Entscheidungsdatum: 09.11.2017
Wird nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen würde, kann von der Entscheidung über einen Vorwegvollzug abgesehen werden.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 14. Juni 2017 aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug der Strafe angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung anderer rechtskräftiger Strafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Neben einer Einziehung hat es die in einem anderen rechtskräftigen Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten und angeordnet, dass vor der Maßregel ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe einschließlich der im Verfahren beim Landgericht Würzburg erlittenen Untersuchungshaft zu vollstrecken sind. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
Das auf den Ausspruch über den Vorwegvollzug der Strafe beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Anordnung des Vorwegvollzugs beschränkt.
a) Nachdem der Verteidiger des Angeklagten am 15. Juni 2017 die Revision unbeschränkt eingelegt hatte, hat der Angeklagte noch innerhalb der Einlegungsfrist eigenhändig ebenfalls Revision eingelegt. Diese stützt er darauf, dass seine erneute Inhaftierung und die damit einhergehende Unterbrechung der Therapie seine „Resozialisierung“ gefährde. Er hat ausgeführt: „Aus diesen Gründen bitte ich Sie Ihr Urteil betreffs des Vorwegvollzugs noch einmal zu überdenken“. Damit hat der Angeklagte aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er das Urteil nur im Hinblick auf den Vorwegvollzug von der Rechtsmittel-instanz überprüfen lassen möchte.
Dieser erklärte Wille des Angeklagten geht dem Willen des Verteidigers, das Urteil umfassend überprüfen lassen zu wollen, vor (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 297 Rn. 3). Denn nach der gesetzlichen Wertung des § 297 StPO ist der einer umfassenden Nachprüfung entgegenstehende Wille des Angeklagten über den auf die Einlegung des Rechtsmittels abstellenden Wortlaut hinaus auch bei einem später eintretenden Widerspruch zu beachten (vgl. SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 297 Rn. 14), z.B. für die nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 2015 – III – 2 Ws 300/15; KK-StPO/Paul, 7. Aufl., § 297 Rn. 3).
b) Die Beschränkung ist auch wirksam. Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. August 2017 – 3 StR 275/17; Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107 mwN). Dies setzt bei der Anfechtung des Vorwegvollzugs einer Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107 und vom 14. Februar 2012 – 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587).
Die Voraussetzungen der Maßregel nach § 64 StGB sind hinreichend belegt, auch die von der sachverständig beratenen Strafkammer angenommene Therapiedauer von zwei Jahren ist nicht zu beanstanden.
2. Das so beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB auf eine Anordnung des Vorwegvollzugs verzichtet werden kann.
a) Die Strafkammer hat zutreffend die im Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13. März 2017 angeordnete Maßregel aufrechterhalten. Denn die jetzt abgeurteilte Tat wurde vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen, weswegen die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. September 2016 – 5 StR 417/16, StV 2017, 575 mwN und vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105; Urteil vom 11. September 1997 – 4 StR 287/97, BGHR StGB § 64 Anordnung 4).
b) Die Strafkammer ist jedoch rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein auf die neue Gesamtstrafe zugeschnittener Vorwegvollzug vor der Maßregelvollstreckung erfolgen „muss“. Sie hat dabei außer Acht gelassen, dass die Vorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, um dem Gericht im Einzelfall, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden, die Möglichkeit zu eröffnen, es beim Vorwegvollzug der Maßregel zu belassen (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 14; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. August 2007 – 4 StR 283/07, NStZ-RR 2007, 371). Ob Anlass besteht, ausnahmsweise von der Anordnung abzusehen, ist von der Strafkammer danach nicht geprüft worden.
Dazu hätte aber vorliegend Anlass bestanden. Ausweislich der Urteilsfeststellungen ist gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils bereits die Maßregel vollstreckt worden. Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist eine Gesamtstrafe in einer Höhe gebildet worden, dass eine – wie vorliegend geschehen – nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen würde. Unter diesen Voraussetzungen kann aber von der Entscheidung über einen Vorwegvollzug abgesehen werden (hierzu neigend schon BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105; vgl. auch Beschluss vom 27. September 2016 – 5 StR 417/16, StV 2017, 575: keinen Vorwegvollzug wegen vollstreckungsrechtlicher Besonderheiten). Denn eine bereits begonnene Behandlung in der Entziehungsanstalt kann aktuell dringende Therapiebedürftigkeit begründen, um die bereits angelaufenen therapeutischen Maßnahmen durch eine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt nicht wieder zunichte zu machen (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/1110, S. 14). Da die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge aber auch der Sicherung des Therapieerfolgs dienen (BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2014 – 1 StR 162/14, NStZ-RR 2014, 368 und vom 21. August 2007 – 3 StR 263/07) muss diese vollstreckungsrechtliche Folge bei der Entscheidung über die Anordnung des Vorwegvollzugs bedacht werden, woran es vorliegend fehlt.
3. Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht vorliegend auch unter Einbeziehung der drohenden Herausnahme aus dem bereits begonnenen Maßregelvollzug auf eine Entscheidung über einen Vorwegvollzug nicht verzichtet hätte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen, weswegen ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist.
Der Senat kann schon deswegen nicht selbst über die Anordnung eines Vorwegvollzugs entscheiden, da dem Tatgericht vorbehaltene Wertungen und Beurteilungen zu treffen sind. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es angesichts des reinen Wertungsfehlers nicht. Das neu zuständige Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zum Stand der Therapie treffen.
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