Entscheidungsdatum: 03.09.2018
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 199 49 744
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hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. September 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dipl.-Ing. J. Müller und Dr.-Ing. Kapels
beschlossen:
1. Auf die Beschwerden der Einsprechenden I und II wird der Beschluss der Patentabteilung 1.23 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Oktober 2016 aufgehoben und das Patent 199 49 744 widerrufen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren an die Einsprechenden I und II wird angeordnet.
I
Auf die am 15. Oktober 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents mit der Nummer 199 49 744 am 22. Mai 2014 veröffentlicht worden. Es trägt die Bezeichnung „Antriebseinrichtung für eine Tür“.
Gegen das Patent hat die D… GmbH, nunmehr d… GmbH (Einsprechende I), mit Schreiben vom 16. Februar 2015, beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben mit der Begründung, der Gegenstand des Patents sei nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Weiter hat die A… Systems (Einsprechende II) mit Schreiben vom 23. Februar 2015, beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben mit der Begründung, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Abgesehen davon sei der Gegenstand des Patents nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Neben anderem haben die Einsprechenden auf folgenden druckschriftlichen Stand der Technik Bezug genommen:
D1 DE 196 52 600 A1D7 GB 2 161 540 A.
Außerdem haben die Einsprechenden jeweils fehlende Patentfähigkeit gegenüber in der Öffentlichkeit vorbenutzten Gegenständen geltend gemacht und zum Beleg ihres diesbezüglichen Vorbringens Beweis durch Zeugeneinvernahme angeboten.
Mit am Ende einer Anhörung am 19. Oktober 2016 verkündetem Beschluss hat die Patentabteilung 1.23 das Patent aufrechterhalten.
Die Patentabteilung hat die Vernehmung der von den Einsprechenden benannten Zeugen als nicht sachdienlich abgelehnt und dies damit begründet, dass aus den bis zum Anhörungstag eingereichten, die angebliche Vorbenutzung betreffenden Unterlagen der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht in Gänze hervorgehe. Deshalb hätte auch der Zeugenbeweis keine offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 in Gänze glaubhaft machen können.
Gegen den Beschluss haben die Einsprechende I mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2016 und die Einsprechende II mit Schriftsatz vom 28. November 2016 Beschwerden eingelegt.
Die Einsprechenden I und II beantragen übereinstimmend,
den Beschluss der Patentabteilung 1.23 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Oktober 2016 aufzuheben und das Patent 199 49 744 zu widerrufen.
Die Einsprechende I beantragt außerdem die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.
Die Patentinhaberin beantragt,
die Beschwerden der Einsprechenden I und II zurückzuweisen.
Die erteilten Patentansprüche 1 und 19 lauten:
1. Antriebseinrichtung für eine Tür oder ein Fenster mit einem ortsfesten Rahmen und mindestens einem daran gelagerten Drehflügel
mit einer Antriebsvorrichtung zum Öffnen und/oder Schließen des Drehflügels,
wobei die Antriebsvorrichtung einen Antriebsmotor und einen Energiespeicher aufweist und das Schließen ausschließlich unter Wirkung des Antriebsmotors und das Öffnen vorzugsweise ausschließlich unter Wirkung des Energiespeichers erfolgt,
wobei der Energiespeicher beim Schließen zumindest teilweise geladen wird und beim Öffnen zumindest teilweise entladen wird,
wobei der Energiespeicher als Teil einer Notöffnungsvorrichtung ausgebildet ist, welche im Notfall z.B. bei Stromausfall, im Brandfall, im Panikfall den Drehflügel öffnet,
dadurch gekennzeichnet,
dass eine elektrisch schaltbare Haltevorrichtung (33) zum Halten des Drehflügels (2) in einer Schließstellung vorgesehen ist,
wobei die Haltevorrichtung (33) sowohl im Normalbetrieb als auch im Notfall über ein elektrisches Signal lösbar ist, so dass der Drehflügel (2) in Offenlage bringbar ist, und
wobei eine Steuerungsvorrichtung (5) vorgesehen ist, welche zum Ansteuern des elektromechanischen Antriebsmotors (31) und der Haltevorrichtung (33) ausgebildet ist, und
wobei die Haltevorrichtung (33) ein elektromechanisches Rastelement oder ein Piezoelement oder ein magnetostriktives Element aufweist, welches zum Blockieren der Bewegung des Kolbens (36) und/oder des Gestänges (42) und/oder des Energiespeichers (34) und/oder der Abtriebswelle (41) und/oder der Verriegelungsvorrichtung ausgebildet ist.
