Entscheidungsdatum: 08.05.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. September 2017 im Maßregelausspruch aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet.
Die dagegen gerichtete, auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Maßregelanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat seine Annahme, dass hinreichende Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe (§ 64 Satz 2 StGB), nicht tragfähig belegt.
Zur Begründung seiner Annahme hinreichend konkreter Behandlungsaussicht hat das Landgericht, dem gehörten Sachverständigen folgend, lediglich ausgeführt, dass eine solche Behandlung angesichts des „in der Hauptverhandlung entstandenen und geäußerten“ Wunsches des Angeklagten erfolgversprechend erscheine. Damit ist die Strafkammer den rechtlichen Anforderungen, die an die Bejahung einer konkreten Behandlungsaussicht zu stellen sind, nicht gerecht geworden. Zwar handelt es sich bei dem angeführten Gesichtspunkt um einen prognosegünstigen Umstand. Dieser Hinweis vermag jedoch für sich genommen die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht zu tragen, wenn und soweit nach den Feststellungen auch gewichtige prognoseungünstige Faktoren bestehen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 2 StR 650/13, BGHR StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 2). In einem solchen Fall bedarf es einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 4 StR 92/15, NStZ 2015, 571, 572).
Hieran fehlt es. Das Landgericht hat nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte bereits langjährig betäubungsmittelabhängig ist, seit dem Jahr 2009 in ein Methadonprogramm aufgenommen ist und Beikonsum aller Art pflegt, wobei es ihm überwiegend gelungen ist, diesen Beikonsum unter anderem auch durch die Abgabe von Fremdurin erfolgreich zu verheimlichen. Bisherige Therapieversuche des zusätzlich an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leidenden Angeklagten blieben erfolglos. Dies gilt für die 1995 und 2005 angeordneten Unterbringungen des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gleichermaßen; die im Jahr 2005 angeordnete Unterbringung im Maßregelvollzug wurde im Oktober 2007 wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Auch spätere Therapieversuche nach Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG verliefen nicht erfolgreich. Zeiten der Abstinenz waren nicht mehr zu verzeichnen, der Angeklagte konsumierte vielmehr „jedwedes Betäubungsmittel und so viel, wie er vertrug.“ Diese prognostisch ungünstigen Umstände hätte das Landgericht in die erforderliche Gesamtwürdigung einstellen müssen.
Darüber hinaus hätte das Landgericht die Frage eines Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) näher prüfen und in den Urteilsgründen erwägen müssen. Zwar ist § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als Soll-Vorschrift ausgestaltet, so dass in Ausnahmefällen auch von der Anordnung des Vorwegvollzugs abgesehen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2017 – 1 StR 456/17, StraFo 2018, 172). Dies bedarf jedoch näherer Darlegung und Erörterung. Diese war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der vorweg zu vollziehende Teil der Strafe bereits vollständig durch Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft erledigt und deshalb für die Anordnung eines Vorwegvollzugs kein Raum wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 5 StR 625/17, StraFo 2018, 79). Diese Voraussetzungen waren hier unter Berücksichtigung einer Halbstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten, einer von der Strafkammer prognostizierten Behandlungsdauer von eineinhalb Jahren und der zum Urteilszeitpunkt sechseinhalb Monate dauernden Untersuchungshaft nicht gegeben.
Die Sache bedarf daher im Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben; er wird durch die Aufhebung des Maßregelausspruchs nicht berührt.
Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
Die in den Urteilsgründen mehrfach verwendete Formulierung, die „Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit“ des Angeklagten sei aufgrund akuten Alkohol- und Betäubungsmittelgenusses im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen, begegnet rechtlichen Bedenken. Zwischen Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist zu unterscheiden; sie können in der Regel nicht gleichzeitig aufgehoben bzw. eingeschränkt sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 – 3 StR 317/17, juris; Urteil vom 17. November 1994 – 4 StR 441/94, BGHSt 40, 341, 349; Senat, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167; Fischer StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 3 mwN).
Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe jedoch, dass das Landgericht – ungeachtet dieser missverständlichen Formulierung – tatsächlich davon ausgegangen ist, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten erheblich vermindert war.
Schäfer |
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RiBGH Prof. Dr. Krehl |
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Bartel |
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Schäfer |
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Grube |
Schmidt |