hintergrund der Beurteilung der Patentfähigkeit der verteidigten Lehre und ihrer Zulässigkeit als eine notwendigerweise bereits im Anmelde- bzw. Prioritätszeitpunkt offenbarte technische Lehre. Notwendig deshalb, weil es ohne ursprüngliche Offenbarung des Beschränkungsgegenstands dem Patentinhaber ansonsten ermöglicht würde, die erforderliche und die Patentfähigkeit begründende Lehre und die Abgrenzung zum Stand der Technik im Nachhinein zu schaffen – wie z. B. bei einer Auswahlerfindung.

180

Hierauf kommt es aber im Rahmen der Erteilungsvoraussetzungen eines Schutzzertifikats nach Art. 3 AM-VO gerade nicht mehr an, weil dieses nur auf die Verlängerung des durch ein Patent bereits bestimmten Erzeugnisschutzes abstellt und nicht auf eine nachträgliche Neubestimmung des durch das Grundpatent vermittelten Patentschutzes, wie dieser eventuell bei einer Verlängerung eines Patentschutzes des Grundpatents diskutiert werden könnte (so aber Schulte/Schell PatG, 10. Aufl., 2017, § 16a Rn. 32 m. w. H.) oder wie dieser im Bestandsverfahren des Grundpatents durch eine nachträgliche Beschränkung des Patentgegenstands in den engen Grenzen ursprünglicher Offenbarung möglich ist oder erfolgt sein mag.

181

3.3. Die Frage, wo im Falle einer funktionellen Umschreibung oder eines offenbarten Oberbegriffs eines im Patentanspruch und – wie vorliegend – zudem auch in der Beschreibung des Grundpatents nicht genannten Wirkstoffs die Grenzziehung für den nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geforderten spezifischen Bezug zu erfolgen hat, kann nach Ansicht des Senats nur im Einzelfall erfolgen und ist vorliegend nur dann von Interesse, wenn man – wie die Beklagte – die Lehre des Patentanspruchs 1 einschränkend im Sinne eines eigenen Lexikons versteht, worauf noch einzugehen ist.

182

Hierbei sieht der Senat es insbesondere im Hinblick auf das Auslegungskriterium des Schutzzwecks der Norm als wesentlich an, dass mit zunehmender spezifischer arzneilicher Wirkung des zu Diskussion stehenden Wirkstoffs die Möglichkeit abnehmen muss, diesen durch einen weiten Oberbegriff oder eine funktionelle Umschreibung als ausreichend spezifiziert umschrieben anzusehen, wenn diese Umschreibung oder der Oberbegriff die spezifische arzneiliche Wirkung des konkreten Wirkstoffs nicht hinreichend spezifizieren bzw. repräsentieren.

183

Anders formuliert dürfen im Wege gedanklicher nachträglicher Konkretisierung einer allgemeinen funktionellen Umschreibung oder eines Oberbegriffs durch einen speziellen Wirkstoff gerade nicht die spezifischen arzneilichen Wirkungen eines konkreten Wirkstoffs als Erfindungsgegenstand eingebracht und geltend gemacht werden können, die dem Fachmann nicht bereits mittels der in den Patentansprüchen des Grundpatents enthaltenen funktionellen Umschreibung oder eines Oberbegriffs bereits stillschweigend und notwendigerweise vermittelt werden. Alles andere würde aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs und auch des Senats die Verlängerung des durch das Grundpatent vermittelten Erzeugnisschutzes dadurch ermöglichen, dass für eine jegliche im Grundpatent geschützte allgemeine Lehre, wie die unter Schutz gestellte „pharmazeutische Zusammensetzung“ nach Patentanspruch 27 des Grundpatents, im Nachhinein mittels einer nachgeschobenen Konkretisierung oder Auswahl die Voraussetzungen eines verlängerten Stoffschutzes geschaffen werden könnte, sei es durch Schutz eines Wirkstoffs oder einer Wirkstoffzusammensetzung als weiteres Erzeugnis. Das wäre mit dem auch in den Erwägungsgründen 3 bis 5, 7, 9 und 10 der AM-VO zum Ausdruck kommenden Schutzzweck der Norm als nicht gerechtfertigt anzusehen.