19. Verfahren zum Betrieb einer Antriebseinrichtung für einen Drehflügel einer Tür oder eines Fensters,
wobei eine Antriebseinrichtung eingesetzt wird, die eine Antriebsvorrichtung mit einem elektromechanischen Antriebsmotor und einem Energiespeicher aufweist, und
wobei im Normalbetrieb das Schließen des Drehflügels automatisch mittels des elektromechanischen Antriebsmotors angesteuert erfolgt, und
wobei im Notbetrieb das Öffnen des Drehflügels unter Wirkung des Energiespeichers ohne Antriebsmotor automatisch über Nottaster und/oder Brandmelder angesteuert erfolgt, und
wobei der Energiespeicher beim Schließen des Drehflügels geladen wird und beim Öffnen des Drehflügels zumindest zum Teil entladen wird,
dadurch gekennzeichnet,
dass im Normalbetrieb das Öffnen des Drehflügels (2) unter Wirkung des Energiespeichers angesteuert erfolgt,
wobei der Drehflügel (2) mit einer elektrisch schaltbaren Haltevorrichtung (33) in einer Schließstellung gehalten wird, und wobei eine Steuerungsvorrichtung (5) vorgesehen ist, welche zum Ansteuern des elektromechanischen Antriebsmotors (31) und/oder der Haltevorrichtung (33) ausgebildet ist, und
wobei die Haltevorrichtung (33) ein elektromechanisches Rastelement oder ein Piezoelement oder ein magnetostriktives Element aufweist, welches zum Blockieren der Bewegung des Kolbens (36) und/oder des Gestänges (42) und/oder des Energiespeichers (34) und/oder der Abtriebswelle (41) und/oder der Verriegelungsvorrichtung ausgebildet ist.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
1. Die Beschwerden der Einsprechenden sind statthaft und auch sonst zulässig (§ 73 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 PatG, § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG).
2. Die Beschwerden führen zum Widerruf des Patents.
2.1 Hintergrund der Erfindung sind Antriebseinrichtungen für Türen und Fenster. Es sei zwar schon bekannt, elektrische Antriebsmotoren zum Schließen und Öffnen von Drehflügeln einzusetzen. Gemäß Beschreibungseinleitung (Absatz 0002 der Patentschrift) sei darüber hinaus bekannt, für einen Notfall einen Energiespeicher vorzusehen, durch den der Drehflügel in die Offenstellung bewegt wird. Nachteilig sei dabei jedoch, dass die Vorrichtung zum Entladen des Energiespeichers während des gesamten Öffnungs- und Schließvorganges mit der Kraft des Antriebs und des Energiespeichers beaufschlagt würde und daher entsprechend groß dimensioniert werden müsste.
2.2 Der Erfindung liege daher gemäß Patentschrift (Absatz 0007) die Aufgabe zugrunde, eine Antriebseinrichtung zu entwickeln, die automatisch arbeite und einfacher aufgebaut sei, sowie ein \/erfahren zu dem Betrieb einer Antriebseinrichtung zu entwickeln.
2.3 Die Lösung dieses Problems obliegt nach Erkenntnis des Senats als Fachmann einem Diplomingenieur (FH) oder Bachelor der Fachrichtung Elektrotechnik mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion automatischer Türantriebe.
