Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 11.07.2018


BVerwG 11.07.2018 - 2 B 41/18

Pflicht zur Entbindung eines Beamtenbeisitzers bei Fehlen des Beamtenverhältnisses zum betreffenden Land


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
11.07.2018
Aktenzeichen:
2 B 41/18
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:110718B2B41.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 3. April 2018, Az: 4 LD 226/17, Urteilvorgehend VG Bremen, 22. August 2017, Az: 8 K 3263/16, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 50 DG BR
§ 46 DG BR
§ 49 DG BR

Leitsätze

1. Erhält der Präsident des Gerichts Kenntnis von Umständen, die zur Entbindung eines Beamtenbeisitzers von seinem Amt führen, so hat er zur Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters unverzüglich einen Antrag auf Entbindung zu stellen.

2. Sieht das Disziplinargesetz für den Fall, dass die Voraussetzungen für die Wahl eines Beamten als Beamtenbeisitzer im gerichtlichen Disziplinarverfahren von vornherein nicht vorlagen, keine Möglichkeit der Entbindung vom Amt des Beamtenbeisitzers vor, so ist die Vorschrift des Disziplinargesetzes, wonach der Beamtenbeisitzer von seinem Amt bei Beendigung des Beamtenverhältnisses zu entbinden ist, analog anzuwenden.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO und § 68 BremDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsgericht, wie vom Beklagten geltend gemacht, nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das Oberverwaltungsgericht hätte vor einer Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts die Beamtenbeisitzerin von ihrem Amt entbinden und sodann mit einem anderen ehrenamtlichen Richter verhandeln und entscheiden müssen.

2

1) Der 1963 geborene Beklagte steht als Polizeikommissar im Dienst der Klägerin. Im Oktober 2013 wurde der Beklagte wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in sechs Fällen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Der Beklagte hatte gemeinschaftlich mit einem Kollegen in sechs Fällen zuvor rechtswidrig entwendete Alkoholika angekauft und gewinnbringend weiterveräußert. Die Verkaufsverhandlungen fanden auch in den Diensträumlichkeiten während der Dienstzeit statt; auch Polizeibeamte der eigenen Dienststelle zählten zu den Kunden des Beklagten. Für die Anbahnung und Abwicklung der Geschäfte wurden die dienstlich bereitgestellten Computer genutzt. Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, das außerdienstliche Dienstvergehen des Beklagten habe zu einem endgültigen Vertrauensverlust geführt, sodass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen sei.

3

2) Die Verfahrensrüge des Beklagten, das Oberverwaltungsgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist begründet.

4

a) Die Kriminaloberkommissarin F. hätte an der Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht als Beamtenbeisitzern mitwirken dürfen. Denn diese Beamtenbeisitzerin hat zwar wegen ihrer Tätigkeit in einer Gemeinsamen Ermittlungsgruppe der Polizei ihren dienstlichen Wohnsitz in Bremen, ist jedoch Beamtin des Landes Niedersachsen. Nach §§ 50, 46 Abs. 1 und § 1 BremDG i.V.m. § 1 Satz 1 BremBG können nur Lebenszeitbeamte der klagenden Freien Hansestadt Bremen als Beamtenbeisitzer an gerichtlichen Entscheidungen der dortigen Verwaltungsgerichte in Disziplinarsachen mitwirken.

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Nach den Angaben im Berufungsurteil ist dem Oberverwaltungsgericht der entscheidende Umstand, dass die Beamtenbeisitzerin Beamtin des Landes Niedersachsen ist, in der Beratung nach der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2018 bekannt geworden. Verfahrensrechtlich einwandfrei hat das Berufungsgericht die Vertreter der Beteiligten mit Schreiben vom 21. März 2018 auf diesen Umstand hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28. März 2018 gegeben. Das Berufungsgericht hat es aber zu Unrecht unterlassen, die Beamtenbeisitzerin vor seiner Entscheidung vom 3. April 2018 über die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Disziplinarurteil nach §§ 50 und 49 BremDG von diesem Amt zu entbinden.

6

Nach §§ 50 und 49 BremDG hätte das Oberverwaltungsgericht durch die unverzügliche Entbindung dieser ehrenamtlichen Richterin von ihrem Amt dafür Sorge tragen müssen, dass sie an der Berufungsentscheidung nicht mehr mitwirkt. Der vom Oberverwaltungsgericht hervorgehobene Aspekt, dass Beamtenbeisitzer bis zu ihrer Entbindung nach Maßgabe der Geschäftsverteilung herangezogen werden müssen, vermag die Mitwirkung dieser Beamtenbeisitzerin an der Berufungsentscheidung nicht zu tragen.

7

Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 BremDG, die nach § 50 BremDG für die Senate für die Disziplinarsachen des Oberverwaltungsgerichts entsprechend gilt, benennt diejenigen Fälle, in denen der Beamtenbeisitzer von seinem Amt zu entbinden ist. Diese Regelung dient der Konkretisierung und Gewährleistung des gesetzlichen Richters, indem sie vorgibt, aus welchen Gründen die an sich vorgegebene Richterbank durch Herausnahme eines Richters verändert werden kann und auch muss. Denn § 49 Abs. 1 BremDG regelt die Verpflichtung zur Entbindung ("ist"), während § 49 Abs. 2 BremDG die Entbindung des Beamtenbeisitzers in besonderen Härtefällen auf Antrag des Beisitzers in das Ermessen des Gerichts stellt ("kann"). Um den Vorgaben des Gebots des gesetzlichen Richters zu genügen, muss der Präsident des Verwaltungsgerichts oder des Oberverwaltungsgerichts in den Fällen des § 49 Abs. 1 BremDG - mit Ausnahme der Nr. 3 - unverzüglich tätig werden und die Entbindung des Beisitzers beantragen, sobald er von einem Umstand i.S.v. § 49 Abs. 1 BremDG Kenntnis erlangt. Denn nur durch eine solche unverzügliche Antragstellung ist gewährleistet, dass nur solche Richter an der gerichtlichen Entscheidung mitwirken, die den gesetzlichen Vorgaben zur Besetzung der Richterbank entsprechen. Der in den Fällen des § 49 Abs. 1 BremDG - grundsätzlich - nach § 49 Abs. 3 BremDG allein zum Antrag befugte Präsident des Gerichts ist nicht berechtigt, mit dem Antrag auf Entbindung vom Amt des Beamtenbeisitzers bis zu einem ihm genehmen oder von ihm als sachgerecht empfundenen Datum abzuwarten. Denn ansonsten hätte der jeweilige Gerichtspräsident einen mit dem Gebot des gesetzlichen Richters nicht zu vereinbarenden Einfluss auf die Besetzung der Richterbank.

8

Die betroffene Beamtenbeisitzerin war von diesem Amt zu entbinden, obwohl einer der in § 49 Abs. 1 BremDG ausdrücklich geregelten Fälle hier nicht vorliegt. Denn die hier gegebene Fallkonstellation, die einen grundlegenden, bereits bei der Wahl bestehenden Mangel betrifft, ist zur Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters mit den in § 49 Abs. 1 BremDG ausdrücklich geregelten Fällen gleich zu behandeln. Wenn bereits die Beendigung des Beamtenverhältnisses eines - ordnungsgemäß bestellten - Beamtenbeisitzers zwingend zur Entbindung vom Amt auf Antrag des Gerichtspräsidenten führt (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 BremDG) und bei der Versetzung eines Beamtenbeisitzers in ein Amt außerhalb des Bezirks des Verwaltungsgerichts Bremen die Entbindung auf Antrag des Beisitzers geboten ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 BremDG), gilt dies erst recht für solche Fälle, in denen bereits die für das Amt des Beamtenbeisitzers grundlegende Voraussetzung des zur Freien Hansestadt Bremen bestehenden Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit gefehlt hat.

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In der Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, wonach das Fehlen der Voraussetzungen für das Amt des Beamtenbeisitzers (§ 46 Abs. 1 BremDG) mangels einer dem § 50 Abs. 1 Nr. 5 BDG entsprechenden landesgesetzlichen Regelung nicht einmal zur Entbindung dieses Beisitzers von seinem Amt berechtigt (z.B. Weiß, in: GKÖD, Band II, Stand 4/18, M § 50 Rn. 47). Dieser Ansicht kann aber nicht gefolgt werden. Sie hätte die - nicht hinnehmbare - Konsequenz, dass ein solcher Beamtenbeisitzer, der nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an einem gerichtlichen Disziplinarverfahren gegen einen Beamten der Freien Hansestadt Bremen mitwirken darf, während der gesamten Wahlperiode von fünf Jahren regelmäßig zur Mitwirkung in gerichtlichen Disziplinarverfahren herangezogen werden müsste, obwohl er die grundlegende Anforderung des § 46 Abs. 1 BremDG des zur Freien Hansestadt Bremen bestehenden Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit nicht erfüllt. Zu Recht wird in der Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzgeber die Konstellation, dass auch ein nicht im Dienst der Freien Hansestadt Bremen stehender Beamter zum Beamtenbeisitzer gewählt wird, bei der Abfassung der Entbindungsgründe des § 49 BremDG nicht hat vorstellen können.

10

Nach §§ 50 und 49 Abs. 3 Satz 2 BremDG oblag es der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts, den Antrag auf Entbindung der Beisitzerin von diesem Amt zu stellen. Die Präsidentin hatte auch unmittelbar Kenntnis von den Umständen des Falls, weil sie zugleich Vorsitzende des zuständigen Disziplinarsenats des Oberverwaltungsgerichts war. Darüber hinaus bestand für das Berufungsgericht vor der abschließenden Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil Anlass, die Entbindung der Beisitzerin zu erwägen, weil der Bevollmächtigte des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 28. März 2018 ausdrücklich einen entsprechenden "Antrag" gestellt hatte.

11

b) Hier sind auch die besonderen Voraussetzungen des § 138 Nr. 1 VwGO erfüllt (BVerwG, Urteil vom 21. September 2000 - 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 6 m.w.N.). Für die nicht vorschriftsmäßige Besetzung sind Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts bestimmend gewesen, die mit dem Gebot des gesetzlichen Richters ersichtlich nicht zu vereinbaren sind. Denn das Berufungsgericht hat "sehenden Auges" unter Mitwirkung einer von ihrem Amt zwingend zu entbindenden Beamtenbeisitzerin entschieden, nachdem der Vertreter des Beklagten im Schriftsatz vom 28. März 2018 ausdrücklich auf die Entbindung hingewiesen hatte.