Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 18.12.2018


BPatG 18.12.2018 - 3 ZA (pat) 41/18

Patentnichtigkeitsklageverfahren - Kostenfestsetzung - "Experimentelles Privatgutachten zum Beleg der Ausführbarkeit von Entgegenhaltungen" – zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein experimentelles Privatgutachten des Nichtigkeitsklägers zum Beleg der Ausführbarkeit der Lehre einer von ihm als neuheitsschädlich angeführten Entgegenhaltung – Nichtigkeitsbeklagte hat die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung unter Vorlage eines eigenen experimentellen Privatgutachtens bestritten – sachdienliche und notwendige Kosten


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
18.12.2018
Aktenzeichen:
3 ZA (pat) 41/18
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:181218B3ZApat41.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Experimentelle Privatgutachten zum Beleg der Ausführbarkeit von Entgegenhaltungen

Die Kosten für ein experimentelles Privatgutachten des Nichtigkeitsklägers zum Beleg der Ausführbarkeit der Lehre einer von ihm als neuheitsschädlich angeführten Entgegenhaltung können als sachdienlich und damit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig anzusehen sein, wenn der Nichtigkeitsbeklagte die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung unter Vorlage eines eigenen experimentellen Privatgutachtens bestritten hat.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent …

(DE …)

(hier: Kostenfestsetzungsverfahren)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts am 18. Dezember 2018 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, den Richter Kätker und den Richter Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich

beschlossen:

1. Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss der Rechtspflegerin vom 16. August 2018 aufgehoben soweit der darin festgesetzte Betrag der von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten 623.532,84 EUR übersteigt.

2. Die weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Erinnerungsverfahrens tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

4. Der Wert des Erinnerungsverfahrens wird auf 93.132,54 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Erinnerungsgegnerin war Inhaberin des europäischen Patents … (DE …). Der Senat hat das Patent mit Urteil vom 14. April 2012 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Mit Urteil vom 26. Februar 2013 hat der Senat das Patent erneut für nichtig erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung auferlegt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 9. Juni 2015 auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen (BGH GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II).

2

Die Klägerin hat Kostenfestsetzung für beide Instanzen in Höhe insgesamt 688.073,40 EUR geltend gemacht. Hierbei hat sie auch die Kosten für die Erstellung von insgesamt sieben von ihr in Auftrag gegebenen Privatgutachten in Höhe von insgesamt 92.055,- EUR (o. MwSt.) sowie Reisekosten des Gutachters zu den mündlichen Verhandlungen in Höhe von 1.077,54 EUR geltend gemacht.

3

Mit Beschluss vom 16. August 2018 hat die Rechtspflegerin des Senats die von der Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten auf 686.202,84 EUR festgesetzt. Hierbei hat sie – wie von der Klägerin beantragt – 93.132,54 EUR für die Erstellung von Gutachten, einschließlich der damit verbundenen Reisekosten des Gutachters berücksichtigt. Die Festsetzung der Gutachterkosten hat sie damit begründet, dass, nachdem die Beklagte die Ausführbarkeit verschiedener von der Klägerin angeführter Entgegenhaltungen unter Berufung auf eigene Privatgutachten bestritten hatte, sich die Klägerin veranlasst sehen durfte, diesem Einwand unter Vorlage von (Gegen-) Gutachten entgegenzutreten. Mangels eigener Sachkunde habe sich die Klägerin nicht in der Lage gesehen, ihrer Darlegungs- und Beweisführungslast ohne Hilfe eines Privatgutachters zu genügen. Auch ein Unternehmen in der Größenordnung der Klägerin verfüge nicht über Mitarbeiter mit derselben wissenschaftlichen Kapazität wie renommierte Wissenschaftler, die mit der Erstellung von Gutachten betraut würden. Zudem seien die Gutachten so zu formulieren gewesen, dass sie auch für nicht speziell vorgebildete Personen verständlich seien. Außerdem habe der Bundesgerichtshof bereits in seinem ersten Urteil darauf hingewiesen, dass ihm die Auseinandersetzung mit den bereits vorgelegten Parteigutachten und die Entscheidung ohne Beratung durch einen gerichtlichen Sachverständigen nicht möglich gewesen sei, so dass er offenbar von der Notwendigkeit gutachterlichen Beistands ausgegangen sei. In dem zweiten Berufungsurteil habe sich der Bundesgerichtshof mit einigen der beiderseitig vorgelegten Gutachten auseinandergesetzt und die Entscheidung teilweise hierauf gestützt. Damit seien auch die Reisekosten des Gutachters zur mündlichen Verhandlung notwendig gewesen, da dessen Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung für den Fall der Erforderlichkeit von Erläuterungen der von ihm durchgeführten Versuche zweckdienlich gewesen sei.

4

Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Beklagten, die sie auf die Festsetzung der Kosten für die Erstellung von Gutachten in Höhe von 92.055,- EUR und die Reisekosten des Gutachters in Höhe von 1.077,54 EUR (insgesamt 93.132,54 EUR) beschränkt hat. Nach ihrer Auffassung sind die Gutachterkosten nicht notwendig. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen seien die Kosten für Privatgutachten nur ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn die Partei mangels eigener Sachkunde nur mit Hilfe des Privatgutachters ihrer Darlegungs- oder Beweislast genügen könne oder wenn die Sachkunde aus sonstigen Gründen nicht gewährleistet sei. Hierbei genüge es regelmäßig gerade nicht, dass die Gutachten als Reaktion auf Privatgutachten des Gegners erstellt würden. Zudem müsse sich die betreffende Partei – auch bei experimentellen Untersuchungen – erfolglos um eine Untersuchung durch das Gericht bemüht haben. Entgegen der wesentlichen Begründung des angefochtenen Beschlusses genüge es daher nicht, dass die Gutachten der Klägerin als Reaktion auf Gutachten der Beklagten in Auftrag gegeben worden seien und dass der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen habe, dass er möglicherweise einen gerichtlichen Sachverständigen benötige. Zudem seien auch nicht alle Gutachten der Klägerin als Gegengutachten eingereicht worden, jedenfalls nicht das Gutachten K2. Auch habe der Bundesgerichtshof nicht erkennen lassen, dass er die Einholung von (gerichtlichen) Sachverständigengutachten als notwendig ansehe. Vielmehr habe er in Zusammenhang mit der Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht ausgeführt, er selbst könne zwar derzeit nicht ohne sachverständige Hilfe entscheiden, das Bundespatentgericht könne aber die Angelegenheit denkbar ohne Sachverständigen aufklären und entscheiden. Die Klägerin habe als „Multimilliarden-Konzern auf dem betreffenden technischen Gebiet“ jederzeit ihren Parteivortrag selbst führen können, gerade zu Fragen der Nacharbeitbarkeit und Ausführbarkeit. Die Privatgutachten dienten lediglich dazu, dem eigenen Vortrag eine gewisse Objektivität zu verleihen, was die Klägerin auch selbst vorgetragen habe. Im Übrigen beschäftigten sich die Kläger-Gutachten auch nicht allesamt mit experimentellen Fragen und stellten auch nicht sämtlich Gegengutachten auf vergleichbare Fragestellungen von Gutachten der Beklagten dar.

5

Die Erinnerungsführerin und Beklagte beantragt,

6

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und Kosten in Höhe von insgesamt 93.132,54 EUR abzusetzen.

7

Die Erinnerungsgegnerin und Klägerin beantragt,

8

die Erinnerung zurückzuweisen.

9

Sie hält die Festsetzung der Gutachterkosten durch die Rechtspflegerin für gerechtfertigt. Die entscheidende Besonderheit des Verfahrens liege darin, dass die Beklagte die Ausführbarkeit der Lehren der Entgegenhaltungen E1, E4, E5, E18 und E19 bestritten habe, wobei sie dies mit den wissenschaftlichen Ausführungen eines Universitätsprofessors substantiiert habe. Zur Entkräftung dieser Einwände habe es der Durchführung von wissenschaftlich fundierten Experimenten bedurft. Die Klägerin wäre mit ihren Entwicklungsfachleuten nicht in der Lage gewesen, die zum Teil aufwendigen Versuche mit dem nötigen wissenschaftlichen Hintergrund durchzuführen, da diese mit derartigen Aufgaben nicht betraut würden.

10

Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung, wonach sich die Partei vor der Erstellung eines Privatgutachtens zunächst erfolglos um eine Untersuchung durch das Gericht bemühen müsse, stamme aus den 90er Jahren, als der Bundesgerichtshof noch regelmäßig Gerichtsgutachter bestellt habe. Nachdem er nach neuem Recht hiervon regelmäßig absehe, sei es einer Partei vor dem Hintergrund der Präklusionsregeln nicht möglich, abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof ausnahmsweise doch einen gerichtlichen Sachverständigen bestelle. Denn wenn er dies ablehne, was er regelmäßig in der mündlichen Verhandlung mitteile, könne ein (ohnehin präkludiertes) Privatgutachten nicht mehr in das Verfahren eingeführt werden. Aus Gründen der prozessualen Sorgfalt habe die Klägerin daher keine andere Wahl gehabt, als die erforderlichen Privatgutachten anfertigen zu lassen und vorzulegen.

11

Entgegen der Auffassung der Beklagten seien auch die Aufwendungen für das Gutachten K2 notwendig gewesen. Aufgrund des Prozessverhaltens der Beklagten sei abzusehen gewesen, dass sie – wie dann auch geschehen – mit Hilfe eines Privatgutachtens auch die Ausführbarkeit der nach Zurückverweisung eingeführten Entgegenhaltung E19, insbesondere für Acrylatklebstoffe, bestreiten werde, so dass es förderlich gewesen sei, die entsprechenden Experimente wissenschaftlich durchführen zu lassen.

12

Zudem habe die Beklagte zum Begriff „Schmelztemperatur“ mit Hilfe ihrer Privatgutachten so irreführend vorgetragen, dass der Bundesgerichtshof in seiner ersten Entscheidung von falschen Vorstellungen bezüglich der „Schmelztemperatur“ ausgegangen sei. Diese seien erst im weiteren Verfahren durch wissenschaftlich fundierte Gutachten korrigiert worden. Für die Klägerin sei es nicht vorhersehbar gewesen, dass dann die ausführlichen Darlegungen in der Urteilsbegründung des Bundespatentgerichts entscheidend zum korrekten Verständnis des Bundesgerichtshofs beigetragen hätten. Dementsprechend habe sie mit externer wissenschaftlicher Hilfe vortragen müssen, um einem fortgesetzten Missverständnis durch den BGH vorzubeugen.

II.

13

1. Die auf die Erstattung der Kosten für die Privatgutachten beschränkte Erinnerung der Klägerin ist zulässig. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

14

Gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m § 91 Abs. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dies sind nur die Kosten für solche Handlungen, die zur Zeit ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet erscheinen, das im Streit stehende Recht zu verfolgen oder zu verteidigen. Maßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte, wobei jedoch auch der Grundsatz sparsamer Prozessführung gilt (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 37. Auflage, § 91 Rn. 9).

15

Privatgutachten sind Bestandteil des Parteivortrags und daher wie dieser grundsätzlich nicht gesondert erstattungsfähig, sondern mit den Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abgegolten (vgl. BPatGE 2, 106, 107; 17, 70, 76; 18, 46, 48; 23, 122, 123; 30, 263, 265; 51, 114). Die Kosten für Privatgutachten sind nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen erstattungsfähig, wobei dieser strenge Maßstab auch im Nichtigkeitsberufungsverfahren gilt (vgl. BPatGE 53, 190; Schulte, PatG, 10. Aufl., § 80, Rn. 78). Insbesondere ist es – jedenfalls für sich genommen – nicht ausreichend, dass ein Privatgutachten als Gegengutachten eingereicht wird. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Senats selbst dann, wenn es als Reaktion auf ein der Partei ungünstiges Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen eingereicht wird, um dieses zu entkräften (vgl. BPatGE 30, 263; 51, 114; Busse, PatG, § 84, Rn. 99). Darüber hinaus hat der Senat auch die Erstattbarkeit von Privatgutachten (zur Widerlegung der Annahme eines „glücklichen Griffs“) verneint, die im Wesentlichen experimentelle Untersuchungen zum Gegenstand des Streitpatents betreffen (BPatGE 33, 274), wobei er darauf hingewiesen hat, dass das Gebot, die Kosten möglichst gering zu halten, erfordere, sich zunächst um die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht zu bemühen (BPatG, a.a.O., S. 275).

16

Nur ausnahmsweise erstattungsfähig sind Kosten für Privatgutachten etwa dann, wenn die Partei mangels eigener Sachkunde nur mit Hilfe des Privatgutachters ihrer Darlegungspflicht oder Beweisführungslast genügen kann oder wenn die Sachkunde aus sonstigen Gründen nicht gewährleistet ist (vgl. dazu Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl., § 80 Rn. 78; BGH NJW 2012, 1370, 1372; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl., § 91 Rn. 79, 81; Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 91 Rn. 49).

17

Hierbei hat sich auch die Beurteilung der Notwendigkeit eines Privatgutachtens daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei diese die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte (vgl. BGH NJW 2006, 2415; NJW 2003, 1398; Schulte, a. a. O., m. w. N.). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob das Gutachten letztlich Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits hat (BPatGE 51, 114, 118).

18

2. Unter Beachtung und in Weiterführung dieser Grundsätze können auch bei typisierender Betrachtungsweise die Kosten für ein experimentelles Privatgutachten des Nichtigkeitsklägers zum Beleg der Ausführbarkeit der Lehre einer von ihm als neuheitsschädlich angeführten Entgegenhaltung dann als sachdienlich und damit als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig anzusehen sein, wenn der Nichtigkeitsbeklagte die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung unter Vorlage eines eigenen experimentellen Privatgutachtens bestritten hat.

19

Nur eine nacharbeitbare (ausführbare) Offenbarung kommt als neuheitsschädlich in Betracht (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 1980, 283 – Terephthalsäure; GRUR 1988, 447 – Fluoran; GRUR 2001, 1129 – zipfelfreies Stahlband; vgl. a. Busse, a. a. O., § 3, Rn. 94; Benkard, EPÜ Art. 54, Rn. 133, 157 ff., jew. m. w. N.). Da der Kläger die Darlegungs- und materielle Beweislast (Feststellungsinteresse) für die mangelnde Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik trägt (vgl. Busse, a a. O., § 82, Rn. 97 m. w. N.), trifft ihn auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Lehre der Entgegenhaltung ausführbar ist.

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Wird die Ausführbarkeit der Offenbarung einer vom Kläger zur Darlegung der mangelnden Neuheit des Gegenstands des Streitpatents angeführten Entgegenhaltung vom Gegner bestritten, so wird es für den Kläger häufig ausreichend sein, die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung argumentativ darzulegen. Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn eine ausführbare Offenbarung der Entgegenhaltung argumentativ bestritten wird und die in der Entgegenhaltung aufgeführten Wege zur Verwirklichung bzw. Nacharbeitung der Lehre zu diskutieren sind, z. B. die ausreichende Detailliertheit der Handlungsanweisungen in den Ausführungsbeispielen oder von sonstigen Teilen der Beschreibung. Die Erholung eines Privatgutachtens dürfte in solchen „Normalfällen“ nach den o. g. Grundsätzen regelmäßig nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig werden. Insbesondere wird der Grundsatz der sparsamen Prozessführung gebieten, dem Bestreiten der Ausführbarkeit zunächst argumentativ zu begegnen und im Hinblick auf die Kosten erst den Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG abzuwarten, der Aufschluss über die vorläufige Sichtweise des Senats über die Relevanz der Entgegenhaltung und/oder deren Ausführbarkeit geben kann.

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Dies beurteilt sich indes anders, wenn die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung vom Nichtigkeitsbeklagten nicht bloß argumentativ oder gar pauschal sondern qualifiziert mit Hilfe eines von ihm beigebrachten Privatgutachtens bestritten wird, das aufgrund experimenteller Versuche zu dem Ergebnis gelangt, dass die Entgegenhaltung keine ausführbare Lehre offenbare. Denn damit ist die Offenbarung der Entgegenhaltung einer Überprüfung durch entsprechend qualifizierte Personen unterzogen und im Ergebnis verneint worden. Da die Parteien alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte prinzipiell von sich aus in Betracht zu ziehen haben und richterliche Hinweise entbehrlich sind, soweit bereits der Gegner den rechtlichen oder tatsächlichen Punkt angesprochen hat, muss der Kläger damit rechnen, dass das Gericht angesichts des bereits vom Beklagten gegebenen (substantiierten) Hinweises auf die mangelnde Ausführbarkeit der Entgegenhaltung bis auf weiteres von einem gesonderten eigenen Hinweis absieht und im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast die Behauptung des Beklagten zugrunde legt.

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Der insoweit vom Gegner „überholte“ darlegungs- und beweisbelastete Kläger wird sich also gehalten sehen, zur Ausführbarkeit der Lehre der Entgegenhaltung vorzutragen und diesen Vortrag mindestens gleichwertig zu substantiieren. Hierbei wird er sich, solange das Beklagten-Gutachten nicht offensichtliche und/oder schwerste Mängel aufweist, regelmäßig nicht mit rein argumentativen Ausführungen seines Patentanwalts oder anderweitig qualifizierten Vertreters begnügen. Denn wenn das Bestreiten der Ausführbarkeit der Lehre der Entgegenhaltung mit einem experimentellen Gutachten unterlegt worden ist, wird rein argumentatives Vorbringen regelmäßig keine zureichende Darlegung, erst recht keinen Beleg für die dennoch gegebene Ausführbarkeit der Lehre der Entgegenhaltung darstellen können. In dieser Prozesssituation darf eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei auf Klägerseite die Inauftraggabe eines experimentellen Privatgutachtens im Zeitpunkt ihrer Veranlassung ausnahmsweise als sachdienlich, d. h. zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ansehen.

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Klarstellend sei angemerkt, dass damit keine Entscheidung darüber getroffen wird, ob auf Seiten des Beklagten die sofortige Inauftraggabe eines experimentellen Privatgutachtens zur Substantiierung des Bestreitens der Ausführbarkeit einer als neuheitsschädlich angeführten Entgegenhaltung als notwendig i. S. d. § 91 ZPO anzusehen ist. Es liegt zwar auf der Hand, dass diese Frage im Hinblick auf die o. g. Darlegungs- und Beweislastverteilung und den Grundsatz der sparsamen Prozessführung eher kritisch zu beurteilen sein dürfte, hierüber ist vorliegend indes nicht zu entscheiden.

24

Weiter wird klarstellend angemerkt, dass es sich unter Beachtung des Grundsatzes der sparsamen Prozessführung von selbst versteht, dass der Kläger unter Kostengesichtspunkten ebenfalls nur ein (wirtschaftlich) in etwa „gleichwertiges“ Privatgutachten in Auftrag geben darf. Ein Bemühen, den jeweiligen Gegner unter Inkaufnahme einer Kostenspirale zu übertrumpfen, etwa durch besonders zahlreiche Versuchsreihen oder durch Beauftragung gleich mehrerer Institute zur gleichen Frage, dürfte damit nicht zu vereinbaren sein (zur letztgenannten Fallgestaltung vgl. a. Senatsentscheidung v. 23. August 2017 (KOF 82/15 zu 3 Ni 6/12 (EP)). Der vorliegende Fall, in dem dieser Rahmen gewahrt blieb, gibt indes keinen Anlass, hierauf weiter einzugehen.

25

Entgegen der Auffassung der Beklagten muss auch ein großes Unternehmen, das – wie die Klägerin – über eigene Forschungseinrichtungen verfügt, die Untersuchungen nicht selbst durchführen und dokumentieren. Hat die Beklagte (hier: ein vergleichbar großes Unternehmen) ihr Bestreiten der Ausführbarkeit der Entgegenhaltungen selbst mit Hilfe eines externen Gutachter substantiiert, so durfte auch die Klägerin eine solche Maßnahme ihrerseits als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ansehen. Zudem wären der Klägerin auch eigene Kosten entstanden, wenn sie eigenes Fachpersonal und Einrichtungen aus der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit abgezogen hätte, um die entsprechenden experimentellen Untersuchungen in vollem Umfang selbst durchzuführen und auszuwerten. Diese Eigenkosten hätte sie als Eigenaufwand zwar nicht geltend machen können (Umkehrschluss aus § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO), der Grundsatz der sparsamen Prozessführung verlangt jedoch nicht, unter Vernachlässigung der eigenen betrieblichen Belange und zu eigenen wirtschaftlichen Lasten und vor allem nicht unter Verzicht auf die erhöhte Glaubhaftigkeit eines externen Gutachters stets Eigenaufwand zu betreiben, wo immer dies möglich wäre.

26

3. Für die einzelnen Gutachten, deren Kosten von der Erinnerung betroffenen sind, ergibt sich damit folgendes:

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a) G2a – Gutachten von Prof. O… vom 18. März 2011

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Mit dem Gutachten hat die Klägerin darauf reagiert, dass die Beklagte die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung E01 unter Vorlage eines experimentellen Gutachtens (Gutachten G1 von Prof. S… v. 08.01.2011, s. insb. S. 35 Nr. 6) zumindest sinngemäß bestritten hat (vgl. Schriftsatz der Beklagten v. 12.01.2011, S. 10, 2. Absatz; Bestreiten später in Abrede gestellt im Berufungsverfahren X ZR 117/11 mit Berufungsbegründung der Beklagten v. 01.12.2011, S. 3, ltzt. Absatz). Die Klägerin durfte sich nach den o.g. Grundsätzen daher veranlasst sehen, nun ihrerseits ein experimentelles Privatgutachten zum Beleg der Nacharbeitbarkeit in Auftrag zu geben und vorzulegen, wenn sie ihren Angriff auf das Streitpatent weiter auf die Entgegenhaltung E01 stützen wollte. Andernfalls wäre sie Gefahr gelaufen, dass die Entgegenhaltung vom Gericht ohne weiteren Hinweis als nicht ausführbar und damit als nicht neuheitsschädlich angesehen wird. Die Kosten für das experimentelle Gegengutachten G2a durfte sie daher grundsätzlich als notwendig anzusehen.

29

Anhaltspunkte, die unter Kostengesichtspunkten dagegen sprechen können, wie etwa ein (frühzeitiger) Hinweis des Gerichts, dass es auf die Entgegenhaltung nicht ankommen werde oder dass den Feststellungen des Privatgutachtens der Beklagten nicht zu folgen sein werde, o. ä., sind vorliegend nicht ersichtlich.

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Hinsichtlich ihrer Höhe ist die Angemessenheit der Gutachterkosten im Erinnerungsvorbringen der Beklagten nicht in Frage gestellt worden, so dass der angefochtene Beschluss auch insoweit Bestand hat. Die Kosten für das Privatgutachten G2a in Höhe von 8.520,- EUR sind damit notwendige Kosten i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO, so dass die Erinnerung insoweit erfolglos bleiben muss.

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b) G5 – Gutachten von Prof. O… vom 23. März 2012

32

Das Gutachten G5 der Klägerin beinhaltet eine Reaktion der Klägerin auf das Privatgutachten G2 der Beklagten (Prof. S… v. 08.01.2011), mit dem diese ihr Bestreiten der Ausführbarkeit der Entgegenhaltungen E04 und E05 substantiiert hat (vgl. Schriftsatz der Beklagten v. 12.01.2011, S. 11 Mitte; Gutachten G2, S. 12 (Zusammenfassung)). Um weiter die Neuheitsschädlichkeit der Entgegenhaltungen geltend machen zu können, durfte die Klägerin nach den o. g. Grundsätzen die Inauftraggabe eines experimentellen Gutachtens zum Beleg der Nacharbeitbarkeit der Entgegenhaltungen als notwendig ansehen. Die Erinnerung bleibt daher auch im Umfang der für das Gutachten G5 aufgewendeten Kosten in Höhe von 14.580,- EUR erfolglos.

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c) G8 – Gutachten von Prof. O… vom 21. Juni 2012

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Das (experimentelle) Gutachten G8 ist nicht - wie die o.g. Gutachten G2a und G5 - als Reaktion auf ein mit einem experimentellen Privatgutachten belegtes (erstmaliges) Bestreiten der Ausführbarkeit der Lehre einer oder mehrerer Entgegenhaltungen in Auftrag gegeben worden. Allerdings stellt es die Reaktion der Klägerin darauf dar, dass die Beklagte das Bestreiten der Ausführbarkeit der Entgegenhaltungen E04 und E05 dadurch aufrechterhalten bzw. erneuert hat, dass sie Einwendungen gegen das o.g. Kläger-Gutachten G5 erhoben und diese Einwendungen mit einem weiteren experimentellen Gutachten (Gutachten G6 von Prof. Dr. S…, vorgelegt im Berufungsverfahren X ZR 17/11 mit Schriftsatz der Beklagten vom 18.05.2012, ab S. 3) untermauert hat.

35

Die Klägerin durfte auch in dieser Situation die Inauftraggabe eines weiteren experimentellen Privatgutachtens als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ansehen. Denn durch das neuerliche Bestreiten der Ausführbarkeit der Lehren der Entgegenhaltungen E04 und E05, wiederum gestützt auf ein neuerliches experimentelles Privatgutachten, musste sich die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nach der prozessualen Situation wiederum „überholt“ und zumindest teilweise wieder auf den Stand zurückgeworfen sehen, den sie zum Stand des erstmaligen substantiierten Bestreitens der Ausführbarkeit ihrer Entgegenhaltungen hatte. Auch in dieser Situation durfte sie die Inauftraggabe eines weiteren experimentellen Privatgutachtens zur Widerlegung des neuerlichen (experimentellen) Privatgutachtens der Gegenseite als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ansehen. Allerdings handelt es sich hierbei bereits um einen Grenzfall, bei dem mangels weiterer Anhaltspunkte, die gegen die Notwendigkeit des Gutachtens sprechen, nochmals ein erneutes Gegengutachten als notwendig angesehen werden darf. Weitere Gutachten oder Gegengutachten zum selben Thema würden dagegen auf eine Endlosspirale von Gutachten und Gegengutachten hindeuten, bei denen die Erholung ständig neuer (Gegen-) Gutachten als Teil eines in Nichtigkeitsverfahren häufig zu beobachtenden Gutachtenkriegs nicht mehr als notwendig i. S. d § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden dürfte. Zwar stellt das vorliegende Verfahren mit insgesamt 16 eingereichten Gutachten insoweit keine Ausnahme dar, allerdings hat die Klägerin hinsichtlich der Ausführbarkeit der Entgegenhaltungen E04 und E05 nur noch das eine Gegen-Gutachten G8 in der oben beschriebenen Prozesssituation vorgelegt. Dieses eine Gegen-Gutachten durfte sie in dieser besonderen Prozesslage ausnahmsweise noch als notwendig ansehen. Damit bleibt die Erinnerung auch im Umfang der für das Gutachten G8 aufgewendeten Kosten in Höhe von 6.285,- EUR erfolglos.

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d) - Gutachten von Prof. O… vom 27.01.2013

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Auch das Gutachten K2 ist nicht als Reaktion auf ein mit einem experimentellen Privatgutachten belegtes (erstmaliges) Bestreiten der Ausführbarkeit der Lehre einer oder mehrerer Entgegenhaltungen in Auftrag gegeben worden. Vielmehr ist es mit Schriftsatz der Klägerin vom 30. Januar 2013 gleichzeitig mit der neu recherchierten Entgegenhaltung E19 eingereicht worden. Ein Bestreiten der Ausführbarkeit der Lehre der E19 oder auch nur das Bezweifeln der rechtlichen oder technischen Relevanz der E19 durch die Beklagte ist also gar nicht erst abgewartet worden. Die Beklagte hat die Ausführbarkeit der E19 dann auch nicht als solche bestritten, sondern die technische Relevanz der Schrift bezweifelt (vgl. Schriftsatz der Beklagten v. 20.02.2013, S. 15 ff.), wobei die im Laufe des Verfahrens diskutierte Anwendbarkeit der E19-Lehre in Zusammenhang mit Extrudern und Acrylathaftklebstoffen nicht die (von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof großzügig beurteilte) Ausführbarkeit der Lehre der Entgegenhaltung als solche, sondern die Frage der Übertragbarkeit dieser Lehre auf streitpatentgemäße Verfahren und Produkte betrifft.

38

Die Klägerin macht auch nicht geltend, dass das Gutachten K2 der – vorsorglichen – experimentellen Darlegung der Ausführbarkeit der Lehre der E19 an sich dienen sollte. Vielmehr sei das Gutachten begleitend zu den kurzfristig vor der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2013 mit Schriftsatz der Klägerin vom 30. Januar 2013 eingereichten neuen Entgegenhaltungen E19 bis E23 eingereicht worden, um im Hinblick auf die streitige Auslegungsfrage des Begriffs „expandierbar“ darüber aufzuklären, ob und ggf. in welcher Größenordnung weitere Volumenzuwächse möglich seien (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 19. Juni 2017, S. 15, 1. vollst. Absatz). Hierbei sollte zudem experimentell belegt werden, dass dem Fachmann der Übergang von der diskontinuierlichen Arbeitsweise gemäß den Beispielen der Entgegenhaltung auf die kontinuierliche Arbeitsweise gemäß dem allgemeinen Teil der Entgegenhaltung und insoweit übereinstimmend mit dem Streitpatent ohne weiteres gelingen konnte (Klägerin, a. a. O., 3. vollst. Absatz, vgl. a. Schriftsatz der Klägerin vom 30. Januar 2013, S. 22 f. zum Erhalt gleicher Produkte beim Mischen in einem Kneter und der Bearbeitung in einem Extruder). Das Gutachten diente damit nicht dem vorsorglichen Beleg der Ausführbarkeit der Lehre einer oder mehrerer Entgegenhaltungen, was wegen der gebotenen ex-ante-Betrachtungsweise ohnehin problematisch gewesen wäre. Vielmehr diente es zur Darlegung der technischen Relevanz ihrer Offenbarungen für die geltend gemachten Patenthindernisse oder, wie es die Klägerin genannt hat, der „Stärkung von E19“ unter Entkräftung der „vorhersehbaren Argumente der Nichtigkeitsbeklagten“ (Schriftsatz der Klägerin vom 19. Juni 2017, S. 15).

39

Dies entspricht jedoch nur dem „Normalfall“, wonach der Kläger die mangelnde Neuheit oder das Nahegelegtsein des Gegenstands des Streitpatents darlegen will. Werden hierfür Druckschriften angeführt, so hat sich dies prinzipiell aus der schriftlichen Offenbarung des angeführten Standes der Technik, so wie sie der Fachmann versteht, selbst zu ergeben. Eine experimentelle Durchführung wird zum Verständnis einer Schrift regelmäßig nicht erforderlich sein. Die kontroverse Interpretation des Offenbarungsgehalts einer Druckschrift als (nicht) patentschädlich erfolgt dementsprechend in erster Linie argumentativ, nicht aber experimentell. Diese Situation entspricht daher nicht der o.g. Prozesslage, bei der die Ausführbarkeit einer als neuheitsschädlich geltend gemachten Entgegenhaltung vom Gegner unter sofortiger Substantiierung mit einem experimentellen Privatgutachten bestritten wird, so dass der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger „überholt“ worden ist und nun befürchten muss, dass das Gericht ohne rechtzeitige Gegensubstantiierung von der mangelnden Ausführbarkeit der Entgegenhaltung ausgeht. Es liegt auch keine der sonstigen Ausnahmesituation vor, etwa dass die (hier patentanwaltlich vertretene) Partei mangels eigener Sachkunde nur mit Hilfe des Privatgutachters ihrer Darlegungspflicht oder Beweisführungslast genügen kann oder dass die Sachkunde aus sonstigen Gründen nicht gewährleistet ist (vgl. Schulte, § 80, Rn. 78; Busse, § 84 Rn. 99, jew. m. w. N.).

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Sofern entgegen den o. g. Ausführungen ausnahmsweise dennoch eine experimentelle Untersuchung zur Feststellung der Relevanz der Druckschrift(en) erforderlich gewesen wäre, so hätte die Klägerin, wenn es ihrer Auffassung nach entscheidungserheblich auf bestimmte Ergebnisse der Durchführung des Verfahrens gemäß z. B. der E19 ankommt und wenn dieser Punkt streitig wird, vor der Beauftragung eines privaten Gutachters unter Beachtung des Grundsatzes der sparsamen Prozessführung dem Senat zunächst schriftsätzlich ein Privatgutachten anbieten und/oder unter Beantragung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens einen entsprechenden verfahrensleitenden Hinweis gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 39 ZPO anregen müssen. Dies gilt besonders, weil das Gericht - wenn es die Untersuchung für erforderlich halten würde - einem Privatgutachten nicht denselben Wert wie dem Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen beimessen würde (vgl. BPatG GRUR 1993, 548 – Privatgutachterkosten; Schulte, a. a. O., § 80, Rn. 78). So aber ist die Beauftragung eines Privatgutachters zur Darlegung der technischen Relevanz der Druckschrift im Vorgriff auf eine Untersuchung durch das Gericht erfolgt und damit jedenfalls auch unter dem Gesichtspunkt der sparsamen Prozessführung nicht als notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen (vgl. a. Schulte, a. a. O.).

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Eine zwischenzeitlich möglicherweise eingetretene Zeitknappheit (die E19 und das begleitende Gutachten K2 wurden etwa fünf Monate nach der Zustellung der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs und weniger als einen Monat vor der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht eingereicht) liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin und kann ebenfalls nicht zu Lasten des Gegners eine Notwendigkeit i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO zur Beauftragung eines Gutachtens mit vorsorglich durchgeführten Experimenten begründen. Nach alledem sind die Kosten für das Gutachten K2 nicht als notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen. Die Erinnerung der Beklagten ist insoweit in Höhe der hierfür angesetzten Kosten von 16.860,- EUR erfolgreich.

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e) K4 – Gutachten von Prof. O… vom 6. Mai 2014

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Das Gutachten enthält bis zur Seite 17 seiner insgesamt 28 Seiten eine rein theoretische Auseinandersetzung mit dem Materialverhalten von amorphen Polymeren und nimmt hierbei schwerpunktmäßig zur Schmelztemperatur und seiner Definition (nach dem Verständnis des Fachmanns) Stellung. Sodann werden die Ergebnisse einer bei der Klägerin durchgeführten Untersuchung des (Schmelz-)Verhaltens einer streitpatentgemäßen „hot melt composition“ bei steigenden Temperaturen (zur Feststellung der so definierten Schmelztemperatur) ausgewertet und Schlussfolgerungen für die Verarbeitungstemperaturen gemäß den Untersuchungen im Beklagten-Gutachten G7 (als im Gegensatz zur in G7 getroffenen Feststellung unterhalb der Schmelztemperatur liegend) gezogen (ad I.5, ad I.6, S. 18-24). Schließlich widerspricht der Gutachter (nur anhand von Fachliteratur) den im Beklagten-Gutachten G9 aufgestellten Behauptungen, dass die Verwendung von Knetelementen in einer Extruderschnecke ein geschmolzenes Polymer bedinge, dass bei der Verwendung nicht aufgeschmolzenen Polymers in Knetelementen der Ausfall der Anlage drohe und dass ein Polymer vor Eintritt in eine Zahnradpumpe vollständig geschmolzen sein müsse (ad II.1., S. 24-27).

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Auch hier liegt die oben bei den Gutachten G2a, G5 und G8 dargestellte Sondersituation nicht vor. Vielmehr handelt es sich um ein „normales Professoren-Gutachten“ zur Bekräftigung von Ausführungen der Partei über das Fachwissen und das Verständnis des Fachmanns. Dies hätte vom fachlich entsprechend qualifizierten patentanwaltlichen Vertreter der Klägerin ebenso vorgetragen werden können. Nichts anderes macht letztlich die Klägerin geltend, wenn sie zur Begründung der Notwendigkeit des Gutachtens ausführt, dass es eine wissenschaftlich belegte Auseinandersetzung mit der Frage der Definition der Schmelztemperatur enthalte, „von einem renommierten Wissenschaftler gefertigt werden“ musste und „als bloßer Parteivortrag nicht wirksam“ gewesen wäre (Schriftsatz der Klägerin v. 19. Juni 2017, S. 17, 3. Abs.). Nach den gefestigten, oben unter Ziff. 1 und bei Gutachten K2 dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts werden die Kosten solcher Gutachten nicht als notwendig angesehen und damit nicht dem unterlegenen Gegner aufgebürdet. Will eine Partei ein größeres Renommee für ihre Ausführungen, so muss sie die Kosten dafür auch selbst tragen.

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Im Übrigen kann es dahinstehen, ob letztlich das Gutachten K4 zusammen mit den Darlegungen im Urteil des Senats dafür ursächlich war, dass der Bundesgerichtshof seine bisherigen technischen Vorstellungen korrigiert hat, wie die Klägerin weiter ausführt. Bei der gebotenen ex-ante-Sicht können die Kosten jedenfalls nicht als notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden. Die Erinnerung ist damit auch hinsichtlich der für das Gutachten K4 angesetzten Kosten in Höhe von 19.200,- EUR erfolgreich.

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f) K5 – Gutachten von Prof. O… vom 16. Mai 2014

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Es handelt sich, wie bereits aus der Einleitung und Gliederung des Gutachtens K5 hervorgeht, um ein Gegen-Gutachten zum Beklagten-Gutachten G10. In K5 wird in Abweichung von G10 die Anwendbarkeit der Lehre der Entgegenhaltung E19 auch für Acrylathaftklebstoffe festgestellt, die mit Hilfsanträgen und späterem Hauptantrag beansprucht worden sind. Im Gegensatz zu der oben beiden Gutachten G2a, G5 und G8 dargestellten Sondersituation ging es hier also wiederum nicht um die Frage, ob die Lehre der betreffenden Entgegenhaltung an sich ausführbar ist (dies ist von der Beklagten auch nicht bestritten worden), sondern um die Übertragbarkeit der Lehre der E19 auf Acrylathaftklebstoffe, die in K5 unter Kritik an G10 bejaht worden ist. Zur mangelnden Erstattbarkeit einer solchen Untersuchung der inhaltlich-technischen Tragweite und Relevanz von Entgegenhaltungen kann wiederum vollumfänglich auf die o. g. Ausführungen unter Ziff. 1 und zum Gutachten K2 verwiesen werden. Die Kosten sind damit nicht notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Erinnerung ist damit auch hinsichtlich der Kosten für das Gutachten K5 in Höhe von 12.760,- EUR erfolgreich.

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g) K6 – Gutachten von Prof. O… vom 9. März 2015

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Bei dem experimentellen Teil des Gutachtens geht es wiederum um eine Nacharbeitung der Entgegenhaltung E19 mit Variationen, wie der Herstellung der Mischung in einem kontinuierlichen Extruder (mit externer und mit inline-Schäumung), um so die Argumentation zur Umsetzbarkeit der Lehre der E19 in ein kontinuierliches Extrusionsverfahren und damit die technische Relevanz der Druckschrift als patenthindernd darzulegen. Weiter wird die Förderbarkeit nicht geschmolzener Polymermassen mittels Zahnradpumpe untersucht und bejaht, womit der Auffassung der Beklagten entgegnet wird, dass aus der Darstellung einer Zahnradpumpe vor dem Zugabeort der Mikroballons in einigen Beispielen des Streitpatents ein vollständig geschmolzener Zustand des Förderguts folge (vgl. Schriftsatz der Klägerin und Berufungsbeklagten vom 31. März 2015, S. 31, d)). Außerdem wird der bleibende Druckverformungsanteil (Compression Set) von extrudiertem, geschäumtem und vernetztem Polyacrylat mit dem Ergebnis eines geringen Werts untersucht, was der Erläuterung der Reversibilität der Druckverformung des selbstklebenden Materials gemäß der E19 dient (vgl. Klägerin a. a. O., S. 5). Letztlich dient das Gutachten also wiederum zur Stützung der Argumentation bei der Auslegung des Gegenstands des Patents und seiner (mangelnden) Abgrenzung gegenüber dem Offenbarungsgehalt einer Entgegenhaltung. Damit kann auch zu diesem Gutachten auf die oben zu Ziff. 1 und zum Gutachten K2 gemachten Ausführungen verwiesen werden. Die Kosten für das Gutachten sind damit nicht als notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen, so dass die Erinnerung in Höhe von weiteren 13.850,- EUR erfolgreich ist.

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4. Reisekosten des Gutachters

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Nachdem die Kosten für die Gutachten G2a, G5 und G8 als notwendig anzusehen waren und die Beklagte das Bestreiten der Ausführbarkeit der beiden Entgegenhaltungen E04 und E05 bis zum Schluss des Verfahrens aufrecht erhalten hat, waren auch die Reisekosten des Gutachters zur Anreise zu den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesgerichtshof und dem Bundespatentgericht in Höhe von 1.077,54 EUR schon wegen der Notwendigkeit der Gutachten G5 und G8 ebenfalls als notwendig anzusehen. Denn es hätten sich im Laufe der mündlichen Verhandlung Rückfragen zum Thema oder zum Inhalt dieser Gutachten ergeben können, so dass die Anwesenheit des Gutachters als notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden kann. Auf die Frage, ob Anreisen auch wegen weiterer, nicht erstattbarer Gutachten notwendig waren, kommt es dann nicht mehr an, da hierfür keine gesonderten Reisen unternommen worden sind. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit sämtlicher Anreisen zu den mündlichen Verhandlungen allein schon aus der Notwendigkeit der Gutachten G5 und G8. Die Erinnerung bleibt damit hinsichtlich der Reisekosten des Gutachters in Höhe von 1.077,54 EUR erfolglos.

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Nach alledem ist der im angefochtenen Beschluss festgesetzte Betrag um 62.670,- EUR zu vermindern, während die Erinnerung im Übrigen erfolglos bleibt.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

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4. Der Gegenstandswert ergibt sich aus dem mit der Erinnerung zur Überprüfung gestellten Betrag.