Entscheidungsdatum: 16.10.2013
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 9. Januar 2013 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 26. April 2013, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 9. Januar 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch in den Fällen III. 2.-17. der Urteilsgründe
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in 16 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen unter Einbeziehung von Geldstrafen aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die - wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat - unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Dem Angeklagten war nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn wie sein Verteidiger glaubhaft dargelegt hat, an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO). Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
2. Das Landgericht hat zu den Fällen III. 2.-17. der Urteilsgründe folgendes festgestellt: In der Zeit von November 2011 bis Ende Dezember 2011/Anfang Januar 2012 verkaufte der Angeklagte dem am 26. Dezember 1995 geborenen J. in sechs, zeitlich nicht mehr weiter konkretisierbaren Fällen jeweils Marihuana von zumindest mittlerer Qualität im Gegenwert von je 20 Euro (entsprechend 2 Gramm). In dem gleichen Zeitraum verkaufte der Angeklagte in zehn, zeitlich nicht mehr weiter konkretisierbaren Fällen Marihuana von zumindest mittlerer Qualität im Gegenwert von jeweils 10 Euro bis 30 Euro (entsprechend einem bis drei Gramm) an den am 28. Dezember 1995 geborenen G. . Dem Angeklagten war bekannt, dass die Jugendlichen noch keine 18 Jahre alt waren. Die Jugendlichen hatten bereits vor den Verkäufen durch den Angeklagten Erfahrungen mit dem Konsum von Marihuana. Der Gewinn des Angeklagten pro verkauftem Gramm Marihuana betrug 4 Euro.
3. Bei der Strafzumessung geht die Strafkammer vom Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG aus, der eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu fünfzehn Jahren vorsieht. Das Vorliegen minderschwerer Fälle im Sinne von § 30 Abs. 2 BtMG hat sie verneint und für jede der Taten eine Freiheitstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beurteilung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, der ein beträchtliches Überwiegen der strafmildernden Umstände voraussetzt, ist im Wesentlichen dem Tatrichter überlassen (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 46 Rdn. 85 m.N.). Seine Entscheidung ist vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn eine andere Entscheidung ebenso möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte. Dies ist ausnahmsweise jedoch nicht der Fall, wenn die mildernden Faktoren so eindeutig überwiegen, dass die Entscheidung des Tatrichters hinsichtlich des Strafrahmens nicht mehr als nachvollziehbar anzusehen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 140, 141).
So verhält es sich hier. Die Strafkammer führt selbst eine Reihe gravierender Milderungsgründe zu Gunsten des Angeklagten an, wie etwa sein vollumfängliches Geständnis, die geringen verkauften Mengen an Marihuana, bei dem es sich um eine sog. weiche Droge handelt, die geringen dabei erzielten Gewinne, die zudem der Finanzierung seines eigenen Konsums dienten und den Umstand, dass die Jugendlichen bereits vor den Verkäufen durch den Angeklagten Drogenkonsumenten waren. Dem stellt sie zu Lasten des Angeklagten lediglich gegenüber, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Dabei ist es allerdings zu berücksichtigen, dass es sich um vergleichsweise geringfügige Vorbelastungen wegen Beleidigung und wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz handelte. Soweit die Strafkammer als Strafschärfungsgrund ergänzend darauf abstellt, dass der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen Marihuana gewinnbringend an die Jugendlichen verkauft hat, werden diese Umstände durch die geringen verkauften Mengen und die minimalen erzielten Gewinne deutlich relativiert.
Gewichtet man diese Gesichtspunkte, so ergibt sich ein so eindeutiges Überwiegen der strafmildernden Faktoren, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens des § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren für jeden der Verkäufe von 1 - 2 Gramm Marihuana auch unter Anerkennung eines weiten tatrichterlichen Beurteilungsspielraums nicht mehr nachvollziehbar erscheint.
Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nicht - wie geboten (vgl. nur BGH, NStZ-RR 1998, 298) - erkennen, dass die Strafkammer eine Gesamtbetrachtung vorgenommen hat, bei der alle Umstände einbezogen und gewürdigt wurden, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen. Dies erfordert eine wertende Verknüpfung der mildernden und strafschärfenden Faktoren. Demgegenüber beschränkt sich das Landgericht auf die formelhafte und nicht näher begründete Schlussfolgerung, dass die mildernden Aspekte "mithin" die strafschärfenden nicht so überwiegen, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens angezeigt wäre. Auch bei der Gesamtwürdigung hätte die Strafkammer aber in Betracht ziehen müssen, ob die festgestellten mildernden Gesichtspunkte, insbesondere dass es sich um den Verkauf geringster Mengen der weichen Droge Marihuana handelt, die Fälle des Angeklagten so deutlich von den Delikten schwerer Kriminalität abheben, die durch § 30 Abs. 1 BtMG erfasst werden sollen, dass die Anwendung des darin vorgeschriebenen Strafrahmens unangemessen ist (vgl. Körner/Patzak/Volkmer-Patzak, BtMG, 7. Aufl. § 30 Rdn. 182).
Fischer Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng