Bundesarbeitsgericht

Entscheidungsdatum: 25.10.2012


BAG 25.10.2012 - 2 AZR 845/11

Kündigung - qualifiziertes Schriftformerfordernis - Präklusion


Gericht:
Bundesarbeitsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
25.10.2012
Aktenzeichen:
2 AZR 845/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend ArbG Hamburg, 13. April 2010, Az: 19 Ca 433/09, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 6. Oktober 2011, Az: 8 Sa 52/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 6. Oktober 2011 - 8 Sa 52/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt einen Schiffsmeldedienst für die maritime Wirtschaft, der Informationen über Positionen und voraussichtliche Ankunftszeiten von Schiffen zur Verfügung stellt. Der Dienst arbeitet 24 Stunden an sieben Wochentagen. Außerdem bietet die Beklagte die elektronische Datenerfassung für Ausfuhrgüter beim Zoll und die Anmeldung von Gefahrgut in der Schifffahrt als Dienstleistungen an. Bei ihr waren vierzehn Arbeitnehmer beschäftigt, davon sieben - unter ihnen die Klägerin - im Schiffsmeldedienst.

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Die Klägerin ist ausgebildete Kauffrau für Datenverarbeitung. Sie war bei der Beklagten seit dem 20. Oktober 1998 als Schiffsmelderin/Kommunikationssachbearbeiterin beschäftigt.

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§ 6 des Arbeitsvertrags der Parteien enthält unter der Überschrift „Beendigung des Anstellungsverhältnisses“ folgende Regelungen:

        

„1) Für die Kündigung des Anstellungsvertrages gelten die gesetzlichen bzw. tarifvertraglich vereinbarten Fristen. Nach Beendigung der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist 6 Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres.

        

2) Die Kündigung bedarf der Schriftform. Spricht die Firma die Kündigung aus, so ist der Kündigungsgrund anzugeben.

        

3) Ohne Kündigung endet das Anstellungsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem [die Klägerin] das gesetzliche Rentenalter erreicht.“

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Bis Ende des Jahres 2008 war der Schiffsmeldedienst im Drei-Schicht-Betrieb organisiert. Mit Beginn des Jahres 2009 führte die Beklagte zusätzlich eine sogenannte Mittelschicht von 8:00 bis 16:00 Uhr ein und beschäftigte seitdem sieben Vollzeitkräfte in diesem Bereich. Sie entschied sich, mit Wirkung zum 1. Januar 2010 zum Drei-Schicht-System zurückzukehren, da aus ihrer Sicht der Mitteldienst nicht hinreichend ausgelastet war.

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Mit Schreiben vom 21. August 2009 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin. Nachdem dieser der Kündigung zugestimmt hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 24. August 2009 die Kündigung zum 31. Dezember 2009. In dem Schreiben war kein Kündigungsgrund genannt.

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Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt. Sie hat diese für sozial ungerechtfertigt gehalten. Die Beklagte habe dem Rückgang des Beschäftigungsbedürfnisses mit der Anordnung von Kurzarbeit begegnen müssen. Die Klägerin hat außerdem die Sozialauswahl beanstandet und behauptet, die Tätigkeiten im Bereich Zollanmeldung und Gefahrgutinformation nach kurzer Einarbeitungszeit ausüben zu können. Die Beschränkung der Sozialauswahl auf die Mitarbeiter des Wachdienstes sei daher zu Unrecht erfolgt. Im Übrigen sei auch die Betriebsratsanhörung fehlerhaft.

8

Nach einem Hinweis des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung erfülle nicht die in § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vereinbarte qualifizierte Schriftform, hat die Klägerin zudem geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags unwirksam.

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Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. August 2009 nicht beendet wird.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die durchgängige Verfügbarkeit des jeweils mit einem Mitarbeiter besetzten Schiffsmeldedienstes sei mit sechs Vollzeitkräften zu gewährleisten. Die Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Von den Mitarbeitern im Meldedienst sei die Klägerin die am wenigsten sozial schutzwürdige. Mit den in der Zollanmeldung und Gefahrgutinformation eingesetzten Mitarbeitern sei sie nicht vergleichbar, weil diese qualifizierte Tätigkeiten verrichteten, welche sie nicht innerhalb einer vertretbaren Einarbeitungszeit übernehmen könne. Demzufolge hätten die Sozialdaten weiterer Arbeitnehmer auch im Rahmen der Betriebsratsanhörung nicht mitgeteilt werden müssen.