184

Nach Auffassung des Senats beziehen sich deshalb Oberbegriffe oder funktionelle Umschreibungen nur dann stillschweigend, aber notwendigerweise und in spezifischer Art und Weise auf einen im Grundpatent nicht als erfindungsgemäß angesprochenen Wirkstoff, wenn zugleich ausgeschlossen ist, dass auch andere Wirkstoffe ebenfalls derartige Repräsentanten der in den Patentansprüchen des Grundpatents enthaltenen funktionellen Umschreibung oder des enthaltenen Oberbegriffs sein können. Es reicht nicht aus, dass ein im Grundpatent nicht als erfindungsgemäß angesprochenen Wirkstoff zwar unter einen Oberbegriff oder eine funktionelle Umschreibung subsumiert werden kann, dieser aber die spezifischen arzneilichen Eigenschaften bzw. Wirkweisen des in Rede stehenden Wirkstoffs des Streitzertifikats trotz sonstiger Gemeinsamkeiten aber im weiteren Sinne gerade nicht teilt.

185

3.4. Derartiger Grenzziehungen bedarf es allerdings nicht, wenn für die gebotene Auslegung darauf abzustellen ist, dass der Fachmann die Formulierung und funktionelle Umschreibung „andere therapeutische Bestandteile“ in Patentanspruch 27 im fachüblichen Sinne versteht und nicht als Umschreibung des Wirkstoffs Emtricitabin.

186

Maßgebliche Grundlage dafür, was durch das Streitpatent unter Schutz gestellt ist, ist gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche in der jeweiligen Verfahrenssprache. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2007, 959 – Pumpeinrichtung unter Hinweis auf BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). So dürfen „in der Patentschrift enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung […] – ebenso wie der übrige Inhalt der Patentschrift – nicht zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 – X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 Rn. 15 m. w. N. – Permetrexed). „Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (BGHZ 106, 84, 94 – Schwermetalloxidationskatalysator). Das Protokoll zur Auslegung von Art. 69 EPÜ drückt dies durch seinen Hinweis aus, dass die Patentansprüche nicht lediglich als Richtlinie dienen dürften. Das verleiht dem in dem betreffenden Patentanspruch gewählten Wortlaut entscheidende Bedeutung. Was – bei sinnvollem Verständnis – mit ihm nicht so deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend erkannt wird, kann den Gegenstand dieses Patentanspruchs nicht kennzeichnen. Auch die zur Erfassung des Sinngehalts eines Patentanspruchs vorgesehene Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen.“ (BGH, Urteil vom 7. September 2004 – X ZR 255/01, GRUR 2004, 1023 Rn. 26).

187

Hierbei ist der Patentanspruch nicht wörtlich in philologischer Betrachtung, sondern seinem technischen Sinn nach aufzufassen, das heißt, der Erfindungsgedanke muss unter Ermittlung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich in der Patentschrift ergeben, bestimmt werden (BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Die Auslegung hat deshalb im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu erfolgen (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I; GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II), wobei maßgeblich ist, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt. Begriffe in Patentansprüchen sind danach so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift versteht (BGH GRUR 2001, 232, 233 – Brieflocher m. w. N.), weshalb die Patentschrift im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe ihr eigenes Lexikon darstellt (BGH GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; BGH Mitt. 2000, 105, 106 – Extrusionskopf).

188

Im Mittelanspruch 27 wird lediglich eine „pharmazeutische Zusammensetzung“ genannt, die eine Verbindung nach irgendeinem der Patentansprüche 1 bis 25 zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger und gegebenenfalls anderen therapeutischen Bestandteilen enthält (vgl. auch Grundpatent NIK1, TM2, NK1, IB3: [0047]). Während jedoch die „pharmazeutisch verträglichen Träger“ in der Beschreibung des Grundpatents (NIK1, TM2, NK1, IB3: [0048]-[0061]) ausführlich dargestellt werden, findet sich zu den „anderen therapeutischen Bestandteilen“ keine einzige Bemerkung, obwohl zum Prioritätstag des Grundpatents bereits zahlreiche antivirale Wirkstoffe bekannt waren.

189

Insoweit steht es außer Zweifel – und wird auch von der Beklagten nicht geltend gemacht –, dass die funktionelle Umschreibung „andere therapeutische Bestandteile“ auch nicht ansatzweise im Grundpatent vom Fachmann als eine spezifische Umschreibung des Wirkstoffs Emtricitabin zu verstehen ist, zumal das Grundpatent auch ansonsten jegliche diesbezügliche Spezifizierung in den Patentansprüchen des Streitpatents vermissen lässt und diesen Wirkstoff auch weder in der Beschreibung thematisiert noch Hinweise auf diesen Wirkstoff enthält, die ein derart einengendes Verständnis der Bezeichnung „therapeutische Bestandteile“ rechtfertigen könnten.

