Entscheidungsdatum: 09.05.2012
Die Ablehnungsgesuche der Angeklagten M. und C. gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann sowie die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer, Dr. Berger, Prof. Dr. Krehl und Dr. Eschelbach wegen der Besorgnis der Befangenheit werden als unbegründet zurückgewiesen.
I.
Die Beschwerdeführer C. und M. , die auch die vorschriftswidrige Besetzung des 2. Strafsenates gerügt haben, machen geltend, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die abgelehnten Richter nicht in der ihnen durch das Grundgesetz eingeräumten Unabhängigkeit entscheiden, sondern sich bei ihren Entscheidungen durch einen durch das Präsidium des Bundesgerichtshofs ausgeübten Druck bestimmen lassen. Dies ergebe sich aus folgenden Tatsachen:
Die abgelehnten Richter hätten als Mitglieder der Spruchgruppe 2 des 2. Strafsenates mit Beschluss vom 11. Januar 2012 (2 StR 346/11) festgestellt, dass der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt sei und das Verfahren ausgesetzt, weil die Zuweisung des Senatsvorsitzes an den abgelehnten Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann durch den Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs mit Verfassungsrecht nicht in Einklang stehe (anders die Spruchgruppe 1 des 2. Strafsenates, vgl. Urteil vom 11. Januar 2012 - 2 StR 482/11). Am 8. Februar 2012 hätten sie gleichwohl in demselben Verfahren durch Urteil in der Sache entschieden. Aus Presseveröffentlichungen gehe hervor, dass ein Mitglied des Senats in der mündlichen Verhandlung über die Strafsache 2 StR 346/11 am 8. Februar 2012 dem Präsidium des Bundesgerichtshofs vorgeworfen habe, in dieser Sache auf die Rechtsprechung des Senates Einfluss genommen zu haben. Am selben Tag habe diejenige Spruchgruppe des 2. Strafsenates, die sich zuvor für unzuständig gehalten habe, unter Mitwirkung der abgelehnten Richter eine Sachentscheidung getroffen, obwohl sie weiterhin davon überzeugt sei, für diese nicht zuständig zu sein. Die Beschwerdeführer müssten deshalb befürchten, dass diese mit den Grundlagen des juristischen Denkens nicht vereinbare Handlungsweise auf einer Druckausübung durch das Präsidium beruhe, sich mithin die abgelehnten Richter erfolgreich unter Druck hätten setzen lassen und so ihre Unabhängigkeit selbst aufgegeben hätten. Die Beschwerdeführer müssten auch befürchten, dass Richter, die bereits einmal hierzu bereit gewesen seien, sich auch weiterhin dem durch das Präsidium ausgeübten Druck beugen würden.
II.
Die Ablehnungsgesuche haben keinen Erfolg.
1. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet eine Ablehnung statt, wenn ein Grund vorgebracht wird, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Die Vorschrift ist einfachgesetzlicher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Prinzipien des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG), die garantieren, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfG 2 BvR 958/06 vom 27. Dezember 2006 = NJW 2007, 1670 mwN; 2 BvR 115/95 vom 19. August 1996 = NJW 1996, 3333). Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG NJW 1995, 1277; BVerfGE 88, 1, 4; BGH, Beschluss vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. 2011 § 24 Rn. 8 mwN). Ob nach § 24 Abs. 2 StPO die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit stattfindet, beurteilt sich stets im Hinblick auf das konkrete Verfahren; ist ein Bezug zum konkreten Verfahrensgegenstand gegeben, kann nicht von einer verfahrensübergreifenden Generalablehnung die Rede sein, die gesetzlich nicht vorgesehen ist (BVerfG 2 BvR 115/95 vom 19. August 1996 = NJW 1996, 3333).
2. Nach diesen Maßstäben sind die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann sowie die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer, Dr. Berger, Prof. Dr. Krehl und Dr. Eschelbach als unbegründet zurückzuweisen. Die Beschwerdeführer haben bei vernünftiger Würdigung aller Umstände, unter besonderer Berücksichtigung der Gründe der Entscheidung vom 8. Februar 2012, keinen Anlass, an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu zweifeln.
Unerheblich ist der von zwei der abgelehnten Richter in ihren dienstlichen Erklärungen aus ihrer subjektiven Wahrnehmung geschilderte Ablauf ihrer Anhörung am 18. Januar 2012 vor dem Präsidium. Ebenso kann dahinstehen, ob ansonsten durch das Präsidium - wie ein anderer abgelehnter Richter, der am 18. Januar 2012 nicht angehört wurde, dienstlich erklärt hat - nach seinem subjektiven Eindruck und Empfinden ein hoher Druck aufgebaut wurde, die Rechtsprechung der Spruchgruppe 2 des Senates zu ihrer Besetzung aufzugeben. Weiterer Aufklärung, etwa durch Anhörung der Mitglieder des Präsidiums, bedarf es daher nicht. Selbst wenn die Behauptung, das Präsidium - das, mit Ausnahme des Präsidenten, aus von allen Richtern am Bundesgerichtshof gewählten Richtern am Bundesgerichtshof besteht - habe wie auch immer gearteten Druck auf die abgelehnten Richter ausgeübt, zutreffen sollte, bezog sich dieser Druck auch nach den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter nicht etwa inhaltlich auf die Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten, sondern ausschließlich darauf, dass den bei der Spruchgruppe 2 des 2. Strafsenates anhängigen Verfahren - also auch dem die Beschwerdeführer betreffenden - Fortgang gegeben wird.
Misstrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der abgelehnten Richter ergibt sich bei vernünftiger Würdigung auch nicht daraus, dass die Spruchgruppe 2 des Senates am 8. Februar 2012 durch Urteil - anders als noch am 11. Januar 2012 - in der Sache entschieden hat, wobei aufgrund des Beratungsgeheimnisses offen bleiben muss, welcher Richter wie abgestimmt hat. Nach den Gründen des Beschlusses vom 11. Januar 2012 ist die Revisionshauptverhandlung deshalb ausgesetzt worden, um dem Präsidium Gelegenheit zu geben, eine mit der Verfassung in Einklang stehende Regelung herbeizuführen (BA 19 f.). Nachdem das Präsidium des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 18. Januar 2012 an der Geschäftsverteilung für den 2. Strafsenat mit Vorsitzendem Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als Vorsitzendem festgehalten hat, hat der Senat unter Mitwirkung der abgelehnten Richter in dem genannten Urteil ausgeführt, dass die Rechtslage zu der Frage nicht eindeutig sei, ob ein Präsidiumsbeschluss zur Geschäftsverteilung regelmäßig bindend sei, mithin die Spruchkörper des Gerichts nicht befugt seien, im fachgerichtlichen Verfahren ihre Besetzung zu überprüfen. Mit Rücksicht darauf, dass es andernfalls zu einem partiellen Stillstand der Rechtspflege käme, hat die Spruchgruppe 2 des Senates es für geboten gehalten, in allen bei ihr anhängigen Revisionen - also auch der vorliegenden - in der Sache zu entscheiden, auch wenn sie sich weiterhin nicht für ordnungsgemäß besetzt hält. Der Senat hat dies mit dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot und dem Gebot der Rechtsschutzgewährung begründet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht zu Lasten der Rechtsmittelführer gehen dürfe, dass das Präsidium des Bundesgerichtshofs die Rechtsprechung der Spruchgruppe 2 des Senates nicht umgesetzt habe.
Damit hat der Senat seiner Entscheidung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter aus der Verfassung abgeleitete Prinzipien zugrunde gelegt, die gewährleisten sollen, dass über die Revision eines Angeklagten zügig und ohne unangemessene Verzögerung entschieden wird. Die die Entscheidung im Ergebnis leitenden Verfassungsgrundsätze wirken vor allem zu Gunsten des rechtsuchenden Bürgers; der Senat hat bei seiner Abwägung auch bestimmend auf die Interessen der jeweiligen Rechtsmittelführer abgestellt. Es liegt aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten fern, bei der gegebenen, von der betreffenden Spruchgruppe des Senats als unklar gewerteten Rechtslage und mit Rücksicht auf die für die Entscheidung angeführten, maßgeblich die Interessen der jeweiligen Revisionsführer in den Blick nehmenden Gründe, zu besorgen, dass die abgelehnten Richter ihm bei der Entscheidung seines konkreten Falles nicht mit der gebotenen Neutralität und Distanz gegenübertreten.
Auch soweit es im Urteil vom 8. Februar 2012 heißt, dass "die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückstehen" müsse und der Senat "nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten" sei, "in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden", rechtfertigt dies bei vernünftiger Würdigung kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter. Die betreffenden Formulierungen sind - ungeachtet des auch an dieser Stelle wegen des Beratungsgeheimnisses offen bleibenden Abstimmungsverhaltens der einzelnen Richter - erkennbar in den dargelegten argumentativen Zusammenhang des Urteils eingebettet. Sie beschreiben insofern lediglich die Konsequenz, mit Rücksicht auf die in der konkreten Situation als höherrangig bewerteten Gebote der Beschleunigung und der Rechtsschutzgewährung in der Sache zu entscheiden, obwohl sich die Spruchgruppe 2 des Senats nicht für ordnungsgemäß besetzt hält.
Schließlich ist auch im Übrigen nichts dafür erkennbar oder vorgetragen, dass jenseits der Besetzungsfrage in der Sache selbst ein Grund vorliegen könnte, der Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter rechtfertigt.
Appl Roggenbuck Cierniak
Franke Schmitt