2.4 Die Lösung bestehe in den Maßnahmen gemäß den Patentansprüchen 1 oder 19, die sich wie folgt gliedern lassen:
Patentanspruch 1:
1.1 Antriebseinrichtung für eine Tür oder ein Fenster
1.2 mit einem ortsfesten Rahmen
1.3 und mindestens einem daran gelagerten Drehflügel
1.4 mit einer Antriebsvorrichtung zum Öffnen und/oder Schließen des Drehflügels,
1.5 wobei die Antriebsvorrichtung einen Antriebsmotor
1.6 und einen Energiespeicher aufweist
1.7 und das Schließen ausschließlich unter Wirkung des Antriebsmotors
1.8 und das Öffnen vorzugsweise ausschließlich unter Wirkung des Energiespeichers erfolgt,
1.9 wobei der Energiespeicher beim Schließen zumindest teilweise geladen wird und beim Öffnen zumindest teilweise entladen wird,
1.10 wobei der Energiespeicher als Teil einer Notöffnungsvorrichtung ausgebildet ist, welche im Notfall z. B. bei Stromausfall, im Brandfall, im Panikfall den Drehflügel öffnet,
dadurch gekennzeichnet,
1.11 dass eine elektrisch schaltbare Haltevorrichtung (33) zum Halten des Drehflügels (2) in einer Schließstellung vorgesehen ist,
1.12 wobei die Haltevorrichtung (33) sowohl im Normalbetrieb als auch im Notfall über ein elektrisches Signal lösbar ist,
1.12a so dass der Drehflügel (2) in Offenlage bringbar ist, und
1.13 wobei eine Steuerungsvorrichtung (5) vorgesehen ist,
1.14 welche zum Ansteuern des elektromechanischen Antriebsmotors (31)
1.15 und der Haltevorrichtung (33) ausgebildet ist,
1.16 und wobei die Haltevorrichtung (33)
a ein elektromechanisches Rastelement
b oder ein Piezoelement
c oder ein magnetostriktives Element
aufweist,
1.17 welches zum Blockieren der Bewegung
a des Kolbens (36)
b und/oder des Gestänges (42)
c und/oder des Energiespeichers (34)
d und/oder der Abtriebswelle (41)
e und/oder der Verriegelungsvorrichtung
ausgebildet ist.
Patentanspruch 19:
19.0 Verfahren zum Betrieb einer Antriebseinrichtung
19.3 für einen Drehflügel einer Tür oder eines Fensters,
19.1 wobei eine Antriebseinrichtung eingesetzt wird, die eine Antriebsvorrichtung mit
19.5 einem elektromechanischen Antriebsmotor
19.6 und einem Energiespeicher aufweist,
19.7 und wobei im Normalbetrieb das Schließen des Drehflügels automatisch mittels des elektromechanischen Antriebsmotors angesteuert erfolgt,
19.10 und wobei im Notbetrieb das Öffnen des Drehflügels unter Wirkung des Energiespeichers ohne Antriebsmotor automatisch über Nottaster und/oder Brandmelder angesteuert erfolgt,
19.9 und wobei der Energiespeicher beim Schließen des Drehflügels geladen wird und beim Öffnen des Drehflügels zumindest zum Teil entladen wird,
dadurch gekennzeichnet,
19.8 dass im Normalbetrieb das Öffnen des Drehflügels (2) unter Wirkung des Energiespeichers angesteuert erfolgt,
19.11 wobei der Drehflügel (2) mit einer elektrisch schaltbaren Haltevorrichtung (33) in einer Schließstellung gehalten wird,
19.13 und wobei eine Steuerungsvorrichtung (5) vorgesehen ist,
19.14 welche zum Ansteuern des elektromechanischen Antriebsmotors (31)
19.15 und/oder der Haltevorrichtung (33) ausgebildet ist,
19.16 und wobei die Haltevorrichtung (33)
a ein elektromechanisches Rastelement
b oder ein Piezoelement
c oder ein magnetostriktives Element
aufweist,
19.17 welches zum Blockieren der Bewegung
a des Kolbens (36)
b und/oder des Gestänges (42)
c und/oder des Energiespeichers (34)
d und/oder der Abtriebswelle (41)
e und/oder der Verriegelungsvorrichtung
ausgebildet ist.