190

Ein derart einschränkendes Verständnis im Sinne eines eigenen Lexikons stünde auch in augenscheinlichem Widerspruch zu der unbestrittenen arzneilichen Bedeutung und Wirkung von „Emtricitabin“. Denn dieser Wirkstoff bildet gegenüber dem Monowirkstoff „Tenofovir Disoproxil“ ein eigenständiges Nukleosid-Analogon für die antivirale Therapie, insbesondere auch für die HIV-Therapie, das nach den Ausführungen der Beklagten als NRTI (nucleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor) sogar eine gegenüber der Monotherapie vorteilhafte Kombinationstherapie begründen soll. Der Fachmann würde deshalb die ausdrückliche Nennung eines derartigen für den Erfindungsgegenstand wesentlichen Wirkstoffs selbstverständlich erwarten und nicht durch die in höchstem Maße unspezifische funktionelle Bezeichnung „andere therapeutische Bestandteile“ als umschrieben ansehen. Danach ist der Wirkstoff Emtricitabin nicht Erfindungsgegenstand des Grundpatents.

191

3.5. Das Ergebnis ist auch dann kein anderes, wenn man der Argumentation der Beklagten folgend davon ausgeht, dass der Fachmann Patentanspruch 27 unter Berücksichtigung seines Vorverständnis und dem im Grundpatent gesetzten Fokus der Therapie und Prophylaxe von viralen Infektionen bei Mensch und Tier (Grundpatent: [0044]), unter anderem auch von HIV, einengend als eine ausschließlich auf die Wirkstoffklasse der antiretroviralen Wirkstoffe bezogene Formulierung versteht. Denn hierunter fallen eine Vielzahl von Wirkstoffen und Wirkstoffklassen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen.

192

3.5.1 Dabei beschränkt sich die Lehre des Grundpatents zudem keineswegs auf die Behandlung von HIV alleine. Dies gilt entgegen der Argumentation der Beklagten gerade auch im Hinblick auf den in den Absätzen [0044] und [0045] des Grundpatents gesetzten allgemeinen Fokus möglicher Verwendungen zur Therapie und Prophylaxe von viralen Infektionen bei Mensch und Tier, die HIV nur unter anderem erwähnt. Maßgeblich für das dem Patentanspruch 27 und dem Begriff des therapeutischen Bestandteils zugrunde zu legende Verständnis des Fachmanns ist das Grundpatent selbst und nicht, wie von der Beklagten argumentiert, der Hintergrund der arzneimittelrechtlichen Zulassung, welche eine Verwendung eines HIV-Arzneimittel betrifft. Insoweit kann bereits dem Ansatz der Argumentation der Beklagten zum Fachwissen des Fachmanns und seinem Vorverständnis nicht gefolgt werden, dass hier auf das Gebiet der HIV-Erkrankungen abzustellen sei, nämlich eine Kombinationstherapie zur Behandlung von HIV mit der Kombination von Wirkstoffen aus jeweils antiretroviralen Wirkstoffklassen, insbesondere anderen N(t)RTIs, bei der die Virusreplikation inhibiert wird.

193

Aber selbst in Bezug auf die Behandlung von HIV war dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt eine Reihe von unterschiedlichen Wirkstoffzusammensetzungen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen bekannt. So Kombinationen von zwei oder mehr Reversetranskriptase-Inhibitoren (NNRTI, NRTI) oder die Kombination mit Proteaseinhibitoren (PI) (vgl. Anlagenkonvolut B15, insbesondere B15/1: S. 17 bis 20, Abs. 4.5 bis 4.7).

194

3.5.2 Die Beklagte behauptet allerdings auch insoweit selbst nicht, der Fachmann habe den Begriff der „anderen therapeutischen Bestandteile“ notwendigerweise und in spezifischer Art und Weise als NRTI verstehen müssen. Sie hat nur hervorgehoben, dass zum Zeitpunkt der Priorität des Grundpatents für die Therapie von HIV die Kombination zweier NRTIs in aller Munde gewesen sei und dass aufgrund dieser Vorbedingungen der Fachmann den Patentanspruch 27 wie auch den Patentanspruch 25 auf die Wirkstoffklasse der antiretroviralen Wirkstoffe gegen HIV gelesen habe, was auch den Einsatz des Wirkstoffs Emtricitabin umfasse. Dem Fachmann sei bewusst, dass sich Patentanspruch 27 auf eine Kombinationstherapie mit anderen antiviralen Mitteln, insbesondere anderen N(t)RTIs beziehe, bei der die Virusreplikation inhibiert werde.