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Den Hinweis auf einen möglichen Formmangel der Kündigung habe das Berufungsgericht nicht erteilen dürfen. Nach § 6 Satz 1 KSchG könne sich ein Arbeitnehmer nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Unwirksamkeitsgründe berufen. Die in § 6 Satz 2 KSchG geregelte Hinweispflicht gelte dementsprechend nur für die erste Instanz. Mit der - erstmaligen - Berufung auf den angeblichen Schriftformmangel sei die Klägerin daher in der zweiten Instanz präkludiert. Im Übrigen habe sie den Mangel nicht innerhalb der für das Berufungsverfahren geltenden Fristen geltend gemacht. Das vertraglich vereinbarte Schriftformerfordernis beziehe sich zudem nur auf die Kündigungserklärung selbst. Das vereinbarte formlose Begründungserfordernis habe sie beachtet. Ihr damaliger Geschäftsführer habe der Klägerin unmittelbar vor Übergabe des Kündigungsschreibens die Kündigungsgründe mündlich erläutert.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 24. August 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Sie ist mangels Beachtung der vertraglich vereinbarten qualifizierten Schriftform unwirksam. Mit diesem Unwirksamkeitsgrund war die Klägerin nicht präkludiert.

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I. Die Revision ist nicht deshalb unbegründet, weil die Berufung mangels Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gem. § 66 Abs. 1 ArbGG oder mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil gem. § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO unzulässig gewesen wäre.

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1. Die Zulässigkeit der Berufung gehört zu den in der Revision von Amts wegen zu prüfenden Prozessfortsetzungsvoraussetzungen. Es kommt nicht darauf an, ob das Berufungsgericht selbst die Berufung als zulässig angesehen hat (BAG 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 109, 265).

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2. Im Streitfall ist die Berufungsbegründung innerhalb der vom Landesarbeitsgericht verlängerten Frist eingegangen. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Frist über einen Monat hinaus verlängert hat. Im Unterschied zu der für die Revisionsbegründung geltenden Regelung (§ 74 Abs. 1 Satz 3 ArbGG) ist die Dauer der Fristverlängerung für die Berufungsbegründung nicht auf einen Monat begrenzt. Eine solche Höchstfrist folgt für das Berufungsverfahren weder aus dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG noch aus Zweck oder Regelungszusammenhang der Bestimmung (BAG 16. Juli 2008 - 7 ABR 13/07 - Rn. 12, 17, BAGE 127, 126).

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3. Anders als die Beklagte meint, sind auch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung iSv. § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfüllt. Die Klägerin hat sich mit den tragenden Erwägungen der erstinstanzlichen Entscheidung auseinandergesetzt und die Gründe dargelegt, warum diese rechtsfehlerhaft sei. Das Arbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage mit der Begründung abgewiesen, die Kündigung vom 24. August 2009 sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung ausgeführt, sie halte das für unrichtig, weil das Arbeitsgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze der Sozialauswahl nicht hinreichend beachtet habe, und hat dafür die aus ihrer Sicht relevanten Umstände bezeichnet.

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II. Die Kündigung ist gem. § 125 Satz 2 BGB iVm. § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 20. Oktober 1998 unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Parteien hätten in § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung durch die Beklagte ein Schriftformerfordernis auch für die Angabe der Kündigungsgründe vereinbart. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung (§§ 133, 157 BGB).

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1. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Regelungen in § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, deren Auslegung durch das Landesarbeitsgericht im Revisionsverfahren einer umfassenden Überprüfung unterliegt (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 446/09 - Rn. 18 ff.; 20. Mai 2008 - 9 AZR 271/07 - Rn. 18, AP BGB § 305 Nr. 13), oder ob atypische Willenserklärungen vorliegen, deren Auslegung revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (BAG 13. November 2007 - 3 AZR 636/06 - Rn. 22, AP BetrAVG § 1 Nr. 50; zum Ganzen: BAG 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 25, BAGE 130, 166). Die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht hält auch einer uneingeschränkten Überprüfung stand.

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2. Das Schriftformerfordernis gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags bezieht sich auch auf die nach Satz 2 dieser Bestimmung vorgesehene Angabe der Kündigungsgründe.

