Entscheidungsdatum: 29.03.2012
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten R. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges in Tateinheit mit Datenveränderung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der verfahrensrechtlichen Beanstandung Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die sachlich-rechtlichen Rügen der Beschwerdeführerin nicht bedarf.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der (in den USA wohnhafte und von dort zur Hauptverhandlung angereiste) Angeklagte über mehrere Firmen kostenpflichtige Internetseiten. Seine Geschäftspartner B. und H. setzten - unter Einbeziehung weiterer Beteiligter, u.a. der Nichtrevidenten - von Juli 2002 bis Ende September 2003 sogenannte "Autodialer" ein. Dabei handelte es sich um Computerprogramme, die keine eigene Benutzeroberfläche hatten und hohe Entgelte verursachende Telefonverbindungen zu Internetseiten herstellten, ohne dass der jeweilige Computernutzer zuvor darauf hingewiesen worden war. Der Angeklagte billigte ab September 2002 den Einsatz verschiedener Arten kostenpflichtiger "Autodialer", die - wie er wusste - illegal waren. Er akquirierte Kunden, kontrollierte die Zahlungsein- sowie -ausgänge, war für die Abrechnungen und Auszahlungen zuständig und hatte eine zentrale Position innerhalb der arbeitsteilig vorgehenden Gruppe inne. Insgesamt erzielte er aus dem Einsatz der "Autodialer" einen Gewinn von 884.000 €. Der Gesamtschaden betrug über 12.000.000 €.
II. Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass an dem angefochtenen Urteil in der Person des Kammervorsitzenden ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden war (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO).
1. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:
Am 7. Juni 2011, dem ersten Tag der auf vier Tage anberaumten Hauptverhandlung, kam es während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem Gespräch über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrenserledigung. Die Vorstellungen der Verfahrensbeteiligten stimmten hinsichtlich der drei Nichtrevidenten, nicht aber hinsichtlich des Angeklagten überein. Nach den voll geständigen Einlassungen der Nichtrevidenten verlas der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung. Zudem beantwortete der Angeklagte Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten. Während einer anschließenden Unterbrechung regte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft an, bereits am folgenden Tag den die Ermittlung führenden Kriminalbeamten KOK Ho. als Zeugen zu hören und dann die Hauptverhandlung zu beenden. Der Staatsanwalt erklärte, es sei ihm voraussichtlich nicht möglich, bis dahin seiner Meinung nach wichtige Unterlagen vom Angeklagten zu erlangen und zu bewerten. Zudem sei er mit der Beschränkung der Zeugen auf KOK Ho. nicht einverstanden, zumal dieser - anders als etwa der Zeuge H. - kein unmittelbarer Tatzeuge sei. Ferner habe er Bedenken gegen das Vorhaben des Vorsitzenden, die Beweisaufnahme dadurch abzukürzen, dass das gegen den Mittäter B. ergangene Urteil verlesen werde und die Angeklagten sich dazu äußern.
Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung kündigte der Verteidiger an, sein Mandant werde in begrenztem Umfang Fragen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft beantworten und versuchen, eine von diesem gewünschte Steuererklärung beizubringen. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Kammer beabsichtige, sämtliche Zeugen mit Ausnahme des KOK Ho. sowie - mit Blick auf den Staatsanwalt - des Zeugen H. abzuladen und Auszüge aus dem gegen B. ergangenen Urteil im Selbstleseverfahren einzuführen. Es folgte eine Erörterung, inwieweit weitere Zeugen in der Hauptverhandlung gehört werden müssten. Während die Verteidiger auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichteten, erklärte der Staatsanwalt, sich dazu erst nach Befragung des Angeklagten äußern zu können. Der Vorsitzende beharrte darauf, dass weitere Zeugen für die Schuldfrage nicht erforderlich seien und abgeladen werden könnten. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig" zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen". Nachdem sich der Staatsanwalt gegen die Diktion verwahrt hatte, erklärte der Vorsitzende, das Wort "unanständig" in Anführungszeichen gesprochen zu haben. Anschließend belehrte er den Angeklagten über die Regelung des § 231 Abs. 2 StPO und fügte hinzu, diese gelte auch für die Mitangeklagten. Dann wollte er die Verhandlung unterbrechen. Davon sah er auf Wunsch des Staatsanwalts zunächst ab und ermöglichte diesem, Fragen an den Angeklagten zu stellen, begrenzte die Fragezeit aber wegen eines - zu diesem Zeitpunkt erstmals mitgeteilten - Termins eines Kammermitglieds auf zehn Minuten. Nach dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin, die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge. Unmittelbar danach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später liegenden nächsten Verhandlungstag.