195

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, es sei zwar richtig, dass der Fachmann bei den in Frage kommenden antiretroviralen Wirkstoffen auch an die Wirkstoffklassen der Proteaseinhibitoren (PI) und nicht nur an NRTIs denke. Dies stehe aber den vom Europäischen Gerichtshof gesetzten Anforderungen für die erforderliche Konkretisierung nicht entgegen, weil die Gemeinsamkeit der antiretroviralen Wirkung der betroffenen Wirkstoffklassen (wie NRTI, NNRTI, NtRTI, PI) eine solche gemeinsame spezifische Eigenschaft sei, welche der Europäische Gerichtshof für die Individualisierung fordere und als ausreichend ansehe.

196

3.5.3 Dieser Auffassung kann aus den genannten Kriterien für eine Abgrenzung nicht gefolgt werden, da die antiretroviral wirkenden Wirkstoffe der unterschiedlichen Klassen unbestritten unterschiedliche Wirkmechanismen aufweisen, wie insbesondere auch das im Grundpatent unter Schutz gestellte Virostatikum Tenofovir Disoproxil, einem nukleotidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NtRTI), der zwar ebenso antiretroviraler Wirkstoff wie Emtricitabin ist, jedoch einen gänzlich anderen Wirkmechanismus aufweist und deshalb ebenso wie Proteaseinhibitoren PI oder die Wirkstoffklasse der NNRTI gerade nicht die spezifische Eigenschaft der antiretroviralen Wirkung von Emtricitabin aus der Wirkstoffklasse der NRTI teilen. Die Beklagte selbst hat insoweit auf die der gegenständlichen Wirkstoffzusammensetzung innewohnende Vorteilhaftigkeit bzw. Synergiewirkung der Wirkstoffe Tenofovir Disoproxil und Emtricitrabin für die aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen gebildeten Kombinationspräparate hingewiesen.

197

Die bloße Gemeinsamkeit antiretroviraler Wirkung der unterschiedlichen Wirkstoffklassen erfüllt somit nicht die Forderung einer stillschweigenden Bezugnahme auf den Wirkstoff Emtricitabin, die der Fachmann notwendigerweise und in spezifischer Art und Weise in Patentanspruch 27 liest. Im Ergebnis würde deshalb selbst dann, wenn der Senat der Auslegung durch die Beklagten folgen wollte, die nach Art. 3 Buchst. a AM-VO geforderte Erteilungsvoraussetzung des durch das Grundpatent geschützten Wirkstoffs fehlen, da der Wirkstoff Emtricitabin nicht Bestandteil der erfindungsgegenständlichen Lehre des Grundpatents ist.

198

4. Der Senat sieht seine Rechtsauffassung durch das nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2018 in der Rechtssache C-121/17 zu dem das streitgegenständliche Grundpatent betreffenden Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV bestätigt, welches ein im Vereinigten Königreich erteiltes ESZ und eine „Zusammensetzung aus Tenofovir Disoproxil, gegebenenfalls in Form eines pharmazeutisch verträglichen Salzes, Hydrats, Tautomers oder Solvats, und Emtricitabin“ betrifft.

199

4.1. Denn der Europäische Gerichtshof führt aus, dass es sich bei den Regeln, die zur Bestimmung dessen dienen, was im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ ist, um jene handelt, die den Umfang der Erfindung betreffen, die Gegenstand eines solchen Patents ist, wie etwa im Ausgangsverfahren Art. 69 EPÜ und das Protokoll zu dessen Auslegung, wobei der Schutzbereich eines solchen Patents nach Art. 69 EPÜ durch die Patentansprüche bestimmt wird. Hierbei kann ein Wirkstoff durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt angesehen werden, wenn das Erzeugnis, das Gegenstand des ESZ ist, im Patentanspruch entweder ausdrücklich genannt wird oder sich die Patentansprüche notwendigerweise und in spezifischer Weise auf dieses Erzeugnis – im Falle einer funktionellen Definition - beziehen. Das ist durch Auslegung unter Berücksichtigung der Beschreibung und die Zeichnungen des Grundpatents zu ermitteln (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Rn. 32, 35, 37, 38 – C-121/17, abrufbar unter https://www.juris.de/r3/document).