3. Der Gegenstand des von der Patentinhaberin unverändert verteidigten, erteilten Patentanspruch 1 beruht gegenüber der aus der Druckschrift DE 196 52 600 A1 (D1) bekannten Antriebseinrichtung jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist daher nicht patentfähig (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 PatG). Aus dieser ist hinsichtlich des Streitgegenstandes zumindest Folgendes bekannt: Eine
1.1 Antriebseinrichtung für eine Tür 1
1.2 mit einem ortsfesten Rahmen 4
1.3 und mindestens einem daran gelagerten Drehflügel 2, 2‘
1.4 mit einer Antriebsvorrichtung zum Öffnen und/oder Schließen des Drehflügels,
1.5 wobei die Antriebsvorrichtung einen Antriebsmotor (Spalte 1, Zeilen 46 bis 47; Spalte 4, Zeilen 36 bis 37, 58 bis 59);
1.6 und einen Energiespeicher 12, 15, 19, 22 aufweist
1.7 und das Schließen ausschließlich unter Wirkung des Antriebsmotors erfolgt (Spalte 2, Zeilen 63 bis 66; Patentansprüche 1 und 2),
1.9Teil wobei der Energiespeicher beim Schließen geladen wird (Spalte 2, Zeilen 67 bis 68; Spalte 3, Zeilen 23 bis 25; Patentansprüche 1 und 2),
1.10 wobei der Energiespeicher als Teil einer Notöffnungsvorrichtung 11 ausgebildet ist, welche im Notfall z. B. bei Stromausfall, im Brandfall, im Panikfall den Drehflügel öffnet (Bezeichnung; Spalte 1, Zeilen 42-47),
wobei
1.11 eine elektrisch schaltbare Haltevorrichtung (Spalte 2, Zeilen 65 bis 66; Spalte 4, Zeile 37; „schaltbare elektromagnetische Kupplung“) zum Halten des Drehflügels 2, 2‘ in einer Schließstellung vorgesehen ist,
1.12Teil wobei die Haltevorrichtung (elektromagnetische Kupplung) jedenfalls im Notfall über ein elektrisches Signal lösbar ist (Spalte 2, Zeile 62-66),
1.12a so dass der Drehflügel 2, 2‘ in Offenlage bringbar ist, und
1.16 und wobei die Haltevorrichtung
a ein elektromechanisches Rastelement (elektromagnetische Kupplung)
aufweist,
1.17 welches zum Blockieren der Bewegung
c des Energiespeichers 12, 15, 19, 22
d und der Abtriebswelle 6, 6‘
ausgebildet ist. (Solange die elektromagnetische Kupplung nicht gelüftet ist, sind die Energiespeicher 12, 15, 19, 22 sowie die Antriebswellen 6, 6‘ blockiert).
Das Argument der Patentinhaberin, durch die Druckschrift D1 sei nicht vorweggenommen, dass das Öffnen der Drehfalttüre im Normalbetrieb unter Wirkung des Energiespeichers erfolge (Merkmal 1.8), vielmehr werde auch das Öffnen durch den elektromotorischen Antrieb bewirkt, kann nicht überzeugen. Auch wenn der Druckschrift D1 nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, wie die Drehflügel normalerweise geöffnet werden, zieht der Fachmann doch aus der Aussage, dass der Drehfedermechanismus 12 bei jedem Schließen der Drehfalttür 1 vorgespannt wird (Spalte 3, Zeilen 23 bis 25), den Schluss, dass der Drehfedermechanismus 12 bei jedem Öffnen der Drehfalttür 1 wieder entspannt wird (Merkmal 1.9Rest), also entscheidend beim Öffnen der Flügel der Drehfalttür mitwirkt, also nicht nur im Notfall, sondern auch im Normalbetrieb; zumal in der Druckschrift D1 bereits aus dem Stand der Technik als bekannt vorausgesetzt ist, dass eine Schiebetür durch Freischaltung einer elektromagnetischen Kupplung unter Wirkung eines Energiespeichers (Gummielement) automatisch geöffnet wird (Spalte 1, Zeilen 25 bis 30).
