Entscheidungsdatum: 31.10.2012
Gegen einen dauerhaft verhandlungsunfähigen Beamten darf eine Disziplinarmaßnahme nicht verhängt werden, wenn die persönliche Mitwirkung des Beamten an der Sachverhaltsaufklärung nach den Grundsätzen der Gewährung rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens unverzichtbar ist (im Anschluss an das Urteil vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 80.08 - BVerwGE 135, 24 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 4).
Die Beschwerde der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 67 Satz 1 LDG NRW unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Das Berufungsurteil beruht auf einem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht nicht aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens entschieden hat, ob die Voraussetzungen eines Maßnahmeverbots aus rechtsstaatlichen Gründen vorliegen. Dagegen sind die weiteren ausdrücklich oder sinngemäß erhobenen Divergenz-, Grundsatz- und Verfahrensrügen der Beklagten nicht begründet.
Der Kläger legt der Beklagten mit der Disziplinarklage zur Last, im Mai 1999 und im Dezember 2004 ihre dienstlichen Möglichkeiten als Mitarbeiterin der Kassenstelle des Klägers ausgenutzt zu haben, um durch Buchungsmanipulationen dienstliche Gelder zu veruntreuen. Die Beklagte ist aufgrund einer psychischen Krankheit dauerhaft verhandlungsunfähig. Das Amtsgericht hat ihren Ehemann als Betreuer für das Disziplinarklageverfahren bestellt; dieser nimmt seitdem die Aufgaben eines Prozesspflegers wahr. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Nachdem der Kläger sie während des Berufungsverfahrens wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt hatte, hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihr das Ruhegehalt aberkannt wird.
In den Gründen des Berufungsurteils heißt es, die Verhandlungsunfähigkeit der Beklagten stehe der Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen. Die Tatvorwürfe seien zur gerichtlichen Überzeugung erwiesen. Im Mai 1999 habe die Beklagte vor der Fälligkeit des ihr bewilligten Arbeitgeberdarlehens einen Teilbetrag von 18 400 DM von einem Konto des Klägers auf ihr Konto überwiesen, um eine Zwischenfinanzierung sicherzustellen. Im Dezember 2004 habe sie 5 413,25 € von einem Konto des Klägers auf das Konto ihres Ehemannes und von dort wenige Tage später auf ein eigenes Konto überwiesen. Der gerichtliche Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass die Beklagte auch zum Zeitpunkt der zweiten Tat voll schuldfähig gewesen sei. Erst nach der Aufdeckung dieser Tat Ende 2005 habe sich eine krankhafte Persönlichkeitsstörung manifestiert. Entgegen der Annahme des privaten Gutachters gebe es keine Anhaltspunkte für eine Schizophrenie.
1. Die Beklagte macht geltend, das Berufungsurteil beruhe auf einer Divergenz zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 80.08 - BVerwGE 135, 24 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 4). Das Oberverwaltungsgericht habe den Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts nicht beachtet, dass gegen verhandlungsunfähige Beamte aus verfassungsrechtlichen Gründen regelmäßig keine Disziplinarmaßnahme verhängt werden dürfe. Die Divergenzrüge greift nicht durch.
Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der in Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das Berufungsgericht den Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, ohne ihm inhaltlich zu widersprechen, in dem zu entscheidenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die Folgerungen gezogen hat, die für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Der Senat hat in dem Urteil vom 24. September 2009 (a.a.O.) zwei abstrakte Rechtssätze aufgestellt: Zum einen steht die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Beamten der Einleitung und Fortsetzung eines Disziplinarverfahrens wegen Pflichtenverstößen, die er vor dem Eintritt der Verhandlungsunfähigkeit begangen hat, nicht entgegen, wenn ein Verfahrens- oder Prozesspfleger bestellt ist (a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 17). Zum anderen darf gegen einen dauerhaft verhandlungsunfähigen Beamten eine Disziplinarmaßnahme, d.h. in aller Regel die Aberkennung oder Kürzung des Ruhegehalts, nicht verhängt werden, wenn sich dessen Recht auf umfassende Mitwirkung im Verfahren in wesentlichen Teilen nicht durch den Pfleger verwirklichen lässt. Das behördliche Disziplinarverfahren muss dann eingestellt, die Disziplinarklage muss abgewiesen werden (a.a.O., Leitsatz 3 und Rn. 24).
Der Senat hat dieses disziplinarrechtliche Maßnahmeverbot aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, insbesondere des Rechts auf Beweisteilhabe hergeleitet. Danach muss der Beamte Zugang zu allen Quellen der Sachverhaltsermittlung erhalten. Er muss insbesondere in die Lage versetzt werden, rechtzeitig zu Inhalt und Aussagekraft aller potentiell belastenden Beweismittel, Erklärungen und Indizien Stellung zu nehmen, die den Prozessstoff des Disziplinarverfahrens bilden. Dazu gehört, dass der Beamte die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen auf jede prozessual zulässige Art in Frage stellen kann. Dies ist nur möglich, wenn er sich einen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen verschaffen kann. Die Kenntnis des gesamten Belastungsmaterials ist auch Voraussetzung für die Ausübung des aus dem Gehörsgebot folgenden Rechts, eigene Beweismittel und Erklärungen zum Zweck der Entlastung in das Disziplinarverfahren einzuführen. Das Gericht muss die Äußerungen des Beamten in ihrer Gesamtheit bei der Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts berücksichtigen (vgl. Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2 = NVwZ 2005, 1199 <1200>; Urteil vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 2 A 4.04 - Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1 Rn. 25).
Ein dauerhaft verhandlungsunfähiger Beamter kann diese Verfahrensrechte nicht persönlich ausüben. An seine Stelle tritt im Disziplinarklageverfahren der zu diesem Zweck bestellte Prozesspfleger. Dessen Tätigkeit stößt jedoch an Grenzen, wenn ein angeschuldigter Pflichtenverstoß aus tatsächlichen Vorgängen oder Ereignissen hergeleitet wird, zu denen sich nur der Beamte selbst aufgrund seines persönlichen Erlebens äußern kann. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Nachweis eines bestimmten Verhaltens des Beamten durch Zeugenaussagen geführt werden soll. Kann der Beamte in einer derartigen Situation vor Gericht seine Darstellung aufgrund seiner dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit nicht in das Verfahren einführen, wird dem Gericht eine abschließende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben oftmals nicht möglich sein. Sachverhaltsaufklärung und Beweiswürdigung bleiben dann zwangsläufig unvollständig. Das Gericht darf das Unvermögen des Beamten, die Aussagekraft belastender Angaben zum Tatgeschehen oder zu seinem sonstigen Verhalten durch seine Darstellung der persönlich erlebten Vorgänge - auch in der Gegenüberstellung mit den Zeugen - zu erschüttern, nicht mit der Begründung für unbeachtlich erklären, es bestünden keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit der belastenden Aussagen. Dies steht einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich, weil das Gericht der Mitwirkung des Beamten von vornherein jeglichen Erkenntniswert abspricht. Die prozessrechtliche Situation stellt sich grundlegend anders dar, als wenn sich der zur Mitwirkung fähige Beamte auf sein Schweigerecht beruft. Hier ist der Beamte nicht an der persönlichen Mitwirkung gehindert, sondern macht davon aus freien Stücken keinen Gebrauch.
Ob diese Voraussetzungen eines Maßnahmeverbots vorliegen, kann nicht aufgrund allgemeingültiger Maßstäbe beantwortet werden, sondern hängt von der Beweislage im Einzelfall ab. Die Tatsachengerichte müssen sich über die mögliche Konsequenz einer dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Beamten im Klaren sein und aufgrund einer Gesamtwürdigung der fallbezogenen Umstände entscheiden, ob sie sich über den Ausfall des Beamten hinwegsetzen können (Urteil vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 24).
