Entscheidungsdatum: 28.02.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und Besitz von Munition, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Außerdem hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 3 StPO Erfolg.
I.
Das Landgericht hat, soweit es zum Verständnis der Verfahrensrüge von Bedeutung ist, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. a) Den abgeurteilten Taten war eine „Vortat“ vorausgegangen:
Der aus Afghanistan stammende Angeklagte war am 11. November 2007 in einen Streit mit seinem Landsmann P. um die Nutzung eines Fahrzeugstellplatzes geraten. Sie hatten ein Treffen vereinbart und waren jeweils davon ausgegangen, dass es zu einer Auseinandersetzung kommen würde. P. hatte deshalb seinen Schwager A. mitgenommen; beide hatten sich mit Schlagwerkzeugen und zumindest einem Messer bewaffnet. Der Angeklagte hatte seinen Sohn Y. S. , einen Boxsportler, sowie seinen Bruder A. S. , der „stark sehbehindert und kriegsversehrt“ war, zum Tatort mitgebracht. Dort war es zu Tätlichkeiten gekommen, bei denen A. S. durch einen Messerstich tödlich verletzt worden war und der Angeklagte sowie sein Sohn Stichverletzungen davongetragen hatten. P. und A. waren deshalb strafrechtlich verfolgt worden. Der Angeklagte hatte widersprüchliche Zeugenaussagen gemacht und auf das Aussageverhalten seines Sohnes Einfluss genommen. Auch deshalb waren P. und A. vom Landgericht - unter Mitwirkung des im vorliegenden Verfahren abgelehnten Vorsitzenden - durch Urteil vom 9. September 2008 freigesprochen worden, weil Notwehr oder Nothilfe nicht ausgeschlossen werden konnte.
Die Familie des Angeklagten ging von dessen Mitverschulden am Tod seines Bruders aus. Er versuchte sich zu entlasten, indem er P. und A. die ganze Schuld zuschob. Solange sich diese in Untersuchungshaft befanden, „stützte dies die Darstellung des Angeklagten.“ Dieses Bild änderte sich durch die Freisprechung von P. und A. und deren Entlassung aus der Untersuchungshaft. Danach geriet der Angeklagte zunehmend in Misskredit.
b) Durch Urteil des Senats vom 17. Juni 2009 - 2 StR 105/09 - wurde das freisprechende Urteil wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Die Sache wurde an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese war überlastet, weshalb die neue Hauptverhandlung erst am 9. Dezember 2014 begann.
c) Vor diesem Hintergrund beschloss der Angeklagte, „Selbstjustiz“ zu üben, um sich in seinem sozialen Umfeld in ein besseres Licht zu rücken. Er beschaffte sich eine Selbstladepistole nebst Munition; außerdem verfügte er über ein Jagdmesser. Er wollte P. und A. am zweiten Verhandlungstag vor dem Gebäude des Landgerichts abpassen und dort töten. „Für eine Begehung der Tat vor dem Gerichtsgebäude sprach zuletzt, dass die Tat hierdurch noch den Charakter einer öffentlichen Hinrichtung erhielt.“ Die Tötung sollte ihn „retrospektiv wieder ins Recht setzen.“
Die erneute Hauptverhandlung gegen P. und A. begann am 22. Januar 2014. Dem als Zeugen geladenen Angeklagten wurde mitgeteilt, dass er am nächsten Verhandlungstag, dem 24. Januar 2014, nicht erscheinen müsse. P. und A. kamen an jenem Tag gegen 8.45 Uhr vor dem Gerichtsgebäude an und rechneten nicht mit einem Angriff auf ihr Leben. Der Angeklagte hielt sich unter einer Vielzahl von wartenden Besuchern verborgen. Dann gab er in rascher Folge Schüsse auf P. ab, der zu Boden ging. Der Angeklagte verfolgte den fliehenden A. in den Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes, wo er diesen mit Schüssen und Messerstichen tötete, um danach den schwerverletzten P. mit Messerstichen zu töten.
2. Darin hat das Landgericht einen Heimtückemord in zwei Fällen gesehen. Es ist auch von einer Tötung aus niedrigen Beweggründen ausgegangen. „Selbstjustiz“ könne „nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der `Blutrache´ bis heute relevant ist.“ Jedoch sei bei einer Gesamtbetrachtung, auch mit Blick auf das „Gewicht und nähere Umstände der Vortat“, davon auszugehen, dass die Beweggründe des Angeklagten auf tiefster Stufe stünden. „Auch die Umstände der justiziellen Aufarbeitung“ sprächen „entschieden gegen den Angeklagten.“ Er aber habe „der Justiz die Behandlung der Sache durch seine Tat ganz bewusst aus der Hand“ genommen.
II.
Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO ist mit Unrecht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO).
1. Dem liegt Folgendes zu Grunde:
a) Zu Beginn der Hauptverhandlung lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Dies stützte er auf dessen frühere Mitwirkung an dem Freispruch von P. und A. , weiterhin auf Rechtsfehler in jenem Urteil und dem zugrunde liegenden Verfahren, außerdem auf eine mittelbare Verursachung des Tatentschlusses des Angeklagten durch den Freispruch, ferner auf Bemerkungen des Vorsitzenden in einem anderen Verfahren über „Selbstjustiz“ sowie vor allem auf abwertende Bemerkungen über seine Persönlichkeit im freisprechenden Urteil vom 9. September 2008.
Dabei ging es im Einzelnen um Folgendes:
Bei der Urteilsbegründung in einer anderen Strafsache hatte der abgelehnte Vorsitzende kurz nach der Tat des Angeklagten unter anderem geäußert: „Selbstjustiz ist durch die Tat vom vergangenen Freitag nicht salonfähig geworden und wem das nicht passt, der soll dahin gehen, wo das anders ist.“ Diese Äußerung wurde in einem Zeitungsartikel der F. unter der Überschrift „Formen der Selbstjustiz“ zitiert.
In dem Urteil, mit dem P. und A. freigesprochen worden waren, hatte die Schwurgerichtskammer unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden zu der Zeugenaussage des Angeklagten angemerkt: „Den Angaben von H. S. kann nicht gefolgt werden, weil diese ebenfalls teilweise widerlegt und im Übrigen widersprüchlich sind ... .“ Im Zusammenhang mit der Zeugenaussage seines Sohnes wurde angemerkt: „Hierbei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Erinnerung des Y. S. - ohne böse Absicht - durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater so verfremdet hat, dass er die Ereignisse nicht mehr so wiedergeben kann, wie sie tatsächlich geschehen sind.“
Außerdem hatte das Urteil auf das Verhalten des Angeklagten in einem früheren Gerichtsverfahren wie folgt verwiesen: „Dass H. S. andere zu falschen Aussagen zu bestimmen versucht, ist diesem ebenfalls nicht persönlichkeitsfremd. Er hatte nämlich bereits 2003 vor dem Frankfurter Amtsgericht einen gedungenen Zeugen für sich falsch aussagen lassen.“ Das in Bezug genommene Urteil des Amtsgerichts hatte die Zeugenaussage eines Verwandten des Angeklagten infrage gestellt und dazu bemerkt: „Es drängt sich daher der zwingende Verdacht auf, dass es sich hier um einen Zeugen handelt, der die Unwahrheit vor Gericht gesagt hat.“
b) Der abgelehnte Vorsitzende erklärte dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch, dass die Äußerungen im freisprechenden Urteil zugunsten von P. und A. nicht mit der Absicht einer Herabsetzung des Angeklagten verbunden gewesen seien. Seine in der Zeitung - für sich genommen zutreffend - zitierte Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie sei auf das damalige Verfahren bezogen gewesen und habe nichts mit einer ethnopolitischen Einstellung zu tun. Da es hiernach um eine „bloße Vorbefassung“ mit der Sache gehe, habe er von einer Anzeige nach § 30 StPO abgesehen.
c) Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet verworfen.
2. Die Verfahrensrüge greift durch. Das Ablehnungsgesuch ist mit Unrecht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO).
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist bei dem Ablehnenden gegeben, wenn er bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, welche die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342 f.; Beschluss vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373).
Ein Ablehnungsgrund kann sich aus der Vorbefassung mit dem Sachverhalt ergeben, wenn besondere Umstände über die bloße Vorbefassung hinaus vorliegen. Solche Umstände können zum Beispiel darin bestehen, dass die frühere Entscheidung unnötige oder unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 222) oder sich der Richter in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 521; Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 283/14, NStZ 2015, 46; Urteil vom 10. Februar 2016 - 2 StR 533/14, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vortätigkeit 3).
Auf die Frage, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen war, kommt es nicht an. Es genügt eine aus konkreten Umständen verständliche Besorgnis der Voreingenommenheit. Dies ist nicht aus der Perspektive des abgelehnten Richters zu bewerten, sondern aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209).
b) Nach diesem Maßstab war die Ablehnung des Vorsitzenden der Strafkammer bei einer Gesamtschau aller vom Angeklagten sowohl zum Gegenstand seines Ablehnungsgesuchs als auch seiner Verfahrensrüge gemachten und nach Aktenlage sowie dienstlicher Erklärung zutreffend vorgetragenen Umstände des Falles begründet. Die Aspekte sind nicht isoliert, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet, die Richterablehnung zu rechtfertigen.
aa) In der gebotenen Gesamtschau ist zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Vorsitzende an dem Urteil über den Freispruch der später Getöteten mitgewirkt hatte, in dem unnötige und sachlich nicht gerechtfertigte abwertende Bemerkungen über die Person des Angeklagten enthalten waren.
Dies gilt zunächst für die dortige Bezeichnung des Angeklagten als „impertinenter“ Vater. Mit dem Attribut „impertinent“ wird nach dem Sprachgebrauch eine Person bezeichnet, die in herausfordernder Weise ungehörig, frech oder unverschämt ist. Zu einer derartigen Kennzeichnung im Urteil bestand auch zur Unterstreichung der gegen die Glaubwürdigkeit der Person und die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Angeklagten angemeldeten Bedenken kein sachlicher Grund.
Auch die weitere Bezeichnung des Angeklagten als eine Person, die in einem früheren Gerichtsverfahren einen „gedungenen Zeugen“ aufgeboten habe, war nicht angebracht. Eigene Feststellungen zu einer solchen Verleitung eines Zeugen zu einer Falschaussage durch den Angeklagten hatte die Schwurgerichtskammer nicht getroffen. Solche Feststellungen konnten auch nicht durch Hinweis auf das Urteil des Amtsgerichts ersetzt werden; denn darin waren keine konkreten Feststellungen zu einer Zeugenbeeinflussung durch den Angeklagten getroffen worden.
bb) Ferner kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung auch der Tatsache Bedeutung zu, dass über eine Tat zu urteilen war, zu der sich der Angeklagte nach seiner Einlassung auch durch den vom abgelehnten Richter mit zu verantwortenden, vom Revisionsgericht aufgehobenen Freispruch motiviert sah.
cc) Schließlich fällt ins Gewicht, dass der abgelehnte Vorsitzende sich in einem anderen Verfahren auch über die „Selbstjustiz“ durch den Angeklagten kritisch geäußert und dabei eine Bewertung vorgenommen hatte, die in dem Verfahren gegen den Angeklagten bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe und der besonderen Schwere der Schuld von Bedeutung sein würde.
dd) Aus der Zusammenschau dieser Gesichtspunkte konnte auch ein besonnener Angeklagter aus seiner Sicht die Besorgnis der Befangenheit herleiten.
c) Diese Besorgnis wurde nicht durch die dienstliche Erklärung des abgelehnten Vorsitzenden ausgeräumt. Diese kann die genannten Gesichtspunkte weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit maßgeblich relativieren.
Der Hinweis darauf, dass eine Herabsetzung des Angeklagten mit der Bezeichnung als „impertinenter Vater“ und als eine Person, die bereits früher einen „gedungenen Zeugen“ aufgeboten habe, von ihm nicht beabsichtigt worden sei, genügt nicht. Entscheidend ist auf den nach außen hervorgerufenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen, ohne dass es maßgeblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich seiner inneren Haltung entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2012 - 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211, 212).
Die Erklärung des Vorsitzenden, dass seine in der Presse zitierte Bemerkung über „Selbstjustiz“ nach der Tat des Angeklagten „mit einer ethnopolitischen Einstellung nichts zu tun“ gehabt habe, lässt den Sachverhalt nicht in einem anderen Licht erscheinen. Maßgeblich ist, dass der abgelehnte Richter in einem anderen Verfahren einen wertenden Bezug zur Tat des Angeklagten hergestellt hatte, über die er absehbar zu entscheiden hatte. Die nachvollziehbare Betroffenheit im Landgericht über die Tat ändert nichts am Gebot für einen absehbar zur Entscheidung über diese Tat berufenen Richter, sich bei öffentlichen Äußerungen hierzu zurückzuhalten.
Die dienstliche Erklärung des abgelehnten Vorsitzenden vermag auch nicht den Gesamteindruck des Einzelfalls zu relativieren, zumal er darin nur von einem Fall der „bloßen Vorbefassung“ mit Teilen des Sachverhalts ausgegangen ist, aber die besonderen Akzente der Fallkonstellation nicht in den Blick genommen hat.
III.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Krehl |
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Grube |
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Schmidt |
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