Entscheidungsdatum: 03.11.2010
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsetzbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung im Strafvollzug. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Nichtumsetzung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gießen vom 20. November 2006, mit dem die Vollziehung des von der Justizvollzugsanstalt angeordneten Entzugs seiner privaten Gegenstände ausgesetzt worden war, und beanstandet das Fehlen einer gesetzlichen Vollstreckungsregelung im Strafvollzugsgesetz.
1. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie ist unzulässig. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gehört die Darlegung, dass dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) genügt ist (vgl. BVerfGE 112, 304 <314>). Die Verfassungsbeschwerde lässt dies nicht erkennen.
2. Die Möglichkeit, fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, stand dem Beschwerdeführer offen.
a) Der Beschwerdeführer musste sich allerdings nicht mit einem Antrag auf Vollstreckung des ihm günstigen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer an die Fachgerichte wenden. Ein solcher Antrag wäre aussichtslos gewesen. Die Einlegung aussichtsloser Rechtsbehelfe ist einem Beschwerdeführer nicht abzuverlangen (vgl. BVerfGE 107, 299 <309>; stRspr).
Die fachgerichtliche Rechtsprechung - auch derjenigen Gerichte, vor denen ein auf Vollstreckung gerichtetes Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers zu verfolgen wäre - geht davon aus, dass für eine analoge Anwendung der §§ 170, 172 VwGO im Strafvollzugsrecht kein Raum ist und Entscheidungen auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts daher nicht vollstreckbar sind (vgl. OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 10. März 1983 - 3 Ws 117/83 (StVollzG) -, NStZ 1983, S. 335, und vom 22. Oktober 2004 - 3 Ws 928/04 (StVollz) -, NStZ-RR 2005, S. 95 <96>; KG, Beschluss vom 27. April 1983 - 5 Ws 25/83 Vollz -, StV 1984, S. 33 <34>; OLG Celle, Beschluss vom 28. November 1989 - 1 Ws 343/89 -, NStZ 1990, S. 207 <208>; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. November 2003 - 1 Ws 297/03 -, ZfStrVo 2004, S. 315; Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2005 - 3 Vollz (Ws) 6/05 -, ZfStrVo 2005, S. 308 <309>; OLG Schleswig, Beschluss vom 8. April 2008 - 2 Vollz Ws 123/08 -, NStZ 2008, S. 576 <576>; LG Gießen, Beschluss vom 7. Dezember 2005 - 2 StVK Vollz 1591/05 -, StV 2006, S. 260; Feest/Lesting, in: FS für Eisenberg, 2009, S. 675 <678, Fn.12> verweisen darüber hinaus auf - soweit ersichtlich nicht veröffentlichte - Beschlüsse des Hans. OLG Hamburg vom 9. Februar 2004 - 3 Vollz (Ws) 7/04 -, 19. März 2004 - 3 Vollz (Ws) 21/04 - und vom 8. Oktober 2004 - 3 Vollz (Ws) 102/04 -).
Ein Teil der Literatur befürwortet zwar, meist unter Verweis auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), die Anwendbarkeit der §§ 170, 172 VwGO bei gerichtlichen Entscheidungen auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts (vgl. Kamann/Volckart, in: Feest, AK-StVollzG, 5. Aufl. 2006, § 115 Rn. 81; Laubenthal, Strafvollzug, 4. Aufl. 2007, Rn. 838; Kösling, Die Bedeutung verwaltungsprozessualer Normen und Grundsätze für das gerichtliche Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, 1991, S. 249 ff. <255 ff.>; Eschke, Mängel im Rechtsschutz gegen Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsmaßnahmen, 1993, S. 26 ff.; Pollähne, ZfStrVo 2006, S. 277 <278>; Kamann, StV 2006, S. 260 ff.; a.A. Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 7; Arloth, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 115 Rn. 1; Schuler, in: Schwind/Böhm/Jehle, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 13; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl. 2002, S. 381; Müller-Dietz, StV 1984, S. 34 ff.; allgemein für einen vollstreckungsbezogenen Gewährleistungsgehalt des Art. 19 Abs. 4 GG Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 288 (Februar 2003); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 4, Rn. 139; Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 19 Rn. 147; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 4, Rn. 476; Papier, in: Isensee/Kirchhof,HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 154 Rn. 75; Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, S. 164 ff.; Lorenz, in: FS Menger, 1985, S. 143 <156>; zu vollstreckungsbezogenen Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG auch BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1968 - I WB 31/38 -, NJW 1969, S. 476 <477>).
Angesichts der Rechtsprechungslage war der Beschwerdeführer aber unabhängig von der Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG eine Möglichkeit der Vollstreckung strafvollzuglicher Gerichtsentscheidungen erfordert und, bejahendenfalls, ob diese Möglichkeit im Wege verfassungskonformer Auslegung des einfachen Rechts eröffnet werden kann, nicht gehalten, sich zunächst mit einem auf Vollstreckung gerichteten Antrag an die Fachgerichte zu wenden.
b) Dem Beschwerdeführer war es jedoch zuzumuten, sich vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde mit einem Antrag nach § 113 StVollzG gegen die geltend gemachte Nichtumsetzung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer zu wenden und insoweit den Rechtsweg zu erschöpfen.
aa) Ein Antrag nach § 113 Abs. 1 StVollzG war nicht aussichtslos. Die vorrangige Befassung der Fachgerichte mit einem Rechtsschutzanliegen ist nicht bereits dann aussichtslos, wenn die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs, der in Betracht kommt, nicht abschließend geklärt ist (vgl. BVerfGE 70, 180 <186 f.>; stRspr).
In der fachgerichtlichen Rechtsprechung wird es überwiegend für möglich erachtet, gegen das Unterlassen der Umsetzung einer Gerichtsentscheidung einen Vornahmeantrag gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG zu stellen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28. November 1989 - 1 Ws 343/89 -, NStZ 1990, S. 207 <208>; Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2005 - 3 Vollz (Ws) 6/05 -, ZfStrVo 2005, S. 308 <309>; KG, Beschluss vom 15. August 2005 - 5 Ws 232/05 Vollz -, ZfStrVo 2006, S. 303 <304>; OLG Schleswig, Beschluss vom 8. April 2008 - 2 Vollz Ws 123/08 -, NStZ 2009, S. 576; vgl. auch Arloth, StVollzG, 2. Aufl. 2008, § 113 Rn. 1, § 115 Rn. 1; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl. 2002, S. 381; a.A. OLG Hamm, Beschluss vom 27. August 2009 - 1 Vollz (Ws) 323/09 -, juris, unter Verweis auf OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 1986 - 1 Vollz (Ws) 223/85; a.A. wohl auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. November 2003 - 1 Ws 297/03 -, ZfStrVo 2004, S. 315, mit der Annahme, ausreichender Rechtsschutz stehe mit den Möglichkeiten der Petition oder Dienstaufsichtsbeschwerde zur Verfügung).
bb) Die Erschöpfung des Rechtswegs war für den Beschwerdeführer nicht deshalb unzumutbar, weil der Antrag gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG im Regelfall erst nach Ablauf von drei Monaten gestellt werden kann.
Die Dreimonatsfrist gilt nach § 113 Abs. 1 StVollzG nicht, wenn eine frühere Anrufung des Gerichts aufgrund besonderer Umstände des Falles geboten ist. Da gerichtliche Entscheidungen von den Behörden ohne grundlose Verzögerung zu befolgen sind (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1968 - I WB 31/38 -, NJW 1969, S. 476 <477>), liegt es nahe, vom Vorliegen solcher besonderen Umstände auszugehen, wenn substantiiert geltend gemacht wird, dass die zuständige Behörde den Vollzug einer gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich verweigere, die Umsetzung ohne zureichenden Grund verzögere oder zu Unrecht annehme, es lägen inzwischen Umstände vor, die unabhängig von der ergangenen Entscheidung ein anderweitiges Vorgehen erlaubten.
Es ist nicht ersichtlich, dass die fachgerichtliche Rechtsprechung dies anders beurteilte. Das Oberlandesgericht Celle hatte über einen erst nach drei Monaten gestellten Antrag nach § 113 Abs. 1 StVollzG zu entscheiden, so dass es auf die Frage, ob der Antrag zulässigerweise auch früher hätte gestellt werden können, nicht ankam (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28. November 1989 - 1 Ws 343/89 -, NStZ 1990, S. 207 <208>). Wenn das Kammergericht in einem Fall, der die Umsetzung einer gerichtlich ausgesprochenen Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Neubescheidung betraf, die Zulässigkeit des gestellten Antrags mit der Begründung verneint hat, dass jedenfalls ein bereits neun Tage nach Rechtskraft gestellter Vornahmeantrag unzulässig sei (vgl. KG, Beschluss vom 15. August 2005 - 5 Ws 232/05 Vollz -, ZfStrVo 2006, S. 303 <304>), so kann darin schon keine Festlegung für andere Fallkonstellationen gesehen werden, in denen es einer erneuten Entscheidung der Justizvollzugsanstalt und hierfür womöglich weiterer Sachverhaltsaufklärung nicht bedarf. Die allgemeinere Frage einer möglichen Verkürzung der Dreimonatsfrist gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG in Fällen der vorliegenden Art hat das Kammergericht (a.a.O.) ausdrücklich offengelassen.
cc) Für die Zumutbarkeit der Erschöpfung des aufgezeigten Rechtswegs kommt es auch nicht darauf an, ob den Erfordernissen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bereits dadurch ausreichend entsprochen ist, dass ein Antrag nach § 113 Abs. 1 StVollzG gestellt werden kann, oder ob Art. 19 Abs. 4 GG eine Vollstreckungsmöglichkeit gebietet. Diese Frage bedarf hier keiner Entscheidung. Einem Beschwerdeführer, der geltend macht, die Vollzugbehörde habe ihre Pflicht zu unverzüglicher Befolgung einer von ihm erstrittenen gerichtlichen Entscheidung verletzt, kann jedenfalls abverlangt werden, dass er die Frage, ob ein Verstoß der geltend gemachten Art überhaupt vorliegt, zunächst mit einem Antrag nach § 113 Abs. 1 StVollzG fachgerichtlicher Klärung zuführt.
Diese Frage wird regelmäßig - mit Gründen, über deren Berechtigung vorrangig die Fachgerichte zu entscheiden haben - umstritten sein. So hat im vorliegenden Fall die Justizvollzugsanstalt den Standpunkt eingenommen, sie sei durch die Rechtskraft der ergangenen gerichtlichen Entscheidung von Rechts wegen nicht gehindert, dem Beschwerdeführer die Wiederaushändigung einiger der entzogenen Gegenstände unter dem bis dahin nicht herangezogenen Gesichtspunkt der Haftraumübersichtlichkeit zu versagen. Auch die vom Hessischen Ministerium der Justiz im vorliegenden Verfahren auf Anfrage übersandte Liste von fünfzehn seit 1998 bekanntgewordenen Fällen, in denen eine Nichtumsetzung beziehungsweise verzögerte Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen im hessischen Strafvollzug beanstandet worden war, enthält nur einen einzigen Fall, für den das Ministerium das Vorliegen eines Verstoßes gegen die behördliche Pflicht zur Befolgung gerichtlicher Entscheidungen einräumt. Für alle anderen Fälle werden Gründe geltend gemacht, deretwegen eine Nichtumsetzung oder zu beanstandende verzögerte Umsetzung nicht vorliege.
Schon über die Frage, wieviel Zeit die Umsetzung einer gerichtlichen Entscheidung in Anspruch nehmen darf, kann im Einzelfall mit guten Gründen gestritten werden. Dem Gefangenen ist es zumutbar, diese und andere Fragen, von denen abhängt, ob von einer Nichtbeachtung der zu seinen Gunsten ergangenen gerichtlichen Entscheidung die Rede sein kann, fachgerichtlicher Klärung zuzuführen, bevor er das Bundesverfassungsgericht mit seinem Fall und mit der Frage befasst, ob Art. 19 Abs. 4 GG es gebietet, für den Fall der Nichtbeachtung eine Vollstreckungsmöglichkeit vorzusehen.
3. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass er die bestehenden Möglichkeiten des Rechtsschutzes erschöpft hätte. Nach seinem Vortrag hat er sich mit einem Eilantrag und einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtumsetzung des Beschlusses vom 20. November 2006 an die Strafvollstreckungskammer gewandt und von dieser ein Antwortschreiben erhalten, wonach seine Anträge mangels Vollstreckbarkeit des Beschlusses unzulässig sein dürften. Ob er seine Anträge daraufhin zurückgenommen oder ob die Strafvollstreckungskammer, die gehalten war, seine Anträge zweckentsprechend auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2008 - 1 BvR 848/07 -, NJW 2009, S. 829 <830>), eine Entscheidung getroffen hat und ob er gegebenenfalls hiergegen, soweit es die Hauptsache betrifft, Rechtsbeschwerde eingelegt hat, teilt der Beschwerdeführer nicht mit. Hierüber Angaben zu machen und gegen etwaige unanfechtbare Entscheidungen fristgemäß Verfassungsbeschwerde zu erheben, war der Beschwerdeführer unabhängig von anwaltlichem Beistand gehalten.
Soweit sich aus der Stellungnahme des Ministeriums im vorliegenden Verfahren ergibt, dass das Landgericht die Anträge zwischenzeitlich durch Beschluss zurückgewiesen hat, ist diese Mitteilung nicht geeignet, den Zulässigkeitsmangel der Verfassungsbeschwerde zu beheben, zumal der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde weder auf diese Entscheidung, soweit sie den Eilantrag betraf, erstreckt noch mitgeteilt hat, ob in der Hauptsache Rechtsbeschwerde erhoben wurde.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.