Ob gemäß Druckschrift D1 das Öffnen des bzw. der Drehflügel ausschließlich unter Wirkung des Energiespeichers erfolgt, kann dahinstehen, da diese Angabe im Merkmal 1.8 lediglich fakultativ genannt ist.
Auch der Einwand der Patentinhaberin, gemäß der Druckschrift D1 sei nicht vorgesehen, die elektromagnetische Kupplung, die der streitpatentgemäßen Haltevorrichtung entsprechen solle, auch im Normalbetrieb zu lösen, damit der Drehflügel geschlossen werde (Merkmal 1.12Rest), geht fehl, da der erteilte Patentanspruch 1 nicht auf ein Verfahren, sondern auf eine Vorrichtung gerichtet ist. Im Übrigen lässt schon die Ausführung in der Druckschrift D1: „Es ist davon auszugehen, dass das Öffnen und Schließen der Türflügel 2, 2', 3, 3' in bekannter Weise durch einen nicht dargestellten Elektromotor mit Untersetzungsgetriebe und elektromagnetischer schaltbarer Kupplung erfolgt“ (Spalte 2, Zeilen 62 bis 66), auch die Lesart zu, dass das Schließen durch den Elektromotor bewirkt wird und das Öffnen durch die elektromagnetischer schaltbare Kupplung. Dazu kommt, dass darauf folgend ausgeführt ist: „Bei Strom loswerden [sic!] des Elektromotors und automatisch gelüfteter Kupplung verbringen die in den vier Ausführungsbeispielen dargestellten Zugmittel aufgrund der gespeicherten Energie die einzelnen Türflügel in die Offenstellung.“ (Spalte 2, Zeile 69 bis Spalte 3, Zeile 4). Weder der unmittelbare Zusammenhang dieser Textpassage, noch andere Teile der Druckschrift D1 geben Anlass zu der Annahme, dass hier nur der Notöffnungsvorgang beschrieben ist. Vielmehr ist offensichtlich einleitend zu den Ausführungsbeispielen die grundlegende Funktion der nachfolgend weiter ausgestalteten Vorrichtung beschrieben.
Jedenfalls ist es gemäß Druckschrift D1 zweifellos möglich ist, die elektromagnetische Kupplung durch Wegfall der Haltespannung zu lüften (Spalte 1, Zeilen 48 bis 50; Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 2; Spalte 3, Zeilen 25 bis 28), somit sind die technischen Mittel vorhanden, die Haltevorrichtung jederzeit – also auch im Normalbetrieb – durch das elektrische Signal „stromlos werden“ zu lösen.
Schließlich ist in der Druckschrift D1 zwar eine Steuerungsvorrichtung nicht explizit genannt (Merkmale 1.13 bis 1.15). Nach Überzeugung des Senats liest der Fachmann eine solche jedoch selbstverständlich mit, da in irgendeiner Form auch bei der Ausgestaltung gemäß Druckschrift D1 der Elektromotor einen Schließbefehl bekommen muss; zumindest ein manuell zu betätigender Schalter in der Druckschrift D1 genannt ist (Spalte 1, Zeilen 38 bis 47).
Im Übrigen kann auch gemäß Streitpatentschrift der Steuerbefehl für die Haltevorrichtung darin bestehen, dass die Versorgungsspannung zum Betreiben der Türe fehlt bzw. abgeschaltet wird. Siehe hierzu insbesondere den Absatz 0018, durch den diese Betriebsweise angesprochen ist.
Dieselbe Funktion wird in der Druckschrift D1 (Spalte 3, Zeilen 25-28) der elektromagnetischen Kupplung zugeschrieben.
Somit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die Druckschrift D1 zumindest nahegelegt und damit nicht patentfähig.
4. Auch das Verfahren gemäß des von der Patentinhaberin unverändert verteidigten, erteilten Patentanspruch 19 ist gegenüber der aus der Druckschrift DE 196 52 600 A1 (D1) bekannten Vorgehensweise nicht patentfähig. Aus dieser ist hinsichtlich des Streitgegenstandes zumindest Folgendes bekannt: Ein
19.0 Verfahren zum Betrieb einer Antriebseinrichtung
19.3 für einen Drehflügel 2, 2‘ einer Tür 1,
19.1 wobei eine Antriebseinrichtung eingesetzt wird, die eine Antriebsvorrichtung mit
19.5 einem elektromechanischen Antriebsmotor (Spalte 1, Zeilen 46 bis 47; Spalte 4, Zeilen 36 bis 37, 58 bis 59)
19.6 und einem Energiespeicher 12, 15, 19, 22 aufweist,
19.7 und wobei im Normalbetrieb das Schließen des Drehflügels automatisch mittels des elektromechanischen Antriebsmotors angesteuert erfolgt,
19.10 und wobei im Notbetrieb das Öffnen des Drehflügels unter Wirkung des Energiespeichers ohne Antriebsmotor automatisch über Nottaster („manuelle Schalterbetätigung“) und/oder Brandmelder („Alarmeinrichtung“) angesteuert erfolgt (Spalte 1, Zeilen 41 bis 50),
19.9 und wobei der Energiespeicher beim Schließen des Drehflügels geladen wird (Spalte 2, Zeilen 67 bis 68; Spalte 3, Zeilen 23 bis 25; Patentansprüche 1 und 2) und beim Öffnen des Drehflügels zumindest zum Teil entladen wird (Spalte 1, Zeilen 25 bis 30; Spalte 2, Zeile 68 bis Spalte 3, Zeile 4),
wobei
19.8 im Normalbetrieb das Öffnen des Drehflügels (2, 2´) unter Wirkung des Energiespeichers angesteuert erfolgt (Spalte 2, Zeile 68 bis Spalte 3, Zeile 4),
19.11 wobei der Drehflügel (2, 2´) mit einer elektrisch schaltbaren Haltevorrichtung (Spalte 2, Zeilen 65 bis 66; Spalte 4, Zeile 37; „schaltbare elektromagnetische Kupplung“) in einer Schließstellung gehalten wird,
19.13 und wobei eine Steuerungsvorrichtung vorgesehen ist,
19.14 welche zum Ansteuern des elektromechanischen Antriebsmotors – dieser wird zweifellos wiederkehrend ein- und ausgeschaltet –
19.15 oder der Haltevorrichtung ausgebildet ist (Spalte 1, Zeilen 38 bis 47),
19.16 und wobei die Haltevorrichtung
a ein elektromechanisches Rastelement (elektromagnetische Kupplung)
aufweist,
19.17 welches zum Blockieren der Bewegung
c des Energiespeichers 12, 15, 19, 22
d und der Abtriebswelle 6, 6‘
ausgebildet ist.
Im Übrigen wird hinsichtlich der fehlenden erfinderischen Tätigkeit beim Verfahren nach Patentanspruch 19 auf die Erläuterungen zum Patentanspruch 1 verwiesen.
5. Somit war den Beschwerden der beiden Einsprechenden stattzugeben und das Patent zu widerrufen.
III.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf § 80 Abs. 3 PatG. Danach ist die Rückzahlung veranlasst, wenn es aufgrund besonderer Umstände unbillig wäre, die Beschwerdegebühr einzubehalten, insbesondere bei einem fehlerhaften Verfahren des Patent- und Markenamts, das ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war (vgl. Schulte/Püschel, PatG, 10. Aufl. § 73 Rdn. 135 und 142 m. w. N. aus der Rspr.).
Vorliegend hat die Patentabteilung verfahrensfehlerhaft die jeweils von den beiden Einsprechenden angebotene Einvernahme von Zeugen zum Nachweis der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen des erfindungsgemäßen Patentgegenstandes als nicht sachdienlich abgelehnt und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
Die Abteilung hat insoweit zu hohe Anforderungen an die Substantiierung des angebotenen Zeugenbeweises zu den offenkundigen Vorbenutzungen gestellt, indem sie Belege für die behaupteten und unter Zeugenbeweis gestellten Tatsachen verlangt hat. Da der Zeugenbeweis neben dem Beweis durch Urkunden, durch Augenschein oder durch Sachverständige ein gleichwertiges selbständiges Beweismittel ist, geht es nicht an, als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Zeugenbeweises zu verlangen, dass zunächst anderweit gewisse Anhaltspunkte für die unter Beweis gestellten Tatsachen erbracht werden. Es muss vielmehr ausreichen, dass der Beweisführer konkret angibt, welche Tatsachen er in das Wissen eines Zeugen stellt (§ 373 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1974 – X ZB 9/72, GRUR 1975, 254, Ziff. B.V.1. – Ladegerät II). Die Ablehnung einer Beweiserhebung unter dem Gesichtspunkt mangelnder Substantiierung für eine möglicherweise beweiserhebliche Tatsache ist nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber willkürlich aufs Geradewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten aus der Luft gegriffen ist und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinn ist jedoch Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (vgl. BGH, Entscheidung vom 1. Oktober 1991 – X ZR 31/91, Schulte-Kartei Gewerblicher Rechtsschutz, PatG § 3, 3.2. Nr. 24 (abstract) – Erzeugung eines Wärmestaus; BGH, Urteil vom 25. April 1995 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, Leitsatz, zur Zulässigkeit der Behauptung vermuteter Tatsachen im Zivilprozess). Ausgehend von diesen Grundsätzen haben beide Einsprechenden die von ihnen unter Zeugenbeweis gestellten Tatsachen für die jeweils behaupteten Vorbenutzungen hinreichend substantiiert.
Die Einsprechende I hat in ihrem Einspruchsschriftsatz vom 16. Februar 2015 unter Bezugnahme auf einen Newsletter „Aktuelles RUND UM DIE TÜR – DORMA INFORMIERT“ (= D11) und weitere Dokumente (u. a. Bestellhilfen ED 200 und ED 200/98 der DORMA GmbH + Co. KG = D14; Automatiktüren und ihre Antriebe – 2001, ISBN 3-478-93251-3 = D15; DORMA – Automatik Katalog 2002 = D16) sowie ergänzend in ihrem Schriftsatz vom 18. August 2016 unter Vorlage zusätzlicher Dokumente (Automatischer Drehflügelantrieb DORMA ED 200 = D18; Türverriegelung DORMA TV Typenreihe 100 = D19) im Einzelnen vorgetragen, dass in der darin beschriebenen Fluchtweg-Türtechnik mit Türverriegelung sämtliche Merkmale des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 des angegriffenen Patents verwirklicht seien. Solche Fluchtweg-Türanlagen seien bereits Ende 1996 am Düsseldorfer Flughafen verbaut worden. Zum Beweis der behaupteten Vorbenutzung sowie weiterer technischer Einzelheiten hat sie als Zeugen Herrn Prof. Dr.-Ing. K…, der als Brandschutzingenieur das Brandschutzkonzept für den betreffenden Terminal des Düsseldorfer Flughafens im Jahr 1996 entwickelt habe, sowie Herrn K1… angeboten, der im Jahr 1996 Montagen der in der D11 beschriebenen Türanlagen am Düsseldorfer Flughafen durchgeführt habe.
Ebenfalls hat die Einsprechende II im Einspruchsschriftsatz vom 23. Februar 2015 unter Bezugnahme auf die beigefügten Anlagen (Z1 bis Z6) geltend gemacht, die in der Anlage Z1 (Photo of a door) dargestellte doppelflügelige Tür sei mitsamt der zugehörigen Antriebseinrichtung (Anlage Z2: Photo of door operator), einem als Feder ausgebildeten Energiespeicher und zwei Magnethaltern des Typs MH-K (Anlage Z6: Connection Drawing Double Door) am 26. Oktober 1990 in einem Gebäude mit der Bezeichnung „Folkets Hus“, heute „Konsert & Kongress“, Östgötagatan 17, 582 32 Linköping, Schweden, von dem Installateur L… im Namen der Firma B… installiert worden, wobei die Tür alle Merk- male des erfindungsgemäßen Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 aufweise. Als Zeugen hierfür hat sie den Installateur L… sowie Herrn S… angeboten.
Damit haben beide Einsprechenden eine offenkundige Vorbenutzung in Gänze nach dem Gegenstand, dem Ort, der Zeit und der Art und Weise der Benutzung schlüssig behauptet. Die behaupteten Tatsachen sind weder ungenau bezeichnet, noch erscheinen sie im Hinblick auf die dazu eingereichten Dokumente willkürlich aus der Luft gegriffen. Insbesondere ist das Vorhandensein einer patentgemäßen Haltevorrichtung bei den jeweils als vorbenutzt behaupteten Türen plausibel dargetan, da die von den Einsprechenden eingereichten Dokumente jeweils Haltevorrichtungen an den Türen zeigen, und es insoweit genügen würde, wenn in einer vorbenutzten Haltevorrichtung lediglich eine aus der Vielzahl von Ausgestaltungen verwirklicht wäre, die aufgrund der im erteilten Patentanspruch 1 mit „oder“ und „und/oder“ verknüpften Merkmale 1.16 a, b, c und 1.17 a, b, c, d, e alternativ unter Patentschutz gestellt sind.
In der Begründung der Patentabteilung für die Ablehnung der Zeugeneinvernahme, dass auch der Zeugenbeweis eine offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 in Gänze nicht glaubhaft machen könne, liegt zudem eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung. Die Ablehnung eines Beweismittels unter dem Gesichtspunkt, dass damit die behauptete Tatsache nicht bewiesen werden könne, ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn der Unwert des angebotenen Beweismittels von vornherein feststeht (vgl. BGH, a. a. O., Ziff. B.V.4. – Ladegerät II). Dies aber ist hier nicht der Fall, da die benannten Zeugen als Installateure oder als Brandschutzingenieur aufgrund ihrer eigenen unmittelbaren Befassung mit den jeweils als vorbenutzt behaupteten Türanlagen deren technischen Merkmale schildern sollen. Darauf, ob die eingereichten Dokumente die behaupteten Tatsachen beweisen könnten, kommt es insoweit nicht an.
Nachdem die Patentabteilung keine der weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften als patenthindernd beurteilt hat, wäre es aus ihrer Sicht entscheidungserheblich darauf angekommen, ob die behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen bewiesen werden können. Es war daher verfahrensfehlerhaft und stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (Art. 103 Abs. 1 GG), den von den Einsprechenden hierfür jeweils angebotenen Zeugenbeweis abzulehnen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2015 – V ZR 200/14, Ziff. III.1.), zumal gerade bei Verfahren mit Amtsermittlung, wie dem Einspruchsverfahren, ein schlüssiges Beweisangebot grundsätzlich nicht übergangen werden darf (vgl. BGH, a. a. O., Ziff. B.V.4. – Ladegerät II).
Der Verfahrensverstoß war schließlich ursächlich für die Einlegung der Beschwerden durch die Einsprechenden, da nicht auszuschließen ist, dass die behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen durch die benannten Zeugen hätten bewiesen werden können und die Entscheidung der Abteilung infolge dessen zugunsten der Einsprechenden ausgefallen wäre, so dass sich die Einlegung der Beschwerden erübrigt hätte.
Nach alledem entspricht es der Billigkeit, den beiden Einsprechenden die von ihnen entrichteten Beschwerdegebühren zurückzuzahlen.