Entscheidungsdatum: 20.12.2012
Der Beklagte ist Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes im Landkreis Stendal. Im Jahr 2008 führte er ein Angebotsverfahren für Leistungen des Rettungsdienstes (Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport) nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (RettDG LSA) vom 21. März 2006 (GVBl LSA S. 84) durch. Die Klägerin bewarb sich auf das Los 1 (Rettungswache Havelberg), der Beigeladene auf das Los 8 (Gesamtrettungsdienst für alle sieben Rettungswachen im Landkreis). Mit Bescheid vom 19. September 2008 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Genehmigung zur Durchführung des Gesamtrettungsdiensts für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2014. Mit weiterem Bescheid vom 8./15. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Genehmigungsantrag der Klägerin ab. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung beider Bescheide und eine Neubescheidung ihres Genehmigungsantrags. Sie hält das vom Beklagten durchgeführte Angebotsverfahren für formell rechtswidrig, weil es nicht als Vergabeverfahren nach den Vorschriften des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 ff. GWB) ausgestaltet worden sei. Zudem sei die Auswahlentscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft und verstoße gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2010 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Februar 2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien. Der Beklagte habe ein den formellen und materiellen Anforderungen des § 11 RettDG LSA genügendes Verwaltungsverfahren durchgeführt. Auf die von der Klägerin gerügten Verstöße gegen Bestimmungen der §§ 97 ff. GWB, der Vergabeverordnung sowie der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen - Teil A (VOL/A) komme es nicht an, weil die vergaberechtlichen Vorschriften nicht einschlägig seien. Bei der dem Beigeladenen erteilten Genehmigung handele es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag nach § 99 GWB oder im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl Nr. L 134 S. 114).
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.), noch liegen die gerügten Verfahrensmängel vor (2.).
1. Der Rechtssache kommt auf der Grundlage der Darlegungen in der Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
a) Die Klägerin hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Regelungen zum rettungsdienstlichen Genehmigungsverfahren (§ 11 RettDG LSA, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Dezember 2010
Damit ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht aufgezeigt. Die Auslegung des § 11 RettDG LSA betrifft irrevisibles Landesrecht, dessen Nachprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (§ 137 Abs. 1 VwGO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Rüge der Nichtbeachtung von revisiblem Recht bei der Anwendung und Auslegung von irrevisiblem Landesrecht eine Zulassung der Revision allenfalls dann rechtfertigen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundes- oder unionsrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (siehe etwa Beschlüsse vom 9. Juni 2008 - BVerwG 3 B 56.08 - juris Rn. 3 und vom 20. September 1995 - BVerwG 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 6 S. 8, jeweils m.w.N.). Das legt die Beschwerde nicht dar. Sie macht vielmehr geltend, dass das Berufungsurteil angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - X ZB 31/08 - BGHZ 179, 84; Beschluss vom 23. Januar 2012 - X ZB 5/11 - ZfBR 2012, 276) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Transparenzgebot (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - Rs. C-231/03 - Slg. 2005 I-7287) und zur Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG (siehe etwa EuGH, Urteile vom 29. April 2010 - Rs. C-160/08 - Slg. 2010 I-3713 = EuZW 2010, 543 und vom 10. März 2011 - Rs. C-274/09 - BayVBl 2011, 497) keinen Bestand haben könne. Die Klägerin hält somit nicht die als Maßstab angeführten Normen des Bundesrechts und des Unionsrechts für weiter klärungsbedürftig, sondern allein die Frage, wie § 11 RettDG LSA auszulegen und anzuwenden sei, ohne gegen dieses revisible Recht zu verstoßen.
Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Beschwerde in Bezug auf die unter Nr. 3.1.5 bis 3.1.7 formulierten Fragen vorbringt, es sei eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Der geltend gemachte Klärungsbedarf besteht nicht. Die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Buchst. d der Richtlinie 2004/18/EG ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt (vgl. etwa EuGH, Urteile vom 10. März 2011 a.a.O. Rn. 22 ff. und vom 29. April 2010 a.a.O. Rn. 90, jeweils m.w.N.). Ob nach den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Kriterien ein konkreter Vorgang als öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d der Richtlinie einzuordnen ist, fällt in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte (EuGH, Urteil vom 10. März 2011 a.a.O. Rn. 36).
Soweit die Beschwerde rügt, dass zwischen dem Beklagten und dem Beigeladenen unabhängig von der erteilten Genehmigung zumindest schlüssig ein Dienstleistungsvertrag geschlossen worden sei, führt auch dies nicht zu einem grundsätzlichen Klärungsbedarf. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung nicht das Ergebnis eines konsensualen Verhandelns über die Vertragsbedingungen sei, sondern die einseitige hoheitliche Regelung eines Lebenssachverhalts durch den Beklagten. Hierzu hat es auf den Genehmigungsinhalt abgestellt sowie darauf, dass der Beigeladene auf die Ausgestaltung der Genehmigung keinen Einfluss habe nehmen können (UA S. 17). Diese tatrichterliche Würdigung betrifft nur den Einzelfall und dessen spezifische Umstände; die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen wären für den Senat in einem Revisionsverfahren mangels durchgreifender Verfahrensrüge bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Fragen von grundsätzlicher Bedeutung werden dadurch nicht aufgeworfen. Daran ändert auch nichts, dass die Beschwerde auf die "Rechtslage im öffentlichen Rettungsdienst" anderer Bundesländer verweist; denn sie räumt selbst ein, dass die rechtliche Gestaltung der Übertragung des bodengebundenen öffentlichen Rettungsdienstes auf die Leistungserbringer von Land zu Land sehr unterschiedlich ausgestaltet ist.
b) Hinzu kommt, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt am 13. Dezember 2012 das Gesetz zur Neuregelung des Rettungswesens beschlossen hat. Das Neuregelungsgesetz soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten und das bisherige Rettungsdienstgesetz ablösen. Diese Novellierung des Rettungsdienstgesetzes führt zu grundlegenden Änderungen. Unter anderem ist vorgesehen, dass die Genehmigung zur Mitwirkung als Leistungserbringer im Rettungsdienst als Konzession vergeben wird und dass die Leistungserbringer mit den Kostenträgern Nutzungsentgelte vereinbaren (sog. "Konzessionsmodell"; vgl. Landtag von Sachsen-Anhalt, amtliche Begründung zum Gesetzentwurf, LTDrucks 6/1255 S. 3 f., 42 ff., 62 ff.
2. Die Beschwerde zeigt auch keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
a) Die Rüge, das Berufungsgericht habe den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu 4 verfahrensfehlerhaft abgelehnt, greift nicht durch. Das Gericht hat von der beantragten Zeugenvernehmung abgesehen, weil es auf die in das Wissen der benannten Zeugen gestellten Tatsachen,
"dass für die Genehmigungserteilung an den Beigeladenen ausschlaggebend war, dass der Beigeladene als bekannt und bewährt angesehen wurde, und dass der Schutz von Newcomern bei der Genehmigungsentscheidung keine Rolle spielte",
für die Entscheidung nicht ankomme. Das angegriffene Urteil ist darauf gestützt, dass der Beklagte zur Begründung seiner Auswahlentscheidung ermessensfehlerfrei ausgeführt habe, mit dem Los 8 (Gesamtrettungsdienst) werde in Anbetracht der jährlichen Einsatzzahlen eine sowohl wirtschaftliche als auch ordnungsgemäße, dauerhafte und effiziente Durchführung des Rettungsdienstes mit fachlich ausreichend qualifiziertem Personal gewährleistet. Der Beklagte habe damit in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Umstand gewürdigt, dass nach den in § 11 Abs. 1 Nr. 3 RettDG LSA vorgesehenen Auswahlkriterien keine an ausschließlich wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientierte Ermessensentscheidung geboten sei, sondern andere Aspekte wie die Erfahrung im Rettungsdienst und die Leistungsfähigkeit für den Massenanfall an Verletzten oder Erkrankten gleichfalls maßgeblich zu berücksichtigen seien (UA S. 23 zweiter Absatz bis S. 24 erster Absatz). Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung, die für die Prüfung des geltend gemachten Verfahrensmangels maßgeblich ist, hat das Tatsachengericht die Beweistatsache zu Recht als nicht entscheidungserheblich angesehen. Es musste dem behaupteten Motiv für die Genehmigungsentscheidung des Beklagten nicht weiter nachgehen, weil es tragend auf die schriftliche Bescheidbegründung abgestellt hat. Die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen sind hierfür unergiebig, weil sie auf einen vermeintlichen Beweggrund jenseits der schriftlich niedergelegten Gründe abzielen.
b) Zu Unrecht hält die Klägerin den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) deshalb für verletzt, weil das Berufungsgericht angenommen habe, der Beklagte habe sie über die für die Auswahlentscheidung maßgeblichen Wertungskriterien vorab informiert. Die tatsachengerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen. Fehler in diesem Bereich können daher einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen. Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes als Verfahrensfehler kommt nur in Betracht, wenn die Würdigung gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die gesetzlichen Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt (vgl. etwa Beschlüsse vom 19. Dezember 2008 - BVerwG 8 B 50.08 - juris Rn. 3 und vom 29. Mai 2007 - BVerwG 3 B 91.06 - juris Rn. 3; Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225 S. 74 f.). Eine Verletzung dieser Grundsätze zeigt die Beschwerde schon deshalb nicht auf, weil sie ausblendet, dass sich das Berufungsgericht für seine Annahme nicht allein auf das Schreiben des Beklagten vom 21. April 2008 gestützt hat. Es hat zusätzlich auf den Gesetzestext des § 11 Abs. 1 RettDG LSA, auf die Rettungsdienstverordnung (RettDVO-LSA), auf die der Klägerin übersandten Angebotsunterlagen sowie auf das ergänzende Schreiben des Beklagten vom 27. Mai 2008 abgestellt (vgl. UA S. 21 zweiter Absatz bis S. 22 erster Absatz).
Ebenso verfahrensfehlerfrei ist die Würdigung des Berufungsgerichts, in dem Schreiben vom 21. April 2008 sei darauf hingewiesen worden, dass sich das Angebot sowohl auf ein Los als auch auf mehrere Lose erstrecken könne. Entgegen der Beschwerde war dieser Hinweis ohne Weiteres dahin zu verstehen, das neben oder anstelle der Bewerbung auf ein oder mehrere Einzellose (Lose 1 bis 7) ein Angebot für das Gesamtlos (Los 8) möglich war.
c) Schließlich ist das Berufungsgericht hinsichtlich der von der Klägerin erstmalig im Berufungsverfahren begehrten Feststellung, dass die (u.a.) zwischen dem Beklagten und dem Beigeladenen geschlossenen Verträge vom 24. März 2009 und 24. März 2010 nichtig seien, zu Recht von einer unzulässigen Klageänderung ausgegangen. Der Feststellungsantrag richtet sich nicht auf eine Rückgängigmachung der Vollziehung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Er zielt nämlich nicht auf die Beseitigung von Folgen, die unmittelbar mit der angefochtenen Genehmigung verbunden sind, sondern betrifft - wie schon der anderweitige Kreis der an den Verträgen Beteiligten zeigt - allenfalls mittelbare Folgewirkungen und begründet daher einen neuen Klagegrund. Auf die von der Beschwerde beanstandeten Urteilsausführungen zu § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt es hiernach nicht an.