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a) Dafür spricht bereits der Wortlaut der Vereinbarung. In Satz 1 heißt es, die Kündigung bedürfe der Schriftform. Satz 2 sieht vor, dass der Kündigungsgrund anzugeben ist, wenn die Firma die Kündigung ausspricht. Die unmittelbar an das Schriftformerfordernis in Satz 1 anschließende Formulierung legt nahe, dass es sich um eine ebenfalls schriftliche Angabe in dem erforderlichen Kündigungsschreiben handeln soll. Der Wortsinn ist allerdings nicht eindeutig. Eine Angabe von Kündigungsgründen kann auch in deren mündlicher Mitteilung liegen. Zudem wiederholt § 6 Abs. 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags das Schriftformgebot aus Satz 1 nicht noch einmal ausdrücklich. Die vorgesehene Schriftform kann sich daher auch auf die rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung selbst beschränken.

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b) Zu den Begleitumständen des Vertragsschlusses oder der tatsächlichen Durchführung des Arbeitsverhältnisses sind keine Umstände vorgetragen, die einen Schluss auf den von den Parteien übereinstimmend gewollten Inhalt der Vereinbarung zuließen. Für das Auslegungsergebnis des Landesarbeitsgerichts sprechen der Regelungszusammenhang und der erkennbare Zweck der Bestimmung.

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aa) § 6 des Arbeitsvertrags der Parteien fasst die vertraglichen Vereinbarungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammen. Der erste Absatz regelt die Kündigungsfristen, der zweite hat die Erklärung einer Kündigung zum Gegenstand, der dritte sieht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters vor. Der systematische Zusammenhang spricht dagegen, dass innerhalb des einheitlich gefassten zweiten Absatzes hinsichtlich der Schriftform noch einmal zu differenzieren wäre zwischen dem Erfordernis der - schriftlichen - Kündigungserklärung als solcher und der - nicht notwendigerweise schriftlich abzugebenden - Kündigungsbegründung. In beiden Sätzen ist vielmehr gleichlautend von „die Kündigung“ die Rede. Das legt es nahe, dass mit Satz 2 der Inhalt der nach Satz 1 notwendig schriftlichen Kündigungserklärung um die Angabe der Kündigungsgründe in dem ohnehin nötigen Kündigungsschreiben erweitert werden sollte, wenn die Kündigung vom Arbeitgeber ausgesprochen wird. Hätten die Parteien nur eine Pflicht zur mündlichen Mitteilung der Kündigungsgründe vorsehen wollen, bliebe offen, wann die Beklagte ihr nachkommen müsste, falls das Kündigungsschreiben nicht persönlich übergeben wird. Das Begründungserfordernis ist - anders als in § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB - nicht etwa an die Voraussetzung geknüpft worden, dass der Arbeitnehmer ein entsprechendes Verlangen stellt.

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bb) Gegen dieses Verständnis spricht nicht der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schon die Vereinbarung der Schriftform nur für die Kündigungserklärung als solche einen eigenständigen Regelungsgehalt gehabt hätte, weil das gesetzliche Schriftformerfordernis gem. § 623 BGB erst zum 1. Mai 2000 in Kraft getreten ist. Mit dem Begründungsgebot in § 6 Abs. 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags haben die Parteien ersichtlich einen über den Sinn der Schriftform für die Kündigungserklärung hinausgehenden Zweck verfolgt. Die Verpflichtung der Beklagten, im Falle einer Kündigung die Kündigungsgründe anzugeben, dient dem Interesse der Klägerin, schon bei Ausspruch der Kündigung über deren Gründe informiert zu werden (vgl. für die Verpflichtung aus § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG KR-Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 132c; für die aus § 15 BBiG aF: BAG 22. Februar 1972 - 2 AZR 205/71 - BAGE 24, 133; zu § 22 Abs. 3 BBiG KR-Weigand 10. Aufl. §§ 21 - 23 BBiG Rn. 94). Dadurch wird sie in die Lage versetzt, zeitnah zu überprüfen, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung sinnvoll erscheint. Eine verlässliche Entscheidungsgrundlage wiederum schafft nur eine schriftliche Angabe der Gründe. Eine mündliche Erläuterung könnte späteren Streit über die mitgeteilten Gründe nicht ausschließen. Auch für die normativen Vorbilder der vertraglichen Bestimmung in § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG und seinerzeit § 15 Abs. 3, mittlerweile § 22 Abs. 3 BBiG ist deshalb allgemein anerkannt, dass die Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben anzugeben sind (vgl. KR-Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 132b; KR-Weigand 10. Aufl. §§ 21 - 23 BBiG Rn. 92; zu § 15 BBiG aF: BAG 22. Februar 1972 - 2 AZR 205/71 - zu 2 a der Gründe, aaO).

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3. Im Kündigungsschreiben vom 24. August 2009 waren die Gründe für die Kündigung nicht angegeben. Das hat nach § 125 Satz 2 BGB die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge. Ob auch die Regelung des § 305c Abs. 2 BGB zu diesem Ergebnis führen würde, bedarf keiner Entscheidung.

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a) Nach § 125 Satz 2 BGB hat ein Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form „im Zweifel“ die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge. Ob dies von den Parteien tatsächlich gewollt ist, ist deshalb, soweit möglich, durch Auslegung zu klären. Bleiben Zweifel, gilt die gesetzliche Regelung.

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b) Ergibt die Auslegung, dass die Formabrede lediglich der Beweissicherung oder Klarstellung dient, und spielt der Zeitablauf insoweit keine Rolle, ist das Rechtsgeschäft als solches auch formlos wirksam. Es besteht dann lediglich ein Anspruch auf Nachholung der Form (MünchKommBGB/Einsele 6. Aufl. § 125 Rn. 69; Palandt/Ellenberger BGB 71. Aufl. § 125 Rn. 17).

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c) Die Auslegung der Bestimmung in § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags ergibt nicht eindeutig, dass die Parteien die Wirksamkeit der Kündigung nicht von der Wahrung der Schriftform auch für die Kündigungsgründe abhängig machen wollten. Die hiergegen von der Revision vorgebrachten Einwände überzeugen nicht.

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aa) Die Regelung dient nicht zweifelsfrei allein der Beweissicherung oder Klarstellung mit der Folge, dass eine spätere Nachholung der Schriftform ausreichend wäre. Sie hat ersichtlich zumindest auch den Zweck, der Klägerin eine schnelle und verlässliche Grundlage für die Einschätzung der Aussichten einer Kündigungsschutzklage zu geben. Dem wird nur ein konstitutives Schriftformerfordernis gerecht. Wäre es stattdessen ausreichend, die schriftliche Angabe der Gründe nachzuholen, müsste diese erst eingefordert und durchgesetzt werden. Mit Blick auf die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG würde dies dem Sinn der Regelung zuwiderlaufen.

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bb) Aus dem Umstand, dass die Klägerin sich auf eine konstitutive Funktion des Schriftformerfordernisses zunächst nicht berufen hatte, ergibt sich nicht, dass die Parteien diesem übereinstimmend einen anderen Sinn beigemessen hätten. Die Klägerin kann das Schriftformgebot ebenso gut nur übersehen haben. Dass seine Reichweite zuvor schon einmal Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien gewesen wäre, ist nicht vorgetragen.

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cc) Auch aus einem Vergleich mit § 102 Abs. 4 BetrVG und § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB ergibt sich nicht zwingend ein anderes Verständnis der arbeitsvertraglichen Vereinbarung.

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(1) Nach § 102 Abs. 4 BetrVG hat der Arbeitgeber, der kündigt, obwohl der Betriebsrat gem. § 102 Abs. 3 BetrVG der beabsichtigten Kündigung widersprochen hat, dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten. Unterlässt er dies, führt das nach überwiegender Ansicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (näher Fitting BetrVG 26. Aufl. § 102 Rn. 100 mwN). Daraus lässt sich nichts für die Auslegung der hier betroffenen vertraglichen Abrede ableiten. Bei dieser geht es - anders als bei § 102 Abs. 4 BetrVG - um die Gründe des Arbeitgebers für die Kündigung, die dem Arbeitnehmer vorenthalten werden, und nicht um die Stellungnahme des Betriebsrats zu diesen Gründen. Die Kenntnis vom Inhalt einer Stellungnahme des Betriebsrats ist für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage nur bedingt von Nutzen, solange der Arbeitnehmer nicht die vom Arbeitgeber angeführten Gründe kennt. Zudem muss gem. § 102 Abs. 4 BetrVG nicht jegliche Stellungnahme des Betriebsrats dem Arbeitnehmer zur Kenntnis gegeben werden, sondern nur ein Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG. Dieser wiederum hat nur zur Folge, dass der Arbeitnehmer gem. § 102 Abs. 5 BetrVG seine Weiterbeschäftigung verlangen kann. Er ist hierbei überdies - anders als für die Erhebung der Kündigungsschutzklage - nicht an die Frist des § 4 Satz 1 KSchG gebunden.