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft reichte noch am selben Tag außerhalb der Hauptverhandlung ein schriftliches Ablehnungsgesuch unter näherer Darstellung des vorstehenden Sachverhalts bei Gericht ein und lehnte darin den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab. Der abgelehnte Richter äußerte sich am Folgetag schriftlich zu dem Gesuch und bestätigte darin den äußeren Verfahrensablauf im Wesentlichen. Die Kammer wies - ohne Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden - mit Beschluss vom 10. Juni 2011 das Ablehnungsgesuch mit der näher ausgeführten Begründung zurück, die Verhandlungsführung des Vorsitzenden sei nicht zu beanstanden und könne die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Insbesondere sind die Verfahrenstatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hinreichend dargelegt. Auch wenn die Revisionsbegründung selbst den Ablauf des ersten Hauptverhandlungstags nicht geschlossen schildert, kann dieser vorliegend dem Revisionsvorbringen insgesamt - vor allem dem vollständig mitgeteilten Ablehnungsgesuch - ausreichend entnommen werden.
b) Die Verfahrensrüge hat in der Sache Erfolg, weil die Ablehnung des Kammervorsitzenden zulässig und bei verständiger Würdigung aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Besorgnis der Befangenheit gegeben war.
aa) Das Ablehnungsgesuch genügt den Zulässigkeitsanforderungen und ist insbesondere unverzüglich i.S.d. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden. Dass dies nicht bereits in der Hauptverhandlung selbst geschah, ist nach den gegebenen Umständen nicht maßgeblich. Dem zur Ablehnung Berechtigten ist eine gewisse Zeit zum Überlegen und zum Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1995 - 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN). Diese Zeit ist hier bei dem noch am selben Tag eingereichten Gesuch nicht überschritten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Eindruck einer Voreingenommenheit, der sich schon aus dem nachhaltigen und intensiven Hinwirken auf einen Verzicht der Vernehmung von Zeugen ergeben konnte, durch das weitere Verhalten des Vorsitzenden gestützt und verstärkt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281).
bb) Die Verhandlungsführung des Kammervorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag stellt bei einer Gesamtschau einen Grund dar, der aus Sicht der Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung geeignet war, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Dazu ist entscheidend auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 - 3 StR 365/90, BGHSt 37, 298, 302 f.), ohne dass es maßgeblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspricht. Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2003 - 3 StR 28/03, NStZ 2003, 666, 667; Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281 f.). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Bereits die beharrlichen und intensiven Versuche des Kammervorsitzenden, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu einem Verzicht auf die Vernehmung des überwiegenden Teils der Zeugen zu drängen, obwohl der Angeklagte - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - das Gewicht seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in vollem Umfang eingeräumt hatte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig waren, sowie seine Wortwahl konnten den Eindruck hervorrufen, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität. Zwar kann ein Vorsitzender zur Verfahrensförderung bestimmte Prozesshandlungen der Verfahrensbeteiligten anregen, hat dabei aber die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH, Urteil vom 5. September 1984 - 2 StR 347/84, NStZ 1985, 36, 37). Eine solche Zurückhaltung hat der Kammervorsitzende vermissen lassen.
So hatte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorsitzenden zuvor in einer Verhandlungspause unmissverständlich mit nachvollziehbarer Begründung mitgeteilt, er sei derzeit mit einer Beschränkung der Zeugenvernehmung auf KOK Ho. nicht einverstanden. Dies hinderte zwar den Vorsitzenden nicht, den Zeugenverzicht danach nochmals in der Hauptverhandlung anzusprechen. Der Umstand jedoch, dass er in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhob, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft verhalte sich mit seiner Weigerung "unanständig" und nehme die anderen Verteidiger "in Sippenhaft", musste dieser als unzulässigen Druck verstehen, zum Zwecke einer schnellen Verfahrenserledigung gegen seine Überzeugung bereits vor abgeschlossener Befragung des Angeklagten den vom Vorsitzenden gewünschten Zeugenverzicht zu erklären (s. dazu BGH, Beschluss vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84, wistra 1985, 27, 28). Die anschließende Äußerung des Vorsitzenden, der Begriff "unanständig" sei mit Anführungszeichen gesprochen gewesen, konnte den durch die drastische Wortwahl hervorgerufenen Eindruck der Voreingenommenheit nicht beseitigen, auch wenn die Abmilderung bei der Bewertung zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 292/11 mwN).
Die Besorgnis, der Vorsitzende habe in erster Linie den schnellen Abschluss des Verfahrens und weniger die Ermittlung des wahren Sachverhalts im Blick, wurde noch dadurch verstärkt, dass er zuvor in einer Verhandlungspause erwogen hatte, die Hauptverhandlung nicht erst am dafür vorgesehenen zweiten Verhandlungstag, sondern bereits am Folgetag fortzusetzen und abzuschließen. Ein solches Vorgehen, das im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen durchaus sinnvoll ist, konnte hier im Hinblick auf den Umfang sowie die Komplexität der Anklagevorwürfe den Eindruck der Beschwerdeführerin von einer Voreingenommenheit vertiefen. Dafür ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Vorsitzende salopp davon sprach, man könne am nächsten Tag "den Sack zumachen".
Der weitere Verfahrensablauf relativierte aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit des Vorsitzenden, sondern war geeignet, diese sogar zu verstärken. Die Belehrung des Angeklagten, es könne nach § 231 Abs. 2 StPO auch in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden, weil er bereits zur Anklage vernommen worden sei, und die zunächst unmittelbar darauf beabsichtigte Unterbrechung der Hauptverhandlung konnten unter Berücksichtigung des vorangegangenen Geschehens aus Sicht der Beschwerdeführerin den Eindruck erwecken, ein Ausbleiben finde die Billigung des Gerichts (vgl. RG, Urteil vom 11. April 1924 - I 180/24, RGSt 58, 149, 152 f.; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 1984 - 3 Ss 242/84, StV 1985, 50; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 22).
Dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sodann am ersten Hauptverhandlungstag noch Gelegenheit erhielt, den Angeklagten zu befragen, beseitigte den bis dahin hervorgerufenen Eindruck fehlender Neutralität nicht; denn die Fragemöglichkeit war vom Vorsitzenden unvermittelt auf nur zehn Minuten beschränkt worden. Auch wenn der Zeitpunkt der Unterbrechung der Hauptverhandlung verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist, konnte die Beschwerdeführerin diese bei einer Gesamtbetrachtung der Verhandlungsführung durchaus als Beschränkung ihres Fragerechts verstehen, weil sie zuvor über die zeitliche Beschränkung nicht informiert worden war.
Schließlich wurde der Eindruck der Voreingenommenheit noch dadurch verstärkt, dass der Vorsitzende für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge erwartete, obwohl sich bislang lediglich die Angeklagten zur Sache eingelassen hatten und der Verlauf sowie das Ergebnis der noch durchzuführenden Beweisaufnahme offen waren.
3. Das Ablehnungsgesuch durfte nach alledem nicht zurückgewiesen werden, weil die Verhandlungsführung des Vorsitzenden in ihrer Gesamtheit bei der Staatsanwaltschaft den Eindruck der Voreingenommenheit hervorrufen musste. Deshalb liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vor, der den Senat dazu zwingt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.
Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird näher auf eine Abgrenzung zwischen Betrug und Computerbetrug Bedacht zu nehmen sein (vgl. Buggisch, NStZ 2002, 178, 181; Frank, CR 2004, 123, 125 ff.; Fülling/Rath, JuS 2005, 598 ff.; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2005, Rn. 555 f.; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 263 Rn. 24; jurisPK-Internetrecht/Heckmann, 3. Aufl., Kapitel 8 Rn. 155; [ohne nähere Begründung zur rechtlichen Bewertung] LG Essen, Urteil vom 9. März 2007 - 52 KLs 24/06, juris Rn. 84).
Zudem können nähere Erörterungen dazu angezeigt sein, inwieweit eine etwaige Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an den Betrugstaten sich auch auf den Tatbestand der Datenunterdrückung erstreckte.
Im Übrigen erscheint dem Senat nach den Strafzumessungsgründen - insbesondere im Hinblick auf den hohen Gesamtschaden von über 12.000.000 € auch unter Berücksichtigung der strafmildernden Gesichtspunkte - die Strafe unverhältnismäßig milde.
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges