Entscheidungsdatum: 14.06.2012
I.
Der Kläger begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) von der Beklagten, vertreten durch das Bundeskanzleramt, Zugang zu Unterlagen, die Verhandlungen mit der Russischen Föderation über Visaerleichterungen betreffen.
Mit Beschluss vom 25. August 2011 forderte das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache die Beklagte auf, eine vom Auswärtigen Amt erarbeitete Vorbereitungsunterlage für den Leiter der Abteilung II des Bundeskanzleramts für ein Gespräch mit Vertretern des russischen Außenministeriums sowie ein vom Bundesministerium des Inneren erstelltes Ergebnisprotokoll dieses Gesprächs vorzulegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 3 Buchst. a, § 4 Abs. 1 IFG habe die Beklagte nicht plausibel dargelegt. Entscheidungserheblich komme es darauf an, ob die Beklagte sich zu Recht auf die Versagungsgründe nach § 3 Nr. 3 Buchst. b und Nr. 4 IFG i.V.m. § 4 Abs. 2 SÜG berufe. Daraufhin legte das Bundeskanzleramt unter dem 26. September 2011 die teilweise geschwärzten Dokumente vor und gab in Bezug auf die geschwärzten Passagen eine Sperrerklärung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Vorlage der ungeschwärzten Originale, die hinsichtlich der Gesprächsunterlage als "Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch" eingestuft seien, würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Zu den insoweit geschützten Bundesinteressen zählten die freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten und zu internationalen Organisationen sowie die unbeschwerte Erfüllung künftiger Aufgaben des zur Vorlage aufgeforderten Bundeskanzleramts einschließlich dessen Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Das Bekanntwerden des Verhandlungsverlaufs hätte nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen und gefährde die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen. Dadurch würde das Ansehen des Bundes im Verhältnis zu Russland beschädigt sowie die Verhandlungsposition der Bundesregierung beeinträchtigt, weil mögliche Kompromisslinien vorzeitig veröffentlicht würden. Daneben würde die innere Handlungsfähigkeit der Bundesregierung beeinträchtigt; denn sie würde durch die Veröffentlichung des noch andauernden internen Beratungsprozesses daran gehindert, zügig einen einheitlichen sachlichen Standpunkt zur Frage der Visumserleichterungen mit Russland zu finden. Diese Auswirkungen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sei sowohl das öffentliche Interesse als auch das individuelle Interesse des Klägers an der Wahrheitsfindung im vorliegenden Verfahren berücksichtigt worden. Durch die nur teilweise Schwärzung der Dokumente sei den gegenläufigen Interessen in differenzierter Weise Rechnung getragen worden. Soweit eine Teilschwärzung einzig sachgerecht erscheine, sei - im Rahmen des der Natur der Sache nach Möglichen - der Inhalt der geschwärzten Passagen möglichst präzise umschrieben worden.
Auf den Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Sache dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts vorgelegt.
II.
Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat, wie als Voraussetzung des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO in der Regel geboten, mit dem Beschluss vom 25. August 2011 ausführlich dargelegt, dass die Vorlage der bezeichneten Unterlagen für das anhängige Klagebegehren entscheidungserheblich ist. Es hat insbesondere ausgeführt, dass nicht nur über den materiellen Geheimhaltungsgrund nach § 3 Nr. 4 IFG, sondern auch über den prozeduralen Informationsverweigerungsgrund nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG nicht ohne Kenntnis des konkreten Akteninhalts befunden werden kann (vgl. Beschluss vom 2. November 2010 - BVerwG 20 F 2.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 12).
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten Akten vorzulegen, ist rechtmäßig.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Allein die Tatsache der Einstufung eines Teils der angeforderten Unterlagen als Verschlusssache ist allerdings ohne Bedeutung. Denn die betreffenden Akten sind nicht schon deswegen ihrem Wesen nach oder nach einem Gesetz geheim zu halten. Vielmehr kommt es auch insoweit darauf an, ob sich nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Geheimhaltungsbedürftigkeit ergibt, ob also der Grund für die Einstufung als Verschlusssache noch fortbesteht (Beschlüsse vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 21, 23 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58 und vom 20. September 2010 - BVerwG 20 F 9.10 - NVwZ-RR 2011, 135 Rn. 7 f.).
Materiell-rechtlicher Maßstab zur Beurteilung der Geheimhaltungsbedürftigkeit ist das Vorliegen eines Nachteils im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente und Unterlagen dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls. Nachteile im Sinne dieses Geheimhaltungsgrundes erfassen Beeinträchtigungen und Gefährdungen des Bestands und der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner wesentlichen Einrichtungen, insbesondere Beeinträchtigungen der inneren und äußeren Sicherheit. Der Weigerungsgrund ist eng auszulegen, der Nachteil muss von erheblichem Gewicht sein (Beschluss vom 23. Juni 2011 - BVerwG 20 F 21.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 19 m.w.N.).
Soweit das Verwaltungsgericht auf den fachgesetzlichen Versagungsgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG wegen des Schutzes der Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Regierung abstellt, kann ein Nachteil für das Wohl des Bundes dann gegeben sein, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des Akteninhalts der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berührt wird. Dieser Kernbereich bezeichnet einen Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich, der zur Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung grundsätzlich auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nicht ausgeforscht werden darf. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht; dabei sind laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen zur Wahrung eigenverantwortlicher Ausübung der Regierungstätigkeit grundsätzlich geschützt (siehe BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 - 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83 - BVerfGE 67, 100 <139> und Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 - BVerfGE 124, 78 <120 ff.> sowie BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - BVerwG 7 C 3.11 - DVBl 2012, 176 Rn. 30 f.). Ob die in der Sperrerklärung bezeichneten nachteiligen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Regierung anhand der konkreten Umstände nachvollziehbar belegt sind (vgl. dazu bei abgeschlossenen Vorgängen BVerfG, Beschluss vom 30. März 2004 - 2 BvK 1/01 - BVerfGE 110, 199 <218 f.>), bedarf hier keiner Prüfung. Denn das Bundeskanzleramt verweist zu Recht jedenfalls auf die nachteiligen Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik.
Ein Nachteil für das Wohl des Bundes kann gegeben sein, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des Akteninhalts eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen des Bundes verbunden wäre (Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 10, vom 23. November 2011 - BVerwG 20 F 22.10 - juris Rn. 15 und vom 10. Januar 2012 - BVerwG 20 F 1.11 - juris Rn. 12). Bezweckt wird damit zum einen der Schutz der auswärtigen Belange der Bundesrepublik; zum anderen sollen die Beziehungen zu anderen Staaten von Belastungen verschont und insbesondere das diplomatische Vertrauensverhältnis gewahrt bleiben (Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 22.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 1 Rn. 14). Ob hiernach die Geheimhaltung der Akten geboten ist, unterliegt gerade im Hinblick auf mögliche außenpolitische Folgen einer Beurteilungs- und Einschätzungsprärogative der Bundesregierung. Für die Regelung der auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der Bundesregierung einen grundsätzlich weit bemessenen Gestaltungsspielraum ein (BVerfG, Urteil vom 7. Mai 2008 - 2 BvE 1/03 - BVerfGE 121, 135 <158>). Demgemäß ist auch die Prognose, ob eine Offenbarung bestimmter Dokumente eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen erwarten lässt, verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009 a.a.O. Rn. 20). Das gilt auch im Zwischenverfahren vor dem Fachsenat im Sinne des § 189 VwGO.
Nach diesen Maßstäben werden in der Sperrerklärung konkret befürchtete Nachteile für die auswärtigen Beziehungen unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimnisschutzes nachvollziehbar dargelegt.
Das Schutzgut der auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland umfasst die Wahrung der eigenen außenpolitischen Interessen bei Verhandlungen mit fremden Staaten. Das setzt wiederum voraus, dass ungeachtet der - gegebenenfalls auf höchster politischer Ebene - offen ausgesprochenen allgemeinen Vorgaben die Verhandlungspositionen im Einzelnen nebst der Einschätzung der Positionen der Gegenseite und die Verhandlungsoptionen im Hinblick auf mögliche Kompromisse im Prozess des wechselseitigen Gebens und Nehmens nicht ohne Rücksicht auf den Gang und den Stand der Verhandlungen offengelegt werden. Die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen hat gezeigt, dass die Schwärzungen schutzwürdige Angaben betreffen. Insbesondere in der Vorbereitungsunterlage des Auswärtigen Amtes finden sich Einschätzungen und Aussagen zur außenpolitischen Interessenlage.
Der Schutz des diplomatischen Vertrauensverhältnisses gebietet im Allgemeinen, dass der Verlauf von nicht-öffentlichen Verhandlungen und die dort vertretenen Standpunkte nicht einseitig, sondern nur einvernehmlich offenbart werden. Soweit das Bundeskanzleramt in der Sperrerklärung ausführt, dass das Ansehen des Bundes im Verhältnis zum Verhandlungspartner bei Bekanntwerden des Protokolls beschädigt werde, ist vor dem Hintergrund der Gepflogenheiten bei zwischenstaatlichen Verhandlungen sowie etwaiger besonderer Empfindlichkeiten des Verhandlungspartners auch diese Einschätzung der rechtlichen Bewertung zugrunde zu legen.
Die Sperrerklärung genügt schließlich auch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Das Bundeskanzleramt hat erkannt, dass hiernach eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage zu treffen war. Es war im Interesse des Anliegens des Klägers erkennbar bemüht, den Akteninhalt so weit als möglich verständlich zu machen und die Schwärzungen auf das absolut Unerlässliche zu beschränken.