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(2) Aus dem Umstand, dass nicht die Kündigung unwirksam ist, sondern dem Arbeitnehmer allenfalls ein Schadensersatzanspruch zusteht, wenn der kündigende Arbeitgeber einem Auskunftsverlangen nach § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht nachkommt (vgl. im Einzelnen ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 239), lässt sich für die Auslegung der Parteivereinbarung ebenfalls nichts ableiten. Die Auskunftspflicht des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB knüpft an ein Verlangen des Arbeitnehmers an, für das es zudem - bis zur Grenze der Verwirkung - keine zeitliche Begrenzung gibt (ErfK/Müller-Glöge aaO). Demgegenüber ist in § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vereinbart, dass bei einer Kündigung der Beklagten deren Gründe bereits in dem Kündigungsschreiben anzugeben sind.

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III. Das Landesarbeitsgericht war nicht gehindert, den Verstoß gegen das konstitutive vertragliche Schriftformerfordernis als Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung zu berücksichtigen. Die Klägerin war mit diesem Grund weder nach § 6 Satz 1 KSchG noch nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG ausgeschlossen.

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1. Nach § 6 Satz 1 KSchG kann sich der Arbeitnehmer zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch auf innerhalb der Frist des § 4 KSchG nicht geltend gemachte Gründe berufen, sofern er innerhalb dieser Frist Kündigungsschutzklage erhoben hat. § 6 Satz 1 KSchG ist damit eine Präklusionsvorschrift ( BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12 f. mwN, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4; Eylert NZA 2012, 9, 10; Raab RdA 2004, 321, 329). Die Präklusionswirkung nach § 6 Satz 1 KSchG tritt nicht ein, wenn das Arbeitsgericht seiner Hinweispflicht nach § 6 Satz 2 KSchG nicht genügt hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer den weiteren Unwirksamkeitsgrund auch noch in zweiter Instanz geltend machen (vgl. für die Befristungskontrollklage BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 20, BAGE 138, 9; ebenso KR-Friedrich 10. Aufl. § 6 KSchG Rn. 38 mwN).

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Danach war die Klägerin mit dem Unwirksamkeitsgrund des Mangels der Schriftform in der Berufungsinstanz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sie sich hierauf nicht bereits in erster Instanz berufen haben sollte. Ob im bloßen Einreichen des Arbeitsvertrags schon ein „Sich-Berufen“ iSv. § 6 Satz 1 KSchG auf die Unwirksamkeitsfolge aus § 6 Abs. 2 des Vertrags liegt, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, bedarf keiner Entscheidung. Das Arbeitsgericht hatte der Klägerin keinen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt. Die prozessleitende Anordnung nach § 61a Abs. 4 ArbGG, auf die zu erwartende Klageerwiderung binnen bestimmter Frist abschließend weiter vorzutragen, erfüllte diese Hinweispflicht nicht.

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2. Die Klägerin war auch nicht gem. § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG damit ausgeschlossen, sich noch nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung auf das Schriftformerfordernis zu berufen. Das Landesarbeitsgericht hat den hierauf bezogenen Vortrag trotz der Verspätung gem. § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden. Die einmal eingetretene, aber vom Landesarbeitsgericht akzeptierte Verzögerung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG 26. Januar 1995 - 1 BvR 1068/93 - AP ArbGG 1979 § 67 Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 67 Nr. 6; BAG 31. Oktober 1984 - 4 AZR 604/82 - AP TVAL II § 42 Nr. 3; 20. April 1983 - 4 AZR 497/80 - zu IV der Gründe, BAGE 42, 244; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 67 Rn. 34; ErfK/Koch 12. Aufl. § 67 ArbGG Rn. 8 mwN; Schwab/Weth/Schwab ArbGG 3. Aufl. § 67 Rn. 53).

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IV. Die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels hat gem. § 97 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz