Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 12.07.2012


BVerwG 12.07.2012 - 4 B 13/12

Tatsächliche Verhältnisse sind zur räumlichen Abgrenzung zentraler Versorgungsbereiche maßgeblich


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
12.07.2012
Aktenzeichen:
4 B 13/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20. Dezember 2011, Az: 8 S 1438/09, Urteilvorgehend VG Stuttgart, 18. Mai 2009, Az: 11 K 1180/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur räumlichen Abgrenzung zentraler Versorgungsbereiche nach § 34 Abs. 3 BauGB ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.

Gründe

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimisst.

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Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Nicht jede Frage, zu der sich das Bundesverwaltungsgericht noch nicht geäußert hat, führt indessen auf eine erst im Revisionsverfahren zu klärende Thematik. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsverfahrens ist vielmehr Voraussetzung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt. So liegt es hier. Die von der Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob zur Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereichs im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB auf die Festlegung eines Vorranggebiets als Ziel der Raumordnung abgestellt werden kann, mit dem der zentralörtliche Siedlungs- und Versorgungskern abgegrenzt werden soll, lässt sich mit dem Verwaltungsgerichtshofs verneinen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

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§ 34 Abs. 3 BauGB ordnet an, dass von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein dürfen. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass regionalplanerische Zielvorgaben zur räumlichen Abgrenzung zentraler Versorgungsbereiche nach § 34 Abs. 3 BauGB nicht in Betracht kommen, sondern für die Einordnung eines Gebiets als zentraler Versorgungsbereich allein die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend sind (so auch Bracher, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 2068; Uechtritz, NVwZ 2007, 660 <662>; Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 1. Aufl. 2007, Rn. 329; a.A. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 34 Rn. 55; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 34 Rn. 74; Spannowsky, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 34 Rn. 53). Dem ist beizupflichten.

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Im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB wird generell und seit jeher nur auf das tatsächlich Vorhandene abgestellt und haben Grundstückseigenschaften, die in den optisch wahrnehmbaren Gegebenheiten keinen Niederschlag gefunden haben, außer Betracht zu bleiben (vgl. Urteil vom 11. Februar 1993 - BVerwG 4 C 15.92 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 156 S. 91 f.). Vor diesem Hintergrund spricht bereits der Wortlaut des durch das BauGB-Änderungsgesetz 2004 eingefügten § 34 Abs. 3 BauGB dafür, dass die Norm lediglich auf dem Umgriff tatsächlich vorhandener zentraler Versorgungsbereiche abstellt. Sie spricht nicht von "vorhandenen oder zu entwickelnden" zentralen Versorgungsbereichen, sondern enthält sich dieser adjektivischen Zusätze. Insofern unterscheidet sie sich von § 9 Abs. 2a BauGB, der zwecks "Erhaltung oder Entwicklung", d.h. Bewahrung und Schaffung zentraler Versorgungsbereiche zur Aufstellung eines Bebauungsplans mit bestimmten Festsetzungen ermächtigt.

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Das Ergebnis liegt auf der Linie der bisherigen Senatsrechtsprechung. Der Senat hat im Urteil vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 1.08 - (BVerwGE 136, 18) die unmittelbare Anknüpfung an landesplanerische Zielvorgaben bei der Auslegung und Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB u.a. deshalb nicht für möglich gehalten, weil sich Zielvorgaben an die Träger der Bauleitplanung und nicht an die Genehmigungsbehörde richten. Zwar stehen seine Ausführungen im Zusammenhang mit der Frage, ob zur Feststellung schädlicher Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB die einschlägigen landesplanerischen Zielvorgaben als Orientierungshilfe herangezogen werden dürfen. Sie sind jedoch - zu Recht - so formuliert, dass sie für die Auslegung und Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB insgesamt und damit auch für die von der Klägerin aufgeworfene Frage gelten. Der Wortlaut des § 34 Abs. 3 BauGB gibt nichts dafür her, dass eine rechtlich gebundene Entscheidung über die Erteilung einer Vorhabengenehmigung vom jeweiligen Inhalt einer landes- oder regionalplanerischen Dezision abhängig sein soll. Insoweit unterscheidet sich § 34 Abs. 3 BauGB beispielsweise von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, wonach öffentliche Belange bestimmten Außenbereichsvorhaben in der Regel entgegenstehen, soweit hierfür (durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder) als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Der Senat ist mit dem Verwaltungsgerichtshofs der Auffassung, dass es eines ausdrücklichen Gesetzesbefehls bedurft hätte, um Zielen der Raumordnung im Tatbestand des § 34 Abs. 3 BauGB Geltung zu verschaffen.

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Der Begründung des Regierungsentwurfs, dass sich zentrale Versorgungsbereiche nicht nur aus tatsächlichen Verhältnissen, sondern auch aus planerischen Festlegungen in Bauleitplänen oder Raumordnungsplänen ergeben könnten (BTDrucks 15/2250 S. 54), nötigt nicht zur gegenteiligen Beurteilung der Rechtslage. Denn der gesetzgeberische Wille kommt in § 34 Abs. 3 BauGB nicht hinreichend zum Ausdruck. Das bedeutet nicht, dass planerische Festlegungen nicht bei der Abgrenzung der zentralen Versorgungsbereiche bzw. als Unterstützung und einleuchtende Fortschreibung bestimmter tatsächlicher Gegebenheiten relevant sein können (so Uechtritz, a.a.O.). Sie sind nur nicht verbindlich (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Bd. II, Stand Januar 2012, § 34 Rn. 85 b). Aus dem Urteil des Senats vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - (BVerwGE 129, 307) ergibt sich nichts Abweichendes. Mit der Aussage, nach der Vorstellung des Gesetzgebers könnten sich zentrale Versorgungsbereiche auch aus planerischen Festschreibungen ergeben, hat der Senat die Gesetzesbegründung lediglich wiedergegeben, sie aber nicht inhaltlich bewertet und gebilligt.

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Überdies spricht manches dafür, dass die Begründung des Regierungsentwurfs inzwischen überholt ist. Für einen Systemwechsel innerhalb des § 34 BauGB, der Vorschrift eine ihr bislang fremde planerische Komponente beizugeben, besteht seit der Einführung des § 9 Abs. 2a BauGB durch die BauGB-Novelle 2007 kein Anlass mehr. Denn mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber der Gemeinde ein Instrument an die Hand gegeben, unter Beachtung der Bindung an Ziele der Raumordnung (§ 1 Abs. 4 BauGB) zentrale Versorgungsbereiche durch einen (einfachen) Bebauungsplan festzulegen (Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Bd. I, 3. Aufl., Stand Juni 2012, § 9 Rn. 73j) und deren Erhaltung und Entwicklung verbindlich zu sichern (BTDrucks 16/2496 S. 10).

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2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Die Rüge der Klägerin, der Verwaltungsgerichtshof habe ihrem in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht entsprochen und dadurch seiner Aufklärungspflicht zuwider gehandelt, greift nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter nicht oder lediglich hilfsweise beantragt hat (Beschluss vom 12. Januar 2012 - BVerwG 4 B 35.11 - RdL 2012, 167). Die ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht setzt voraus, dass unter Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und der Begründung der vorinstanzlichen Entscheidung schlüssig aufgezeigt wird, dass sich dem Gericht auch ohne unbedingten Beweisantrag auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Daran fehlt es hier. Im Übrigen darf das Tatsachengericht grundsätzlich nach seinem tatrichterlichen Ermessen entscheiden, ob es Sachverständigengutachten einholt (stRspr; vgl. Beschluss vom 13. März 1992 - BVerwG 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268).