Entscheidungsdatum: 16.11.2017
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. März 2017 aufgehoben,
a) soweit es den Angeklagten S. betrifft, vollumfänglich mit den Feststellungen,
b) soweit es die Angeklagte F. betrifft, in den Aussprüchen über die in den Fällen II. 2., 3. und 4. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten F. wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten sowie die Angeklagte F. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauchs von Kindern und unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Mit ihren Revisionen rügen diese die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte S. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Sein Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Dasjenige der Angeklagten F. hat mit der Sachbeschwerde den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Revision des Angeklagten S. beanstandet mit einer Verfahrensrüge zutreffend, dass die Strafkammer zwei Beweisanträge mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.
a) Dem liegt zugrunde:
Nach den Feststellungen lebten die Angeklagte F. und ihre zehnjährige Tochter, die Nebenklägerin, von August bis zum 6. Oktober 2014 gemeinsam mit dem Angeklagten S. in dessen Wohnung. In diesem Zeitraum nahm der Angeklagte dort in fünf Fällen sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vor, wobei er in einem Fall mit einem Vibrator in die Scheide der Geschädigten eindrang und in einem weiteren Fall mit den Fingern zwischen ihren Schamlippen manipulierte.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung unter anderem die Anträge gestellt, zwei die Nebenklägerin behandelnde Ärzte, darunter eine Frauenärztin, als Zeugen zu den Behauptungen zu vernehmen, die Angeklagte F. habe auf sein Drängen bzw. seine Veranlassung jeweils einen Untersuchungstermin für ihre Tochter vereinbart, während des Termins bei der Frauenärztin habe er vor der Praxis gewartet, während des anderen Arzttermins sei er zugegen gewesen. Diese Beweistatsachen seien für die tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der ihm angelasteten sexuellen Übergriffe von Bedeutung; denn, würden die Vorwürfe zutreffen, hätte er "mit Sicherheit nicht entsprechende ärztliche Untersuchungen veranlasst, die ... dazu hätten führen können, dass ... sein angebliches Tun aufgedeckt worden wäre".
Das Landgericht hat diese Anträge nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt, weil ein Beweismittelverbot bestünde. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO unterlägen die zwei Zeugen hinsichtlich ihrer ärztlichen Tätigkeiten gegenüber der Nebenklägerin einer Pflicht zur Verschwiegenheit. Die Nebenklägerin habe durch die Nebenklagevertreterin erklären lassen, sie entbinde die beiden behandelnden Ärzte nicht von dieser Verpflichtung.
b) Die Ablehnung der Beweisanträge wegen Unzulässigkeit der begehrten Beweiserhebungen erweist sich als rechtsfehlerhaft.
aa) Bei den gegenständlichen Beweisbegehren handelt es sich um Beweisanträge, nicht nur um Beweisermittlungsanträge. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts fehlt es nicht an einem erkennbaren Konnex zwischen den bezeichneten Beweismitteln und den behaupteten Beweistatsachen. Ungeachtet der Frage, ob und in welchen Grenzen das Kriterium der Konnexität anzuerkennen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 240/14, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Konnexität 2; krit. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 113 f.; KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 83 f.), ist hier ohne weiteres erkennbar, weshalb die benannten Zeugen etwas zu dem Beweisthema bekunden können sollten. Denn nach dem Vorbringen im Beweisantrag war der Angeklagte S. bei beiden Untersuchungsterminen vor Ort; bei einem Termin war er sogar unmittelbar anwesend. Situationen, in denen der jeweilige Zeuge die unter Beweis gestellten Wahrnehmungen hätte machen können, sind damit plausibel gemacht. Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Antragsteller sicher weiß, dass das Beweismittel die Beweisbehauptung belegt; vielmehr genügt es, wenn er dies auf Grund von tatsächlichen Anhaltspunkten für möglich hält oder vermutet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 240/14, aaO; ferner LR/Becker aaO, Rn. 103, 112; KK-Krehl aaO, Rn. 72, 83, jeweils mwN).
bb) Die Strafkammer hat zu Unrecht den Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO angenommen; denn die begehrten Beweiserhebungen waren nicht ohne weiteres unzulässig.
Steht einem Arzt nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, so obliegt es ausschließlich seiner freien Entscheidung, ob er sich nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zu einer Zeugenaussage entschließt. Lehnt der Patient es ab, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, oder widerruft er eine frühere Entbindungserklärung, so hat er keinen strafprozessualen Anspruch darauf, dass der Arzt die Aussage verweigert (vgl. BGH, Urteile vom 20. November 1962 - 5 StR 426/62, BGHSt 18, 146, 147; vom 7. März 1996 - 4 StR 737/95, BGHSt 42, 73, 76). Das gilt auch dann, wenn sich dieser durch seine Angaben nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar macht (vgl. BGH, Urteile vom 28. Oktober 1960 - 4 StR 375/60, BGHSt 15, 200, 202; vom 20. November 1962 - 5 StR 426/62, aaO, S. 147 f.). Auch dann bleibt die Aussage grundsätzlich verwertbar (vgl. BGH, Urteile vom 12. Dezember 1995 - 1 StR 571/95, BGHR StPO § 53 Schweigepflicht 1; vom 7. April 2005 - 1 StR 326/04, BGHSt 50, 64, 79 mwN; KK-Senge, StPO, 7. Aufl., § 53 Rn. 9; einschränkend - allerdings ohne Auswirkung auf den vorliegenden Fall - LR/Ignor/Bertheau, StPO, 27. Aufl., § 53 Rn. 12 f.). Für das Tatgericht kommt es somit nicht darauf an, ob der Berufsgeheimnisträger befugt oder unbefugt handelt, sondern nur darauf, ob er sein Zeugnis verweigert oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1960 - 4 StR 375/60, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 53 Rn. 45; KK-Senge aaO, Rn. 7).
Hiernach durfte die Strafkammer nicht allein wegen der von der Nebenklägerin verweigerten Schweigepflichtsentbindung von einem Beweismittelverbot und damit von der Unzulässigkeit der begehrten Zeugenvernehmungen ausgehen. Vielmehr war die Strafkammer - falls sie die Beweisanträge nicht rechtsfehlerfrei gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO behandelt hätte - gehalten, die beiden Ärzte zu laden und ihre Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht herbeizuführen; gegebenenfalls hätte die Aussagebereitschaft auch freibeweislich geklärt werden können.
c) Die Verurteilung des Angeklagten S. beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist nicht auszuschließen, dass die behandelnden Ärzte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätten.
2. Die Revision der Angeklagten F. führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der Aussprüche über die in den Fällen II. 2. bis 4. verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe.
a) Die Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten F. ergeben.
b) Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, da eine Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in Betracht kam und die Strafkammer diese Möglichkeit nicht erkennbar erwogen hat. Das betrifft die Fälle II. 2. bis 4., in denen das angewendete Strafgesetz eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht (§ 176 Abs. 4, § 176a Abs. 2 StGB), dagegen nicht den Fall II. 5 (§ 323c StGB). Hinsichtlich der für diesen Fall festgesetzten Einzelstrafe hält die Strafzumessung auch im Übrigen sachlichrechtlicher Prüfung stand.
aa) Nach den Feststellungen erstattete die Angeklagte F. , die in drei der Fälle an sexuellen Handlungen des Angeklagten S. an der Nebenklägerin beteiligt war und in einem Fall trotz kurzzeitiger Anwesenheit untätig blieb, einige Zeit nach der Beendigung der Lebensgemeinschaft auf Aufforderung einer Nachbarin, der gegenüber die Nebenklägerin Angaben zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten S. gemacht hatte, Strafanzeige gegen diesen. Bei der Polizei machte die Angeklagte F. konkrete Angaben zu den drei Taten, an denen sie beteiligt war, und der weiteren Tat, auf die sie aufmerksam wurde. Sie wurde nach der Anzeigeerstattung zumindest zweimal polizeilich einvernommen und belastete dabei den Angeklagten S. . Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von dessen Täterschaft entscheidend auf die Angaben der Angeklagten F. in der Hauptverhandlung gestützt, die sie im Verhältnis zu den Aussagen im Ermittlungsverfahren als im Wesentlichen konstant bewertet hat.
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Strafkammer - "innerhalb der maßgeblichen Strafrahmen aus § 176 Abs. 4 StGB, § 176a Abs. 2 StGB und § 323c StGB" - zugunsten der Angeklagten F. berücksichtigt, sie habe "durch ihre Anzeige ... das hiesige Verfahren angestoßen und damit im erheblichen Maße zu einer Aufdeckung der abgeurteilten Taten beigetragen"; sie habe schon im Ermittlungsverfahren "detaillierte Angaben zu den Umständen und Hintergründen der ihr bekannten Taten gemacht".
bb) Die Strafkammer hätte sich mit einer Strafmilderung gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB befassen müssen, die in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stand (vgl. § 46b Abs. 2 StGB). Denn nach den Urteilsgründen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen in den Fällen II. 2. bis 4. erfüllt; insbesondere sind die drei Taten des schweren sexuellen Missbrauchs, wegen derer der Angeklagte S. verurteilt worden ist, vom Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO erfasst (vgl. Nr. 1 Buchst. f).
Soweit die Strafkammer die Angeklagte F. wegen schweren sexuellen Missbrauchs nach § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB verurteilt hat (Fälle II. 3. und 4.), hat sie minder schwere Fälle gemäß § 176a Abs. 4 StGB verneint, ohne den vertypten Strafmilderungsgrund des § 46b StGB erkennbar in ihre Würdigung mit einzubeziehen. Dies ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die unterbliebene Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB, die - auch - die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB (Fall II. 2.) betrifft (zu den Prüfungsschritten, falls ein vertypter Strafmilderungsgrund vorliegt und das Gesetz einen unbenannten minder schweren Fall vorsieht, s. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2017 - 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524; vom 17. Oktober 2017 - 3 StR 423/17, juris Rn. 5 mwN).
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass sich der § 46b StGB betreffende Erörterungsmangel bei der Bemessung der in den Fällen II. 2. bis 4. verhängten Einzelstrafen zum Nachteil der Angeklagten F. ausgewirkt hat (§ 337 Abs. 1 StPO). Diese können keinen Bestand haben, was auch die Aufhebung der Gesamtstrafe bedingt. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler, der lediglich in einer rechtsfehlerhaften Wertung der festgestellten Tatsachen besteht, nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
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