200

Insoweit betont der Europäische Gerichtshof, dass dieses Erfordernis im Einklang mit dem Ziel des ESZ steht, eine ausreichende Dauer des wirksamen Grundpatentschutzes wiederherzustellen, indem dessen Inhaber nach Ablauf des Patents eine zusätzliche Ausschließlichkeitsfrist eingeräumt wird, die den Rückstand bei der wirtschaftlichen Verwertung seiner Erfindung, der aufgrund der Zeitspanne von der Einreichung der Patentanmeldung bis zur Erteilung der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Union eingetreten ist, zumindest zum Teil ausgleichen soll. Der Europäische Gerichtshof weist u. a. erneut darauf hin, dass das ESZ hingegen den durch das Patent gewährten Schutzbereich nicht über die von ihm geschützte Erfindung hinaus ausweiten soll und es dem Ziel der AM-VO widerspräche, ein ESZ für ein Erzeugnis zu erteilen, das nicht von der durch das Grundpatent geschützten Erfindung erfasst ist, da ein solches ESZ nicht die mit diesem Patent beanspruchten Forschungsergebnisse beträfe (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 39 und 40).

201

4.2. Unter Berücksichtigung des so herausgestellten Normzwecks folgert der Europäische Gerichtshof sodann, dass die Patentansprüche des Grundpatents bei der Anwendung von Art. 3 Buchst. a AM-VO anhand der Grenzen dieser aus der Beschreibung und den Zeichnungen des Patents hervorgehenden Erfindung verstanden werden müssen und eine solche Auslegung durch Art. 4 AM-VO gestützt wird, wonach sich der durch das ESZ gewährte Schutz allein auf das Erzeugnis erstreckt, das von der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels erfasst wird, und der Gegenstand des Schutzes durch ein ESZ sich auf die technischen Merkmale der durch das Grundpatent geschützten Erfindung beschränken muss, wie sie nach diesem Patent beansprucht werden(vgl. EuGH a. a. O. Rn. 43 bis 46).

202

Für die danach unter Heranziehung des Standpunkts eines Fachmanns auszulegenden Patentansprüche bedeute dies, dass entscheidend sei, ob das Erzeugnis, das Gegenstand eines ESZ ist, notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst wird. Zu prüfen sei, ob der Fachmann auf der Grundlage seiner allgemeinen Kenntnisse und im Licht der im Grundpatent enthaltenen Beschreibung und Zeichnungen der Erfindung eindeutig erkennen kann, dass das Erzeugnis, auf das sich die Patentansprüche des Grundpatents beziehen, ein für die Lösung des technischen Problems, das von dem Patent offengelegt wird, erforderliches Merkmal ist(vgl. EuGH a. a. O. Rn. 47 und 48).

203

In Anbetracht aller vorstehenden Erwägungen sei ein Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“, sofern sich einer der Patentansprüche notwendigerweise und spezifisch auf dieses Erzeugnis beziehe, auch wenn es in den Patentansprüchen des Grundpatents nicht ausdrücklich erwähnt werde. Dazu müsse das Erzeugnis für den Fachmann im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen des Grundpatents notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst sein. Der Fachmann müsse in der Lage sein, das Erzeugnis im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag des Patents in spezifischer Weise zu identifizieren(vgl. EuGH a. a. O. Rn. 52).

204

4.3. Im vorliegenden Fall ergäbe die Beschreibung des Grundpatents keinen Hinweis darauf, dass die von ihm geschützte Erfindung speziell eine kombinierte Wirkung von Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin zur Behandlung des HIV betreffen könne. Demnach dürfte der Fachmann nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag dieses Patents nicht in der Lage sein, zu verstehen, inwieweit Emtricitabin notwendigerweise in Verbindung mit Tenofovir Disoproxil von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst wird. Es sei jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall sei. Zum anderen obliege es ihm die Klärung der Frage, ob Emtricitabin vom Fachmann im Licht aller im Patent enthaltenen Angaben nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag des Patents in spezifischer Weise identifiziert werden kann (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 56).

205

Der Europäische Gerichtshof bestätigt deshalb in seiner Antwort eine durch den Schutzzweck der AM-VO und auf den Schutzgegenstand nach Art. 4 AM-VO bezogene Auslegung und wiederholt auf die Vorlagefrage die bereits in der Entscheidung „Elly Lili“ formulierte Forderung, dass „nach Art. 3 Buchst. a AM-VO ein aus mehreren Wirkstoffen mit kombinierter Wirkung bestehendes Erzeugnis im Sinne dieser Bestimmung ‚durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt‘ ist, wenn sich die Patentansprüche des Grundpatents notwendigerweise und spezifisch auf die Kombination der Wirkstoffe, aus denen das Erzeugnis besteht, beziehen, auch wenn diese darin nicht ausdrücklich erwähnt wird“, wobei die Kombination der Wirkstoffe und jeder der Wirkstoffe durch das Patent geschützten Erfindung erfasst und im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben spezifisch identifizierbar sein muss(vgl. auch EuGH a. a. O. Rn. 57).

II.

206

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99 Abs. 1 i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.