Entscheidungsdatum: 14.03.2014
1. Der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 28. Juni 2012 - 31 AR 2/11 ThUG - und der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. September 2012 - 34 Wx 304/12 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. September 2012 - 34 Wx 304/12 - wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde mittelbar gegen das Therapieunterbringungsgesetz gerichtet ist, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. O…
5. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 120.000 € (in Worten: einhundertzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Der Beschwerdeführer wendet sich unmittelbar gegen die Ablehnung der Aufhebung seiner gerichtlich angeordneten Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz (ThUG). Mittelbar ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes selbst gerichtet.
1. Das Landgericht Regensburg verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 29. August 1988 wegen versuchter Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und ordnete gleichzeitig dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, die ab dem 5. Januar 1994 vollzogen wurde. Nachdem der Beschwerdeführer im Jahr 2007 in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen worden war, erklärte das Landgericht Deggendorf mit Beschluss vom 21. Juni 2011 die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung für erledigt, da eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Beschwerdeführers nicht mehr herzuleiten sei. Seitdem befand sich der Beschwerdeführer aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Deggendorf vom 26. Juli 2011 im Vollzug der Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz, aus dem er am 25. Januar 2013 entlassen wurde.
Zuvor hatte das Landgericht Deggendorf mit angegriffenem Beschluss vom 28. Juni 2012 einen Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Therapieunterbringung gemäß § 13 ThUG als unbegründet zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers hatte das Oberlandesgericht München mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 25. September 2012 zurückgewiesen. In den Gründen der Beschlüsse, in denen auf die ursprünglichen Anordnungsentscheidungen aus dem Jahr 2011 Bezug genommen wurde, führten die Gerichte aus, dass der Beschwerdeführer infolge seiner psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut einschlägige Taten begehen werde. Daher habe die Unterbringung fortzudauern. Ob von dem Beschwerdeführer eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht, wurde demgegenüber nicht geprüft, nachdem das Oberlandesgericht München auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 26. Juli 2011, mit dem die Unterbringung des Beschwerdeführers nach dem Therapieunterbringungsgesetz angeordnet wurde, in seinem Beschluss vom 16. November 2011 ausgeführt hatte, dass der strenge Maßstab, der bei einer Weiterführung einer über zehn Jahre hinausgehenden Sicherungsverwahrung anzulegen sei, auf den Tatbestand des § 1 ThUG nicht übertragen werden könne.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, für die er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. O. beantragt, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 Satz 1, Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG.
Dem Bundesgesetzgeber fehle die Gesetzgebungskompetenz für das Therapieunterbringungsgesetz. Das Rückwirkungsverbot beziehungsweise das Vertrauensschutzgebot würden verletzt, weil die Therapieunterbringung zum Zeitpunkt der strafrechtlichen Vorverurteilungen noch nicht gesetzlich geregelt gewesen sei. Überdies genüge der Begriff der "psychischen Störung" nicht dem Bestimmtheitsgebot. Das Therapieunterbringungsgesetz stelle zudem ein unzulässiges Einzelfallgesetz dar und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus begründe die konkrete Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts.
3. Das Verfahren wurde dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zugestellt. Das Ministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde - soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 28. Juni 2012 - 31 AR 2/11 ThUG - sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. September 2012 - 34 Wx 304/12 - richtet - zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind insoweit erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die Frage der Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.) - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
a) Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit - ohne dass es einer Entscheidung über den durch den Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Vorlage des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 16. November 2011 bedarf - zulässig und begründet.
aa) Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschlüsse nicht mehr die Grundlage für eine aktuelle Unterbringung bilden. Der Beschwerdeführer hat ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung, weil die Therapieunterbringung aufgrund der angegriffenen Beschlüsse in der Zeit vom 28. Juni 2012 bis zum 25. Januar 2013 einen tiefgreifenden Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht darstellte (vgl. dazu BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 104, 220 <234>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2005 - 2 BvR 2233/04 -, juris, Rn. 20 ff.).
bb) In dem bezeichneten Umfang ist die Verfassungsbeschwerde auch begründet. In den angegriffenen Beschlüssen über die Ablehnung der Aufhebung der Therapieunterbringung ist ein unzutreffender Maßstab zugrunde gelegt und der Beschwerdeführer dadurch in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
(1) Mit Beschluss vom 11. Juli 2013 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass § 1 Abs. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2300) mit dem Grundgesetz mit der Maßgabe vereinbar ist, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.).
(2) Die angegriffenen Beschlüsse sind mit diesen Vorgaben für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht übertragen den strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab der hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten, wie ihn das Bundesverfassungsgericht für die Vertrauensschutzbelange betreffende Sicherungsverwahrung verlangt (vgl. BVerfGE 128, 326 <399>) und wie er in gleicher Weise für die Therapieunterbringung Geltung beansprucht (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. -, juris, Rn. 69 ff.), nicht auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 ThUG. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht haben lediglich festgestellt, dass von dem Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere einschlägige Taten zu erwarten seien. Daher genügen die Beschlüsse den Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 1 ThUG nicht und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
(3) Dabei kommt es für die Feststellung der Grundrechtsverletzung allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist (vgl. BVerfGE 128, 326 <407 f.>).
b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. September 2012 ist daher aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 128, 326 <407>) an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Hinsichtlich des mittelbaren Angriffs auf das Therapieunterbringungsgesetz wird - auch unter Berücksichtigung des darauf gerichteten Vortrags des Beschwerdeführers - auf den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u.a. - verwiesen und im Übrigen von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).