Entscheidungsdatum: 23.01.2019
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 5. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es deshalb nicht an.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 71-jährige Beschuldigte über viele Jahrzehnte erfolgreich das elterliche landwirtschaftliche Anwesen, den „P. “; zudem errichtete er unter Inanspruchnahme von Bankdarlehen Wohnungen für Aussiedler und Sozialhilfeempfänger. Auch diese Projekte erwiesen sich als zunächst erfolgreich. Um die Jahrtausendwende geriet der Beschuldigte aber in wirtschaftliche Schwierigkeiten, nachdem die für die Darlehensbedienung erforderlichen Mieten der Sozialhilfeempfänger in größerem Umfang ausblieben. Dies führte schließlich zur Kündigung der Darlehen durch die Sparkasse M. B. und im Zuge dessen zur Zwangsversteigerung der Wohnungen und der landwirtschaftlichen Flächen seines Hofes. Der Beschuldigte sah die Schuld für seine finanzielle Misere ausschließlich bei der Sparkasse und versuchte, die dortigen Entscheidungsträger zur Einstellung der Zwangsvollstreckung zu veranlassen. Zahlreiche Versuche, dieses Ziel zu erreichen, blieben erfolglos, und waren bereits im Jahre 2006 Anlass für eine bis ins Jahr 2011 immer wieder aktualisierte Prüfung der Gefährdungslage für die betroffenen Personen durch die Polizei. In diese Zeit fallen Äußerungen des Beschuldigten wie „er habe einen Plan B, der beinhalte, dass sich dort, wo nun die Sparkasse sei, nur noch ein großes Loch befinden werde“ oder „diejenigen, die ihm sein Lebenswerk genommen hätten, müssten auch dran glauben.“
Bis Herbst 2010 lebte der Beschuldigte auf dem P. , den er schließlich endgültig im November 2010 verließ. Im März 2011 stand - wie der Beschuldigte erfahren hatte - die Zwangsversteigerung des Hofes an, seines letzten verbliebenen Vermögens. Um zu verhindern, dass er nunmehr auch noch den P. an Dritte verliere, bohrte er ein Loch in das Ventil des Hausanschlusses für Erdgas, so dass in der Folge unkontrolliert Gas ausströmte. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass ahnungslose Dritte - etwa die Ersteigerer des Anwesens - beim Betreten des Hauses und Betätigen einer Zündquelle zu Tode kommen könnten. Dazu kam es jedoch nicht, weil der Gasgeruch rechtzeitig bemerkt und eine Explosion verhindert werden konnte. Der Beschuldigte wurde wegen dieser Tat unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
In der Folge verbüßte der Beschuldigte die Freiheitsstrafe vollständig. Im Laufe der Inhaftierung entwickelte sich beim Beschuldigten eine organisch bedingte wahnhafte Störung, die sich in einem Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn sowie einem Größenwahn äußerte. Neben Personen aus dem allgemeinen M. Umfeld richtete sich sein Verfolgungswahn insbesondere auch auf Personen aus dem Kreise der Justiz, insbesondere in M. . In diesem Zusammenhang verfasste er unzählige Schreiben an die Justiz und sonstige Behörden. So schrieb er etwa am 16. Februar 2016 an die Polizei in H. und übersandte eine „grobe Auflistung“ von Personen, die zum „M. Komplott“ zählten. Wörtlich heißt es: „Eines wollen wir alle: aufklären, ermitteln, abrechnen“; „die Machenschaften in M. und anderswo aufklären und dafür sorgen, dass auch in M. der Rechtsstaat wieder eingeführt wird“.
Das Verhalten des Beschuldigten im Strafvollzug war Anlass für die Justiz, eine Gefahr für einen ehemaligen Mitarbeiter der Sparkasse und verschiedene ehemalige Politiker aus dem Landkreis M. -B. anzunehmen. Dies führte im August 2016 zu einem Beschluss zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht, in dem der Beschuldigte unter anderem mit einem Kontaktverbot hinsichtlich dieser Personen belegt und zudem angewiesen wurde, sich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zu unterziehen. Gestützt wurde dies darauf, dass der Beschuldigte die von ihm begangene Tat nicht aufgearbeitet habe. Es sei von einer „insgesamt nicht geringen Gefahr einer erneuten Gewalttat auszugehen, die jedoch keinesfalls auszuschließen sei.“
Der Beschuldigte, der über die möglichen Folgen eines Verstoßes gegen strafbewehrte Weisungen während der Führungsaufsicht aufgeklärt worden war, ließ sich am Tag seiner Entlassung, dem 1. September 2016, die „elektronische Fußfessel“ nicht anlegen. So wurde er am gleichen Tag wegen des dringenden Tatverdachts einer Straftat nach § 145a StGB wieder festgenommen. Es erging Haftbefehl, der jedoch gegen Weisungen außer Vollzug gesetzt wurde. Die Haftverschonung wurde alsbald widerrufen, weil der Beschuldigte die Zusammenarbeit mit seinem Bewährungshelfer abgelehnt hatte. Ab 9. September 2016 wurde deshalb die Untersuchungshaft wieder vollzogen.
Mit Urteil vom 27. Januar 2017, rechtskräftig seit 21. September 2017, wurde der Beschuldigte wegen Verstoßes gegen Weisungen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Sein Verhalten änderte sich in der Folgezeit nicht. So äußerte er im April 2017 gegenüber seiner Sozialarbeiterin, die Verantwortlichen für sein Scheitern müssten zur Verantwortung gezogen werden. Konkret sagte er: „Mein Lebenswerk ist zerstört, das ist noch nicht ausgestanden. Ich könnte denen was antun“.
Vor der für den 8. Mai 2017 geplanten Entlassung aus der Untersuchungshaft wurde der Beschuldigte nochmals hinsichtlich des Anlegens einer elektronischen Fußfessel belehrt. Gleichwohl erklärte er sich nach „Vollverbüßung der Freiheitsstrafe“ nicht damit einverstanden, sich die Fußfessel anlegen zu lassen. Daraufhin stellte der Leiter der Führungsaufsichtsstelle Strafantrag wegen des erneuten Weisungsverstoßes. Der Beschuldigte wurde daraufhin erneut festgenommen und befand sich zunächst in Untersuchungshaft, später wurde der Untersuchungshaftbefehl durch einen Beschluss nach § 126a StPO ersetzt.
Zur Tatzeit lag beim Beschuldigten eine organisch bedingte wahnhafte Störung vor, aufgrund derer seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben war.
2. Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dieser habe im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat gemäß § 145a StGB begangen; es bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte aufgrund des der Schuldunfähigkeit zugrunde liegenden psychischen Zustands erhebliche rechtswidrige Taten begehe, durch welche Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet werde. Die Strafkammer sieht die hohe Gefahr, dass vom Beschuldigten Gewalttaten im Sinne von vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten und Tötungsdelikten zum Nachteil von Personen zu erwarten seien, mit deren Entscheidungen er nicht einverstanden sei oder die aus seiner Sicht an seinem wirtschaftlichen Niedergang schuld seien. Dabei gehe es, so das Landgericht, nicht um die Gefahr von impulsiven Spontantaten, sondern von gut durchdachten, vorbereiteten und geplanten Taten wie derjenigen aus dem Jahr 2011. Es sei nicht von Bedeutung, ob bei jener Tat aus dem Jahr 2011 die wahnhafte Störung schon eine Rolle gespielt habe, was nicht habe geklärt werden können. Denn an der den Beschuldigten beschäftigenden Thematik (Schuldzuweisungen an Dritte für sein wirtschaftliches Scheitern) habe sich nichts geändert. Zwar habe der Beschuldigte längst erkannt, dass er seinen Grundbesitz verloren habe. Praktisch verfolge er aber nunmehr über Jahre hinweg finanzielle Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe, die er vor europäischen Gerichten durchsetzen möchte. Soweit sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung eingelassen habe, er verfolge lediglich finanzielle oder rechtliche Interessen, hält die Strafkammer dies im Übrigen für widerlegt. Mit Blick darauf, dass es sich bei der Anlasstat nicht um eine erhebliche Tat im Sinne von § 63 Satz 1 StGB handele, nimmt das Landgericht zudem besondere Umstände im Sinne von § 63 Satz 2 StGB an. Bei „steigender Intensität des bei ihm vorliegenden Wahns“ sei bei dem Beschuldigten damit zu rechnen, dass sich Straftaten wie diejenigen aus dem Jahr 2011 wiederholten.
II.
Mit dieser Begründung begegnet die Unterbringungsanordnung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Satz 1 StGB setzt die Feststellung voraus, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose zu tragen, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde in Folge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 23. August 2017- 2 StR 278/17; BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16; vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f., jeweils mwN). Liegen nur geringfügige Anlasstaten vor, gelten gemäß § 63 Satz 2 StGB strengere Darlegungsanforderungen; die besonderen Umstände im Sinne dieser Vorschrift müssen die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86; vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575; vom 24. Januar 2017 - 3 StR 421/16, StV 2017, 579; vom 7. März 2017 - 5 StR 609/16, NStZ-RR 2017, 171).
2. Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Es fehlt an einer nachvollziehbaren Darlegung besonderer Umstände gemäß § 63 Satz 2 StGB, die die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes erhebliche Straftaten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB nF begehen wird.
a) Angesichts des Umstands, dass der Beschuldigte lediglich einen Verstoß gegen § 145a StGB begangen hat und konkrete Androhungen von Gewaltanwendung nicht festgestellt sind, fehlt es an einem ausreichenden Beleg dafür, dass von dem Beschuldigten vorsätzliche Körperverletzungsdelikte und Tötungsdelikte zum Nachteil von Personen zu erwarten sind, die aus seiner Sicht an seinem wirtschaftlichen Niedergang Schuld haben. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Strafkammer nicht festzustellen vermochte, dass die wahnhafte Störung schon eine Rolle bei der Tatbegehung im Jahre 2011 gespielt hat (UA S. 56).
Ist auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Tatbegehung im Jahre 2011 mit ihrer hohen kriminellen Energie nicht auf die psychische Erkrankung des Beschuldigten zurückzuführen, sondern wäre bloßer Ausfluss von Rache (vgl. UA S. 55) und - wie vom Landgericht Marburg in seinem Urteil vom 27. September 2011 ausgeführt (UA S. 6) - getragen von dem Wunsch, den „P. “ nicht auch noch an Dritte zu verlieren, ist es nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der nunmehr psychisch erkrankte Beschuldigte, der - wie die Strafkammer festhält - längst erkannt hat, dass er seinen Grundbesitz verloren hat, auch angebliche Verantwortliche für seinen wirtschaftlichen Niedergang mit Gewalttaten zu überziehen beabsichtigt. Die insoweit vom Landgericht angeführten Umstände (Äußerungen gegenüber der Sozialarbeiterin im April 2017, sog. „Abgängerlisten“ und weitere Schreiben des Beschuldigten) belegen nicht hinreichend die Gewaltabsichten des unter einer Wahnstörung leidenden Beschuldigten, der etwa in seinem Brief vom 16. Februar 2016 (vgl. UA S. 15 ff.) keine unmittelbaren, konkreten Drohungen gegen bestimmte Personen ausgesprochen, sondern lediglich - in „querulatorisch-fanatischer“ Weise (vgl. UA S. 53) - eine Vielzahl von verantwortlichen Personen aus dem „M. Komplott“ benannt und insoweit Aufklärung und die „Wiedereinführung des Rechtsstaats in M. “ gefordert hat. Jedenfalls fehlen insoweit besondere Umstände, die den Schluss der Strafkammer belegen, auch gegen diese oder jedenfalls einige der aufgeführten Personen werde es zu solchen gewalttätigen Übergriffen kommen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte in den Tagen im September 2016, bei denen er auf freiem Fuß war, nach den Feststellungen keine erkennbaren Schritte zur Umsetzung möglicher geplanter Taten unternommen hat.
b) Sowohl der Sachverständige wie auch die Strafkammer legen ihrer Einschätzung zugrunde, dass im Wesentlichen die Wahnerkrankung für das Delinquenzrisiko (von Gewalttaten) verantwortlich sei. Soweit weiter festgestellt ist, dass ein Einfluss der Wahnerkrankung auf die Tat vom Jahre 2011 nicht nachzuweisen war, ist zu Gunsten des Beschuldigten davon auszugehen, dass diese Tat - wie es das Landgericht in seiner Entscheidung vom 27. September 2011, in der es ihn im Übrigen als voll schuldfähig angesehen hat, festgehalten hat - andere Ursachen hatte. Angesichts dessen erscheint es ohne nähere Darlegung nicht nachvollziehbar, sich bei der Begründung des besonderen Gewaltrisikos - wie es das Landgericht aber getan hat - auch auf die Tat aus dem Jahre 2011 zu beziehen, die gerade nicht durch die psychische Erkrankung des Beschuldigten bedingt war.
c) Die Strafkammer geht im Rahmen der Begründung besonderer Umstände gemäß § 63 Satz 2 StGB ferner davon aus, dass die angenommene hohe Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Übergriffen nicht auf der Gefahr von impulsiven Spontantaten, sondern von gut durchdachten, vorbereiteten und geplanten Taten wie derjenigen aus dem Jahr 2011 beruht. Dies steht nicht ohne Weiteres in Einklang mit der Einschätzung des Sachverständigen, der zwar auch das planvolle, intelligente, vorsichtige und sehr überlegte Vorgehen bei der Begehung des Vordelikts in den Blick nimmt (UA S. 55), die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr (angesichts des Potentials situativer Verstrickungen mit unvorhersehbarem Ausgang) aber nicht in direkter Aggression, vielmehr in einer indirekten, unkalkulierbaren und mittelbaren Konflikthäufung auch in unbedeutenden Alltagssituationen sieht, die jederzeit eskalieren könnten (UA S. 54). Ob das miteinander tragfähig in Übereinstimmung gebracht werden kann, vermag der Senat anhand der Urteilsausführungen nicht zu beurteilen. Auch insoweit erweist sich die landgerichtliche Gefahrenprognose als rechtsfehlerhaft.
d) Die Sache bedarf umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines (externen) Sachverständigen, der sich auch eingehender als bisher geschehen mit der Frage des Einflusses der festgestellten Wahnerkrankung des Beschuldigten auf seine Schuldfähigkeit, insbesondere auf seine Einsichtsfähigkeit, auseinandersetzen muss.
3. Der Senat hat (insbesondere mit Blick auf die Vorbefassung einer Vielzahl von Richtern beim Landgericht Fulda) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Franke |
|
Krehl |
|
Meyberg |
|
Grube |
|
Schmidt |
|