Das Oberverwaltungsgericht hat den abstrakten Rechtssatz, auch gegen einen dauerhaft verhandlungsunfähigen Beamten könne ein Disziplinarverfahren durchgeführt und grundsätzlich eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden, seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt. In Bezug auf die Voraussetzungen des verfassungsrechtlich gebotenen Maßnahmeverbots lässt sich dem Berufungsurteil kein abstrakter Rechtssatz entnehmen, der in Widerspruch zu dem Urteil vom 24. September 2009 (a.a.O.) steht. Das Oberverwaltungsgericht hat allerdings die seinem Urteil zugrunde gelegten Veruntreuungen der Beklagten und ihre Schuldfähigkeit zur Tatzeit ohne deren Mitwirkung für erwiesen gehalten, ohne auf das Maßnahmeverbot einzugehen. Es hat weder erwogen noch festgestellt, ob ein Maßnahmeverbot unabweisbar ist, weil der Ausfall der dauerhaft verhandlungsunfähigen Beklagten nach der konkreten Beweislage zum Tatnachweis und zur Schuldfähigkeit nicht durch ihren Betreuer kompensiert werden kann. Dies lässt auf eine unrichtige Anwendung des hierzu aufgestellten abstrakten Rechtssatzes des Senats schließen, stellt aber keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.
2. Die Beschwerde hat allerdings Erfolg, soweit sie rügt, dass das Oberverwaltungsgericht mit dieser Vorgehensweise gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen hat, weil es den festgestellten Sachverhalt seiner Würdigung nicht vollständig zugrunde gelegt hat.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36 f. und vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 26 ff.; Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 = NVwZ 2009, 399
Das Oberverwaltungsgericht hat die der Beklagten zur Last gelegte Veruntreuung von 5 413,25 € im Dezember 2004 insbesondere aufgrund der schriftlichen Dokumente über die Zahlungsvorgänge und die Kontobewegungen sowie der früheren Geständnisse der Beklagten für erwiesen gehalten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Beklagte hätte, wäre sie verhandlungsfähig, keine die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit der Zeugen betreffenden Vorbehalte oder Fragen stellen können (UA S. 46), ist eine auf einer Vermutung basierende unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es der Ansicht ist, der Tatnachweis könne auch ohne persönliche Mitwirkung der Beklagten geführt werden, weil die schriftlichen Beweismittel hierfür ausreichen. Dies setzt voraus, dass die Urheberschaft der Beklagten an den Dokumenten zweifelsfrei feststeht. Für diese Beweisführung kann der Betreuer das rechtliche Gehör an Stelle der Beklagten wahrnehmen.
Das Oberverwaltungsgericht hat seine Überzeugung von der Schuldfähigkeit der Beklagten zum Zeitpunkt der zweiten Tat auf die schriftlichen und mündlichen Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Dieser hat seinen Befund, die krankhafte Persönlichkeitsstörung habe zum Tatzeitpunkt noch nicht vorgelegen, sondern sich erst nach der Aufdeckung der Veruntreuung Ende 2005 manifestiert, maßgebend die Aussagen der ehemaligen Kollegen der Beklagten gestützt, die diese in der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2011 zu deren Auftreten im Dienst gemacht haben. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Senats erscheint die Verwertung dieser im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen ohne persönliche Beweisteilhabe der Beklagten zumindest zweifelhaft. Allerdings kann der Nachweis der Schuldfähigkeit nach den Angaben des Sachverständigen in dessen ergänzendem Gutachten vom 8. Dezember 2011 durch eine weitere Untersuchung der Beklagten geführt werden. Hierfür könnten auch die Angaben des fachärztlichen Entlassungsberichts vom 28. Februar 2006 sprechen, der aufgrund des ersten stationären Klinikaufenthalts der Beklagten erstellt wurde. Dem Berufungsurteil lässt sich nicht entnehmen, aus welchen medizinischen Gründen der Sachverständige eine weitere Untersuchung nach den Zeugenvernehmungen nicht mehr für erforderlich gehalten hat.
3. Zu den weiteren Rügen der Beklagten merkt der Senat an:
a) Die Versetzung der Beklagten in den Ruhestand hat nicht zu einer Änderung des Streitgegenstandes der Disziplinarklage geführt. Das Oberverwaltungsgericht war nicht gehindert, der Beklagten anstelle der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis das Ruhegehalt abzuerkennen. Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt:
Streitgegenstand des Disziplinarklageverfahrens ist der Anspruch des Dienstherrn, gegen den beklagten Beamten wegen des ihm mit der Disziplinarklage zur Last gelegten Dienstvergehens eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Dieser Anspruch besteht, wenn zur gerichtlichen Überzeugung feststeht, dass der Beamte die angeschuldigten Handlungen ganz oder teilweise begangen hat, die nachgewiesenen Handlungen als Dienstvergehen zu würdigen sind und dem Ausspruch der hierfür erforderlichen Disziplinarmaßnahme kein rechtliches Hindernis entgegensteht (§ 59 Abs. 2 Satz 1 und 2; § 57 Abs. 1 Satz 1; §§ 5 ff.; § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 LDG NRW). Bei den Prüfungsgegenständen "Feststellung des Dienstvergehens" und "Bestimmung der Disziplinarmaßnahme" handelt es sich um materiellrechtliche Voraussetzungen des einheitlichen Disziplinaranspruchs, die verfahrensrechtlich nicht selbstständig geltend gemacht werden können (Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18
Gelangt das Tatsachengericht zu der Überzeugung, dass ein mit der Disziplinarklage verfolgtes Dienstvergehen vorliegt und kein disziplinarrechtliches Maßnahmeverbot besteht, bestimmt es die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung, ohne in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht an die Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (sog. Disziplinarbefugnis der Verwaltungsgerichte; vgl. § 59 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LDG NRW). Die Zulässigkeit der Disziplinarklage hängt nicht davon ab, dass der Dienstherr den Antrag stellt, eine bestimmte Disziplinarmaßnahme festzusetzen. Ein derartiger Antrag ist für das Verwaltungsgericht unverbindlich (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <255 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 16 und vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 18).
Für die Ausübung der Disziplinarbefugnis gelten die gesetzlichen Maßnahmenkataloge für aktive Beamte und für Ruhestandsbeamte (§ 5 Abs. 1 und 2 LDG NRW). Als Disziplinarmaßnahme gegen Ruhestandsbeamte kommen nur die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts in Betracht (§ 5 Abs. 2, §§ 11, 12 LDG NRW). Tritt ein Beamter in den Ruhestand, nachdem er ein Dienstvergehen begangen hat, das die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich gezogen hätte, ist stattdessen das Ruhegehalt abzuerkennen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 LDG NRW). Diese Regelung stellt aus Gründen der Gleichbehandlung sicher, dass sich der Beamte der Sanktionierung eines im aktiven Dienst begangenen schweren Dienstvergehens, das ihn als Beamter untragbar macht und deshalb zur Auflösung des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit führen muss, nicht durch den Eintritt in den Ruhestand entziehen kann. Ebenso wie die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis dient die Aberkennung des Ruhegehalts der Wahrung der Integrität des Berufsbeamtentums und des Ansehens des öffentlichen Dienstes (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2001 - 2 BvR 2138/00 - NVwZ 2002, 467; BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 a.a.O. Rn. 32; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 6).
b) Aus dem disziplinarrechtlichen Durchführungsgrundsatz folgt, dass die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Beamten der Einleitung und Fortsetzung eines Disziplinarverfahrens nicht schon deshalb entgegensteht, weil das Verfahren eine Selbstgefährdung des Beamten nach sich zieht. Der Beamte muss im Verfahren nicht mitwirken; an seine Stelle tritt der zu diesem Zweck bestellte Pfleger. Kann dieser den Ausfall des Beamten in wesentlichen Fragen der Sachverhaltsermittlung und -würdigung nicht kompensieren, besteht ein Maßnahmeverbot. Es ist zunächst Sache der Vertreter des Beamten, der Gefährdung im Zusammenwirken mit den behandelnden Ärzten zu begegnen.
c) Die Ablehnung der zahlreichen Befangenheitsanträge der Beklagten gegen die Mitglieder des Spruchkörpers des Oberverwaltungsgerichts begründet keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Ablehnung eines derartigen Antrags unterliegt nicht der revisionsgerichtlichen Nachprüfung, weil es sich um eine unanfechtbare Vorentscheidung handelt (§ 173 Satz 1 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO; § 146 Abs. 2 VwGO). Daher begründet sie nur dann einen Verfahrensmangel, wenn sie zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts im Sinne von § 138 Nr. 1 VwGO führt. Die Ablehnung muss dem Antragsteller den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entziehen. Dies ist nur der Fall, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entscheidung auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht. Dieser Maßstab gilt auch für die Ablehnung eines Befangenheitsantrags unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als rechtsmissbräuchlich (stRspr; vgl. nur Urteil vom 5. Dezember 1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <37 ff.> = Buchholz 448.0 § 34 WehrPflG Nr. 48 S. 11 ff.; Beschluss vom 21. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 66.04 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 65). Nach diesem Maßstab hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine Verletzung des grundrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht dargelegt:
Das Telefonat des Vorsitzenden mit einem als Prozesspfleger in Betracht kommenden Berufsbetreuer ist nicht geeignet, Besorgnis einer Befangenheit zu begründen. Der Senat verweist insoweit auf die Gründe des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 1. September 2010, die er vollständig teilt. Dies gilt auch für die Annahme, die auf den Inhalt des Telefonats gestützten Anträge gegen die beisitzenden Richter seien rechtsmissbräuchlich, weil offensichtlich nicht geeignet, deren Voreingenommenheit zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Rechtsgrundlage das Vorgehen des Vorsitzenden den beisitzenden Richtern zugerechnet werden könnte.
Die Ablehnung der nachfolgenden Befangenheitsanträge als rechtsmissbräuchlich begründet jedenfalls keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO. Dies ergibt sich daraus, dass der Prozessbevollmächtigte durch die Anträge auf Verfahrenshandlungen des Spruchkörpers oder des Vorsitzenden, etwa auf Terminsbestimmungen oder Ablehnungen von Anträgen auf Terminsaufhebung reagiert hat. Er hat die Befangenheitsanträge offenbar eingesetzt, um gegen die rechtlich gebotene Fortführung des Berufungsverfahrens zu protestieren. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
d) Die Durchführung der Verhandlungen am 24. Februar, 2. Dezember und 20. Dezember 2011 jeweils in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten und des Betreuers der Beklagten begründet keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt hat. Es hat die Anträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf Terminsaufhebung zu Recht abgelehnt, weil dieser jeweils keinen erheblichen Grund für eine Aufhebung im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO, § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht hat. Daraus folgt, dass Prozessbevollmächtigter und Betreuer der Beklagten den Verhandlungen auf eigenes Risiko ferngeblieben sind.
Das Gericht ist nur dann verpflichtet, einen Verhandlungstermin auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn anderenfalls dessen grundrechtlicher Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wäre. Das von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO eröffnete Ermessen ist dann auf Null reduziert. Das rechtliche Gehör gebietet die Aufhebung oder Verlegung eines Verhandlungstermins, wenn der Prozessbevollmächtigte eines Verfahrensbeteiligten ohne sein Verschulden an der Teilnahme gehindert ist. Bei dem Prozesspfleger kommt es wie beim Beteiligten zusätzlich darauf an, ob die Teilnahme an der Verhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen geboten ist.
Einen beachtlichen Hinderungsgrund stellt insbesondere die vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit wegen einer Erkrankung dar. Zu deren Nachweis genügt in der Regel die Vorlage einer privatärztlichen Bescheinigung. Hat das Gericht berechtigte Zweifel an der Verhandlungsunfähigkeit, etwa weil wie im vorliegenden Verfahren wiederholt kurzfristig ärztliche Bescheinigungen ohne Diagnose vorgelegt werden, muss es Nachforschungen anstellen. Zusätzliche Anforderungen an den Nachweis einer Erkrankung setzen voraus, dass greifbare Anhaltspunkte für die Absicht der Prozessverschleppung bestehen. Auch in diesem Fall muss das Gericht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren versuchen, sich vor der Entscheidung über den Aufhebungs- oder Verlegungsantrag Klarheit zu verschaffen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 3. August 1994 - BVerwG 6 B 31.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 257 S. 4 f. und vom 2. November 1998 - BVerwG 8 B 162.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 285 S. 45). Hiervon ausgehend lässt sich ein Gehörsverstoß nicht feststellen:
In Bezug auf den Verhandlungstermin vom 17. Februar 2011 war ein derartiger Verstoß bis zum Ende der mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2011 jedenfalls geheilt. Diese Verhandlung hat das Oberverwaltungsgericht ersichtlich nur zum Anlass genommen, den Beschluss über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Beklagten zu verkünden. Die Beklagte hat die Notwendigkeit einer medizinischen Begutachtung nicht in Frage gestellt und in der Folgezeit ausführlich zu medizinischer Sachkunde und Unparteilichkeit des ernannten Sachverständigen Stellung genommen. Entgegen ihrer Auffassung waren beide Voraussetzungen für die Bestellung offensichtlich gegeben; eine weitere Begründung hält der Senat insoweit nicht für angezeigt (vgl. § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
In Bezug auf den Verhandlungstermin vom 2. Dezember 2011 hat die Beklagte einen erheblichen Grund im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht dargelegt. Die Einwendungen gegen die Arbeitsweise des Oberverwaltungsgerichts stellen keinen derartigen Grund dar. Sie entbinden insbesondere einen Prozessbevollmächtigten nicht davon, zum Termin zu erscheinen und die Einwände dort geltend zu machen. Die angeführten Betriebsferien der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind für sich genommen nicht geeignet, eine Verhinderung darzulegen. Gleiches gilt für den unsubstanziierten Hinweis auf die Abwesenheit vom Ort des Kanzleisitzes am Verhandlungstag.
Der Betreuer der Beklagten hat zwar eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, in der ihm eine akute Erkrankung mit der Folge der Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden ist. Auch diese Angabe lässt für sich genommen nicht den Schluss zu, der Betreuer sei tatsächlich verhandlungsunfähig gewesen. Die darauf zielende rechtliche Bewertung des behandelnden Arztes ist unbeachtlich. Aufklärungsmöglichkeiten haben nicht bestanden, weil das Attest erst am Terminstag vorgelegt, der behandelnde Arzt nicht von der Schweigepflicht entbunden und keine Begründung für dieses Vorgehen gegeben worden ist. Es ist nachvollziehbar, dass das Oberverwaltungsgericht daraus den Schluss gezogen hat, die Nachprüfung der Bescheinigung vor der Verhandlung solle aus Gründen der Prozessverschleppung unmöglich gemacht werden.
In Bezug auf den Verhandlungstermin am 20. Dezember 2011 fehlt es ebenfalls an der Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten und des Betreuers der Beklagten. Dies gilt vor allem für die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung mit Datum vom 19. Dezember 2011, in der dem Prozessbevollmächtigten attestiert worden ist, er könne infolge einer Kehlkopfentzündung nicht sprechen. Diese ärztliche Erklärung ist zwar inhaltlich geeignet, eine Verhandlungsunfähigkeit zu belegen. Dennoch bestehen auch hier greifbare Anhaltspunkte für eine Prozessverschleppungsabsicht, weil der Prozessbevollmächtigte dem Oberverwaltungsgericht erneut jede Möglichkeit der Nachprüfung genommen hat. Er hat die Bescheinigung erst am Terminstag, nämlich ungefähr anderthalb Stunden vor dem Verhandlungsbeginn um 10.15 Uhr, vorgelegt, den behandelnden Arzt nicht von der Schweigepflicht entbunden und keine Begründung für dieses Vorgehen gegeben.
Der Betreuer der Beklagten hat seinen Antrag auf Aufhebung des Termins mit einem Selbstmordversuch der Beklagten Anfang Dezember 2011 begründet. Die Beklagte befand sich im Anschluss in stationärer Behandlung, so dass dies nicht erklärt, warum ihr Betreuer an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins am 20. Dezember 2011 gehindert gewesen sein soll.
e) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 57 Abs. 1 LDG NRW, § 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil es dem Gutachter der Beklagten keine Gelegenheit gegeben hat, sich schriftlich und in der mündlichen Verhandlung mit dem Gutachten des gerichtlich beauftragten Sachverständigen auseinander zu setzen.
Über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten entscheidet das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO). Es ist nur dann verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet ist, dem Gericht die sachlichen Grundlagen zu vermitteln, die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendig sind. Das Gutachten ist hierfür ungeeignet, wenn es von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Einwendungen eines Verfahrensbeteiligten, der das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält, verpflichten das Tatsachengericht für sich genommen nicht, einen anderen Sachverständigen einzuschalten (Beschlüsse vom 30. März 1995 - BVerwG 8 B 167.94 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 48; vom 28. Januar 2003 - BVerwG 4 B 4.03 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53 S. 12 und vom 4. Januar 2007 - BVerwG 10 B 20.06 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 353 Rn. 12).
Das Verhältnis zwischen dem vom Gericht bestellten Sachverständigen und dem Gutachter eines Verfahrensbeteiligten bestimmt sich nach den Grundsätzen, die für das Verhältnis von Amtsarzt und behandelndem Arzt gelten. Ebenso wie dem Amtsarzt und einem von ihm hinzugezogenen Facharzt kommt dem gerichtlichen Sachverständigen grundsätzlich Vorrang zu. Dies hat seinen Grund in ihrer rechtlichen Stellung. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu erhalten, nehmen sowohl Amtsarzt als auch gerichtlicher Sachverständiger die Beurteilung nach ihrer Aufgabenstellung unbefangen und unabhängig vor. Sie stehen Beamten und Dienstherrn gleichermaßen fern. Daher darf sich das Gericht auf ihre medizinischen Beurteilungen stützen, wenn die oben dargestellten Voraussetzungen vorliegen. Erhebt der Privatarzt dagegen substanziierte Einwendungen, hängt die Verwertbarkeit davon ab, ob der gerichtliche Sachverständige bzw. der Amtsarzt mit fachärztlicher Unterstützung schlüssig und nachvollziehbar darlegen können, aus welchen Gründen sie den Einwendungen nicht folgen (Urteile vom 11. Oktober 2006 - BVerwG 1 D 10.05 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 36 f. und vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 1 D 2.05 - juris Rn. 34 f.).
Nach diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, der gerichtliche Sachverständige habe die Diagnose des Privatgutachters entkräftet, die Beklagte leide an Schizophrenie. Der Sachverständige hat schlüssig dargelegt, dass sich der Privatgutachter weder damit befasst habe, ob die Beklagte an - eine Schizophrenie ausschließenden - Pseudohalluzinationen leide, noch damit, dass die zugrunde gelegten Symptome auch bei einer depressiven Episode mit Krankheitswert aufträten. Weiterhin hat er nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte im Falle einer Schizophrenie den Arbeitsalltag in der Kassenstelle nicht viele Jahre lang hätte bewältigen können. Ob die vom gerichtlichen Sachverständigen diagnostizierte chronische depressive Episode nicht erst seit Ende 2005 besteht, sondern bereits zum Tatzeitpunkt Ende 2004 vorgelegen hat, muss gegebenenfalls durch eine weitere Untersuchung der Beklagten durch diesen Sachverständigen geklärt werden (vgl. die Ausführungen auf Seite 8).